Endlos debattieren die Staatsoberhäupter über Krieg und Frieden in der Welt und hangeln sich von Konferenz zu Konferenz, ohne ein Ergebnis zu Stande zu bringen. Der nächste Kongress ist anberaumt, noch bevor der aktuelle zu Ende geht. Bis es ihnen reicht! Wem? Den Tieren! „Es liegt doch nicht an den Konferenzen, sondern an den Menschen!“, donnert wutentbrannt Oskar, der Elefant, und initiiert kurzer Hand „Die Konferenz der Tiere“ als pazifistische Gegenveranstaltung – zumindest in Erich Kästners 1949 erschienenem, gleichnamigem Kinderbuch [1]. Das Kommunikationsmittel Konferenz, dem die Tierwelt dabei eine produktive Rolle zuspricht, ist eine Versammlung eines qualitativ und quantitativ breiten Kreises von unmittelbar bis mittelbar beteiligten Akteuren zur Klärung und gegebenenfalls Lösung eines komplexen, multilateralen Problems. Sie ist auch ein außenpolitisches Strukturelement, das die europäische Geschichte in der Vergangenheit ebenso wie in der Gegenwart prägt. Waren in den letzten Jahrhunderten vor allem Kongresse zur Beendigung oder Verhinderung von Kriegen dominant, ist das Spektrum heute breiter und erfasst zahlreiche Politikfelder und Problemkreise. Das aktuellste Beispiel einer solchen multilateralen Konferenz größeren Ausmaßes bildet die Weltklimakonferenz (COP 23), die vom 6. bis 17. November in der Bundesstadt Bonn stattfindet.
Bis zu 20.000 Gäste erwartet die rund 300.000-Seelen-Stadt in diesen zwei Wochen; Wochen, die noch ganz im Zeichen der großen Pariser Vorgängerkonferenz (COP 21) stehen werden. Die konkrete Umsetzung der Pariser Beschlüsse soll nun in Bonn verhandelt werden – ein „Exekutionstag“ also, wie ein Frühneuzeit-Historiker vielleicht sagen würde; eine Konferenz jedenfalls, deren eminente politische Bedeutung niemand unterschätzen darf: Denn ein „Signal der Einheit“ soll nach dem Wunsch der Bundesumweltministerin Barbara Hendricks an die Regierung der USA geschickt werden, die ihren Ausstieg aus den noch jungen Vereinbarungen vor einigen Monaten verkündet hatte.
Bonn als Kongressort der Weltklimakonferenz 2017
Bonn wird mit der diesjährigen Klimakonferenz den größten diplomatischen Kongress in der Geschichte der Bundesrepublik begrüßen [2], um annähernd 10% wächst die Stadtbevölkerung für zwei Wochen. Vertreter aus aller Welt, darunter Staatsoberhäupter wie Bundespräsident Steinmeier oder Frankreichs Präsident Macron, aber auch prominente Klimaadvokaten wie Al Gore oder Leonardo di Caprio werden am Bonner UN-Gelände und dem World Conference Center Bonn (WCCB) zusammenkommen.
Groß ist die Aufgabe, doch hat sie Bonn sich keinesfalls selbst ausgesucht. Es waren die Delegierten der letzten Konferenz in Marrakesch, die Bonn zum Kongressort kürten. Offizieller Gastgeber ist Fidschi, da Fidschi aber dieser Größenordnung nicht gewachsen ist, findet die Konferenz am Sitz des UN-Klimareferats in Bonn statt, so dass der einladende Gastgeber zwar Fidschi bleibt, Deutschland aber als „technischer Gastgeber“ fungiert. Schon diese Konstruktion mutet barock an.
