Die Abstracts zur Tagung „Die Stadt und die Anderen“ Sektion III: Hermann Weinsberg und die Anderen

Im Anschluss an den öffentlichen Abendvortrag am Tag zuvor befasst sich die Vormittagssektion am zweiten Tagungstag mit Hermann Weinsberg und den Anderen. Dabei werden zum einen Fremdheitserfahrungen im Krieg sowie die Wahrnehmung auswärtiger Ereignisse und Nachrichten diskutiert und zum anderen Fremdes und Eigenes in der Sprache des Chronisten analysiert.

Die Referentinnen und Referenten: PD Dr. Andreas Rutz, Forschungsstipendiat der Gerda Henkel Stiftung und Privatdozent am Institut für Geschichtswissenschaft der Universität Bonn, hat sich sowohl methodisch als auch inhaltlich mit Selbstzeugnissen in der Frühen Neuzeit und insbesondere mit Hermann Weinsberg auseinandergesetzt.[1] Krisztina Péter M. A., Doktorandin an der Eötvös Loránd Universität Budapest, hat kürzlich ihre Masterarbeit zu Hermann Weinsberg abgeschlossen und arbeitet nun an einem Dissertationsprojekt zur Nachrichtenrezeption in der Manuskriptkultur des späten 16. Jahrhunderts. Dr. Eva Büthe-Scheider, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Germanistik, Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft der Universität Bonn, war Mitarbeiterin im Bonner DFG-Projekt zur digitalen Edition der Gedenkbücher Weinsbergs und arbeitet derzeit an einer Edition des „Boich Weinsberg“ für die Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde.[2] Moderiert wird die Sektion von PD Dr. Gregor Rohmann, Forschungsstipendiat der Gerda Henkel-Stiftung und Privatdozent am Historischen Seminar der Universität Frankfurt a. M., der sich bereits in seiner Dissertation mit städtischer Geschichtsschreibung und in diesem Rahmen auch mit Hermann Weinsberg befasst hat.[3]

Di., 25.09.2018, 9.00–9.45 Uhr
PD Dr. Andreas Rutz (Bonn)
Die Anderen im Krieg. Spanier, Niederländer, Franzosen und anderes ‚Kriegsvolk‘ bei Hermann Weinsberg

Hermann Weinsberg lebte in kriegerischen Zeiten. Insbesondere den Aufstand in den Niederlanden und die ersten Jahrzehnte des Achtzigjährigen Krieges (1568–1648) sowie den Kölner Krieg (1583–1588) erlebte er als Zeitgenosse in der Sicherheit der mauerbewehrten Stadt Köln. Das Kriegsgeschehen war aber gleichwohl ständig präsent: zum eine durch Flugblätter, Flugschriften und Messrelationen sowie die Gespräche im Rat und in der Stadt, zum anderen durch die in Köln und teilweise sogar in seinem Haus einquartierten Kriegsleute. Weinsberg hatte also reichlich Gelegenheit, nicht nur von Krieg und Kriegserfahrungen zu lesen und zu hören, sondern auch die Protagonisten zu beobachten und kennenzulernen. Seine Aufzeichnungen enthalten dementsprechend viele Einträge zu Soldaten, Landsknechten und Freibeutern unterschiedlichster Herkunft.

Der Vortrag analysiert Weinsbergs Erfahrungen und Wahrnehmungen im Umgang mit diesen Kriegsleuten und fragt danach, welche Kategorien der Autor nutzt, um seine Erlebnisse und Beobachtungen zu verarbeiten. Von besonderer Bedeutung dürften in diesem Zusammenhang landsmännische, sprachliche und konfessionelle Unterschiede sein, die eine mehr oder weniger sterotype Abgrenzung des Eigenen vom Fremden ermöglichen. Gerade mit Blick auf die protestantischen Niederländer oder die als Feinde des Reiches wahrgenommenen Franzosen funktionieren diese Abgrenzungsstrategien sehr gut. Schwierig wird es für Weinsberg allerdings, wenn sich Soldaten, die dem eigenen Lager zugerechnet werden, also etwa die katholischen Spanier, gegenüber der Zivilbevölkerung genauso verhalten wie die fremden Truppen, wenn also der Kriegsalltag keine Unterscheidung von Freund und Feind mehr zulässt. Hier rückt dann die grundsätzliche Differenz zwischen ziviler und militärischer Sphäre in den Vordergrund, was die Erfahrung von Krieg und Gewalt kaum erträglicher macht. Im Gegenteil: “Wan es viant [Feinde] gewesen, were es zu gedulden, nuhe sullen es frunde sin.”

