Arnold Mercator: „Die Grenzen des Bergischen Amtes Windeck und der Herrschaft Homburg“ 1575 Ein Arbeitsbericht

Das Dissertationsprojekt mit dem Arbeitstitel ‚Expertenkultur in der Regionalkartographie, 1450-1650‘ beschäftigt sich mit Personen dieses Zeitraums, die im Zusammenhang mit der Herstellung von Karten stehen, aber auch solchen, die in den allgemeinen Wissensaustausch der Zeit eingebunden sind, soweit sich eine Verbindung zu kartographischen Themen herstellen lässt. Es soll analysiert werden, wie sich in der Zeit von 1450 bis 1650 in Mitteleuropa eine Expertenkultur entwickelte. Dabei soll die teilweise schon nachgewiesene, teilweise vermutete Vernetzung der Kartographiespezialisten untereinander und eine mögliche Rückwirkung auf die Gestalt der Karten untersucht werden.

Bei der Definition des Begriffes der Experten und der Expertenkulturen orientiere ich mich an den Forschungen des DFG-Graduiertenkollegs „Expertenkulturen des 12. bis 18. Jahrhunderts“ der Universität Göttingen.[1] Als Experten lassen sich demnach Personen bezeichnen, die als Wissensträger in Erscheinung treten. Ihre soziale Stellung, die in Bezug auf dieses Wissen eine besondere ist, beruht auf dem kommunikativen Aushandeln des Wissens mit der Umwelt. Sichtbar wird diese Rolle durch das Verwenden einer besonderen Fachsprache und bestimmter exklusiver Verhaltensweisen. Expertenkulturen sind Kulturen, an deren Aufbau Experten als zentrale Träger von Wissen maßgeblich beteiligt sind. Die Experten sind die Handelnden in dieser Kultur, die das Wissen verbreiten, organisieren und ausdifferenzieren. Der beständige Kommunikationsprozess innerhalb der Kultur verfestigt die soziale Sonderstellung der Experten.[2]

Auf dem Gebiet der graphischen Präsentation regionaler topographischer Zusammenhänge in Mitteleuropa im Laufe des 15. und 16. Jahrhunderts, hier als ‚Regionalkartographie‘ kurzgefasst, ist zu beobachten, dass zunehmend Experten ans Werk gingen. Karten dienen jedoch nicht ausschließlich der Darstellung aus einem geographischen Blickwinkel oder nur als Abbild eines zeitgenössischen Wissens über die physischen Gegebenheiten der Welt. Karten sind, gemäß der Definition des Geographen John Brian Harley, „graphische Darstellungen“, die ein räumliches Verständnis von Dingen, Konzepten, Bedingungen, Prozessen oder Ereignissen in der menschlichen Welt ermöglichen.[3] Sie sind das wichtigste Medium, um Ideen und Wissen über den Raum zu vermitteln und werden damit selbst zu einem Kommunikationsmittel.[4]

Durch die immer stärker werdenden Einflüsse elektronischer Medien stellt sich gerade in den letzten Jahren vermehrt die Frage, wie Wissen adäquat vermittelt werden kann. Das Dissertationsprojekt bietet daher über die Beschäftigung mit der Vernetzung der Kartenmacher in der Umbruchphase des 16. Jahrhunderts und der Erforschung ihrer Kommunikation hinaus Chancen, Erkenntnisse für die Herausforderungen der Gegenwart zu gewinnen und dieses Wissen in die aktuellen Diskussionen einzubringen.

Hier soll am Beispiel einer Karte von Arnold Mercator (1537-1587) von 1575 auf die Fragen eingegangen werden, ob und wie weitere Personen in den Herstellungsprozess und den damit einhergehenden Kommunikationsprozess eingebunden waren und inwiefern sich Einflüsse auf dem Kartenbild nachweisen lassen.[5] Die Kommunikation kann dabei auf verschiedenen Wegen wie Briefwechseln, persönlichen Gesprächen oder den Austausch von Karten geschehen. Dabei sollen auch die methodischen Grenzen und Hindernisse bei der Suche nach diesen Kommunikationspartnern angesprochen werden. Dazu wird zunächst auf die Regionalkartographie an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert eingegangen. Anschließend wird die Karte vorgestellt und schließlich ausgewählte Quellen, wie die Korrespondenz Mercators mit einzelnen Kommunikationspartnern, ausgewertet, um der Entstehung eines solchen Werkes näher zu kommen. Zunächst wird der Kartentyp ‚Regionalkarte‘ vorgestellt.