Groß sind auch die Herausforderungen. Die Konferenz will organisiert sein, die Teilnehmer/innen aus allen Kulturräumen der Welt müssen untergebracht werden, nicht zuletzt der Verkehr muss sichergestellt werden, ob zum Flughafen, mit der Bahn oder für die Bonner Pendler/innen. Endgültig aus dem alltäglichen Trott kommt die Stadt wegen des Sicherheitsaufwands. Großflächig wird das UN-Gelände abgesperrt und gesichert. Bis dahin zieren aber Baumaßnahmen das Areal um die Adenauerallee.
Baumaßnahmen? Das heißt in diesem Fall auch Investitionen des Bundes in die UN-Stadt. Bonn, von Steinmeier einmal als „Welthauptstadt für Nachhaltigkeit und Klimaschutz“ bezeichnet, will sich seinen Ruf verdienen. Was aber, wenn die Bonner Konferenz so endet wie ihre Vorgängerin 2009 in Kopenhagen? Kaum assoziieren Klimaschützer die dänische Hauptstadt nach der erfolgsfreien Konferenz noch mit ihren Absichten. Auch das Risiko des Scheiterns haftet der Organisation an, selbst wenn die Stadt Bonn das nicht mehr in der Hand hat.
Was also ist eine solche Konferenz für eine Stadt: Bürde oder Chance? Was haben Städte von diplomatischen Großevents? Bewerten lässt sich diese Frage wohl mit einer Perspektivenerweiterung auf frühere Kongresse, die in Europa und gerade im rheinisch-niederländischen Raum zeitweise alles andere als die Ausnahme waren.
Ein Blick zurück: Das Kongresswesen und die Stadt
Die Zeit von 1648 bis 1815 wird in der Geschichtswissenschaft und besonders in der Diplomatiegeschichte häufig als die „Phase der Kongressdiplomatie“ beschrieben, da sich seit dem Westfälischen Friedenskongress (1643–1649) in Münster und Osnabrück zur zwischenfürstlichen und zwischenstaatlichen Friedensfindung und Friedenswahrung immer wieder multilaterale Kongresse trafen, die mit allen Beteiligten eine akzeptable Konfliktlösung suchten, die den eigenen Interessen bestmöglich entsprach [3]: die Beispiele reichen von Westfalen über Nimwegen (1679), Rijswijk (1697), Utrecht (1711–1713), Aachen (1668 und 1748) bis ins schweizerische Baden (1714), um nur eine Auswahl zu nennen. Voraus ging solchen diplomatischen Kongressen in der Regel ein politisch-militärischer Klimawandel, der die Politik als Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln notwendig machte.
Gemeinsam ist diesen Kongressen der Frühen Neuzeit, dass sie stets an einem festen Ort stattfanden und noch heute in der Geschichts-Memoria über diesen Ort definiert werden: Die großen Friedensprozesse bleiben vom Mittelalter bis zu den Pariser Vorortverträgen immer mit den Namen der Städte verbunden und noch heute können Münster, Osnabrück oder Utrecht mit dem Label der „Friedensstadt“ werben und locken. Nicht anders ist es heute, war doch jedem klar, dass US-Präsident Donald Trump die große Klimakonferenz meinte, als er erklärte, er mache Politik für die Bürger von Pittsburgh und nicht von Paris. Kongress und Stadt gehen hier gemeinsame Wege, Voraussetzung dessen bleibt aber die historisch-kritische Erkenntnis: Was machte die Stadt zur Kongressstadt? Wie prägte der Kongress die Stadt und vice versa? Welche Herausforderungen standen an, wurden gelöst bzw. blieben ungelöst? Welche Verbindung bestand letztlich vom organisierten Raum der Stadt bzw. dem politischen Raum der Bürgerschaft zum diplomatischen Raum des Kongresses?
