Workshop Digitale Geisteswissenschaften am 29. April 2016 in Bonn

Am 29. April 2016 veranstalteten der Nordrhein-Westfälische Arbeitskreis Spätmittelalter und Frühe Neuzeit und die Universitäts- und Landesbibliothek Bonn den Workshop „Digitale Geisteswissenschaften“, der sich der Vermittlung einer Auswahl aktueller Forschungsprojekte verschiedener Fachbereiche sowie essenzieller Werkzeuge der „Digital Humanities“ widmet.

Seit nicht allzu langer Zeit und nur langsam ziehen digitale Methoden in ihrer Vermittlung in die universitären Curricula der Geisteswissenschaften, welche in einem besonderen und zunehmend stärkeren Maße auf den interdisziplinären Austausch angewiesen sind, ein. Um so erfreulicher ist es, dass der mittlerweile zweite Workshop des Arbeitskreises und der ULB in zwei Sektionen interessierten Forschern und Studenten zunächst einen Einblick in digitale Forschungsprojekte gewährte und sie darauf folgend in die Forschungsumgebung von TextGrid einführte.

In ihrem Grußwort rückte Renate Vogt (Bonn) den Workshop in den Kontext des selbst gesteckten Ziels der ULB – ein Kompetenzzentrum mit wachsenden Kapazitäten zu sein, das als solches verstärkt an der Universität wahrgenommen werde. Christoph Kaltscheuer (Köln/Bonn) beschrieb in seiner Begrüßung ein gesteigertes Interesse an digitalen Angeboten, für das der Workshop und seine Veranstalter ein Forum schaffen wollten. Jan Kenter (Bonn) stellte die „Digital Humanities“ an der Universität Bonn und in der ULB vor, die von deren Vermittlung im Rahmen von Veranstaltungen über das Angebot digitaler Dienste bis zur projektbezogenen Beratung reichen.

Im Zentrum der ersten Sektion standen vier innovative Forschungsprojekte. Elisa Novara (Bonn) und Maja Hartwig (Detmold) ließen sich durch ihren Vortrag bei der Arbeit an „Beethovens Werkstatt“ über die Schulter schauen. Dabei charakterisierten sie ihr ambitioniertes Unternehmen als Projekt der Grundlagenforschung, das mit Hilfe genetischer Textkritik und digitaler Musikedition die Schaffensweise Ludwig van Beethovens offenlegt. Auf anschauliche Weise wurden die sich eröffnenden Möglichkeiten digitaler Methoden deutlich: Eine Komposition stellt eine „res in fieri“ dar, deren Zeitlichkeit zu rekonstruieren versucht wird. Die daraus entstehende Redynamisierung des Schaffensprozesses ist und bleibt dabei auf das digitale Medium angewiesen, erlaubt es doch eine Visualisierung, welche die analytische Betrachtung mit neuem Erkenntnisgewinn bereichern kann.

Einen Einblick in die Arbeitsweisen und Anknüpfungspunkte von gleich vier digitalen Forschungsprojekten mit historischen Schriftdokumenten am Darmstädter Institut für Sprach- und Literaturwissenschaften gaben Celia Krause (Darmstadt), Hannah Busch (Trier) und Oliver Schmid (Darmstadt), der seinen Vortrag der praktischen Einführung in TextGrid voranstellte. Busch referierte über die Projekte „Virtuelles Skriptorium St. Matthias“ sowie „eCodicology“, deren Entstehungsgeschichten und Vorgehensweisen sie detailreich vorstellte. Damit führte sie vor Augen, dass diese aufwendigen Forschungsunternehmen nicht bei der bloßen Überführung von schwer zugänglichen und zum Teil weit zerstreuten Originaldokumenten in das leicht abrufbare digitale Medium stehen bleiben, sondern mit der weiteren computergestützten Verarbeitung neue Daten zur Herstellung, den Eigenschaften oder gar Beziehungen der Handschriften untereinander erheben. Krause erläuterte ihre Beschäftigung mit dem Hieratischen sowie den Kursivhieroglyphen und den sich aus diesen ergebenden Schlüssen für eine digitale Paläographie im Rahmen des von der Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur getragenen Projekts „Altägyptische Kursivschriften“. Auch hier werden neben dem klassischen Methodeninventar durch die Computerphilologie neue Räume erschlossen: Suchfunktionen, eine dynamische Datenbank und Module zur Schreibpraxis wie -didaktik lassen tiefer in diese Schriftsysteme blicken.

In der zweiten Sektion leitete Schmid nach einer kurzen theoretischen Vorstellung von TextGrid leicht verständlich und mit viel Freiraum für Rückfragen und Besprechungen auftauchender Probleme in das Programm ein. Die Vorteile, die TextGrid dem Nutzer bietet, wurden überdeutlich: Die reichhaltigen Bearbeitungstools für Materialien wie zum Beispiel Quellendokumente, die relative Sicherheit der Plattform und die Austauschmöglichkeiten mit anderen Nutzern überzeugen sofort. Insbesondere die Detail erschöpfende und allzu oft zeitraubende Auswertung von großen Quellenmengen kann durch TextGrid stark vereinfacht werden. Die sich stark von den gewohnten Plattformen unterscheidende Benutzeroberfläche und gerade die erweiterbare Auszeichnungssprache XML bedürfen hingegen für neue Nutzer einer längeren Einarbeitung, als sie der Workshop natürlich leisten kann und konnte. Davon abgesehen steht nur wenig der gewinnbringenden Nutzung von TextGrid für die verschiedensten Fachrichtungen der Geisteswissenschaften entgegen.

Der Workshop veranschaulichte den digitalen Wandel in den Geisteswissenschaften, die durch ihn wenig zu verlieren, aber eine nie da gewesene interdisziplinäre Vernetzung zu gewinnen haben. Es bleibt zu wünschen, dass sich das gebotene Forum des Arbeitskreises Spätmittelalter und Frühe Neuzeit und der Universitäts- und Landesbibliothek Bonn festigt.

Das Programm des Workshops finden Sie unter diesem Blogeintrag

 

Zitierweise:
Schulz, René: “Workshop Digitale Geisteswissenschaften am 29. April 2016 in Bonn”, in: Histrhen. Rheinische Geschichte wissenschaftlich bloggen, 23.05.2016, http://histrhen.landesgeschichte.eu/2016/05/bericht-dig-geisteswissenschaften/

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René Schulz

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