Zwischen ‚Kleinen‘ und ‚Großen‘ Welten. Herrschaft vor Ort im Rheinland der Vormoderne Tagungsbericht

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Am 25. und 26. September 2023 fand die alljährliche Herbsttagung der Abteilung für Geschichte der Frühen Neuzeit und Rheinische Landesgeschichte des Instituts für Geschichtswissenschaft der Universität Bonn in Kooperation mit der Abteilung für Historische Grundwissenschaften und Archivkunde und dem Verein für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande unter dem Titel ‚Zwischen ‚Kleinen‘ und ‚Großen‘ Welten. Herrschaft vor Ort im Rheinland der Vormoderne‘ statt.

In ihrer inhaltlichen Einleitung legten Michael ROHRSCHNEIDER und Andrea STIELDORF (beide Bonn) den thematischen Schwerpunkt der Tagung dar, wonach ein Perspektivwechsel vollzogen werden sollte, der anstelle der in Forschungen zur Vormoderne zumeist üblichen Fragen nach den Top-down-Maßnahmen zur Herrschaftslegitimierung und -durchsetzung die Formen, Ziele und Wirkungsweisen von Bottom-up-Prozessen verstärkt in den Blick nimmt. Die Tagungsbeiträge warfen Schlaglichter auf die Wirkmächtigkeit der lokalen Herrschaftsträger der ‚Kleinen Welten‘ im Rheinland von der Antike bis zur Frühen Neuzeit gegenüber den ihnen übergeordneten, zentral agierenden Herrschaftsträgern, den ‚Großen Welten‘. Zwischen den beiden Welten bestanden asymmetrische Herrschafts- und Machtbeziehungen, deren Reziprozität stärker in den Fokus gerückt wurde.

Den Auftakt machte Konrad VÖSSING (Bonn) mit einer Gegenüberstellung der ‚Großen Welt‘ der politischen Machtkämpfe Roms und der ‚Kleinen Welt‘ des römischen Bonn anhand des Geschichtsschreibers Tacitus. Das Legionslager im heutigen Bonn geriet als Dreh- und Angelpunkt der regionalen römischen Militärpräsenz in den Strudel der Ereignisse des Bataveraufstands im Vierkaiserjahr 69/70 n. Chr. Nachdem sich Vitellius, unterstützt von den nieder- und oberrheinischen Legionen und darunter den batavischen Auxiliartruppen, vorerst als Alleinherrscher durchgesetzt hatte, ließ sich im Juli desselben Jahres Vespasian zum Kaiser proklamieren. Vitellius ließ weitere Truppen unter den Batavern ausheben, um Vespasian entgegenzutreten. Die folgende Revolte rüttelte an den Grundfesten der römischen Militärpolitik, denn bestens ausgebildet und eng mit dem römischen Militär vertraut, stellten die Auxiliartruppen eine nicht zu unterschätzende Bedrohung dar, welche die Partei Vespasians zur Kontaktaufnahme mit den Aufständischen zwang. Die Machtverhältnisse zwischen den ‚Großen und Kleinen Welten‘ hatten sich im Bataveraufstand umgekehrt. Die ‚Kleine Welt‘ hatte der ‚großen‘ das Fürchten gelehrt. Siegreich, aber kompromissbereit, triumphierte letztlich die ‚Große Welt‘.