Das sind einige der Fragen, die derzeit nicht nur das Bonner Rathaus beschäftigen, sondern schon seit Längerem auch die diplomatiegeschichtliche Frühneuzeitforschung umtreiben. Dabei wird nach den sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Rahmenbedingungen einer Stadt und deren Einfluss auf das diplomatische Geschehen gefragt, was die Auflösung des wissenschaftlichen Bildes vom Kongresswesen beträchtlich erhöht hat. Zunehmend wird erkannt, dass landesgeschichtliche bzw. stadtgeschichtliche Erkenntnisgewinne nicht einfach nur zum kognitiven Beifang außenpolitischer Geschichte gehören, sondern auch die große Diplomatie ihre konkrete Verortung in Raum und Zeit hat. Die diesjährige Herbsttagung des Bonner Lehrstuhls für Geschichte der Frühen Neuzeit und Rheinische Landesgeschichte ist – wie zuvor auch andere Tagungen – wieder einen Schritt in diese Richtung gegangen [4]. Was eine Stadt für „ihren“ Kongress bietet oder nicht bietet, was sie zugleich von ihm erwartet und verlangt, kann entscheidend sein für den Verlauf des Kongresses: Diplomatisches Gelingen ist an viele Faktoren gebunden, der organisierte Raum ist einer davon.
Was braucht ein Kongress? Ergebnisse und Fragen der Kongressforschung
Was aber braucht ein Kongressort, um optimale Bedingungen zu schaffen? In Erich Kästners „Konferenz der Tiere“ versammelt sich die Tierwelt in einem nicht näher lokalisierten „Hochhaus der Tiere“, dem selbst das Bonner WCCB als Kongressort nachsteht: Ein eigener Hafen, Flugplatz und Bahnhof sichern die reibungslose Anreise, ein Hauptpostamt mit Brieftauben beschleunigt die Kommunikation, ein Dachgarten für Konzerte und Empfänge, eine Akademie für Dressurlöwen und ein Konservatorium für Singvögel und viele weitere Einrichtungen garantieren Abwechslung und Rundum-Versorgung, und nicht zuletzt werden Fleisch- und Pflanzenfresser räumlich in zwei Speisesälen getrennt versorgt [5]. Der perfekte Kongressort also! – und zugleich ein Präjudiz der Kriterien, die die Frühneuzeit-Forschung als Voraussetzungen eines Kongressortes definiert hat. Der Diplomatiehistoriker Heinz Duchhardt hat fünf Faktoren definiert, die eine Stadt zu einem geeigneten Kongressort machten: 1. Konfessionelle Offenheit (wir gehen für den frühneuzeitlichen Konfessionskonflikt von ähnlich konfliktträchtigen Gegensatzpaaren wie bei Fleisch- und Pflanzenfressern aus), 2. geeignete Infrastruktur, 3. Gewährleistung von Immunität und Sicherheit, 4. ein geeignetes Umland, das 5. aber nicht zu viele Ablenkungen bieten sollte [6].
Ähnlich wie im Falle Bonns waren es aber nicht die Städte selbst, die über ihr Los entscheiden konnten. Wo ein Kongress stattfand, klärten die beteiligten Fürsten (meist auf vorangehenden Kongressen), die Stadt wurde dann über ihr Schicksal nur benachrichtigt, was nicht heißt, dass Städte wie Köln und Aachen nicht aktiv versucht hätten, sich als Kongressstadt ins Gespräch zu bringen. Die oben genannten Kriterien sind insofern normativ zu sehen und bilden keine steuerbaren „Bewerbungsvoraussetzungen“ für Städte, sondern konnten, ja mussten oft erst nach getroffener Entscheidung etabliert werden.