Regionalkarten

Das vermehrte Auftreten von Regional- und Lokalkarten im 16. Jahrhundert wird u.a. mit der Etablierung des Reichskammergerichtes 1495 in Verbindung gebracht. Da es meist nicht möglich war, dass die Prozessparteien und Richter gemeinsam vor Ort erschienen, wurden häufig Karten gezeichnet, die als ‚Augenschein‘ das persönliche Erscheinen der Richter vor Ort ersetzten sollten. Diese Augenscheinkarten wurden also in Verbindung mit Gerichtsprozessen bei Territorialstreitigkeiten erstellt, um die Sichtweise der einen oder anderen Prozesspartei zu belegen. Die Karten wurden später häufig den Gerichtsakten entnommen, um sie z.B. in speziellen Kartensammlungen zusammenzufassen. Dabei wurden sie nicht selten ihres Entstehungskontexts beraubt. Auch die Karte, um die es hier gehen soll, wurde dem ursprünglichen Aktenzusammenhang entnommen, allerdings wurde bei ihr dokumentiert, aus welcher Akte sie stammte; daher ist in diesem Fall der sachliche Zusammenhang nachvollziehbar.

Grenzen und Grenzräume werden gerade in der Phase der Territorialisierung um die Wende vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit und besonders auf regionalen und lokalen Karten immer öfter dargestellt. Die Anzahl dieser Art von Karten erhöhte sich ab der Mitte des 15. Jahrhunderts. Hierbei kommen verschiedene Faktoren als Auslöser infrage, ohne dass endgültig geklärt ist, warum man in dieser Zeit anfing, mehr und mehr Regional- und Lokalkarten zu zeichnen. Einerseits gibt es die These, dass sich mit zunehmender Territorialisierung und der Verdichtung von Herrschaftsrechten auch die Wahrnehmung von Raum verändert habe. Herrschaft sei mehr räumlich gedacht worden und die Vorstellung von zusammenhängenden Herrschaftsräumen habe sich entwickelt.[6] Es gibt jedoch auch die genau gegenteilige Argumentation, dass die Entwicklung der Kartographie als eigentlicher Impuls für „die Idee von räumlicher Herrschaft“ anzusehen sei.[7] Man begann Grenzen z.B. als Linien zu zeichnen oder Herrschaftsräume farblich abzugrenzen. Eine einheitliche Darstellung von Grenzen gab es in dieser Zeit jedoch nicht.

Die Quelle

Aus dem Kontext eines Gerichtsprozesses stammt auch eine Karte des Kartographen Arnold Mercator über die Grenzen des Amtes Windeck und der Herrschaft Homburg aus dem Jahr 1575. Arnold Mercator war ein Sohn des Duisburger Kartographen und Geographen Gerhard Mercator. Er wurde von seinem Vater ausgebildet und war ab 1564 im Auftrag des Herzogs Wilhelm von Berg tätig. Er übernahm später das Amt des Geographen und Kosmographen des Herzogs von seinem Vater.[8]

Die Karte trägt den Titel: „Grundtliche Beschreibungh und Gelegenheit etlicher warer Grenntzen dem Bergischen Amt Windeck und Herrschafft Hombergh betreffend“[9] und wurde im Aktenzusammenhang einer Klage des Herzogs Wilhelm von Jülich, Kleve und Berg (1516-1592) gegen die Grafen Sebastian und Ludwig (1532-1605) von Sayn-Wittgenstein[10] vor dem Reichskammergericht überliefert.[11] Akten und Karte werden im Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Rheinland in Duisburg aufbewahrt.
Von drei verzeichneten Mappen, die die Akte umfasste, war bei einem Archivbesuch im Februar 2019 lediglich die erste zugänglich. Das vorhandene Protokollbuch der Akte ist teilweise beschädigt und es war dadurch zu diesem Zeitpunkt nicht nachvollziehbar, wo genau die Karte in den Prozessablauf einzuordnen ist.[12] Im Jahr 1971, als der Lehrer Gottfried Corbach eine ‚Geschichte von Waldbröl‘,[13] einem Ort, der im fraglichen Gebiet liegt, in Angriff nahm, waren die Akten noch vollständig. Er bezieht sich wiederholt auf einzelne Schriftstücke aus den heute nicht zugänglichen Teilen, sodass teilweise auf seine Zitate aus der Akte zurückgegrifffen werden konnte. Für die weitere Arbeit an dieser Quelle kann künftig wieder auf die vereinte Akte zugegriffen werden, die mittlerweile wieder zusammengeführt wurde.