Um Welten im Umbruch und die Kontinuität gesellschaftlicher Eliten im Rheinland des 4. bis 7. Jahrhunderts ging es Vortrag von Winfried SCHMITZ (Bonn). Anhand von Grabinschriften und des Wandels des ‚Epigraphic Habit‘ zeichnete Schmitz die gesellschaftlichen Umbrüche nach dem Rückzug der ‚Großen Welt‘ Rom im Rheinland nach. In den Grabinschriften manifestieren sich alte sowie neue, spätantike und frühmittelalterliche Eliten. So finden sich in Grabinschriften aus Trier und Köln qualitativ hochwertige Steinmetzarbeiten in römischer Tradition und mit römischen Namen. Anders als zu römischer Zeit waren es in der Spätantike und im Frühmittelalter aber Kleriker, denen in der ‚Kleinen Welt‘ die Aufgaben der ordnungsstiftenden Instanz zufielen und die in ihren Grabinschriften ein entsprechendes Selbstverständnis und ihre herausgehobene Position festhielten. Daneben existiert eine nicht geringe Anzahl qualitätvoller Inschriften von Personen mit germanischen Namen. Für sie stand die Hinwendung zum Christentum im Vordergrund – im Gegensatz zu den Grabinschriften der Angehörigen der neuen fränkischen Herrscherelite, die zur Legitimierung ihrer Herrschaft Wert auf die Darstellung ihrer sozialen Position legten.

Der Vortrag von Torsten RÜNGER (Bonn) nahm, basierend auf Ergebnissen der Siedlungsarchäologie, die ländlichen Siedlungsräume von Pier und Morken im Rheinland in den Blick. Die ‚Kleinen Welten‘ der beiden Orte waren zwischen der Spätantike und dem Hochmittelalter einem mehrfachen und tiefgründigen Strukturwandel unterworfen. In dieser ländlichen Lebenswelt manifestierte sich Herrschaft im Frühmittelalter vorrangig noch in Form von flächendeckend vernetzten ortsansässigen Eliten. Im Hochmittelalter basierte die Herrschaft hingegen auf verwandtschaftlich verbundenen und kleinräumig organisierten Adelsfamilien. Die Orte Morken und Königshofen scheinen in dieser Hinsicht angesichts der archäologischen Befunde in deutlich stärkerem Maße herrschaftlich durchdrungen gewesen zu sein als Pier. Neugründungen, Wüstungen und die verstärkte Konzentration auf Ortskerne im Hochmittelalter belegen eine dynamische Siedlungsweise. Mit dem Bau und der gleichzeitigen Nutzung von nahe beieinander gelegenen Burgen des Niederadels zeigt sich ein Hinweis auf eine kleinräumige Territorialisierung. Am Beispiel Piers zeigt sich mit Belegen für das Gewerbe der Flachs- und Leinenproduktion die Möglichkeit eines bäuerlichen Nebenerwerbs und damit einer gewissen Agency.

Michael ROHRSCHNEIDER referierte zu der Frage, ob die Erforschung von Asymmetrien Erkenntnispotential für die Untersuchung der Erscheinungsformen von Herrschaft im Kurfürstentum Köln bieten kann. Der Begriff der Asymmetrie wird in dem Kontext der vielgestaltigen Herrschaftsverhältnisse des Kurfürstentums Köln als verflochtenes Miteinander von ‚Großen‘ und ‚Kleinen Welten‘ verstanden. Dazu wurden drei Forschungsansätze vorgestellt: 1) Die Frage nach dem Spannungsverhältnis von Persönlichkeit und Struktur (Akteurszentrierung), 2) der Ansatz der ‚Jeux d’échelles‘ des französischen Historikers Jacques Revel aus dem Kontext des wissenschaftlichen Diskurses über die Mikrogeschichte und 3) das damit verbundene Konzept der Fraktalität, das seit einigen Jahren in der deutschen und französischen Frühneuzeitforschung diskutiert wird. An einem Beispiel verdeutlichte er, dass die neuere Forschung verschiedene Ansätze bereithält, um die Zusammenhänge von Raum, Akteur*innen sowie politischer und sozialer Interaktion im Kurfürstentum Köln zu analysieren. Asymmetrien waren im Rahmen der vielgestaltigen Aushandlungsprozesse zwischen den ‚Großen‘ und ‚Kleinen Welten‘ ein signifikanter Faktor. Alle drei Forschungsansätze lassen sich auf das Kurfürstentum Köln, auf seine politischen und sozialen Eliten sowie die zahlreichen Verflechtungen von Akteuren und Räumen verschiedener Herrschaftsebenen anwenden.

