100 Jahre „Rheinisches Archiv“ (1922–2022)

Copyright: Abteilung FNZRLG/Uni Bonnn

Nur zwei Jahre nach dem Zentenarjubiliäum der im Jahre 1920 erfolgten Gründung des Instituts für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande (IGL), das unter anderem mit einer Tagung[1] und einer Ausstellung im Bonner Universitätsmuseum[2] begangen wurde, möchten wir auf ein weiteres bemerkenswertes Jubiläum der wissenschaftlichen Erforschung rheinischer Geschichte, Sprache und Landeskunde aufmerksam machen: 1922 erschien im Kurt Schroeder Verlag (Bonn und Leipzig) der erste Band der Schriftenreihe „Rheinisches Archiv“.

Verfasser des 66 Seiten umfassenden Auftaktbandes mit dem Titel „Beiträge zur bergischen Agrargeschichte. Vererbung und Mobilisierung des ländlichen Grundbesitzes im bergischen Hügelland“ war der spätere Direktor des IGL Franz Steinbach (1895–1964)[3]. Es handelt sich hierbei um die von Hermann Aubin (1885–1969) betreute Dissertation Steinbachs, die mit der Note „summa cum laude“ bewertet wurde[4].

Bereits der Untertitel der neuen Schriftenreihe ließ erkennen, wie eng die Reihe mit der zwei Jahre zuvor erfolgten Gründung des IGL verbunden war: „Arbeiten zur Landes- und Kulturgeschichte. Im Auftrag des Instituts für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande an der Universität Bonn / herausgegeben von Hermann Aubin und Theodor Frings“. Die noch heute bestehende, von der Autorin und dem Autor dieses Beitrags herausgegebene Schriftenreihe umfasst inzwischen 164 Bände und zählt zweifellos zu den traditionsreichsten Publikationsorten für Arbeiten zur rheinischen Geschichte und Landeskunde[5].

Das Profil der Schriftenreihe ist bis heute weitgehend durch die Publikation von Dissertationen geprägt, die aber keineswegs ausschließlich aus dem Bonner IGL hervorgegangen, sondern mitunter auch an anderen Universitäten entstanden sind. Die beiden ursprünglichen Herausgeber, Aubin und Frings (1886–1968), personifizieren jedenfalls das von Anfang an dem Bonner Institut – und bis heute auch dem „Rheinischen Archiv“ – zugrunde gelegte Miteinander von Geschichtswissenschaft und Sprachforschung, die im IGL lange Jahre eine interdisziplinär angelegte Trias mit der Volkskunde (heute: Kulturanthropologie) bildeten.

Die Liste der im „Rheinischen Archiv“ veröffentlichten geschichtswissenschaftlichen Dissertationen liest sich wie ein „Whoʼs Who“ der Rheinischen Landesgeschichte[6]. Nicht wenige Direktoren des IGL und Bonner Ordinarien haben hier publiziert. Der zeitliche Schwerpunkt liegt bislang auf der Vormoderne. In inhaltlicher Hinsicht überwogen lange Zeit Untersuchungen aus den Bereichen Stadt-, Verfassungs- und Institutionengeschichte[7].

Interessant ist die rückblickende Bilanz, die der ehemalige Direktor des IGL Wilhelm Janssen (1933–2021) im Hinblick auf den wissenschaftlichen Ertrag der im „Rheinischen Archiv“ veröffentlichten Arbeiten gegen Ende der 1990er Jahre zog, da sie, fern jedweder Apologetik, durchaus kritische Töne enthält: „Alles in allem aber verraten die publizierten Titel eine große Themenvielfalt, die man je nach Laune einem breiten Interessenspektrum oder einer konzeptionslosen Beliebigkeit zurechnen kann; in den Nachrufen sowohl auf Petri wie auf Droege haben die Schüler gerühmt, daß beide keine Schule gebildet haben. Deshalb lassen die Arbeiten in der Fragestellung wenig Originalität erkennen, sind eher konventionell und bieten wahrscheinlich gerade deshalb sehr solide und – wenn nicht immer anregende, so doch – stets verläßliche und für den Fortgang der landesgeschichtlichen Kenntnisse förderliche Informationen“[8].

Konkurrenz gab es von Anfang an. Schon Mitte der 1990er Jahre wurde kritisch angemerkt, dass Kürzungen der finanziellen Ausstattung des IGL offenbar dazu führten, dass dort entstandene Arbeiten andernorts publiziert wurden[9]. Immerhin ist in jüngster Zeit insofern eine substanzielle Erweiterung des Profils der Schriftenreihe in die Wege geleitet worden, als 2020 erstmals auch ein Tagungsband mit den Referaten der traditionellen Bonner Herbsttagung im „Rheinischen Archiv“ publiziert wurde[10].

Die Bände zur rheinischen Sprachforschung machen einen deutlich geringeren Anteil aus als die der Landesgeschichte, was dadurch bedingt ist, dass rheinische Texte öfter sprachvergleichend behandelt werden und sich die Reihe mit ihrem bewährten Profil nicht immer anbietet. Neben Monographien, die sich sowohl mit Sprachgeschichte wie auch mit Dialekten und mit Namenkunde befassen, sind u. a. zwei Bände zum sogenannten Erp-Projekt, das von Werner Besch (*1928) und Klaus J. Mattheier (1941-2020) geleitet wurde, in der Reihe erschienen[11]. Dieses war methodisch wegweisend für die moderne Regionalsprachenforschung.

