Wer sich in den vergangenen vierzig Jahren mit der weitverzweigten Kölner Architekturgeschichte beschäftigt hat, wird wahrscheinlich auch auf den Namen Wolfram Hagspiel gestoßen sein. Das gilt insbesondere, wenn das 20. Jahrhundert von Interesse ist und wenn es um bisher wenig beachtete Akteure geht. Der Kunst- und Architekturhistoriker Wolfram Hagspiel wurde 1981 mit einer Arbeit über den Architekten Wilhelm Riphahn promoviert, dessen bekanntestes Bauwerk das Kölner Opernhaus von 1957 ist. Seit der Zeit seiner Promotion und bis zum Jahr 2011 war Hagspiel als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Amt des Kölner Stadtkonservators tätig. Er veröffentliche zahlreiche Bücher und wissenschaftliche Beiträge, von denen hier nur zwei besonders wichtige genannt werden sollen: Gemeinsam mit Hiltrud Kier und Ulrich Krings brachte er 1986 eine Bestandsaufnahme zur Kölner Architektur der 1950er Jahre heraus, die als frühes Beispiel für die Auseinandersetzung mit dieser gebauten Zeitschicht der Stadt auch über Köln hinaus Zeichen gesetzt hat. Rund ein Vierteljahrhundert später, 2010, erschien Hagspiels reich bebildertes Nachschlagewerk Köln und seine jüdischen Architekten, das vergessene Biografien und ein in gewisser Hinsicht unsichtbares Bauerbe zugänglich machte. 2021 ist Wolfram Hagspiel verstorben, dennoch konnte nun noch posthum sein opus summum erscheinen, das dreibändige Lexikon der Kölner Architekten vom Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert, in das jahrzehntelange Archivarbeit und eine kaum zu überblickende „graue Literatur“ eingegangen sind. Herausgegeben wurde das Lexikon von Ulrich S. Soénius, die Auswahl der in ihm genannten Personen wurde noch von Wolfram Hagspiel vorgenommen.
Schon zum Zeitpunkt, zu dem diese Rezension erscheint, hatte es sich in den Kölner Fachszenen von Stadtgeschichte, Architektur und Denkmalpflege herumgesprochen, dass dieses Werk eine „Goldgrube“ sei. Laut Verlagsangabe verzeichnet das dreibändige Lexikon über 10.300 Personen. Neben Architektinnen und Architekten nahm Hagspiel auch Akteure des handwerklich geprägten Bauens, Bauingenieure und Statiker sowie Angehörige der öffentlichen Bauverwaltung und der Bauwirtschaft in das Lexikon auf, sodass ein breiteres, auch realistischeres Bild der historischen Baukultur entstanden ist, als bei einer engeren berufsständischen Auswahl. Die Werklisten der Architektinnen und Architekten werden nicht nur in Auswahl wiedergegeben, sondern möglichst umfassend, sodass auch bei Namen, die den Leserinnen und Lesern bereits vertraut sind, manchmal noch unbekannte Projekte beziehungsweise neue Verknüpfungen mit bekannten Bauwerken sichtbar werden. Bei umfangreicheren Einträgen wird die Orientierung dadurch erleichert, dass „Bauten in Köln“ stets getrennt von „Bauten außerhalb“ angeführt werden.
Verständlicherweise lässt sich ein Werk dieses Umfangs im Detail nur stichprobenartig würdigen und beurteilen. Gerade bei weniger prominenten, aber dessen ungeachtet produktiven Architekten zeigt das Lexikon seine Stärken. Erstaunlich ergiebig ist beispielsweise der Eintrag über Aloys Böll, einen 1951 verstorbenen Architekten, der sich keineswegs nur dadurch auszeichnet, dass er ein Onkel des Literaturnobelpreisträgers Heinrich Böll war. Einige Artikel, wie etwa jener über den Architekten, Musiker und Komponisten Helmut Goldschmidt treten als umfassende, fast essay- oder nachrufartige Würdigungen hervor. Überraschende Einsichten gibt es an vielen Stellen: Dass Clemens Klotz der Architekt der nationalsozialistischen „Ordensburg“ Vogelsang in der Eifel war, ist spätestens seit der Inwertsetzung dieses Ortes als Dokumentationsstätte und Kulturzentrum weithin bekannt. Hagspiels Artikel zu Klotz überrascht mit der Angabe, dass dieser sich 1930 um die Direktorenstelle des Bauhauses in Dessau beworben hatte – offensichtlich vergeblich, denn diese Aufgabe wurde dann von dem aus Aachen stammenden Ludwig Mies van der Rohe übernommen.