Di., 25.09.2018, 9.45–10.30 Uhr
Krisztina Péter M. A. (Budapest)

News from Abroad in the Diary of Hermann Weinsberg

In his enormously vast diary, among accounts on his own life, family affairs and records of expenditures the exceptionally curious Hermann Weinsberg frequently recorded foreign news as well. They were of course abundantly available at the end of the 16th century in Cologne, one of the most important news and press centres of Europe. The paper will examine the news Hermann recorded related to the long running conflict between Spain and England, which culminated in the campaign of the Spanish Armada against England in 1588. The main questions are what kind of news reached him from these countries, how he understood, interpreted and commented them and how these items of news shaped his perception not only of Spain and England but of his Catholic and the others’ Protestant religion.

Furthermore, though Hermann usually did not record the titles of the pamphlets he used, in this exceptional case, by comparing the text of the diary and the pamphlets I hope to establish exactly which pamphlets Hermann copied in his diary. The second part of the paper concentrates on the ways Hermann used his printed sources when writing his diary and describes the copying and editing techniques and methods he employed. This hopefully will shed light on the interactions and transitions between print and manuscript culture. The paper thus contributes to the intellectual life of the urban elite and to the writing and print culture of the 16th century as well.

Di., 25.09.2018, 11.00–11.45 Uhr
Dr. Eva Büthe-Scheider (Bonn)

Individuelle Sprachmischung? Fremdes und Eigenes in Hermann Weinsbergs (Schreib-)Sprache im Kontext der städtischen Schriftkultur seiner Zeit

Als Grundlage für die Untersuchung von Fremdheitserfahrungen dienen überwiegend sprachliche Zeugnisse. Auch die Sprache selbst ist dabei in besonderem Maße geeignet, als Erkenntnisquelle zu dienen, und ganz besonders die von Hermann Weinsberg. Denn er schrieb kontinuierlich in einer Zeit, in der in Köln bekanntlich der große schreibsprachliche Umbruch stattfand. Nach einem länger währenden Selektionsprozess wich in dessen Folge die zuvor etwa 200 Jahre lang tradierte lokale Schreibsprache letztlich einer anderen, fremden Schreibsprache. Hermann Weinsberg war zeit seines Lebens mannigfachen (schreib-)­sprachlichen Einflüssen ausgesetzt, nachdem er in der Schule zunächst nur in der ‚traditionellen‘ Lokalsprache zu schreiben gelernt hatte. Infolge verschiedener Einflüsse bediente er sich einer Schreibsprache, der bereits individuelle Züge bescheinigt worden sind, da sie eine bunte Mischung darstellt: Altes steht darin neben Neuem, Südliches neben Nördlichem. Wie weit diese zu trennen sind, ist oftmals die Frage. Die Sprache Weinsbergs zeugt somit selbst von vielfältigen Abgrenzungs- und Anlehnungsprozessen.