Bis heute sind die Professoren und Professorinnen aus der Geschichtswissenschaft und der Germanistischen Linguistik als Mitglieder des IGL und seiner Fortsetzer gut vernetzt. Eine Säule der Zusammenarbeit ist die gemeinsame Herausgabe des „Rheinischen Archivs“.

 

von Michael Rohrschneider und Claudia Wich-Reif

 


[1] Vgl. Tobias Weller/Naemi Winter, Rheinische Landeskunde im Wandel. Bericht über die Herbsttagung 27./28. Sept. 2021, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 86 (2022), S. 447–453; dies., Tagungsbericht: Rheinische Landeskunde im Wandel. 100 Jahre Gründung des Instituts für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande, in: H-Soz-Kult, 14.04.2022, www.hsozkult.de/conferencereport/id/fdkn-127943 (letzter Zugriff: 24.09.2022).

[2] Vgl. https://ausstellungen.deutsche-digitale-bibliothek.de/landeskunde-bonn-100/#s0; Philipp Gatzen, Ein Abschied, jedoch kein Ende. Die Jubiläums-Ausstellung zur Geschichte des IGL im Universitätsmuseum Bonn, in: Histrhen. Rheinische Geschichte wissenschaftlich bloggen, 17.02.2022, http://histrhen.landesgeschichte.eu/2022/02/ausstellung-jubilaeum-igl-bonn-unimuseum-gatzen; vgl. auch die weiteren unter #IGL1920 zum IGL-Jubiläum bei „Histrhen“ publizierten Blog-Beiträge: http://histrhen.landesgeschichte.eu/category/veranstaltung/igl1920-veranstaltung/ (letzter Zugriffe: 24.09.2022).

[3] Franz Steinbach, Beiträge zur bergischen Agrargeschichte. Vererbung und Mobilisierung des ländlichen Grundbesitzes im bergischen Hügelland (Rheinisches Archiv, 1), Bonn/Leipzig 1922.

[4] Vgl. Marlene Nikolay-Panter, Franz Steinbach, in: Internetportal Rheinische Geschichte, https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/franz-steinbach/DE-2086/lido/57c95564389fa8.83735719 (letzter Zugriff: 24.09.2022).

[5] Vgl. die Aufstellung unter https://www.fnzrlg.uni-bonn.de/forschung/publikationen-1/rheinisches-archiv (letzter Zugriff: 24.09.2022); eine Aufstellung der Arbeiten aus dem Bereich Sprachforschung findet sich (bis Band 141) bei Walter Hoffmann/Thomas Klein, Von der Dialektgeographie zur Variationslinguistik. Grundzüge der Geschichte der Sprachforschung am Bonner Institut für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande, in: Manfred Groten/Andreas Rutz (Hrsg.), Rheinische Landesgeschichte an der Universität Bonn. Traditionen – Entwicklungen – Perspektiven, Göttingen 2007, S. 67–93, hier S. 84–86.

[6] Vgl. in diesem Sinne auch Andreas Rutz, Historische Forschung am Bonner Institut für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande 1920–2005 unter besonderer Berücksichtigung der Dissertationen, in: Manfred Groten/Andreas Rutz (Hrsg.), Rheinische Landesgeschichte an der Universität Bonn. Traditionen – Entwicklungen – Perspektiven, Göttingen 2007, S. 39–66, hier S. 39f.

[7] Vgl. Wilhelm Janssen, Das Institut für Geschichtliche Landeskunde der Rheinlande der Universität Bonn nach der Ära Steinbach (seit 1961), in: Werner Buchholz (Hrsg.), Landesgeschichte in Deutschland. Bestandsaufnahme – Analyse – Perspektiven, Paderborn, München, Wien u.a. 1998, S. 315–323, hier S. 322.

[8] Ebd.

[9] Vgl. Marlene Nikolay-Panter, Zur geschichtlichen Landeskunde der Rheinlande, in: dies./Wilhelm Janssen/Wolfgang Herborn (Hrsg.), Geschichtliche Landeskunde der Rheinlande. Regionale Befunde und raumübergreifende Perspektiven. Georg Droege zum Gedenken (Veröffentlichung des Instituts für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande, Bonn), Köln/Weimar/Wien 1994, S. 3–22, hier S. 17f.

[10] Vgl. Michael Rohrschneider (Hrsg.), Frühneuzeitliche Friedensstiftung in landesgeschichtlicher Perspektive. Unter redaktioneller Mitarbeit von Leonard Dorn (Rheinisches Archiv, 160), Wien/Köln/Weimar 2020.

[11] Vgl. Martin Kreymann, Aktueller Sprachwandel im Rheinland. Empirische Studie im Rahmen des Erp-Projektes (Rheinisches Archiv, 133), Köln/Weimar/Wien 1994; Charlotte Rein, Zurück nach Erp. Individueller und intergenerationeller Sprachwandel in einer ripuarischen Sprechergemeinschaft (Rheinisches Archiv, 162), Köln/Weimar/Wien 2020.

 

Zitierweise:
Rohrschneider, Michael/Wich-Reif, Claudia: 100 Jahre „Rheinisches Archiv“ (1922–2022), in: Histrhen. Rheinische Geschichte wissenschaftlich bloggen, 17.10.2022, http://histrhen.landesgeschichte.eu/2022/10/100-jahre-rheinisches-archiv

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