Beweggrund für die Kartenerstellung war vordergründig ein Grenzstreit zwischen dem Herzogtum Berg und der Herrschaft Homburg.[14] Dabei ging es konkret um einen Überfall durch den mitbeklagten Schultheißen auf ein Haus des Klägers im Amt Windeck, sowie um die Verhaftung zweier bergischen Untertanen auf „freier Landstraße“ und deren Gefangenhaltung auf Schloß Homburg durch die mitbeklagten Beamten im Jahre 1572.[15]

Die Ursache der juristischen Auseinandersetzung war jedoch wesentlich grundsätzlicher. Die Grenzen zwischen dem Amt Windeck, das ein Verwaltungsbereich des Herzogtums Berg war, und der Herrschaft Homburg waren schon lange strittig und es kam zu einer Reihe von Konflikten, die teils gewaltsam, teils auf dem Rechtsweg zu lösen versucht wurden. Für den Alltag mussten weitere strittige Kompetenzen geklärt werden. So wohnten innerhalb der Grenzen Homburgs viele bergische Hörige.[16] Zwischen den Parteien wurden allein zwanzig Prozesse vor dem Reichskammergericht geführt, wobei die meisten Klagen von den Grafen von Sayn-Wittgenstein ausgingen, also den Herren der wesentlich kleineren Herrschaft Homburg,[17] die vom Herzogtum Berg völlig umschlossen war, wie es die Karte sehr deutlich zeigt. Im vorliegenden Fall ist jedoch Herzog Wilhelm von Berg der Kläger, der auch der Auftraggeber der Karte war.[18]

Im Auftrag des Herzogs fertigte Arnold Mercator die Karte an, die er zunächst einer Kommission vorstellte. Die Kommission, die aus einem Kommissar des Reichskammergerichts und Vertretern der beiden Herrschaften bestand, hatte sich zuvor selbst durch eigenen ‚Augenschein‘ ein Bild von der Situation gemacht. Das heißt, es hatte gemeinsame Umgänge gegeben, deren Verlauf auf der Karte auch dargestellt wird. Dabei wurden die Grenzsteine in Augenschein genommen.[19] Die Umgänge fanden 1576 statt.[20] Die Karte ist jedoch auf das Jahr 1575 datiert, so dass sie – vorausgesetzt die Datierung gibt Auskunft über ihre Erstellung und will nicht aussagen, dass die Grenzen in diesem Jahr so bestanden haben – nicht aufgrund der Erkenntnisse bei den Umgängen gezeichnet worden ist, sondern lediglich der Weg der Kommission und strittige Grenzverläufe noch eingezeichnet wurden. Die Grenzverläufe aus Homburger Sicht sind auf der Karte durch gepunktete Linien kenntlich gemacht worden. Die Karte wurde im Anschluss auf Antrag der bergischen Seite als Beweismittel beim Reichskammergericht eingereicht. Darüber hinaus wurden zwischen Dezember 1575 und Oktober 1577 150 Zeugen befragt.[21] Die Zeugenbefragungen wurden aufgezeichnet und ebenfalls als Beweismittel beim Reichskammergericht eingereicht.

Der Prozess vor dem Reichskammergericht wurde nicht beendet und es kam zu keinem Urteil. Erst im Jahr 1604 verständigten sich die Parteien außergerichtlich und die Einigung über den Grenzverlauf wurde schließlich in den sogenannten ‚Siegburger Verträgen‘ dokumentiert. Dadurch wurden Besitzverhältnisse und Rechte im jeweils anderen Herrschaftsgebiet bereinigt – dabei wurden auch Untertanen ausgetauscht.[22] Grenzsteine oder -pfähle sollten gemäß den Vereinbarungen neu gesetzt werden. Wenn das geschehen sei, solle darüber ein abschließendes Papier erstellt werden.

