„Grenzlandforschung“, „Westforschung“, Wissenschaftler, die den Annexionsplänen der Nationalsozialisten Argumentationshilfen bieten: Wiederholt stand das Wirken des Instituts für geschichtliche Landeskunde (IgL) während der NS-Herrschaft in den vergangenen Jahrzehnten im Fokus wissenschaftlicher Untersuchungen.[1] Diese Betätigungsfelder sind stets präsent, wenn die Geschichte des im Jahre 1920 mit einem innovativen und interdisziplinären Ansatz an der Universität Bonn gegründeten Instituts betrachtet wird.[2] Dabei steht allerdings die inhaltliche Arbeit im Fokus, während die äußeren Bedingungen für den Arbeitsbetrieb während der 1930er und 40er Jahre bisher kaum betrachtet wurden. Eine deutliche Zäsur ist in dieser Hinsicht mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs im September 1939 zu erkennen: Da die männlichen Mitarbeiter nun sukzessive zum Kriegsdienst eingezogen wurden, lastete der Betrieb auf immer weniger Schultern. Seit Einsetzen der alliierten Angriffe auf Bonn waren das Institut samt seiner Bibliothek und der Sammlung bedeutsamer wissenschaftlicher Materialien unmittelbar gefährdet. Dennoch hat das IgL den Zweiten Weltkrieg überstanden – wie, soll im Folgenden gezeigt werden.
Das Institut für geschichtliche Landeskunde hatte seinen Sitz seit seiner Gründung im Gebäude an der Poppelsdorfer Allee 25 . Wegen der zahlreichen im Feld stehenden Mitarbeiter dachte die Universitätsleitung bereits im ersten Kriegsmonat über eine vollständige Schließung des Instituts nach. Von Seiten des IGL bat man unter Hinweis auf die verbleibenden Mitarbeiter/innen – vor allen Dingen die junge Assistentin Dr. Edith Ennen (1907-1999) und die seit 1924 am Institut tätige Sekretärin und Bibliotheksangestellte Anneliese Reinhardt, die mit den anfallenden Aufgaben bestens vertraut seien – „ergebenst das Institut für geschichtliche Landeskunde seine Arbeiten in beschränktem Umfange fortsetzen zu lassen.“[3] Dieser Bitte wurde stattgegeben. Gleichzeitig hatte bereits Ende August 1939 Prof. Josef Müller (1875-1945), der Bearbeiter des Rheinischen Wörterbuchs (RWB),[4] darum gebeten, angesichts seines schlechten gesundheitlichen Zustandes die Arbeiten am Wörterbuch von zuhause aus weiterführen zu können. Dazu sollten achtzig Zettelkästen, die das noch nicht bearbeitete Material des RWB beinhalteten, zu seinem Landhaus in Ittenbach gebracht werden. Die restlichen Zettelkästen würden in einem der Kellerräume des Instituts gelagert werden, „da die Räume des Archivs im Dachgeschoss bei Fliegerangriffen gefährdet sind“[5], wie es in einem entsprechenden Antrag des Instituts an den Kurator der Universität heißt. Beide Anträge sollten für das Institut ein großes Glück bedeuten, wie sich später zeigte.
Im Zuge eines Luftangriffes auf die Stadt wurde das Gebäude erstmals Ende Mai 1942 getroffen. Der kurz zuvor vertretungsweise mit der Leitung des Instituts beauftragte Prof. Leo Weisgerber (1899-1985) schilderte den Vorfall und seine Auswirkungen im Tätigkeitsbericht für die Jahre 1942/1943 folgendermaßen:
„Einen wesentlichen zusätzlichen Arbeitsanfall brachten die während des Luftangriffs in der Nacht vom 30./31. Mai auf das Institutsgebäude erfolgten Brandbombenabwürfe. Das Hauptgebäude wurde von etwa 15 Brandbomben getroffen. Infolge des tatkräftigen und zielbewussten Eingreifens der Selbstschutzkräfte, vor allem des langjährigen früheren Assistenten, Herrn Dr. Herolds, konnten ein das gesamte Gebäude bedrohendes Übergreifen des Brandes und innerhalb der betroffenen Räume unersetzliche Schäden – Vernichtung der handgeschriebenen, einmaligen Sammlungen des Flurnamenarchivs und des Rheinischen Wörterbuchs und des handgezeichneten Kartenmaterials – vermieden werden. Immerhin ist ausser bedeutenden, bis heute noch nicht ganz behobenen Gebäudeschäden der Verlust von etwa 260 Büchern der Abteilung für Mundartforschung und Volkskunde zu beklagen.“[6]
