„Das Haus Nr. 25 steht im Weg“ Das Institutsgebäude an der Poppelsdorfer Allee als Symbol des Widerstands der Bonner Bürgerschaft

1968 zog das Institut für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande in das Haus Am Hofgarten 22, das mehr Platz für die wachsende Bibliothek bot, die heute mit über 100.000 Titeln als die größte Spezialbibliothek zum Thema Rheinland gilt.[1] Das ehemalige Institutsgebäude Poppelsdorfer Allee 25 sollte Mitte der 1970er Jahre einem modernen Bürokomplex weichen und abgerissen werden – doch stattdessen wurde es für die Bonnerinnen und Bonner zu einem Symbol für den Erhalt der Südstadt.[2]

Zeichnung “Das ist das Grundstück, auf dem der Deutsche Herold baut” in “Wir verändern ein Stück Bonn”, S. 49. (Auf das Bild klicken zur Vergrößerung oder hier zur Detailansicht)

 

Das Versicherungsunternehmen Deutscher Herold, 1922 als Deutscher Begräbnis-Versicherungsverein in Berlin gegründet, verlegte 1947, mittlerweile zu einem der größten Lebensversicherer Deutschlands aufgestiegen, seinen Hauptsitz nach Bonn. Der neue Hauptverwaltungssitz wurde 1949/50 im neoklassizistischen Stil an der Ecke Poppelsdorfer Allee /Bonner Talweg errichtet.[3] In den beiden folgenden Jahrzehnten wuchs das Versicherungsunternehmen weiter und kaufte nach und nach benachbarte Häuser und Grundstücke auf. Ende der 1960er Jahre besaß der Herold etwa drei Viertel der Grundfläche des Karrees zwischen Poppelsdorfer Allee, Bonner Talweg, der heutigen Heinrich-von-Kleist-Straße und der heutigen Prinz-Albert-Straße.[4] Auf dem Karree sollte ein modernes Bürogebäudeensemble als repräsentativer Hauptfirmensitz entstehen. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich im ehemaligen Institutsgebäude Poppelsdorfer Allee 25 Büros der Versicherung; das Haus sollte erhalten und in den modernen Firmensitz integriert werden, um den „Charakter der Poppelsdorfer Allee [zu] wahren“.[5] Doch in den folgenden Jahren erweiterten sich die Vorstellungen der Führungsetage: Der Firmensitz des Deutschen Herolds sollte noch repräsentativer und größer ausfallen.

 

Die Kampagne

Um Rückhalt in der Bevölkerung für seine neuen Baupläne zu generieren, startete der Deutsche Herold Ende 1974 eine umfangreiche Werbekampagne, in deren Zentrum eine Befragung der Bonner Bürgerinnen und Bürger stand. Unter dem Motto „bonner bürger planen mit“ richtete der Deutsche Herold vom 24. bis 26. September 1974 eine Informationsveranstaltung aus und im November lag den Zeitungen im Raum Köln-Bonn ein achtseitiges „Extrablatt“ bei, das den Deutschen Herold als besonders bürgernahes und stadtverbundenes Unternehmen darstellte und über die Neubaupläne informierte. Darüber hinaus forderte es auch die Bürgerinnen und Bürger zur Mitwirkung auf: Diese sollten bis zum 1. Dezember 1974 ihre Meinung zu den Bebauungsplänen in Form einer „Volksbefragung mit Gewinnen“ abgeben: Aus den eingesendeten Antwortkarten sollten Reisen und Geschenke im Gesamtwert von 9.300 Deutsche Mark gelost werden. Unter den zur Wahl gestellten sechs Entwürfen gab es zwei, die eine Hochhausbebauung vorsahen, aber nur einer der Entwürfe sah den Erhalt des Gebäudes Poppelsdorfer Allee 25 vor (vgl. die Abbildung “Die 6 Neubauentwürfe im Überblick”). So titelte die Bonner Rundschau am 25. September 1974: „Das Haus Nr. 25 steht im Weg“.

Das Logo der Werbekampagne

Die sechs Neubauentwürfe im Überblick. (Zur Detailansicht)

 

 

 

 

 

 

 

 

