,Kleine‘ und ,Große Welten‘ im Rheinland der Vormoderne Agency und asymmetrische Herrschaftskommunikation in lokaler Perspektive

König Adolf von Nassau transsumiert am 7. Juli 1292 die Urkunde König Ottos III. für den Vilicher Frauenkonvent vom 18. Januar 987. Hierzu wird auch das Herrschermonogramm Ottos III. nach dem Vorbild seiner Urkunde nachgezeichnet. LA NRW, Abt. Rheinland, AA_0528, Nr. 24

Die folgenden Ausführungen bilden den Auftakt zu einer kleinen Reihe von Beiträgen aus dem Kontext eines epochenübergreifend angelegten Forschungsvorhabens, das derzeit am Institut für Geschichtswissenschaft erarbeitet wird und die intensiven Forschungen der vergangenen Jahre an der Universität Bonn zum Thema „Herrschaft“ um eine rheinische Perspektive erweitern soll.

Warum ‚Kleine‘ Welten? Und warum ‚Große‘ Welten? Die Idee hinter diesem derzeit von der Transdisciplinary Research Area 5 „Present Pasts“ geförderten Projekt ist es, an rheinischen Case Studies aus Mittelalter und Früher Neuzeit zu untersuchen, wie die Kommunikation zwischen untergeordneten und übergeordneten Herrschaftsebenen gestaltet wurde. Dabei geht es sowohl um die Inhalte als auch um Medien und Arten des Kommunizierens. Statt überwiegend nach Top-down-Prozessen zu fragen, sollen insbesondere Formen, Ziele und Wirkungsweisen von Bottom-up-Prozessen in den Mittelpunkt der Untersuchungen gestellt werden, also die Einflussmöglichkeiten der ‚Kleinen‘ auf die ‚Großen‘ Welten betrachtet werden.

Es geht darum, den bislang nur gelegentlich vollzogenen Perspektivwechsel zu klassischen Fragen der Herrschafts- und Territorialgeschichte konsequenter umzusetzen und die skizzierte Fragestellung zunächst für das Rheinland zu untersuchen. So nehmen wir weniger Maßnahmen zur Herrschaftslegitimierung und -durchsetzung in den Blick, sondern analysieren die Möglichkeiten untergeordneter, häufig ländlich verorteter Herrschaftsträger (‚Kleine Welten‘), ihre Interessen gegenüber ihnen übergeordneten, zentraler agierenden Herrschaftsträgern (‚Große Welten‘) zum Ausdruck zu bringen und gegebenenfalls auch durchzusetzen. Wir gehen davon aus, dass zwischen den Akteuren der ‚Kleinen‘ bzw. denen der ‚Großen Welten‘ asymmetrische Herrschafts- und Machtbeziehungen bestanden, deren Reziprozität nun stärker in den Fokus gerückt werden soll. Hierzu soll der Begriff der Agency als Analysetool für die Handlungsoptionen der ‚Kleinen Welten‘ genutzt, aber auch kritisch hinterfragt werden[1]. Im Mittelpunkt stehen insbesondere die Kommunikationsräume zwischen den jeweiligen Akteuren, in denen diese asymmetrischen Herrschaftsbeziehungen verhandelt werden, mit den eingesetzten Medien, argumentativen Strategien sowie performativen Handlungen.

Charles Dupuis, Blick vom Kreuzberg auf die Stadt Bonn mit der wiederaufgebauten kurfürstlichen Residenz 1777. Bildquelle: KuLaDig

Unser Begriff der ‚Kleinen‘ Welten versteht diese im Sinne von durchaus, aber nicht zwangsläufig im ländlichen Raum angesiedelten (politischen) Akteuren und ihrem Interagieren mit ihnen herrschaftlich übergeordneten Instanzen, die räumlich zentraler angesiedelt sein können, dies aber keineswegs sein müssen[2]. Bei den ‚Kleinen‘ Welten handelt es sich beispielsweise um die Äbtissinnen von Frauenkonventen im Rheinland, die insbesondere in ihrem Handeln gegenüber den Kölner Erzbischöfen aber auch weltlichen Fürsten betrachtet werden. Aber auch andere Herrschafts- und Amtsträger werden in ihrer Interaktion mit den Kölner Erzbischöfen untersucht. Je weiter sich das territoriale Machtgebilde der Kölner Erzbischöfe und Kurstaaten verfestigt, desto mehr verschiebt sich der Blickwinkel auch in institutioneller Perspektive. So wird danach gefragt, welche Möglichkeiten die lokalen Ebenen im Kurkölner composite state hatten und wie sich die Ausbildung ständischer Vertretungen vor diesem Hintergrund gestaltete. Allerdings ist der Kölner Erzbischof bzw. der Kurstaat nicht in allen Case Studies die ‚Große‘ Welt. In einer Studie zu „Krieg und Frieden in Inschriften bis 1650“ wird untersucht, welche Optionen ganz unterschiedliche Akteure – Städte, geistliche Einrichtungen, Bürger, adelige Familien unterschiedlichen Ranges – mit dem Medium Inschrift hatten, ihre Botschaften unterschiedlichen Öffentlichkeiten zu präsentieren.