Zurück zur Karte: Sie ist mit 106 Zentimetern Höhe und 115 Zentimetern Breite recht groß und detailliert gestaltet. Im vorliegenden Fall ging es um die Klärung komplizierter Besitzverhältnisse und möglicherweise ging der Auftraggeber darüber hinaus von einer größeren Beweiskraft einer derart gestalteten Karte aus. Die Karte wurde auf Pergament[24] gezeichnet und später in zwölf Einzelblätter unterteilt. Ein Autor geht von Einzelkarten aus, die zusammengesetzt wurden.[23] Die Trennung könnte aber auch nachträglich vorgenommen worden sein. Dafür spricht z.B. der Faltknick in der Mitte der Gesamtkarte sowie Linien und Schriftzüge, die in den jeweils anschließenden Kartenabschnitt hineinragen. Möglicherweise wurde die Karte zerschnitten, um in die Reichskammergerichtsakte zu passen.

Detail der Karte: Legende

Arnold Mercator soll für die Karte eigene Vermessungen angestellt haben. Laut Vollmer sind die Vermessungspunkte auf der Karte sichtbar: Rote Punkte, die an Kirchen und Schlössern eingezeichnet wurden. Wenn Mercator als „geübter Vermesser“[25] bezeichnet wird, muss das aber nicht heißen, dass er Vermessungen im Sinne einer Triangulation angestellt hat. Damit kann auch eine genaue Aufnahme, auf Grundlage eines Umgangs gemeint sein. Die Karte selbst gibt zu diesen roten Punkten in der Legende lediglich die Auskunft, dass sie eine Kirche oder ein Pfarrdorf bezeichnen. Darüber hinaus werden Dörfer (“etlich huess bey einander ligend”), einzelne Höfe, Bergewerke, Hütten, Hämmer oder Mühlen mit eigenen Symbolen versehen.
Daraus lassen sich keine Vermessungspunkte herleiten. Auch die Annahme Vollmers, die Karte sei auf Grundlage der Projektion des Vaters Gerhard Mercator erstellt, lässt sich aus dem Kartenbild nicht ableiten.[26] Es ist auch fraglich, ob die Einarbeitung einer Projektion bei einer solch kleinräumigen Karte einen wesentlichen Genauigkeitsgewinn gebracht hätte.

Die Karte ist unten rechts mit einem Maßstab versehen, der angibt, dass die bezeichnete Strecke diejenige Entfernung sei, die innerhalb einer Stunde erreicht werden könne. Die Karte gibt ebenfalls durch eine Windrose Auskunft über ihre nordöstliche Ausrichtung.

Detail der Karte: Rote Linien kennzeichnen die Umgänge. Zudem wurden Grenzsteine eingezeichnet

Der Weg des Umgangs der Kommission wird durch eine rote Linie kenntlich gemacht. Sie ist keine Grenzlinie, aber entlang dieser Linie sind die vorhandenen Grenzsteine eingezeichnet und man kann in der Aneinanderreihung eine Trennlinie erkennen, die die beiden Territorien voneinander scheidet.[27] Die Kette der Grenzsteine unterscheidet ein Drinnen vom Draußen, in Bezug auf das jeweilige Herrschaftsgebiet. Trotzdem ist dies keine absolut abschließende Grenze. Die Reihe der Grenzsteine wird nicht zur Barriere, sie scheidet jedoch Rechte, z.B. über Einkünfte oder gerichtliche Zuständigkeiten. Deswegen war die Lage der Grenzsteine ein Streitpunkt.[28] Neben den Steinen werden Gerichtsorte, die sich häufig am Rande eines Herrschaftsgebiet befanden, und Schlagbäume gezeigt, die den Übergang in ein anderes Herrschaftsgebiet markieren.

 