David SCHULTE (Bonn) legte die Umstände der Entstehung und Ausdifferenzierung der landständischen Verfassung des Kurfürstentums Köln am Beispiel der Neufassung der westfälischen Erblandesvereinigung von 1590 dar. Die Erneuerung der Erblandesvereinigung war eine Antwort auf den Angriff auf die landständische Verfassung im Kölner Krieg. Kurfürst Gebhard Truchsess von Waldburg hatte versucht, die Erblandesvereinigung des Herzogtums Westfalen auszuhebeln, in dem er Unterschiede zwischen der rheinischen und der westfälischen Version ausspielte und eine Abänderung des Landtagsverfahren anstrebte. Doch er scheiterte am Widerstand der Landstände und an der bereits etablierten landständischen Verfassung. In einer Bottom-up-Initiative forderten die Landstände daraufhin eine Neufassung der Erblandesvereinigung. Die folglich ausgearbeitete Neufassung fixierte erstmals die bisher ungeschriebenen Verfahrensregeln eines Landtags schriftlich und band das Domkapitel in den Ablauf eines westfälischen Landtags ein. Die Entwicklung der landständischen Verfassung im Kurfürstentum Köln wurde von der Partizipation der ‚Kleinen Welt‘ der Landstände getragen, die sich den Top-down-Bemühungen der Kurfürsten entgegenstellten.

Einen Bericht über erste Forschungsergebnisse zur Herrschaftsweise des Kölner Domkapitels im Vest Recklinghausen lieferte Philipp GATZEN (Bonn) im dritten und letzten Vortrag der Sektion II. Aus den Quellen zur ‚Kleinen Welt‘ des Vests Recklinghausen setzt sich das Bild des domkapitularischen Oberhofs Oer als einer besonderen Unterherrschaft zusammen. Die unterherrschaftlichen Beamten vor Ort waren durchaus in der Lage, dem Landesherrn Schwierigkeiten zu bereiten. Dies zeigt beispielhaft der langjährige Konflikt um die Gerichtsbarkeit. Im Jahr 1612 wurde das Erbvogteigericht in Recklinghausen als erstinstanzliches Gericht für die Höfe des Domkapitels aufgehoben. In der Folge kam es immer wieder zu Kompetenzstreitigkeiten zwischen dem Hofgericht und dem kurfürstlichen Gericht in Recklinghausen. Daneben lassen sich auch Auseinandersetzungen mit anderen Akteuren festmachen. Das zeigt das Fallbeispiel der Teilnahme des domkapitularischen Vertreters an den vestischen Landtagen, obwohl das Domkapitel dort keinen festen Sitz hatte und ihm 1692 der Zugang zum vestischen Landtag verwehrt worden war. Das Domkapitel berief sich auf die in der Erblandesvereinigung verbrieften Rechte und versuchte argumentativ eine Asymmetrie aufzubauen. Erst eine Machtverschiebung sorgte letztlich dafür, dass sich das Domkapitel in diesem Konflikt durchsetzen konnte.

Einen Vergleich frühneuzeitlicher Herrschaft vor Ort im Europa zwischen dem Westfälischen Frieden und der napoleonischen Zeit bot Stefan BRAKENSIEK (Duisburg-Essen) in seinem Abendvortrag. Dazu wurden als zwei Aspekte lokaler Herrschaft die Auswahl der Amtsträger vor Ort sowie die Förderung der Kooperation der Untertanen mit dem Herrscher genauer betrachtet. In den großen ,zusammengesetzten‘ Monarchien wurde bis in das 18. Jahrhundert hinein meist kein Versuch unternommen, den Alltag vor Ort mit eigenem Personal vollständig zu kontrollieren. Stattdessen war eine Form der indirekten Herrschaft üblich, in der wenige delegierte Amtsträger des Monarchen gemeinsam mit den aristokratischen Großgrundbesitzern sowie den lokalen und regionalen Herrschern in einer hierarchisch geordneten Kooperation agierten. Angesichts ihrer mitunter prekären politischen Lage und den begrenzten militärischen Mitteln entwickelten einige Fürsten des Alten Reichs ein besonders ausbalanciertes Herrschaftsverhältnis zu Unterherrschaften und Untertanen.