So war es beispielweise für die westfälischen Verhandlungsorte 1643 zunächst notwendig, die von Köln nach Hamburg verlaufende Postroute über Münster und Osnabrück umzuleiten und weitere zu etablieren [7]. Quartiere mussten sich die Gesandten dabei meist selbst suchen, städtische Eliten leisteten hier höchstens Vermittlung. Aufschlussreich ist vor allem die Frage der Herstellung von Sicherheit, denn gerade bei Friedenskongressen tagte man nicht selten im Krisen- und Kriegsgebiet selbst. Osnabrück war von schwedischen Truppen besetzt, als es Kongressstadt wurde, und musste zunächst neutralisiert werden. Dass das alles andere als Routine war, zeigt der Fall des gescheiterten Kongresses von Köln 1673/74, der den Holländischen Krieg zwischen Frankreich mit Schweden und der Allianz aus Kaiser, Reich und den Niederlanden beenden sollte [8]. Hier wurde das eigentlich kriegsbeteiligte, kaiserliche Regiment zur städtischen Kongressgarde umgewandelt, schwor nun auf den Kölner Stadtrat, behielt aber Loyalitäten nach Wien bei. Das konnte nicht gut enden: Am 14. Februar 1674 entführten die kaisertreuen Offiziere den verfeindeten Kurkölner Gesandten und französischen Protegé Wilhelm Egon von Fürstenberg aus seiner Kutsche und verschleppten ihn nach Wien. Das versetzte den Friedensverhandlungen einen schweren Schlag, in Köln konnte keine Einigung mehr gelingen, da eine notwendigen Voraussetzungen – die Gewährleistung der Sicherheit – nicht gegeben war.
Die Frage der Sicherheit umfasst aber nicht nur die körperliche, freiheitliche Unversehrtheit, sondern auch die Eliminierung jeglicher Gefahr für die Ehre eines Fürsten, die durch den anwesenden Gesandten ebenfalls vertreten war. Das Auftreten eines Gesandten war wegen seiner repräsentativen Rolle sehr konfliktanfällig, keinesfalls durfte gegenüber dem Vertreter eines anderen Fürsten, ob verbündet oder verfeindet, eine nicht ranggemäße Präzedenz eingeräumt werden. Für den Fall, dass sich in den engen Straßen der Kongressstadt Rijswijk beispielsweise zwei Gesandten-Kutschen begegneten, sah Artikel 7 des Kongressreglements ein Rechtsfahrgebot in der Stadt vor – wenn keine Kutsche der anderen ausweichen musste, konnte kein Rangstreit entstehen [9]; pragmatische Lösungen waren möglich, doch musste auch ihnen erst ein Lernprozess vorausgehen [10].
Herausforderung der Analogie und Analogien der Herausforderungen
Die knappe Reihung der Beispiele zeigt, dass die herausgearbeiteten fünf Kriterien durchaus ihre Berechtigung haben. Für die Analogie zur Kongressstadt Bonn verdeutlicht der Blick in die Kongressorte der Frühen Neuzeit zudem, dass eine gastgebende Stadt mit ihren Rahmenbedingungen erheblichen Einfluss auf den reibungslosen und damit auch erfolgreichen Verlauf eines Kongresses nimmt: Ob Sicherheit, Infrastruktur oder flexible Handhabung bei der Gefahr kultureller Differenzkonflikte – die Kriterien der Frühneuzeitforschung gelten letztlich auch für die heutige Kongressorganisation in Bonn. Doch was nützt das Analogisieren?
Analogien zwischen den frühneuzeitlichen Kongressen und der Bonner Kongressvorbereitung wirken zunächst ahistorisch und anekdotisch, sind aber letztlich auch aufschlussreich: Die Historisierung der Perspektive gibt Hinweise auf Optionen und mögliche „windows of opportunity“, zugleich erhöht die historische Analogie die Achtsamkeit auf Entwicklungen und deren Bedingungen. Analogien müssen auf Strukturen und Konstellationen, auf Bedeutungszuweisungen und Bewertungen zielen und sollten nicht im Vergleich faktischer Einzelfälle zerbröseln. Mit der aktualisierenden Analogie verliert so mancher Blick in die Geschichte an Fremdheit, die historische Perspektive ist dabei eine von vielen, doch kann sie als Erkenntnismodell politisches und strategisches Denken und Diskutieren schärfen – das Projekt „A Westpahlia for the Middle East“ der Körber-Stiftung und dem Forum of Geopolitics der University of Cambridge ist hierzu ein prominentes Beispiel.