Kommunikation

Einblick in seine Vorgehensweise bei einem ähnlichen Projekt gibt der Schriftwechsel Arnold Mercators: Er fertigte eine Karte der hessischen Niedergrafschaft Katzenelnbogen.[29] Zu einem Grenzumgang des hessischen Landgrafen Wilhelms IV. um Gronau von 1584, bei dem Arnold zugegen war, ist ein Schreiben erhalten.[30] Besonders ein weiteres Schreiben Wilhelms aus dem Juni 1584 an einen seiner Beamten zeigt, wie solche Karten erstellt worden sein könnten. Denn Wilhelm hatte sehr genaue Vorstellungen über den Ablauf der Erstellung und wie die Karte auszusehen hat. Er schreibt, dass der Beamte Arnold Personen zur Seite stellen solle, die über den Besitz berichten können. Es heißt, dass sie mit ihm ziehen und ihm alles Wichtige zeigen sollen.[31] Wenn er mit der Zeichnung fertig sei, soll der Beamte noch mal überprüfen lassen, ob auch alles stimme, damit nicht zum Beispiel ein Bach, der rechts von einem Dorf fließt, links davon eingezeichnet sei. [32] Die Karte solle auch nicht zu klein ausfallen, so dass alles Wichtige draufpasse: „Du sollst ihm auch sagen das er die Mappam nit zu klein venehme damitt er alle Dinge dest iegentlich verzeichnen moge …“.[33] Zur Gestaltung schreibt er: „Was zur Graffschafft gehort und unser allein eigen ist das soll er mit sonderlich Farben ausstreichen…“.[34] Wenn die Karte fertig sei, solle er Arnold damit zu ihm, dem Landgrafen, schicken, damit er berichte. Dann solle Arnold auch bezahlt werden.[35]

Fazit

Die Karte von 1575 gibt Auskunft über die Grenzen zwischen den bergischem und homburgischem Territorien. Bei den Streitigkeiten zwischen dem Herzog von Jülich, Kleve umd Berg und den Grafen von Sayn-Wittgentein treffen Ansprüche alter disparater Herrschaftsrechte auf die Vorstellung eines zusammenhängenden Herrschaftsgebietes mit definierten, durch Grenzsteine oder -pfähle sichtbar gemachten Grenzen. Die Karte vermittelt genau dieses Bild eines flächigen Gebietes, das es aber zum Zeitpunkt ihrer Erstellung so nicht gegeben hat. Erst mit dem Vertrag von 1604 wird festgelegt, dass Rechte im jeweiligen Gebiet des andern Herrn getauscht werden sollen.

Arnold Mercator erschien vor der Kommission am Tag eines Umgangs. Ob er am Umgang selbst teilgenommen hat, so wie er es für den hessischen Landgrafen getan hat, kann nur vermutet werden. Dabei kann er die vorhandenen Grenzsteine, die Lage der Gebäude, der Bergwerke, der Mühlen und Geländemerkmale vor Ort aufgenommen haben. Seine Vorgehensweise dabei kann der in Hessen geähnelt haben. Die Datierung der Karte auf das Jahr vor dem Umgang lässt es wahrscheinlich erscheinen, dass Mercator die Karte schon vor dem Umgang der Kommission fertiggestellt hatte und bei der Zusammenkunft lediglich die roten Linien des Verlaufs des Umgangs eingezeichnet wurden. Diese Linien verstetigen den Vorgang des gemeinsamen Umgangs, der eigentlich nur eine Bewegung im Raum ist, graphisch. Damit wird ein Teil des kommunikativen Prozesses auf der Karte dauerhaft sichtbar gemacht.

Der Kommunikationsprozess, der dieser Karte vorausging, lässt sich nur unvollständig rekonstruieren. Spuren der Kommunikation, die zur Kartenentstehung beigetragen haben, sind dennoch erkennbar und es wird sichtbar, dass Wissen und Meinungen aus vielen Quellen in das fertige Kartenbild eingeflossen ist. Dies ist ein Beispiel für die Weitergabe von Wissen in der Frühen Neuzeit und den meinungsgebundenen Charakter von Wissensvermittlung, der auch in der heutigen Wissensdiskussion immer berücksichtigt werden muss.

Weitere Details des Kommunikationsprozesses, z.B. die detaillierten Zeugenbefragungen sollen bei einem weiteren Archivbesuch und dem Einsehen der nun vollständig zugänglichen Akte untersucht werden.

 


[1] Georg-August-Universität Göttingen: Das DFG-Graduiertenkolleg 1507 “Expertenkulturen des 12. bis 18. Jahrhunderts (o.J.), online unter: http://www.uni-goettingen.de/de/kolleg/100303.html [letzter Zugriff: 12.01.2020].

[2] Rexroth, Frank / Schröder-Stapper, Teresa: Woran man Experten erkennt. Einführende Überlegungen zur performativen Dimension von Sonderwissen während der Vormoderne, in: dies.: Experten, Wissen, Symbole. Performanz und Medialität vormoderner Wissenskulturen (Historische Zeitschrift / Beihefte N.F. 71), München, Wien 2018, S. 7–26, hier S. 9-13.

