“Der Wissenschaft zu dienen und die Heimatliebe zu stärken.” Die Gründung des Instituts für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande vor 100 Jahren

Vor einhundert Jahren, am 24. September 1920, stimmte das Preußische Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung der Gründung des Instituts für geschichtliche Landeskunde (IgL) der Rheinlande zu. Es war der Start eines über viele Jahrzehnte richtungsweisenden Forschungsinstituts für Landesgeschichte und -kunde in Deutschland. Das Rheinland, politisch gesprochen ein Großteil der preußischen Rheinprovinz, stand nach dem Ersten Weltkrieg unter alliierter Besatzung und trat die westlich gelegenen Gebiete um Eupen, Malmedy und St. Vith nach fragwürdigen Volksabstimmungen an Belgien ab. Zudem wurde der Südteil, das wirtschaftlich bedeutende Saargebiet, unter einem Völkerrechtsmandat für 15 Jahre Frankreich unterstellt. Dazu kam eine Demontage der Rüstungsindustrie – diese Maßnahmen waren Teil der vertraglich festgehaltenen Reparationsleistungen und sollten erneute militärische Aktionen des Deutschen Reichs erschweren. In dieser Situation wurde in Bonn ein selbstständiges Forschungsinstitut gegründet, das sich explizit mit dem Rheinland befassen sollte: mit seiner Geschichte, seiner Sprache sowie der Lebensweise und Eigenheiten seiner Bevölkerung. Und das IgL hatte neben dem offensichtlichen wissenschaftlichen Mehrwert auch einen politischen: Es sollte auch außerhalb der Wissenschaft wirken und mit seiner Arbeit zum nationalen Empfinden beitragen, wie in der Satzung von 1921 zu lesen ist: “Der Wissenschaft zu dienen und die Heimatliebe zu stärken”.[1]

Neben dem Germanisten Theodor Frings war vor allem der Historiker Hermann Aubin treibende Kraft hinter der Gründung des IgL, das bereits im Wintersemester 1920/21 seine Arbeit aufnahm. Allerdings befasste sich das IgL von Beginn an nicht nur mit rheinischen Themen. Es bewegte sich stets am Puls der Wissenschaft, setzte viele richtungsweisende Akzente und war Vorbild für die Gründung ähnlicher Institute – fünfundachtzig Jahre lang. Trotz wechselnder fachlicher Schwerpunkte verfolgte das IgL im Hinblick auf das Rheinland immer den Bezug zur deutschen und europäischen Geschichte sowie eine epochenübergreifende Perspektive.[2] Bis 1977 hatte das IgL den rechtlichen Status eines Instituts an der Universität Bonn inne, dann wurde es der Universität angegliedert und der Zusatz “an” gestrichen. 2005 wurde es von der Universität Bonn im Zuge einer Neustrukturierung zur Vorbereitung der Einführung der Bachelor/Masterstudiengänge aufgelöst, und die drei Abteilungen des Instituts wurden auf zwei Großinstitute verteilt: auf das Institut für Geschichtswissenschaft, in dem die Abteilung für Geschichte der Frühe Neuzeit und Rheinische Landesgeschichte den geschichtswissenschaftlichen Ansatz weiterträgt,[3] und die sprachwissenschaftliche und volkskundliche Abteilung auf das Institut für Germanistik, Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft, aus dem die Abteilung Kulturanthropologie/Volkskunde wenig später wieder herausgelöst wurde und heute dem Institut für Archäologie und Kulturanthropologie angehört. Das Ende des Instituts als eines der führenden landesgeschichtlichen Forschungseinrichtungen im deutschspachigen Raum wurde in der interessierten Öffentlichkeit “ausgesprochen negativ” aufgenommen, und der interdisziplinäre Ansatz, eine Region durch seine Geschichte, Sprache und Anthropologie zu erforschen, hat bis heute nichts von seiner Aktualität und Relevanz verloren.[4]

Am Hofgarten 22 (Foto: Jonas Bechtold, 2020)

Poppelsdorfer Allee 25 (Foto: Jonas Bechtold, 2020)

 

Das IgL war seit seiner Gründung 1920 im Haus an der Poppelsdorfer Allee 25 untergebracht und zog 1968 in das Haus Am Hofgarten 22. Diese beiden Standorte “erlebten” Generationen von Studentinnen und Studenten, eine wachsende Bibliothek, die Bombardierung im Zweiten Weltkrieg, wissenschaftliche Paradigmenwechsel und vieles mehr. Dabei spielten auch weltpolitische und geschichtliche Umbrüche eine Rolle, die daran erinnern, wie sehr die rheinische Geschichte zugleich immer auch eine europäische ist. Beide Standorte sind damit Teil nicht nur der Geschichte des IgL, sondern auch Teil der Universität und nicht zuletzt der Geschichte der Stadt Bonn. Diesem Stück Geschichte wird in dieser Beitragsreihe zum einhundertjährigen Jubiläum nachgegangen, und die fünf Autorinnen und Autoren dieser Reihe laden Sie zur Lektüre ein:

Die pandemiebedingt verschobene Jübiläums-Herbsttagung der Abteilung für Geschichte der Frühen Neuzeit und Rheinische Landesgeschichte “Rheinische Geschichte im Wandel. 100 Jahre Gründung des Instituts für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande” soll im September 2021 nachgeholt werden und wird sich der Genese des IgL sowie Stand und Perspektiven der Arbeit der drei heutigen Abteilungen des vormaligen IgL widmen.

 

Zur Gründung, Forschungsarbeit und Geschichte des Instituts sei hier auf den nach wie vor aktuellen Sammelband verwiesen: Manfred Groten/Andreas Rutz (Hrsg.): Rheinische Landesgeschichte an der Universität Bonn. Traditionen – Entwicklungen – Perspektiven. Göttingen 2007.

 

 


[1] Nikolay-Panter, Marlene: Geschichte und methodischer Ansatz des Bonner Instituts. Eine Skizze, in Manfred Groten/Andreas Rutz (Hrsg.): Rheinische Landesgeschichte an der Universität Bonn. Traditionen – Entwicklungen – Perspektiven. Göttingen 2007 (Groten/Rutz, Landesgeschichte), S. 11-37, hier S. 12. Der vorliegende Beitrag basiert auf diesem Sammelband.

[2] Vgl. Rutz, Andreas: Historische Forschung am Bonner Institut für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande 1920-2005 unter besonderer Berücksichtigung der Dissertationen, in Groten/Rutz, Landesgeschichte, S. 39-66.

[3] Damals es die “Abteilung für Rheinische Landesgeschichte”. 2016 wurden die Abteilungen für Geschichte der Frühen Neuzeit und Rheinische Landesgeschichte zusammengelegt. Lesen Sie dazu auch: Rohrschneider, Michael: „Neustart! Zur Fusion der Abteilungen Frühe Neuzeit und Rheinische Landesgeschichte der Universität Bonn“, in: Rheinische Geschichte – wissenschaftlich bloggen, 23.01.2017.

[4] Groten/Rutz, Landesgeschichte, S. 7.

 

Zitierweise:
Hermel, Jochen / Rohrschneider, Michael: ‘Der Wissenschaft zu dienen und die Heimatliebe zu stärken.’ Die Gründung des Instituts für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande vor 100 Jahren, in: Histrhen. Rheinische Geschichte wissenschaftlich bloggen, 24.09.2020, http://histrhen.landesgeschichte.eu/2020/09/igl1920einleitung

Druckversion
Jochen Hermel & Prof. Dr. Michael Rohrschneider

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