Der Gesamtschaden durch Feuer und infolge der Zerstörungen eindringenden Wassers wurde Ende November 1942 auf 1.534,25 Reichsmark beziffert.[7] Zwar konnten durch das beherzte Eingreifen Martin Herolds größere Schäden vermieden werden, doch wurde offenbar mit weiteren Angriffen gerechnet, die dann womöglich nicht so glimpflich verlaufen könnten, und traf deshalb verschiedene Vorsichtsmaßnahmen: Zunächst wurde ein Teil der Institutsbibliothek in die Souterrain- und Kellerräume des Nachbarhauses (Poppelsdorfer Allee 25a) überführt. Ebenso bemühte sich Edith Ennen seit August 1943 bei der Archivberatungsstelle der Rheinprovinz und dem Staatsarchiv in Koblenz um einen Abtransport und eine Einlagerung wichtiger Manuskripte des Instituts in der Festung Ehrenbreitstein.[8] Dass die Bestände des Instituts gefährdet waren, zeigte sich im darauffolgenden Jahr mehrfach. Zunächst fiel am 4. März 1944 ein „Benzinkanister“ (vermutlich ist eine Phosphorbombe gemeint) vor den Treppenaufgang des Instituts, der allerdings nicht zur vollen Entzündung kam. Daher forderten Anneliese Reinhardt im Auftrag des Direktors des Instituts von der Universität, weitere Maßnahmen zum Schutz des Gebäudes auf den Weg zu bringen. Angedacht war die Errichtung von Löschwasserbehältern vor dem Institut, die Lieferung von Löscheimern und Sandsäcken sowie eine bauliche Veränderung, um die Stabilität des Kellers auch im Falle weiterer Angriffe gewährleisten zu können. Letzteres war umso wichtiger, da der von Ennen beantragte Abtransport der Manuskripte noch nicht erfolgt war – Ende April 1944 waren lediglich einige Kisten mit Bibliotheksbeständen auf Haus Dalbenden in der Eifel angekommen.[9]
Der 18. Oktober 1944 war für das Institut wie für Bonn ein schwarzer Tag. Gegen 11 Uhr morgens griffen Bomber der Royal Air Force die Stadt an. Wie die ganze Innenstadt wurde auch die Universität schwer beschädigt und das Hauptgebäude erlitt einen Volltreffer. Auf das Institut für geschichtliche Landeskunde fielen an diesem Vormittag insgesamt drei Brandbomben. Die daraufhin entfachten Brände in den Institutsräumlichkeiten wurden umgehend von Edith Ennen und Anneliese Reinhardt, die sich zu dieser Zeit im Gebäude aufhielten, gelöscht. Von Seiten des Instituts berichtete man hierüber am 9. November 1944: „Die Angestellten des Instituts haben ihren Dienst nicht unterbrochen.“[10] Dem Einsatz dieser beiden Mitarbeiterinnen ist zu verdanken, dass die gesamten Bibliotheksbestände am 18. Oktober unversehrt blieben. Ebenso war kein nennenswerter Verlust an wissenschaftlichem Material und kaum Mobiliarschaden zu vermelden. Allerdings war das Gebäude – vor allem das Dach – stark beschädigt, weshalb z.B. die Verwaltung des Instituts in das Nachbarhaus (Poppelsdorfer Allee 25a) umziehen musste.[11]
Es ist festzuhalten, dass das Institut für geschichtliche Landeskunde samt seiner Bibliothek und seinen wissenschaftlichen Sammlungen im Vergleich zu anderen Universitätsgebäuden den Zweiten Weltkrieg gut überstanden hat. Dies wird auch am Schicksal der nach dem Angriff vom 18. Oktober in die Bachstraße 9 überführten Manuskripte zum Geschichtlichen Ortslexikons der Rheinlande ersichtlich: Im Sommer 1946 wurde sie vermodert und unleserlich aus den Trümmern des Hauses der Rheinischen Denkmalpflege geborgen.[12] Zu diesem Zeitpunkt wurde das IGL bereits wieder regulär genutzt. Nachdem man das Dach des Instituts zu Beginn des Wintersemesters 1945/46 notdürftig repariert hatte, konnten drei Räume für Unterricht genutzt werden. „Bis zur Fertigstellung der Räume des Historischen Seminars im Hauptgebäude der Universität finden seitdem alle Seminarübungen der Historiker in diesen Institutsräumen statt. Auch sprachwissenschaftliche und orientalistische Übungen wurden bisher hier gehalten“,[13] hieß es in einem Tätigkeitsbericht des Instituts vom 2. Januar 1947. Allerdings kam es im Sommer 1945 zu Vandalismus und zahlreichen Einbrüchen in das Gebäude, bei denen Arbeitsmaterialien, u. a. Schreibmaschinen und Fotoapparate, entwendet wurden. Zudem musste das Institut weiterhin instandgesetzt werden, sodass erst 1949 wieder alle Räume hergestellt worden waren. Bis 1955 wurden darüber hinaus im Haushalt des Instituts immer noch Mittel zur Beseitigung von Kriegsschäden ausgewiesen.[14] Dass diese geringer als in anderen Gebäuden ausfielen und dass die mit zahlreichen Raritäten bestückte Bibliothek sowie die wissenschaftlichen Sammlungen heute noch erhalten sind, ist den oben genannten Personen zu verdanken. Sie haben das Institut für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande vor der Zerstörung bewahrt.