[3] Harley, John Brian / Woodward, David: Preface, in: Harley, J. B. (Hg.), The history of cartography. Cartography in prehistoric, ancient, and medieval Europe and the Mediterranean (1), Chicago 1987, S. XVI.

[4] Ebd., XV.

[5] Zum Begriff der Kommunikation und dem Kommunikationsprozess vgl. Krüger, Hans-Peter: Kommunikation/kommunikatives Handeln, in: Enzyklopädie Philosophie in drei Bänden mit einer CD-ROM, hg. v. Hans Jörg Sandkühler u.a. (Enzyklopädie Philosophie, 2 (I-P)), Hamburg 2010, Sp. 1259–1269, hier ab Sp. 1259.

[6] Rutz, Andreas: Die Beschreibung des Raums. Territoriale Grenzziehungen im Heiligen Römischen Reich (Norm und Struktur Band 047), Göttingen 12018, S. 63.

[7] Ebd., S. 350. Rutz diskutiert hier die unterschiedlichen Forschungsmeinungen.

[8] Averdunk, Heinrich: Die Nachkommen des Geographen Gerhard Mercator (Schriften d. Duisburger Museumsvereins 5), Duisburg 1913, S. 7f.

[9] Mercator, Arnold: Grundtliche Beschreibungh und Gelegenheit etlicher warer Grenntzen dem Bergischen Amt Windeck und Herrschafft Hombergh betreffend. Karte, Landesarchiv NRW Duisburg (LAV NRW) R, RW Karten, Nr. 5671, 1575.
Von der Karte gibt es zwei gedruckte Nachzeichnungen:
Rahm, Eugen: Mercator, Arnold, Grundtliche Beschreibungh und Gelegentheit etlicher warer Grenntzen dem Bergischem Ampt Windeck und Herschafft Hombergh betreffend (1575). Kopiert von E. Rahm 1925. 113 x 104 cm, Waldbröl 1925. Rahm war Lehrer in Waldbröl – Escherhof. Die Karte soll in den 1930er Jahren als Wandkarte in Schulen verwendet worden und im Buchhandel erhältlich gewesen sein (Auskunft Hans Weirich).
Weirich, Hans: Mercator, Arnold, Grenzen des Amtes Windeck und der Herrschaft Homburg (1575). Nachzeichnung der Karte von Arnold Mercator, Köln 1995.

[10] Corbach, Gottfried: Geschichte von Waldbröl, Köln 1973, S. 565.

[11] Reichskammergericht, Klage gegen die Verletzung der jül. Hoheit über das Haus Windeck mit seinen Dörfern, Gerichten, Gütern, Leuten und allen Pertinenzien, wo auch immer sie gelegen sind. Streit um die Grenzen zwischen dem Amt Windeck und der Herrschaft Homburg, LAV NRW, Abteilung Rheinland, 2140-G (862/2861), 1573-1591 (1490-1607).

[12] Corbach, S. 29.

[13] Ebd.

[14] Vollmer, Bernhard: Eine Karte des Amtes Windeck und der Herrschaft Homburg von Arnold Mercator vom 1575, in: Zeitschrift des Bergischen Geschichtsvereins 72, 1952, S. 102–107., S. 102. Vollmer vertauscht Kläger und Beklagten.

[15] Reichskammergericht, 1573-1591 (1490-1607).

[16] Vollmer, S. 102 und Bergischer Geschichtsverein: Die Siegburger Verträge von 1604 (Materialien und Quellen zur oberbergischen Regionalgeschichte H. 4), Gummersbach/Nümbrecht 2004, S. 3.

[17] Ebd.

[18] Vollmer, S. 104 und Weirich, Hans/Wirths, Lothar/Pampus, Klaus: Historische Karten aus dem Oberbergischen. Textblatt (T2) zur Reproduktion der Karte von Arnold Mercator, Grenzen des Amtes Windeck und der Herrschaft Homburg (1575) (Kopie von Hans Weirich – 1995), o.O. o.J.

[19] Zur Bedeutung von Augenscheinkarten für Herrschaft und Gericht vgl.: Horst, Thomas: Gericht und Herrschaft in Bayern, in: Baumgärtner, Ingrid (Hg.), Fürstliche Koordinaten. Landesvermessung und Herrschaftsvisualisierung um 1600 (Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde 46), Leipzig 2014, S. 233–250.