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Florian BESTE (Bonn) zeigte am Beispiel der Reichsabtei Burtscheid unter der ersten Äbtissin Helswindis I. von Gymnich (1219-1269) Möglichkeiten der Konsolidierung und Krisenbewältigung auf. Anhand zweier Konflikte verdeutlichte er, wie die Zisterzienserinnen bereits in der Gründungsphase der Abtei um ihre Rechte kämpfen mussten. Streitigkeiten habe es sowohl um die rechtliche Stellung des Vogts im Verhältnis zum Konvent als auch um die Höhe der Abgaben einer vom Konvent abhängigen Kirche an den Dechanten des Aachener Marienstiftes gegeben. Als Parallele in beiden Fällen identifizierte Beste das proaktive Handeln der Zisterzienserinnen, die sich in Reaktion auf anhaltende Bedrohungen durch den Vogt sowie den Dechanten wahlweise an den Papst oder den König als höchstmögliche Instanzen wandten, um den Konflikt zu ihren Gunsten beizulegen. Auffällig sei hierbei mit Blick auf das Thema der Tagung, dass die Äbtissin sich nicht etwa an den Erzbischof als die nächstgrößere ,Welt‘, sondern gleich an die höchstmögliche verfügbare Autorität gewandt habe, sodass die vorgestellten Konflikte auf der Ebene der ‚Kleinen Welt‘ der Abtei letztlich durch Schiedsverfahren im Auftrag der ‚Großen Welten‘ gelöst wurden.

Ähnliche und zugleich divergierende Vorgehensweisen im Umgang mit Konflikten innerhalb der ‚Kleinen Welten‘ der mittelalterlichen Frauenkonvente schilderte Andrea STIELDORF am Beispiel der Streitigkeiten um den und mit dem Vilicher Frauenkonvent im 13. und 14. Jahrhundert, dessen Verhältnis zur Außenwelt ebenfalls immer wieder durch Konflikte mit den Vögten, aber auch mit den Erzbischöfen von Köln geprägt war. Obwohl die Reichsunmittelbarkeit des Klosters nominell bestätigt gewesen sei, entbrannten mehrfach Konflikte in Fragen der schriftlich bescheinigten Privilegien der freien Vogt- und Äbtissinnenwahl. Diese hätten sich wiederum in der Ausstellung aktualisierter Bestätigungen und überarbeiteter Beglaubigungsmittel[1] niedergeschlagen. Hervorzuheben sei in diesem Zusammenhang, dass Transsumpte königlicher Urkunden den ‚Kleinen Welten‘ als Ausweis einer materialisierten Herrschernähe und Reichsunmittelbarkeit dienen konnten. Anders als im Fall der Äbtissin von Burtscheid habe sich die Vilicher Äbtissin zur Lösung der Streitigkeiten jedoch nicht an die ‚größtmögliche‘ sondern an verschiedene nächstgrößere Welten gewandt, sodass der Kölner Erzbischof nicht nur als Konfliktgegner, sondern auch als potenzieller Konfliktlöser aufgetreten sei. Das Beispiel zeige somit, dass Fraktalität durchaus ein Vorteil für ‚Kleine Welten‘ gewesen sei, da sie in Konflikten mitunter auf verschiedene ‚Große Welten‘ zurückgreifen konnten.