Wie also geht die nun werdende Kongressstadt Bonn die Herausforderungen an? Schon die Betrachtung infrastruktureller Maßnahmen weist auf die Zeitlosigkeit städtischer Belastungspunkte: Mit dem neuen Bahn-Haltepunkt Bonn/UN-Campus soll rechtzeitig vor Konferenzbeginn noch die Infrastruktur geschaffen werden, um den mit überdeutlicher Baustellen-Optik geschmückten Hauptbahnhof zu entlasten. Die fehlende S-Bahn-Direkt-Verbindung zum Flughafen wird sich dabei vielleicht deutlicher als Manko herausstellen als sonst. Doch auch abseits der Verkehrswege stellt die Infrastruktur eine entscheidende Kategorie der Kongressvorbereitung dar: Wo in Westfalen erst der Postreiter umgeleitet werden musste, schwächelte im WCCB lange das W-LAN. Reibungslose Kommunikation braucht auch im 21. Jahrhundert erst noch kompetente Gestaltungsenergie.
Hotels sind in Bonn schon lange ausgebucht, Hotelschiffe auf dem Rhein sind vorgesehen, um Privatunterkünfte wird seitens der Stadt ebenfalls gebeten und erste Schulen und Vereine stellen Hallen zur Verfügung. Vielen Kongressorten der Frühen Neuzeit wie Utrecht, Aachen oder Baden (Schweiz) kam zu Gute, dass sie als Kurorte über eine relative hohe Dichte gewerblicher Unterkünfte verfügten. Bonn steht dabei eher vor außergewöhnlichen Situationen.
In puncto Sicherheit wird ein mobiles Hochwasserschutzsystem Zeltstadt und Delegierte vor unvorhergesehenen Rheinschwemmen schützen und private Sicherheitsunternehmen im Verbund mit UN- und Landespolizei werden die beiden Kongresszonen in Rheinaue und am WCCB bewachen. Hinsichtlich der ausreichenden, aber nicht zu hohen Attraktivität des Bonner Umlands schweigt der Ortsansässige und verweist diplomatisch auf dessen Existenz.
Der Kongress und seine Folgen: Wird die „enthauptete“ Bundesstadt nun Weltstadt?
Ein Kongress ist für eine Stadt aber eine nicht nur (im begrenzten Maße) steuerbare Veranstaltung, sondern bringt für die Stadt auch vielfältige Folgen mit sich. Hier zeigen sich deutliche Analogien zum frühneuzeitlichen Kongresswesen, Auswirkungen lassen sich im kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Bereich erkennen.
Kulturell wird gerade die Bonner Stadtbevölkerung von einem breiten Rahmenprogramm aus rund vierhundert Veranstaltungen profitieren können, darunter Konzerte, Vorträge und Ausstellungen, die sich thematisch der Weltklimakonferenz annähern. Eine diplomatische Großversammlung bedarf unbedingt des kulturellen (Abend-)Programms. Was früher Gelegenheit zum informellen Austausch, Repräsentationsmöglichkeit und damit Distinktionsmöglichkeit bot, soll heute nicht zuletzt politische Einheit und Verständigung befördern, sowohl zwischen Verhandelnden als auch im Blick auf außenstehende Bürger. Kulturelle Folgen können aber auch manch städtischem Ritual einen Teil seiner Ritualität nehmen. Für den Bonner Martinsumzug wurde das zumindest zur Frage gestellt. Welche Auswirkungen der eklatant erhöhte Sicherheitsaufwand und die parallelen Demonstrationen auf den Karnevalsbeginn am 11. November haben werden, wird zu sehen sein. Nicht zuletzt die nach Abzug der klimafreundlichen Zeltstadt notwendige Renaturierung des Naturgebiets Rheinaue könnte manch geübten Bonner Spaziergänger vor kulturelle Verständnisschwierigkeiten stellen.