Der Beitrag ist der zweite Teil der Reihe zum 100-jährigen Jubiläum der Gründung des Instituts für geschichtliche Landeskunde. Lesen Sie auch:
- “Der Wissenschaft zu dienen und die Heimatliebe zu stärken.” Die Gründung des Instituts für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande vor 100 Jahren (Jochen Hermel/Michael Rohrschneider)
- “Das Haus Nr. 25 steht im Weg”. Das Institutsgebäude an der Poppelsdorfer Allee als Symbol des Widerstands der Bonner Bürgerschaft (Jochen Hermel)
- Am Hofgarten 22. Der Umzug in den zweiten Standort des Instituts für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande 1968 (Daniela Bennewitz/Nataliya Demir-Karbouskaia)
[1] Vgl. die Aufsätze im Sammelband Griff nach dem Westen. Die „Westforschung“ der völkisch-nationalen Wissenschaften zum nordwesteneuropäischen Raum (1919-1960). 2 Teilbände. Hrsg. von Burkhard Dietz, Helmut Gabel und Ulrich Tiedau (Studien zur Geschichte und Kultur Nordwesteuropas 6), Münster 2003; Rutz, Andreas: Historische Forschung am Bonner Institut für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande 1920-2005 unter besonderer Berücksichtigung der Dissertationen, in: Rheinische Landesgeschichte an der Universität Bonn. Traditionen – Entwicklungen – Perspektiven. Hrsg. von Manfred Groten und Andreas Rutz, Göttingen 2007, S. 39-66, hier S. 53-63; ders.: Auswandererforschung im Nationalsozialismus. Joseph Scheben und das Deutsche Ausland-Institut, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 105 (2018), S. 34-63.
[2] Die innovative Idee der Gründer Hermann Aubin und Theodor Frings war eine interdisziplinäre und umfassende Landesgeschichte des Rheinlandes. Die der Institutsarbeit zugrunde liegende Methode war in ihrer Forschung zwar räumlich beschränkt, wertete dabei allerdings in einer Gesamtschau der Fächer alle verfügbaren Quellen aus, um dadurch ein möglich ganzheitliches Bild von Geschichte und Kultur des untersuchten Raums zu erhalten. Deshalb bestand neben der historischen Abteilung von Anfang auch eine Abteilung für Mundartenforschung, die sich zusätzlich der Volkskunde widmete. Vgl. Nikolay-Panter, Marlene: Geschichte und methodischer Ansatz des Bonner Instituts. Eine Skizze, in: Groten/Rutz, Rheinische Landesgeschichte, S. 11-37.
[3] Institut für geschichtliche Landeskunde an Universitätskurator, Schreiben vom 26. September 1939, Archiv der Universität Bonn (UniA Bonn), Best. 216 „Institut für geschichtliche Landeskunde“, Nr. 249.
[4] Das seit 1904 bearbeitete Projekt eines Rheinischen Wörterbuchs wurde bald nach Gründung des Instituts von Müller, der es seit 1914 übernommen hatte, nach Bonn gebracht und unter seiner Leitung 1930 zur dritten eigenständigen Abteilung im Institut für geschichtliche Landeskunde. Obwohl die Abteilung 1945 geschlossen wurde, verblieb die Bearbeitung der damals noch ausstehenden Bände bis zum Abschluss des Werks am Bonner Institut. Zum Rheinischen Wörterbuch vgl. Zender, Matthias: Das Rheinische Wörterbuch von 1904 bis 1964, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 29 (1964), S. 200-222; Schrutka-Rechtenstamm, Adelheid: Die Volkskunde an der Universität Bonn von 1900 bis 1950, in: Rheinisches Jahrbuch für Volkskunde 28 (1989/90), S. 69-87, hier S. 74f.; Nikolay-Panter, Marlene: Zur geschichtlichen Landeskunde der Rheinlande, in: Geschichtliche Landeskunde der Rheinlande. Regionale Befunde und raumübergreifende Perspektiven. Georg Droege zum Gedenken. Hrsg. von ders., Wilhelm Janssen und Wolfgang Herborn, Köln/Weimar/Wien 1994, S. 3-22, hier S. 16f.
[5] Schreiben des Instituts an den Universitätskurator vom 6. September 1939, UniA Bonn, Best. 216, Nr. 249.
[6] Tätigkeitsbericht 1942/43, ebd.
[7] Vgl. UniA Bonn, Best. 216, Nr. 1.
[8] Vgl. Anfrage Edith Ennens an den Direktor des Staatsarchivs in Koblenz, 30. August 1943, ebd.
[9] Vgl. ebd.
[10] Direktor des IGL an den Kurator der Universität, 9. November 1944, ebd.
[11] Vgl. Schreiben des Instituts an den Dekan der Philosophischen Fakultät, 18. November 1944, ebd.
[12] Vgl. Tätigkeitsbericht des Instituts vom 2. Januar 1947, ebd. Nr. 101.
[13] Ebd.
[14] Vgl. ebd., Nr. 100.
Zitierweise:
Gatzen, Philipp: „Die Angestellten des Instituts haben ihren Dienst nicht unterbrochen“. Das Institut für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande im Zweiten Weltkrieg, in: Histrhen. Rheinische Geschichte wissenschaftlich bloggen, 01.10.2020, http://histrhen.landesgeschichte.eu/2020/10/igl1920weltkrieg/
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