Ohne alle schreibsprachlichen Einflussgrößen zu kennen, können wir über das als eigen oder als fremd Empfundene im Bereich der Sprache in Teilen jedoch nur mutmaßen, da auch die Quellen, die Weinsberg rezipierte, noch nicht alle hinreichend bekannt sind. In diesem Beitrag soll ein Vorstoß unternommen werden, diese Lücke für einen Teilbereich der Schriftlichkeit innerhalb der Stadt zu schließen, um sprachliche Abgrenzungs- und Anlehnungsprozesse zu analysieren, die mit seinen eigenen Aussagen über die Schriftlichkeit in der Stadt kontrastiert werden. Der Grad der Abgrenzung bzw. Anlehnung lässt sich dabei durch einen Vergleich mit Textzeugnissen anderer Schreiber bestimmen, die Weinsberg rezipiert hat. Den Nachweis ihrer Rezeption hat er uns glücklicherweise in Form von Korrektureinträgen und Ergänzungen am Rand einiger Handschriften selbst erbracht. Seine sprachliche Positio­nie­rung innerhalb der Stadt wird durch diesen Sprachvergleich – auch ex negativo – sichtbar.

 


[1] Stefan Elit / Stephan Kraft / Andreas Rutz (Hrsg.): Das ‚Ich’ in der Frühen Neuzeit. Autobiographien – Selbstzeugnisse – Ego-Dokumente in geschichts- und literaturwissenschaftlicher Perspektive = zeitenblicke. Online-Journal für die Geschichtswissenschaften 1 (2002), Nr. 2 [20.12.2002]; Andreas Rutz (Hrsg.): Krieg und Kriegserfahrung im Westen des Reiches 1568–1714 (Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit 20), Göttingen 2016; Andreas Rutz: „…dan mir beide zeitgenoissen gewesen, war scheir zwei jar alter dan ich.“ Hermann Weinsbergs Nachruf auf Wilhelm V. von Jülich-Kleve-Berg – Einführung und Textedition, in: Guido von Büren / Ralf-Peter Fuchs / Georg Mölich (Hrsg.): Herrschaft, Hof und Humanismus. Wilhelm V. von Jülich-Kleve-Berg und seine Zeit (Schriftenreihe der Niederrhein-Akademie / Academie Nederrijn 11), Bielefeld 2018, S. 29–52.

[2] Eva Büthe: Zur Kölner Schriftsprache im 16. Jahrhundert. Die Vokalbezeichnung Hermann Weinsbergs. In: Rheinische Vierteljahrsblätter 74 (2010), S. 127–152.

[3] Gregor Rohmann: „Eines Erbaren Raths gehorsamer amptman”. Clemens Jäger und die Geschichtsschreibung des 16. Jahrhunderts (Abhandlungen zur Geschichte des Bayerischen Schwaben I/28), Augsburg 2001; Gregor Rohmann: Der Lügner durchschaut die Wahrheit. Verwandtschaft, Status und historisches Wissen bei Hermann von Weinsberg, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 71 (2000), S. 43–76.

 

Zitierweise:
Rutz, Andreas: Die Abstracts zur Tagung „Die Stadt und die Anderen“. Sektion III: Hermann Weinsberg und die Anderen, in: Histrhen. Rheinische Geschichte wissenschaftlich bloggen, 15.08.2018, http://histrhen.landesgeschichte.eu/2018/08/die-stadt-und-die-anderen-sektion-drei

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Prof. Dr. Andreas Rutz
Prof. Dr. Andreas Rutz

Über Prof. Dr. Andreas Rutz

Prof. Dr. Andreas Rutz ist Inhaber des Lehrstuhls für Sächsische Landesgeschichte an der Technischen Universität Dresden und Direktor des Instituts für Sächsische Geschichte und Volkskunde. Studium in Bonn, Paris und New York, Promotion 2005 und Habilitation 2014 in Bonn, danach Lehrstuhlvertretungen in Münster, Bonn und Düsseldorf sowie eine Kurzzeitdozentur in Tokio/Japan. Forschungsschwerpunkte sind die vergleichende Landes- und Stadtgeschichte sowie die Geschichte der Frühen Neuzeit; aktuelles DFG-Projekt: „Weibliche Herrschaftspartizipation in der Frühen Neuzeit. Regentschaften im Heiligen Römischen Reich in westeuropäischer Perspektive“.

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