[20] Ebd., S. 32 (15.-25. Mai 1576).

[21] Corbach, S. 31.

[22] Bergischer Geschichtsverein, S. 54.

[23] Vollmer, S. 104 (Vollmer war bis 1952 Leiter Staatsarchiv Düsseldorf. Dort wurde die Karte bis zur Neugliederung der NRW Archive aufbewahrt.)

[24] Ebd.

[25] Kirmse, Rolf: Zu Mercators Tätigkeit als Landmesser in seiner Duisburger Zeit, in: Stadtarchiv Duisburg (Hg.), Duisburger Forschungen – Schriftenreihe für Geschichte und Heimatkunde Duisburgs, Bd. 6: Duisburger Forschungen, hrsg. von Stadtarchiv Duisburg in Verbindung mit der Mercator-Gesellschaft, Duisburg 1962, S. 91-114, hier S. 108.

[26] Vollmer, S. 105.

[27] Rutz, S. 131.

[28] Corbach, S. 33.

[29] Mercator, Gerhard/van Durme, Maurice, Correspondance Mercatorienne, Anvers 1959, S. 188 u. 190, #171b u. #174.

[30] Ebd., S. 186, #169.

[31] Ebd., S. 188, #171b „Hauen und andere so der Graffschaft halben guten Bericht wissen zu geben, dasz sie mit mit him zihen und alle Gelegenheit zeigen.“

[32] Ebd., #171b „herumbzihen und besehen lassen obs auch recht abgerissen sonderlich mit den Flussen, Bachen und anderen, damit darin mit gesehen als exempli gratia da ein Bach uff der rechten Seyten eines Dorffs herfleust derselben nit uff die linken Seiten gesetzt sehe.“

[33] Ebd., #171b.

[34] Ebd., #171b.

[35] Ebd., #171b.

 

Zitierweise:
Hynek, Sabine: Arnold Mercator: „Die Grenzen des Bergischen Amtes Windeck und der Herrschaft Homburg“ 1575. Ein Arbeitsbericht, in: Histrhen. Rheinische Geschichte wissenschaftlich bloggen, 20.01.2020, http://histrhen.landesgeschichte.eu/2020/01/arnold-mercator-windeck-und-homburg/

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Sabine Hynek

Kommentar zu “Arnold Mercator: „Die Grenzen des Bergischen Amtes Windeck und der Herrschaft Homburg“ 1575 Ein Arbeitsbericht

  1. Dr. Matthias Kordes

    Der Aktenkontext des Kartendokumentes sollte unbedingt vertieft untersucht werden. Die konkreten Prozessmodalitäten am Reichskammergericht sind deswegen erkenntnisleitend, weil es sich ja um einen erstinstanzlich, d.h.in Sonderzuständgkeit des RKG geführten sog. Mandatsprozess handelt. Es käme zu einer Fehleinschätzung des forensischen Gesamtzusammenhangs, das Fehlen eines Endurteils als Defizit oder “Lücke” im Gang der Dinge zu werten. RKG-Mandatsprozesse waren Verfahren auf vorläufigen Besitzschutz, die, anders als die klass. Appellationen, zunächst gar keine Verhandlung in der Hauptsache vorsahen, eben eine einstweilige Verfügung. Gerade deswegen hatte das RKG selbst großes Interesse daran, die Streitparteien zu außergerichtlichen Einigungen und/oder Vergleichen zu bewegen, aus diesem Grunde wurden ja Kommissionen einberufen, die an Ort und Stelle Rechtsfrieden (idealiter: “Landfrieden”) und Interessenausgleich herbeiführen sollten (und vielfach auch konnten). Hier zeigt sich das typische RKG-Prozedere bei Grenzstreitgkeiten zwischen Partikularmächten, die häufig als Verfahren betr. vorläufigen Schutz von Rechtsbesitz (Hoheitsrechten) ausgetragen wurden. Schon Goethe wies in “Dichtung und Wahrheit” auf diesen überaus erfolgreichen, da friedensstiftenden Ansatz des possessorischen Verfahrens am RKG hin. Die lange Laufzeit des Prozesses ist in der Regel nicht dem RKG geschuldet, das im letzten Viertel des 16. Jhs. auf dem Höhepunkt seiner Leistungsfähigkeit und Inanspruchnahme stand, sondern den dilatorischen Verhaltensweisen der Streitparteien.

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