Neben den wirtschaftlichen Folgen, über die sich vor allem Bonner Hoteliers freuen werden, hofft die Stadt auf politische Folgen. Den Kongressstädten der Vormoderne ging es um Rangannäherung in der adeligen Fürstengesellschaft und damit letztlich auch um Privilegienerweiterung bis hin zu wirtschaftlichen Profiten. Gerade die durch die Anwesenheit der Diplomaten und Fürsten gesteigerte Ehre sollte über die Stadtgrenzen hinaus wirken und nicht zuletzt den nicht selten umstrittenen Status einer Stadt sichern oder erhöhen. Die Städte Münster und Osnabrück versuchten im Zuge des bei ihnen beherbergten Kongresses einen Status als Freie Reichsstadt zu verhandeln – beide auf ganzer Linie erfolglos. Hinzu kamen die Schulden der Kongressstädte, denn die Herstellung adäquater Lebensumstände für die Diplomaten von der Sanierung öffentlicher Häuser bis zur Durchführung von Banketten und Festen erforderte an städtischen Maßnahmen vor allem eines: Geld.
Wie aber die internationale Anwesenheit sich politisch vorteilhaft auswirken konnte, vermag das Beispiel der schweizerischen Kongressstadt Baden zu verdeutlichen, in der 1714 in einem dritten Anlauf der Spanische Erbfolgekrieg (1701–1714) sein Ende finden sollte. Das katholische Baden war nur zwei Jahre vor seiner Auswahl als Kongressort im Zweiten Villmerger Krieg von seinen protestantischen Nachbarn Zürich und Bern erobert worden und seines Status als eidgenössische „Bundesstadt“ verlustig geworden (der Bonner mag hier aufhorchen und in Gedanken ein „haupt“ einfügen). Eine internationale Aufwertung durch einen Kongress war in dieser Situation höchst willkommen [11]. Der britische Gesandte Abraham Stanyan vermutete gar: Baden „will grow more famous on account of the Congress held there” [12]. Langfristig nutzen konnte die eidgenössische Stadt diese kurzzeitige Aufmerksamkeit jedoch nicht, ihren einstigen Status erhielt sie nicht mehr zurück. Die Chance war durch den Kongress allerdings gegeben und prominente Unterstützung erfuhr die degradierte katholische Stadt beispielsweise durch den päpstlichen Gesandten am Kongress, Domenico Silvio Passionei [13].
Die Manifestation eines bestimmten Status‘ oder der Versuch, diesen erst zu erlangen oder zurück zu gewinnen, ist eine ebenso kennzeichnende Motivation von Kongressstädten wie das bloße Verlangen nach internationalem Ansehen.
Macht das Spektakel die Macht?
Woher aber generiert sich eine Stadt diese Aufmerksamkeit? Eine Voraussetzung ist Öffentlichkeit. Diese haben diplomatische Kongresse schon immer gesucht, nicht zuletzt aus einem immanenten Grund der Fürstengesellschaft: die ständige zeremonielle Repräsentation eines bestimmten Status, des fürstlichen Platzes in der Hierarchie. Oder wie es Barabara Stollberg-Rilinger formulierte: „Das Gesandtschaftszeremoniell war das symbolische Medium, in dem die völkerrechtliche Kategorie der Souveränität von der Theorie in die Praxis überführt wurde und in dem der Souveränitätsanspruch von einzelnen Akteuren praktisch durchgesetzt werden mußte“ [14].