Der Widerstand

Die Werbeaktion und das „Merkwürdige Plebiszit“ mit Gewinnspiel wurden von großen Teilen der Bonner Bürgerschaft unmittelbar als manipulativ und unaufrichtig empfunden.[6] Es fielen Begriffe wie „Wahlfarce“, „Scheindemokratie“ und „Kulturskandal“. Es bestand der Verdacht, dass der Herold durch die Beeinflussung der öffentlichen Meinung den Rat der Stadt zu einer Änderung der Bauverordnung bewegen wollte, um nicht nur den Bau eines Hochhauses, sondern auch den Abriss der Poppelsdorfer Allee 25 rechtlich zu ermöglichen. Die umgehend gegründete „Bürgerinitiative Heroldbauten“ war entschlossen, das „städtebauliche Kleinod“ Poppelsdorfer Allee 25 in seinem damaligen Zustand zu verteidigen – wobei die angebaute Poppelsdorfer Allee 25a zwischenzeitlich bereits abgebrochen worden war. Da die Pläne durch den Herold in der Öffentlichkeit diskutiert wurden, erfolgte die Reaktion der Bonnerinnen und Bonner ebenfalls öffentlich: Ein heftiger regionaler Medienkrieg entbrannte, in dessen Verlauf innerhalb eines halben Jahres fast einhundert Artikel in der lokalen und nationalen Presse erschienen, unter anderem in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und Die Zeit. Auch mehrere Fernsehbeiträge wurden zu dem Thema ausgestrahlt.[7] Neben der genannten Bürgerinitiative bezogen auch der CDU-Ortsverband, der Ortsverein Poppelsdorf und die SPD-Stadtratsfraktion Stellung gegen die Kampagne; letztere musste sich sogar vor Gericht verantworten, weil sie den Herold in Flugblättern als „Stadtzerstörer“ bezeichnet hatte.[8] Zahlreiche Vereine veröffentlichten Stellungnahmen, in denen sie nichts weniger als die Bewohnbarkeit der Bonner Südstadt in Gefahr sahen, wenn nicht die Lebensqualität der Innenstädte im Allgemeinen. Die Werbekampagne wurde dabei genauso angegriffen wie die Entwürfe selbst. Dass drei der sechs Entwürfe von Arno Breker, einem der führenden Künstler der NS-Diktatur, stammten, wurde dabei wiederholt aufgegriffen.[9] 

Das Gebäude des Bonner Bürgervereins. Abgedruckt im General-Anzeiger (Bonn) vom 31.10.1968.

Neben der Kritik am Vorgehen des Unternehmens hatte zur bürgerlichen Gegenwehr vermutlich auch der Abriss des Gebäudes des ehemaligen Bürgervereins wenige Jahre zuvor beigetragen. Dieser große Jugendstilbau hatte nicht nur die Poppelsdorfer Allee architektonisch mitgeprägt, sondern war zudem eines der Zentren bürgerlichen Lebens gewesen: Zahlreiche Veranstaltungen hatten dort stattgefunden, ab 1949 war darin das Theater der Stadt Bonn untergebracht und zuletzt hatte es einen Jazz-Keller für die Bonner Jugend beherbergt.[10] An seiner Stelle war 1970 das Bristol-Hotel errichtet worden.
Der bürgerliche Protest wurde auch von Teilen der Universität mitgetragen: Prof. Dr. Justus Müller Hofstede vom Kunsthistorischen Institut, der zugleich Vorsitzender des Bonner Heimat- und Geschichtsvereins war, veröffentlichte Anfang 1975 eine Erklärung für den Erhalt der Poppelsdorfer Allee 25 und gegen die Baupläne des Herold, die von 152 Professorinnen und Professoren unterstützt wurden. Aus dem Historischen Seminar bekannte sich Prof. Dr. Ernst Opgenoorth zu dieser Erklärung. Der Direktor des Instituts für Historische Geographie, das damals eine große Nähe zum Historischen Seminar und der Geschichtlichen Landeskunde hatte, Prof. Dr. Klaus Fehn, schloss sich der Erklärung an. Vertreterinnen oder Vertreter des Instituts für geschichtliche Landeskunde fanden sich jedoch nicht unter den Unterzeichnenden.[11]

 

Das Europäische Denkmalschutzjahr 1975

Im Laufe des Jahres 1975 beruhigte sich die Situation. Aufgrund der heftigen Gegenwehr der Bonner Bevölkerung und den sich abzeichnenden Widerständen im Stadtrat sah der Deutsche Herold letztlich von der Fortführung der Kampagne ab. Zudem geriet der Deutsche Herold ab Mitte 1976 in finanzielle Schwierigkeiten, von denen er sich nie wieder erholte.[12] Der ursprüngliche Bebauungsplan wurde umgesetzt und die Poppelsdorfer Allee 25 als Teil des Herold-Ensembles erhalten. Das Ensemble wurde 2020, 45 Jahre nach seinem umstrittenen Bau, wieder abgerissen. Auch im neuen Bebauungsplan fand das so genannte „Schlößchen“ seinen Platz.[13]

Das “Schlösschen” Poppelsdorfer Allee 25. Rechts daneben die nun zum Abriss bestimmten Gebäude aus den 1970ern. Foto: Jonas Bechtold, 2020

Das ehemalige Institutsgebäude hatte in dieser öffentlichen Auseinandersetzung zwischen dem Unternehmen und der Bürgerschaft große Aufmerksamkeit erfahren: Es war sowohl ein Symbol des Widerstands gegen einen scheinbar überlegenen Gegner in Bonn als auch ein Symbol für innenstädtische Lebensqualität im Allgemeinen geworden. Es motivierte Menschen nicht nur zum Engagement für Erhaltung und Wiederherstellung einzelner historischer Gebäude, sondern sensibilisierte sie auch für deren historischen Kontext. Die Einwohner der Südstadt sahen sich durch den Verlust gründerzeitlicher Gebäude in ihrer lokalen Identität und Lebensqualität bedroht. Auch wenn die kurze Bekanntheit der Poppelsdorfer Allee 25 von 1974/75 inzwischen längst vergessen ist, markierte das „Europäische Denkmalschutzjahr“ auch in der Bonner Südstadt einen Wandel im Umgang mit historischer Bausubstanz.[14]

 

Dieser Artikel ist der dritte Teil der Reihe zu den Gebäuden des Instituts für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande zum 100jährigen Jubiläum seiner Gründung. Lesen Sie auch:

 


[1] Siehe Website der Abteilung für Geschichte der Frühen Neuzeit und Rheinsche Landesgeschichte (abgerufen am 07.10.2020).

