Die Bedeutung von Normen, Werten, Diskursen für Friedensverhandlungen

Anfang Juli trafen sich Merkel, Macron, Putin, Trump & Co. zum G20-Gipfel in Hamburg und die Welt konnte beobachten – neben den Protesten und brennenden Autos –, wie sie darum rangen, eine gemeinsame Sprache zu finden. Dank moderner Simultanübersetzung scheint ein sprachliches Verstehen zwar kein Problem zu sein, doch genügt es nicht die Worte des anderen zu begreifen, wenn die hinter dem Gesagten stehenden Normen und Werte zu weit auseinander gehen – gerade die Diskussionen um die Handels- und Klimapolitik haben dies gezeigt.[1]

Ob in der modernen Gipfel-Diplomatie oder auf frühneuzeitlichen Friedenskongressen, es gilt generell: Friedenschließen setzt einen Minimalkonsens über Normen und Werte voraus; nur so sind Verhandlungen, die eine Chance auf Erfolg haben sollen, überhaupt möglich. Diese Normen und Werte werden von den Akteuren in Diskursen verhandelt. Die Sektion identifiziert zentrale Diskurse und ihre Bedeutung für die Verhandlungen. Auf diese Weise wird die Komplexität des Kommunikationsprozesses sichtbar: Wo liegen die Grenzen des Sagbaren, wo die des gegenseitigen Verstehens?

Diesen Forschungsfragen trugen die Acta Pacis Westphalicae (APW) insofern Rechnung, als Begriffe der sogenannten politischen Verkehrssprache, wie z. B. Christenheit, Aufnahme ins Register fanden. Eine umfassende Analyse, wie sie über darüber hinausgehend dank der online-Recherche von APW-digital möglich ist, fand bislang noch nicht statt.[2]

Exemplarisch werden im Rahmen der Sektion erstens der Türkendiskurs (Alexander Schmidt, Historiker/Jena), zweitens Gewalt- und Friedensdiskurse und deren Verzahnung (Volker Arnke, Historiker/Osnabrück), drittens die Rolle von Krankheitsdiskursen in der diplomatischen Kommunikation (Lena Oetzel, Historikerin/Bonn & Salzburg) und viertens Debatten über die Grenze zwischen Verehrungen und Korruption (Dorothée Goetze, Historikerin/Bonn) untersucht. Welchen Blick auf die dahinterstehenden Normen und Werte eröffnen diese Diskurse und Argumentationsfiguren? Dabei stellt sich auch die Frage nach der Wirkmächtigkeit der Diskurse: Welche Rolle spielten sie für die Verhandlungen, etwa der immer wiederkehrende Verweis auf die Türkengefahr? Inwieweit unterschieden sie sich je nachdem, ob es sich um interne Kommunikationen oder Argumentationen gegenüber dem Verhandlungspartner handelte?

Axel Gotthard (Historiker/Erlangen), dessen Monographie zu Friedens-, Kriegs- und Neutralitätsvorstellungen in der Frühen Neuzeit 2014 erschienen ist[3], wird die Moderation übernehmen und damit seine Expertise zum Reich, zum Dreißigjährigen Krieg und insbesondere zu Friedensdiskursen einbringen.

Kommentiert wird die Sektion von Hillard von Thiessen (Historiker/Rostock), der in den letzten Jahren mit seinem Plädoyer für einen kulturgeschichtlichen und akteurszentrierten Ansatz wesentlich die sogenannte Neue Diplomatiegeschichte (mit) voran gebracht hat.[4] Darüber hinaus hat er das Phänomen der Normenkonkurrenz als ein Epochenmerkmal der Frühen Neuzeit identifiziert.[5] Damit liefert er einen wichtigen Beitrag, um die hier vorgestellten Fallbeispiele zu Diskursen auf dem WFK innerhalb der Frühneuzeitforschung verorten und die Debatte mit Blick auf die Frage nach der Wirkmächtigkeit von Diskursen für den Prozess der Friedensfindung weiten zu können.