Für Ludwig XIV. von Frankreich konnte dieser Status (wie für andere seiner gekrönten Zeitgenossen) nicht hoch genug sein und schon der Einzug seines Gesandten Henri Herzog von Longueville am 30. Juni 1645 in der Kongressstadt Münster sollte Sinnbild der Vorrangstellung des französischen Königs sein. Der vielfach beschriebene Prunk, mit dem der Herzog und Gesandte in den Kongressort einzog, wundert dabei nicht mehr: sechsspännige, reich mit Gold und Silber verzierte Kutschen, über einhundert Mann im Gefolge, Gardisten, Diener und Trompeter in einheitlichem Livrée, selbst die Gepäckwagen waren mit golden-silbernen oder mit der französischen Königslilie bestickten Decken überlegt. Die Stadt Münster begrüßte ihren Gast mit dreifachem Ehrensalut und Spalier der Stadtmiliz. Die Statusversicherung geschah also schon beim allerersten Auftritt, dem Einzug der Gesandtschaften in die Kongressstadt: Groß und prunkvoll musste es sein, wie der Fürst, den man vertrat.
Und heute? Spielt in demokratisch-liberalen Gesellschaften die zeremonielle Statusversicherung noch eine Rolle? Sicher, denn schon wenn die deutsche Umweltministerin am Weltklimagipfel eintrifft, braucht der Einzug politische Signalwirkung. Wie anders als mit einem „Train to Bonn“ könnte die Ministerin also in der Kongressstadt einziehen? Städtische Würdenträger werden sie empfangen und jeder wird darauf achten, dass der Oberbürgermeister auch persönlich anwesend ist, um die Ministerin zu begrüßen. Mit Gold und Silber verziert ist der ICE freilich nicht, doch mit dem regulären Linienverkehr zwischen Berlin und Bonn wollte man auch nicht anreisen. Schon im Zug wird zum Thema Klimaschutz debattiert und gesprochen; letztlich wird die politische Botschaft mit gleichen Mitteln transportiert wie schon in Münster: Hier kommen Vertreter/innen, die wissen wofür sie stehen – für König oder Klimapolitik.
Auch in der Frage von Rang und Hierarchie haben sich die Kongressmechanismen nicht allzu weit von der Frühen Neuzeit entfernt: Frankreich wird sich wie viele andere Staaten durch das Staatsoberhaupt, Präsident Macron, vertreten lassen, auch Bundespräsident Steinmeier und Bundeskanzlerin Angela Merkel werden nach Bonn kommen, viele weitere Minister und Regierungschefs werden es ihnen gleichtun. Die USA hingegen entsenden einen Staatssekretär – wer wollte der symbolischen Kommunikation von Rang und Zeremoniell da im 21. Jahrhundert noch seine Bedeutung absprechen?
„Weltstadt von Klimaschutz und Nachhaltigkeit“?
„Europa bin ich – nicht mehr eine Stadt“, hieß es 1815 in Wien [15]. Ähnlich ambitioniert verlautet auch in Bonn vielfach, man wolle sich – im Steinmeier’schen Diktum – als „Weltstadt von Klimaschutz und Nachhaltigkeit“ präsentieren. Den Zielsetzungen frühneuzeitlicher Kongressorte ist man in Bonn damit näher als gedacht: Es geht um internationales Renommee, Prestigegewinn und Statuserhalt einer UN-Stadt – die deutsche Bundesregierung lächelt bei den Terminen gerne mit, denn möglicherweise hört sie, wie sich leise der Schlüssel in der Hintertür des Bonn-Berlin-Gesetzes dreht.
Dass eine Stadt durch einen Kongress an Sozialkapital gewinnen kann, auch wenn nicht alle Bedingungen maximal erfüllt sind, ist sicher auch für die Bundesstadt Bonn mit anstehenden Gleisarbeiten zur Konferenzzeit und dem eher weniger attraktiven Baustellenflair um Hauptbahnhof und Münster eine verheißungsvolle Perspektive. Für die weltweite Kommunikation der sich bewerbenden Weltstadt wurde nun gerade rechtzeitig zur Klimakonferenz schon mal ein internationaler Twitter-Account “@Bonnglobal” eingerichtet. Ob die Stadt aus der Konferenz aber einen nachhaltigen Prestigegewinn wird ziehen können, hängt nun nicht mehr an ihr, sondern an den Ergebnissen der Weltklimakonferenz.
