„Jeder nur ein Spray!“ Aufruf zur Dokumentation der Corona-Krise „vor Ort“

Konsumbeschränkungen in einem Duisburger Supermarkt 2020, Foto: Martin Schlemmer

Treffender als das titelgebende „Spray“ (Desinfektionsmittel) wäre vermutlich die „Rolle“ (Toilettenpapier) gewesen, doch hätte dies das Monty Python‘sche Versmaß gesprengt. Womit wir beim Gegenstand dieses Aufrufs wären: Während Bund und Länder bereits begonnen haben, einige Bestimmungen des „Shutdowns“ wieder zurückzufahren, droht vielerorts ein „Dokumentationsleck“ in Sachen „Corona-Krise“.

Notwendigkeit und Ziel der Dokumentation

Insbesondere die kleinen, aber äußerst zahlreichen, omnipräsenten Maßnahmen des alltäglichen Lebens laufen Gefahr, durch das „Dokumentationsrost“ zu fallen: all die kleinen Zettel, die uns über vorübergehende Geschäftsschließungen, Verhaltensmaßnahmen oder bald anstehende Wiedereröffnungen informieren, Markierungen zum Abstandhalten, Absperrflatterbänder, Desinfektionsspray-Stationen zur Desinfektion von Händen respektive Einkaufswagen, erste Schlangenbildungen in Geschäften, Apotheken und Postfilialen, Video- oder Audio-Dateien von Balkonkonzerten, mit „Corona-Auflagen“ versehenen Demonstrationen, Lautsprecherdurchsagen etc. – hier kann sicher jede und jeder die Liste beliebig weiterführen.

Provisorische Abstandsmarkierungen in einem Duisburger Supermarkt 2020, Foto: Martin Schlemmer

Um zu verhindern, dass all diese für uns derzeit alltäglichen Phänomene zum jetzigen Zeitpunkt nicht – und damit niemals mehr – dokumentiert werden, soll hier eine sehr niederschwellige Form der Dokumentation angeregt werden, wie sie jede und jeder ohne große Vorkehrungen, Kosten oder sonstige Aufwände leisten kann. Hierzu genügt es, wenn man die vielen kleinen „Corona-Baustellen“ vor Ort fotografiert, wie dies in einigen Beispielen, aber leider längst nicht flächendeckend, auch in Nordrhein-Westfalen beziehungsweise im Rheinland bereits erfolgt ist. Die Klärung von Fragen nach der Veröffentlichung, nach dem Veröffentlichungs-„Ort“ bzw. -rahmen sowie nach etwaigen rechtsrelevanten Aspekten kann zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen. Entscheidend ist jetzt vielmehr, unverzüglich mit der Dokumentation zu beginnen, um (weiteren) Dokumentationsverlusten vorzubeugen.

Beispiele aus Museen und Archiven

Wer sich einen ersten Überblick über das eine oder andere bereits angelaufene Projekt verschaffen will, findet hier vielleicht weiterführende Anregungen und lässt sich von den Kolleginnen und Kollegen in den entsprechenden Gedächtnisinstitutionen inspirieren, die schon mit Initativen und Tipps vorangegangen sind:[1]

  • Die Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen in Bayern empfiehlt, die Krise “zunächst durch Fotos von menschenleeren Plätzen, im Sicherheitsabstand an Kassen anstehenden Menschen und leeren Regalen […], durch das Aufbewahren von Verlautbarungen, Flugblättern o. ä., aber auch durch das Sammeln von Gegenständen wie „Bleibt zuhause!“-Transparenten oder Beispielen von in örtlichen Initiativen angefertigten Schutzmasken” zu dokumentieren, Aufnahmen über das “eingeschränkte persönliche und familiäre Leben, die Betreuung von Kindern oder Kranken sowie wirtschaftliche Auswirkungen” zu machen und Interviews aufzuschreiben.[2]
  • Das Stadtmuseums München präsentiert die Sonderausstellung „München in Zeiten von Corona – Fotografien von Olaf Otto Becker“.[3]
  • Das Fichtelgebirgsmuseum in Wunsiedel betreibt sein „Post Corona-Projekt Fichtelgebirge“ über einen Facebook-Account[4] und legt laut Bayerischem Rundfunk “ein digitales Archiv mit Dokumenten über die Corona-Zeit in der Region an. Fotos und Videos zum Beispiel von leergefegten Plätzen als Zeitdokumente können per E-Mail an das Museum gesendet werden“.[5]
  • Das Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg hat den „Sammlungsaufruf: Corona dokumentieren als Teil der Stadtgeschichte!” gestartet. Es ist “an digitalen als auch an physischen Bildern, genauso aber auch an Texten, Audios, Videos, Fotos, Objekten und Geschichten interessiert” und will damit das geplante Digitallabors “Aschaffenburg 2.0: Unsere Stadtgeschichte, unsere Zukunft” bereichern.[6]

Natürlich gibt es auch Beispiele aus dem Rheinland. So berichtet die „Aachener Zeitung“ von einem Projekt des Stolberger Stadtarchivs, das eine eigene Sammlung von Corona-Quellen initiiert hat.[7] Das Stadtarchiv des in Rheinland-Pfalz gelegenen Bad Kreuznach „schaffte es“ zu einem Bericht in WELT-online:

Abstandsmarkierungen in einem Duisburger Supermarkt 2020, Foto: Martin Schlemmer

„Von der persönlichen Geschichte, über Nähanleitungen für Masken bis zum Info-Flyer: Damit künftige Generationen wissen, wie sich das Leben während der Corona-Krise verändert hat, sammelt das Stadtarchiv Bad Kreuznach Zeitzeugnisse. «Wir sammeln heute unsere Geschichte für morgen», beschrieb Archivmitarbeiterin Sarah Förster am Mittwoch die Idee hinter dem Projekt. «Es ist eine sehr einschneidende Zeit für uns und das muss genauso dokumentiert werden.» […] Jeder Bürger der Stadt könne mitmachen und beschreiben, fotografieren, zeichnen oder filmen, wie sich zum Beispiel sein Arbeitsalltag oder das soziale Miteinander verändert habe. Interessant sei für die Archivare, verschiedene Perspektiven zu erhalten. […] Das Archiv sammelt laut Förster vor allem Material aus Bad Kreuznach und den Vororten. Auch Beiträge aus der Region würden genommen. Diese könnten online abgegeben oder beim Stadtarchiv vorbeigebracht werden. Dank eines alten Koffers vor der Archivtür sei das ohne direkten Kontakt zu den Mitarbeitern möglich. […]“[8]

Wie sollte vorgegangen werden?

  1. Einfach anfangen zu dokumentieren!
  2. Recherchieren, ob vor Ort ansässige Gedächtnisinstitutionen (Archiv, Museum, Bibliothek) entsprechende Projekte aufgesetzt haben.
  3. Kontakt aufnehmen und Details besprechen (z.B.: Wie gelangen die Unterlagen in den Fundus der Institution?)
  4. Metadaten sichern, sodass später für jedermann nachvollziehbar sein wird, was wo und wann aufgenommen respektive dokumentiert wurde.
  5. Entsprechende Erfahrungen, Resultate, Vorschläge, Hinweise, Tipps etc. hier im Blog präsentieren.

Abschließend gilt es, die Tatsache hervorzuheben, dass ein entsprechendes dokumentarisches Engagement in den Augen des Verfassers dieses Textes immer nur als Ergänzung zu eventuell bereits existierenden Projekten und Tätigkeiten örtlicher Gedächtnisinstitutionen zu betrachten ist, nicht als deren Konkurrenz. In Kooperation sollte sich am ehesten eine „flächendeckende(re)“ Dokumentation des „Corona-Geschehens“ erzielen lassen, und sei es auch „nur“ in der eigenen Stadt oder Gemeinde. Wünschenswert wäre es auch, dass verschiedene Projekte an zentraler(er) Stelle zusammengeführt werden könnten. Im Idealfall könnten auf diesem Wege Präsentation wie Auswertung der Dokumente quantitativ wie qualitativ optimiert oder doch zumindest verbessert werden. Das örtliche Stadtarchiv wäre eine denkbare Anlaufstation, doch wird sich der Autor dieser Zeilen zeitnah darum bemühen zu klären, ob eine „zentralere“ Lösung zumindest für den rheinischen Landesteil Nordrhein-Westfalens gefunden werden kann. Gerne können entsprechende Erfahrungen, die bereits gesammelt wurden, oder diesbezügliche konstruktive Vorschläge hier im Blog, z.B. in der Kommentarfunktion, lanciert und ventiliert werden.

 


[1] Vgl. hierzu auch der Artikel „Sonst ist es weg“, in: Junge Welt Nr. 87 (14. April 2020), S. 10.

[2] Dieser Passus findet sich unter https://www.museen-in-bayern.de/die-landesstelle/corona-hilfen.html (abgerufen am 23.04.2020; Link nicht mehr erreichbar, 10.07.2023, Anm. d. Red.).

[3] sammlungonline.muenchner-stadtmuseum.de/album/muenchen-in-zeiten-von-corona-fotografien-von-olaf-otto-becker-79.html [Link erloschen. Anm. d. Red. 18.12.2022].

[4] Vgl. https://www.facebook.com/pcprojektfichtelgebirge/ (abgerufen am 23.04.2020).

[5] Der vollständige Text und weitere Informationen sowie Links finden sich unter (abgerufen am 23.04.2020) – am 19.07.2021 von der Redaktion ersetzt durch https://fichtelgebirgsmuseum.de/file/pm-post-corona-projekt-fichtelgebirgsmuseen.pdf

[6] Mehr hierzu unter https://stadtarchiv-aschaffenburg.de/sammlungsaufruf-corona-dokumentieren-als-teil-der-stadtgeschichte (abgerufen am 23.04.2020).

[7] Online unter https://www.aachener-zeitung.de/lokales/stolberg/stolberger-stadtarchiv-sammelt-buergerperspektiven-ueber-corona_aid-50177295 (abgerufen am 23.04.2020).

[8] Der vollständige Text ist online verfügbar unter https://www.welt.de/regionales/rheinland-pfalz-saarland/article207425335/Stadtarchiv-sammelt-Corona-Zeugnisse-fuer-die-Zukunft.html (abgerufen am 23.04.2020).

 

Ziterweise:
Schlemmer, Martin: „Jeder nur ein Spray!“. Aufruf zur Dokumentation der Corona-Krise „vor Ort“, in: Histrhen. Rheinische Geschichte wissenschaftlich bloggen, 30.04.2020, http://histrhen.landesgeschichte.eu/2020/04/aufruf-corona-dokumentation/

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Dr. Martin Schlemmer

Über Dr. Martin Schlemmer

Studierte in Bonn Geschichte ∙ Arbeitete von 2005 bis 2009 beim Landesarchiv Baden-Württemberg ∙ Seit 2009 beim Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abt. Rheinland, Arbeitsschwerpunkte: Betreuung oberster und oberer Landesbehörden, Edition der Kabinettsprotokolle der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen. Seit Juni 2016 im Fachbereich Grundsätze, Zuständigkeit: Archivierung elektronischer Unterlagen

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