 

SEKTION 4: DIE BEDEUTUNG VON NORMEN, WERTEN, DISKURSEN FÜR FRIEDENSVERHANDLUNGEN

Moderation: Axel Gotthard / Kommentar: Hillard von Thiessen

  1. Friede gegen den Türken – Friede mit dem Türken? Zwei Linien der Auseinandersetzung mit der osmanischen Bedrohung im Umfeld des Westfälischen Friedenskongresses (Alexander Schmidt)
  2. Gewalt und Frieden (Volker Arnke)
  3. Die Leiden des alten T. Krankheit und Krankheitsdiskurse auf dem Westfälischen Friedenskongress (Lena Oetzel)
  4. „daß unß dergleichen anzenemmen unverantworttlich fallen wolte“ – Diplomatische Gratwanderung zwischen Verehrung und Korruption (Dorothée Goetze)

 


[1] Vgl. z.B. Cerstin Gammelin, Beim Gipfel steht es 19 gegen die USA. In: Süddeutsche Zeitung 07.07.2017, http://www.sueddeutsche.de/politik/g-verhandlungen-beim-gipfel-steht-es-gegen-die-usa-1.3578013 (Zugriff: 12.07.2017).

[2] Eine Ausnahme bildet Kampmann, Christoph: Der Ehrenvolle Friede als Friedenshindernis. Alte Fragen und neue Ergebnisse zur Mächtepolitik im Dreißigjährigen Krieg. In: Pax Perpetua. Neuere Forschungen zum Frieden in der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Inken Schmidt-Voges [u.a.]. München 2010, S. 141-156.

[3] Gotthard, Axel: Der liebe vnd werthe Fried. Kriegskonzepte und Neutralitätsvorstellungen in der Frühen Neuzeit (Forschungen zur kirchlichen Rechtsgeschichte und zum Kirchenrecht, 32) Köln 2014; sowie zuletzt: Gotthard, Axel: Der Dreißigjährige Krieg. Eine Einführung, Köln Weimar Wien 2016.

[4] U.a. von Thiessen, Hillard: Diplomatie vom type ancien. Überlegungen zu einem Idealtypus des frühneuzeitlichen Gesandtschaftswesens. In: Akteure der Außenbeziehungen. Netzwerke und Interkulturalität im historischen Wandel. Hrsg. von Hillard von Thiessen / Christian Windler (Externa. Geschichte der Außenbeziehungen in neuen Perspektiven, 1) Köln Weimar Wien 2010, S. 471-503; von Thiessen, Hillard: Korrupte Gesandte? Konkurrierende Normen in der Diplomatie der Frühen Neuzeit. In: Korruption. Historische Annäherungen an eine Grundfigur politischer Kommunikation. Hrsg. von Niels Grüne / Simona Slanicka. Göttingen 2010, S. 205-220.

[5] von Thiessen, Hillard: Normenkonkurrenz. Handlungsspielräume, Rollen, normativer Wandel und normative Kontinuität vom späten Mittelalter bis zum Übergang zur Moderne. In: Normenkonkurrenz in historischer Perspektive. Hrsg. von Arne Karsten / Hillard von Thiessen (Zeitschrift für Historische Forschung. Beihefte, 50) Berlin 2015, S. 241-286.

 

Zitierweise:
Oetzel, Lena: „Die Bedeutung von Normen, Werten, Diskursen für Friedensverhandlungen“, in: Histrhen. Rheinische Geschichte wissenschaftlich bloggen, 19.07.2017, http://histrhen.landesgeschichte.eu/2017/07/normenundwerte/

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Dr. Lena Oetzel
Dr. Lena Oetzel

Über Dr. Lena Oetzel

studierte Geschichte, Politikwissenschaften und Philosophie in Bonn und St. Andrews. 2012 promovierte sie an der Universität Salzburg über „‘Gespräche‘ über Herrschaft. Herrscherkritik bei Elisabeth I. von England (1558–1603)“. In ihrem aktuellen Projekt beschäftigt sie sich mit Interessen von Gesandten auf dem Westfälischen Friedenskongress (1643–1649). In diesem Zusammenhang war sie von 2014-2016 Gastwissenschaftlerin am Zentrum für Historische Friedensforschung, Bonn. Sie lehrt und arbeitet an den Universitäten Bonn und Salzburg.

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