Der Aachener Kongress 1818 Ein europäisches Gipfeltreffen im Vormärz. Von Heinz Duchhardt

Der renommierte Historiker Heinz Duchhardt bedient mit seinem Band zum Aachener Kongress von 1818 zwei aktuelle gesellschaftliche Tendenzen: die Logik der Jubiläen sowie das gesteigerte öffentliche Interesse an Friedensprozessen. Im Mittelpunkt steht der wenig bekannte Kongress von Aachen als erster „Folgekongress“ des berühmten Wiener Kongresses von 1815. Dabei eröffnet Duchhardt ein breites politisches, gesellschaftliches und kulturelles Panorama, das sowohl die internationalen Verwicklungen als auch die regionale und lokale Bedeutung des Aachener Kongresses für die Stadt Aachen und das Rheinland, das eben erst seit dem Wiener Kongress zu Preußen gehörte und auf diese Weise stärker eingebunden werden sollte, berücksichtigt. Duchhardt spricht hier von einer „Good-will-Offensive“ (S. 55) der preußischen Regierung gegenüber der rheinischen Provinz.

Zu verstehen ist der Aachener Kongress als deutlich kleinerer Nachfolgekongress des großen Wiener Kongresses, in dessen Schatten er folglich auch historiographisch steht. Dabei zeichneten sich hier durchaus Neuerungen im internationalen Miteinander ab, wenn der Kaiser von Österreich, der russische Zar und der preußische König gemeinsam mit ihren führenden Ministern zusammenkamen, um bereits im Vorfeld konfliktregulierend in die Geschicke Europas eingreifen zu können – ganz ähnlich wie es heute die G7/8- bzw. G20-Treffen versuchen. In der Entwicklung der internationalen Zusammenarbeit war dies insofern eine Neuerung, als bis dahin Kongresse – wie der Westfälische Friedenskongress oder eben der Wiener Kongress – in erster Linie der Konfliktbeendigung gedient hatten. Nun sollten Konflikte bereits im Vorfeld verhindert werden.

Aachen als Stadt in der Provinz stellte entsprechend einen bewussten Kontrapunkt zu den pompös inszenierten Wiener Verhandlungen dar. Intimität war hier die zentrale Devise. Aachen wurde dabei nicht nur mit Blick auf eine stärkere Anbindung des Rheinlands an die preußische Zentrale gewählt, sondern auch aufgrund seiner geschichtsträchtigen Bedeutung. Es galt sowohl als „Kongressstadt par excellence“ als auch als „Wiege einer Gesellschaftsordnung in Europa, die vom gesalbten und gekrönten Herrscher geprägt wurde und die unverändert Gültigkeit besaß“ (S. 52). Schließlich war dies die Stadt Karls des Großen und seit 1356 der traditionelle Krönungsort der Könige des Heiligen Römischen Reiches. Dieser historischen Dimensionen war man sich sehr bewusst, weshalb die Besichtigung der zentralen geschichtsträchtigen Orte für die Monarchen zum Pflichtprogramm gehörte und entsprechend inszeniert wurde. Aber es waren nicht nur historische und kulturelle Orte, die Aachen attraktiv machten. Gleichzeitig galt Aachen „als eine Art Einfallstor der Industrialisierung nach Deutschland“ (S. 125) und weckte als solches das Interesse der anwesenden Monarchen.

Duchhardt gelingt es in seiner Studie die Fallstricke internationaler Politik und Diplomatie mit den kulturellen, gesellschaftlichen, ökonomischen, lokalen und regionalen Dimensionen zu verbinden. Auf diese Weise zeichnet er ein farbenprächtiges und gut lesbares Panorama des Aachener Kongresses sowohl aus Perspektive der beteiligten Herrscher und Minister als auch aus Perspektive der Aachener Stadtgesellschaft. Damit berührt er eine Frage, die in der aktuellen Forschung zu frühneuzeitlichen Friedenskongressen immer wieder auftaucht, nämlich nach den vielfältigen Verflechtungen von Stadt- und Kongressgesellschaft.[1]

Grundsätzlich ist anzumerken, dass es sich bei Duchhardts Studie nicht um eine der Neuen Diplomatiegeschichte verpflichtete Analyse des Aachener Kongresses handelt. Eine solche stellt – wie generell die Untersuchung (früh-)neuzeitlicher Friedenskongress aus diplomatiegeschichtlicher Perspektive – weiterhin ein Desiderat dar.[2] Nichtsdestotrotz bietet Duchhardt eine vielfältige, auf tiefgreifender Quellenkenntnis basierende Analyse eines wenig beachteten Kongresses. Mit seiner lebendigen und detailreichen Erzählweise richtet Duchhardt sich auch gerade an ein breiteres, historisch interessiertes Publikum jenseits der Fachwissenschaft.

Heinz Duchhardt, Der Aachener Kongress 1818. Ein europäisches Gipfeltreffen. München 2018, Piper, 263 S. gebunden. 24,00 €, 978-3-492305871-1.

 


[1] Vgl. Windler, Christian (Hg.), Kongressorte der Frühen Neuzeit im europäischen Vergleich. Der Friede von Baden 1714, Köln/Weimar/Wien 2016; Goetze, Dorothée/Oetzel, Lena (Hg.), Warum Friedenschließen so schwer ist. Frühneuzeitlich Friedensfindung am Beispiel des Westfälischen Friedenskongresses (Schriftenreihe zur Neueren Geschichte, NF 2), Münster [im Druck 2019].

[2] Die Neue Diplomatiegeschichte fokussiert überwiegend auf den Bereich des Höfischen und vernachlässigt die Kongressdiplomatie als eigenes Untersuchungsfeld. Vgl. Goetze, Dorothée/Oetzel, Lena, Der Westfälische Friedenskongress zwischen (Neuer) Diplomatiegeschichte und Historischer Friedensforschung. Ein Forschungsbericht, in: hsozkult Forschungsberichte [angenommen, Sommer 2019]. Nennenswerte Ausnahmen sind: Köhler, Matthias, Strategie und Symbolik. Verhandeln auf dem Kongress von Nimwegen (Externa, 3), Köln/Weimar/Wien 2011; Niels F. May, Zwischen fürstlicher Repräsentation und adliger Statuspolitik: Das Kongresszeremoniell bei den westfälischen Friedensverhandlungen (Beihefte der Francia, 82), Ostfildern 2016.

 

Zitierweise:
Oetzel, Lena: Rezension zu „Der Aachener Kongress 2018. Ein europäisches Gipfeltreffen im Vormärz”. Von Heinz Duchhardt, in: Histrhen. Rheinische Geschichte wissenschaftlich bloggen, 17.07.2019, http://histrhen.landesgeschichte.eu/2019/07/der-aachener-kongress-1818/

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Dr. Lena Oetzel
Dr. Lena Oetzel

Über Dr. Lena Oetzel

studierte Geschichte, Politikwissenschaften und Philosophie in Bonn und St. Andrews. 2012 promovierte sie an der Universität Salzburg über „‘Gespräche‘ über Herrschaft. Herrscherkritik bei Elisabeth I. von England (1558–1603)“. In ihrem aktuellen Projekt beschäftigt sie sich mit Interessen von Gesandten auf dem Westfälischen Friedenskongress (1643–1649). In diesem Zusammenhang war sie von 2014-2016 Gastwissenschaftlerin am Zentrum für Historische Friedensforschung, Bonn. Sie lehrt und arbeitet an den Universitäten Bonn und Salzburg.

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