Naemi WINTER (Bonn) schilderte, wie die spätmittelalterlichen Fälschungen des Klosters St. Eucharius-Matthias vor Trier auf einen genuin pragmatischen Umgang mit Urkunden als Beglaubigungsmedium zurückzuführen seien, wonach der umfassende Fälschungskomplex von weit über zwanzig Pseudo-Originalen mit teils recht offensichtlichen Fälschungsmerkmalen als Ausgleich für die infolge eines Raubes verlorenen Originale entstanden sei. Auf dessen Basis seien später neue Bestätigungsurkunden aus dem erzbischöflichen Umfeld erwirkt worden, welche die Rechte des Konventes bekräftigten. Bei einem durch Papst Urban IV. veranlassten Verfahren gegen den Abt, der am Raub der Urkundenoriginale beteiligt war, fungierte die Gesta Henrici (archiepiscopi) et Theoderici abbatis des Mönches Heinrich von St. Matthias inklusive der darin enthaltenen päpstlichen Schreiben aus der Frühphase des Konfliktes wiederum als Streitschrift. Auch im Fall dieses Konventes, in der die Urkundenfälschungen wie auch die Gesta Henrici als Medien materialisierter Nähe zu ‚größeren Herrschaften‘ fungiert hätten, habe Schriftlichkeit eine strategische Bedeutung in der Lösung von Konflikten ‚Kleiner Welten‘ eingenommen.

Dass mittelalterliche Medien auch aufgrund ihrer Öffentlichkeitswirksamkeit als Mittel zur Kommunikation in ‚Kleinen Welten‘ dienen konnten, zeigte Sophia Victoria CLEGG (Bonn) am Beispiel von Inschriften als Zeugnissen des Verhältnisses zwischen Bischöfen und ‚ihren‘ Städten am Niederrhein und in Westfalen auf. Während bischöfliche Bauinschriften etwa zum Ausdruck von Herrschaftsansprüchen sowie zur Kennzeichnung von Städten als Herrschaftsräumen gedient hätten, zeugten städtische Inschriften hingegen oftmals von der Abwehr entsprechender Herrschaftsansprüche und dienten zum Ausdruck des städtischen Selbstverständnisses als selbstständige Stadt. Sowohl die bischöflichen als auch die städtischen Inschriften sorgten als Gedächtnismedien durch ihre Sichtbarkeit zudem für eine Öffentlichkeitswirksamkeit, die den darin enthaltenen Ansprüchen der jeweiligen Auftraggeber zu einer fortwährenden Reaktualisierung in der kollektiven Erinnerung der Rezipienten verhalf.

Als ein Verhältnis zwischen freundschaftlicher Nähe und vorsichtiger Distanz charakterisierte Manuel HAGEMANN (LVR, Pulheim) das Verhältnis kleiner Herrschaften am Niederrhein zum Klever Hof im Spätmittelalter. Am Beispiel von sechs Unterherrschaften im klevisch-geldrisch-münsterischen Grenzraum erläuterte er, dass lokale Herrlichkeiten als Inhaber ‚Kleiner Welten‘ durchaus einen großen Einfluss auf die ‚Großen Welten‘ haben konnten, deren Hof(staat) sie bildeten. Die vorgestellten Beispiele zeigten, dass die kleinen Herrschaften sehr unterschiedliche Voraussetzungen mitbrachten, die ihre Möglichkeiten zur Einflussnahme bedingten. Gemeinsam sei den Inhabern kleiner Herrschaften im Grenzraum jedoch gewesen, dass sie den Ausbau der eigenen Herrschaft durch Maßnahmen zur Annäherung an – aber auch zur Abgrenzung von – großen Herrschaften zu erreichen suchten. Ämter am Klevischen Hof sowie eine geschickte Heiratspolitik seien Mittel gewesen, um den eigenen Rang zu erhöhen beziehungsweise zu verfestigen und den kleinen Herrlichkeiten selbstständiges politisches Handeln zu ermöglichen. Dabei hätten die Unterherrschaften in der Regel guten Kontakt zu verschiedenen größeren Herrschaften gepflegt, um der Abhängigkeit von einem übermächtigen Oberherren zu entgehen.