Fragen der Teilhabe, Partizipation und Mitbestimmung, für die Geschichte des 19., 20. und auch frühen 21. Jahrhunderts gängige Untersuchungsgegenstände, sind in Studien zur Vormoderne vor allem für die spätmittelalterlichen Städte, ständische Vertretungen und im Kontext des auf dörfliche Strukturen ausgerichteten Forschungskonzepts „Kommunalismus“ (Peter Blicke) untersucht worden[3]. In unserem Vorhaben ist freilich erst noch zu erarbeiten, inwiefern die Akteure der ‚Kleinen Welt‘ ausschließlich für ihre eigenen Belange aktiv wurden oder ob sie bereits Gruppeninteressen im Blick hatten bzw. diese zumindest argumentativ nutzten oder ob sie zur Durchsetzung ihrer Interessen auf die Netzwerke von Peers zurückgriffen.

Ein nächster Schritt und zugleich Gelegenheit für weitere inhaltliche Perspektivierungen wird die Herbsttagung der Abteilung für Geschichte der Frühen Neuzeit und Rheinische Landesgeschichte des Bonner Instituts für Geschichtswissenschaft (IGW) am 25./26. September 2023 zum Thema „Zwischen ‚Kleinen Welten‘ und ‚Großen Welten`. Herrschaft vor Ort im Rheinland der Vormoderne“ sein, die in Kooperation mit der Abteilung für Historische Grundwissenschaften und Archivkunde sowie dem Verein für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande durchgeführt wird.

 


[1] Wichtige Anregungen hierzu stammen aus Ionuţ Epurescu-Pascovici, Human Agency in Medieval Society, 1100-1450, Woodbridge 2021. Mit Bruce Kapferer, Art. Agency, or Human Agency, in: Dictionary of Anthroplogy, hg. von Thomas Barfield, Oxford 1997, S. 4 verstehen wir Agency als „the capacity of human beings to affect their own life chances and those of others as well as to play a role in the formation of the social realities in which they participate“.

[2] Die Konzeption ‚Kleiner‘ und ‚Großer Welten‘ geht zurück auf Wendy Davies, Small Worlds. The Village Community in Early Medieval Brittany, Berkeley/Los Angeles 1988 und wurde jüngst aufgegriffen von Thomas Kohl/Steffen Patzold/Bernhard Zeller (Hg.), Kleine Welten. Ländliche Gesellschaften im Karolingerreich (Vorträge und Forschungen 87) Ostfildern 2019, wobei im vorgestellten Projektkonzept nicht mit einer starren Dichotomie von Zentrum und Peripherie gearbeitet werden soll, weil hier mit vielfältigen Überlagerungen zu rechnen ist; vgl. hierzu jüngst aus rheinischer Perspektive Michael Rohrschneider, Kurköln – ein geistlicher,composite state‘ der Frühen Neuzeit. Stand und Perspektiven der Forschung, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 85 (2021), S. 127-147.

[3] Vgl. z.B. den Sammelband Hansjörg Reinau/Jürgen v. Ungern-Sternberg, Politische Partizipation. Idee und Wirklichkeit von der Antike bis zur Gegenwart, Berlin 2013, der diesen Fragen transepochal nachgeht sowie Peter Blickle, Kommunalismus. Skizze einer gesellschaftlichen Organisationsform, München 2000.

 

Zitierweise:
Rohrschneider, Michael/Stieldorf, Andrea: ,Kleine‘ und ,Große Welten‘ im Rheinland der Vormoderne. Agency und asymmetrische Herrschaftskommunikation in lokaler Perspektive, in: Histrhen. Rheinische Geschichte wissenschaftlich bloggen, 19.01.2023, http://histrhen.landesgeschichte.eu/2023/01/kleine-und-grosse-welten-im-rheinland-der-vormoderne

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Michael Rohrschneider & Andrea Stieldorf

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