[2] Dieser Artikel greift unter anderem zurück auf die Quellensammlung: “Wir verändern ein Stückchen Bonn… Dokumentation über Neubaupläne einer Versicherungsgesellschaft in der Bonner Südstadt.” Landeskonservator Rheinland, Arbeitsheft 14. Köln 1975 (ISBN 3-7927-0236-3). Bei den in dieser Dokumentation enthaltenen Artikeln ist zu berücksichtigen, dass der Herausgeber, Landeskonservator Günther Borchers, selbst in Opposition zur Kampagne des Deutschen Herolds stand. Sie enthält jedoch umfangreiche Quellen aller beteiligten Seiten und war – bis zur Veröffentlichung dieses Artikels – die bislang einzige erschienene zusammenhängende Darstellung zu diesem Thema.

[3] Zur Zeit bietet den besten Überblick über die Firmengeschichte die Seite “Deutscher Herold” auf Wikipedia (abgerufen am 07.10.2020).

[4] Die Heinrich-von-Kleist-Straße hieß zu diesem Zeitpunkt Hohenzollernstraße und die Prinz-Albert-Straße trug den Namen Kronprinzenstraße.

[5] General-Anzeiger (Bonn) vom 2.2.1970.

[6] So bezeichnet in einem Artikel des General Anzeigers (Bonn) vom 28.11.1974.

[7] ZDF und WDR berichteten darüber. Stückchen Bonn, S. 275f.

[8] Die Fraktion wurde letztlich frei gesprochen. General-Anzeiger (Bonn) vom 19.11.1974; Rhein-Sieg-Anzeiger vom 30.11./1.12.1974.

[9] Arno Breker war ein in den 1930er und 1940er Jahren bekannter deutscher Bildhauer, der immer wieder auch architektonische Aufträge annahm. Er fertigte eine Vielzahl von Büsten von führenden nationalsozialistischen Politiker an und prägte damit den Stil der nationalsozialistischen Diktatur mit. Er durfte einer der bestbezahltesten Künstler dieser Zeit gewesen sein und wurde an erster Stelle der Sonderliste der „Unersetzlichen Künstler“ der Nationalsozialisten aufgeführt. Einführend die Online-Biographie von Björn Thomann auf dem Portal Rheinische Geschichte, eine Übersicht über seine Werke und weiterführende Literatur findet sich auf Wikipedia (beide abgerufen am 07.10.2020).

[10] General-Anzeiger (Bonn) vom 31.10.1968.

[11] Stückchen Bonn, S. 116-119.

[12] Missmanagement und ein zerstrittener Vorstand belasteten das Unternehmen über Jahrzehnte. 2006 ging der Deutsche Herold in der Zurich-Gruppe Deutschland auf. Der Name wird seitdem nur noch für die Lebensversicherungssparte verwendet. Nach 2015 wurden die Arbeitsplätze von Bonn nach Köln verlegt. General Anzeiger (Bonn) vom 08.01.2015 (abgerufen am 07.10.2020).

[13] Das Hauptverwaltungsgebäude von 1950 am Bonner Talweg ist übrigens auch Teil des Konzepts. Mittlerweile hat sich der Spitzname „Schlößchen“ oder “Villa” für das ehemalige Institutsgebäude durchgesetzt. General-Anzeiger (Bonn) vom 18.12.2018 (zuletzt abgerufen am 07.10.2020).

[14] Dieses Jahr gilt als Initialzündung für die Denkmalpflege in Europa. Der offizielle Name war Europäisches Jahr des Architekturerbes, European Architectural Heritage Year (EAHY) und erhielt eine 5 DM-Gedenkmünze. Vgl. Artikel vom 17.01.1975 von Die Zeit (mittlerweile anmeldepflichtig; abgerufen am 02.02.2020); interessant dazu sind auch die „Empfehlungen zum Europäischen Denkmalschutzjahr 1975“ des Deutschen Städtetags vom Januar 1974 (abgerufen am 07.10.2020).

 

Zitierweise:
Hermel, Jochen: „Das Haus Nr. 25 steht im Weg“. Das Institutsgebäude an der Poppelsdorfer Allee als Symbol des Widerstands der Bonner Bürgerschaft, in: Histrhen. Rheinische Geschichte wissenschaftlich bloggen, 08.10.2020, http://histrhen.landesgeschichte.eu/2020/10/igl1920buergerbegehren/

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Jochen Hermel

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