Abschließend stellte Till BODDEN (LAV NRW, Duisburg) ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördertes Projekt vor, in dessen Rahmen unter anderem über 5.000 Akten aus den Beständen von Geldern und Moers digitalisiert wurden. Anhand eines Nachbarschaftsstreits an der Kendel schilderte Bodden ferner die geldrisch-moersischen Limiten im frühen 18. Jahrhundert und lieferte somit einen Betrag zur Ergründung der Handlungsspielräume ‚Kleiner Welten‘ in preußischer Zeit. Die Konfliktparteien hätten sich zur Lösung des Konflikts vor allem mit Beschwerden und Appellen an die jeweiligen Regierungen als nächst höhere Instanzen gewandt. Diesen sei es gelungen, in den meisten Streitpunkten intern eine Lösung zu finden. In einem Punkt aber hätte die preußische Regierung in Berlin als ‚Große Welt‘ schlichtend eingreifen müssen, da eine Konfliktbeilegung auf Ebene der ‚Kleinen Welten‘ nicht möglich gewesen sei. Erwähnenswert sei hierbei, dass die Weisungen der jeweils höheren Instanzen beachtet worden seien, aber auch die höheren Ebenen bei der Entscheidungsfindung die Berichte und Einschätzungen der unteren Ebenen beachtet hätten.

Dr. Thomas Becker | ©FNZRLG

Den Abschluss der Tagung bildete eine Würdigung des Wirkens von Thomas Becker, dem die Tagung anlässlich seines Eintritts in den Ruhestand gewidmet ist. Becker war Lehrbeauftragter am Institut für Geschichtswissenschaft. Seit 1995 hatte er die Leitung des Archivs der Universität Bonn inne. Seit 2011 war er zudem mit der Leitung des Universitätsmuseums beauftragt. Daneben war und ist Becker Mitglied in diversen Arbeitskreisen, wissenschaftlichen Beiräten und Gesellschaften, darunter etwa in der Geschäftsführung der Arbeitsgruppe ‚Universitätsgeschichte‘ zur Vorbereitung der 200-Jahr-Feier der Universität Bonn. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die Geschichte des Rheinlandes in der Frühen Neuzeit, insbesondere des Kurfürstentums Köln, die Universitätsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts sowie die katholische Konfessionalisierung, Hexenverfolgung und Volksfrömmigkeit in der Frühen Neuzeit, zu denen er zahlreiche Monographien und Aufsätze verfasst sowie Sammelbände herausgegeben hat. Im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Leiter des Universitätsarchivs und des Universitätsmuseums nahm er überdies zahlreiche Aufgaben im Kontext der Öffentlichkeitsarbeit wahr, erstellte die jährliche Universitätschronik und bildete Fachangestellte für Medien- und Informationsdienste in der Fachrichtung Archiv aus.

Eine Drucklegung der Beiträge dieser durch den Landschaftsverband Rheinland geförderten und vom Blog ‚Histrhen. Rheinische Geschichte wissenschaftlich bloggen‘ begleiteten Tagung in einer Schriftenreihe des Zentrums ,Macht und Herrschaft‘ der Universität Bonn ist geplant.

Das Tagungsprogramm finden Sie hier.

 

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[1] Explizit handelt es sich hier um das Vilicher Konventssiegel, welches den Anspruch des Konvents auf Unabhängigkeit im Siegelbild repräsentiert. Das betreffende Typar hat Stieldorf vor der Tagung bereits in einem kurzen Beitrag in Histrhen ausführlicher behandelt.

Zitierweise:
Traichel, Simone/ Werner, Severin: Zwischen ‚Kleinen‘ und ‚Großen‘ Welten. Herrschaft vor Ort im Rheinland der Vormoderne. Tagungsbericht, in: Histrhen. Rheinische Geschichte wissenschaftlich bloggen, 19.02.2024, http://histrhen.landesgeschichte.eu/2024/02/tagungsbericht-herbsttagung-2023-kleine-welten-rheinland

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