Wer das Lexikon der Kölner Architekten benutzt, wird darüber hinaus schnell bemerken, dass es auch ungewöhnliche, teils kuriose Informationen enthält und dadurch gewissermaßen zwischen den Zeilen die Kölner Sozial- und Alltagsgeschichte durchscheint. So erfährt man etwa, dass der oben genannte Clemens Klotz „vor 1942 Mitglied im Kölner Männer-Gesang-Verein“ war, wer mit wem verheiratet und verwandt war und ist („Ur-Ur-Enkelin des Porzer Industriellen und Feilenfabrikanten Ernst Otto Stursberg“) und dass ein 1894 verstorbener Abbruchunternehmer auch als Barbier tätig gewesen ist. Zudem werden – hier zeigt sich der entschieden lokalgeschichtliche Zuschnitt des Lexikons – mit der Ausnahme von noch lebenden Personen wo immer möglich Kölner Wohnadressen genannt.
Neben dieser hier nur angedeuteten Fülle wird ein nicht geringer Teil des Lexikons durch Einträge zu Personen bestimmt, von denen nur äußerst fragmentarische Informationen vorliegen, was keineswegs nur frühere Jahrhunderte betrifft. Hier stellt sich manchmal die Frage nach dem enzyklopädischen Mehrwert, aber die Bruchstückhaftigkeit ist eben eine Folge der angestrebten möglichst vollständigen Erschließung vorhandener Quellen. Die alphabetisch sortierten Literaturangaben sind dankenswerter Weise oft mit Stichworten versehen, die verdeutlichen, auf welches Bauwerk eines Architekten sich die Einträge jeweils beziehen. Manchmal bleiben sie aber auch etwas knapp und rätselhaft, wenn beispielsweise schlicht ganze Ausgaben einer Tageszeitung genannt werden. Insgesamt erhält das Lexikon dadurch in Teilen den Charakter eines Registers oder einen Datenbank, was jedoch eher eine Eigentümlichkeit ist als ein Mangel. Vielmehr wird deutlich, dass es sich notwendigerweise um ein work in progress handelt, das vom Autor leider nicht mehr abgeschlossen werden konnte.
Vorangestellt ist dem über 2.000 Seiten umfassenden Werk neben einem Vorwort des Herausgebers eine lediglich einseitige, im Verhältnis zum Ganzen also ausgesprochen knappe „Einleitung“. Wolfram Hagspiel erläutert dort die Genese des Lexikonprojektes, seine Herangehensweise und den Quellenbestand. Es nötigt noch einmal großen Respekt ab, mit welcher Ausdauer er umfangreiche Archivbestände systematisch durchgearbeitet hat. Wie schön wäre es gewesen, in einem ausführlicheren Einführungskapitel noch mehr aus dem Erfahrungsschatz des Autors zu erfahren, zum Beispiel welche Forschungsdesiderate er identifiziert hat und ob sich aus der Arbeit an den Biographien übergeordnete Beobachtungen ergeben haben.
Leserinnen und Leser des Lexikons der Kölner Architekten werden, je nach eigenem fachlichen Schwerpunkt, in unterschiedlicher Weise den Wert dieses Nachschlagewerkes zu schätzen wissen. Für Fachbibliotheken und alle, die sich wissenschaftlich oder vermittelnd mit Architektur- und Stadtgeschichte im Rheinland befassen, wird es bestimmt zu einem Standardwerk werden. Nicht zu unterschätzen ist auch der Gewinn für Denkmalwertprüfungen, wenn also die Urheberinnen und Urheber von historischen Bauten in Köln und Umgebung nun besser biografisch fassbar werden. Für ein breiteres und überregionales Publikum ist das Lexikon dagegen wohl zu materialreich und auch zu unerschwinglich.
Wolfram Hagspiel: Lexikon der Kölner Architekten vom Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert (Veröffentlichungen des Kölnischen Geschichtsvereins e.V. 52), hrsg. von Ulrich S. Soénius, Wien/Köln 2022, 3 Bände, 2.176 Seiten, ISBN: 978-3-412-52446-3
Zitierweise:
Kleinschrodt, Alexander: Rezension zu “Wolfram Hagspiel: Lexikon der Kölner Architekten vom Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert (Veröffentlichungen des Kölnischen Geschichtsvereins e.V. 52)”, in: Histrhen. Rheinische Geschichte wissenschaftlich bloggen, 26.08.2024, http://histrhen.landesgeschichte.eu/2024/08/lexikon-der-koelner-architekten-vom-mittelalter-bis-zum-20-jahrhundert