Ob also – so gesehen – ein Kongress wie die Weltklimakonferenz in Bonn Bürde oder Chance für eine Stadt ist, hängt in einer medial vernetzten Welt der kritischen Öffentlichkeit letztlich von den konkreten inhaltlichen Resultaten des Kongresses ab; denn der Ausruf Oskars, des Elefanten, kann nicht nur als Vorwurf gelesen werden, sondern auch als Aufforderung: „Es liegt doch nicht an den Konferenzen, sondern an den Menschen!“
[1] Kästner, Erich: Die Konferenz der Tiere. Nach einer Idee von Jella Lepmann. Mit Bildern von Walter Trier, Zürich 2013 [erstmals 1949].
[2] Schon 1995 und 2001 war Bonn Gastgeber für die Weltklimakonferenz, die damals aber noch in überschaubarer Größe stattfand.
[3] Duchhardt, Heinz: Friedenskongresse im Zeitalter des Absolutismus – Gestaltung und Strukturen, in: Repgen, Konrad (Hrsg.): Forschungen und Quellen zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges, Münster 1981 (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V., 12), S. 226–239.
[4] Siehe dazu den Tagungsbericht bei H-Soz-Kult (letzter Zugriff: 26.10.2017) und die Sammelbände der Tagungen zu den Kongressorten: Duchhardt, Heinz (Hrsg.): Städte und Friedenskongresse, Köln/Weimar/Wien 1999 (Städteforschung. Veröffentlichungen des Instituts für vergleichende Städtegeschichte in Münster, 49); Windler, Christian (Hrsg.): Kongressorte der Frühen Neuzeit im europäischen Vergleich. Der Friede von Baden (1714), Köln/Weimar/Wien 2016.
[5] Kästner: Konferenz (Anm. 1). S. 28f.
[6] Duchhardt, Heinz: Vorwort, in: ders. (Hrsg.): Städte und Friedenskongresse (Anm. 4), S. IX.
[7] Vgl. Tischer, Anuschka: Zwei Verhandlungsorte für einen Frieden: Die räumliche Dimension des riedenskongresses in Münster und Osnabrück (1644–1648), in: Windler (Hrsg.): Kongressorte (Anm. 4), S. 173–185; Steinwascher, Gerd: Der Westfälische Friedenskongress in Osnabrück: Probleme und Chancen einer halbsouveränen Stadt im Rampenlicht europäischer Diplomatie, in: Windler (Hrsg.): Kongressorte (Anm. 4), S. 155–172.
[8] Hierzu und für das Folgende Haug, Tilmann: Zwei Friedenskongresse und ein Entführungsfall: Köln und Nimwegen als Kongressorte während des Niederländischen Krieges (1673–1679), in: Windler (Hrsg.): Kongressorte (Anm. 4), S. 189–206, v.a. S. 195 sowie der von Michael Rohrschneider gehaltene Vortrag „Die verhinderte Friedensstadt: Köln als Kongressort im 17. Jahrhundert“ auf der oben erwähnten Tagung (Anm. 4).
[9] Schilling, Lothar: Zu rechtlichen Situation frühneuzeitlicher Kongreßstädte, in: Duchhardt (Hrsg.): Städte und Friedenskongresse (Anm. 4), S. 103 und 105.
[10] Dazu jetzt May, Nils F.: Zwischen fürstlicher Repräsentation und adeliger Statuspolitik. Das Kongresszeremoniell bei den westfälischen Friedensverhandlungen, Ostfildern 2016 (Beihefte der Francia, 82), S. 213–227.
[11] Stücheli, Rolf: Der europäische Frieden von Baden 1714, in: Bruin, Renger de/Brinkman, Maarten (Hrsg.) Friedensstädte. Die Verträge von Utrecht, Rastatt und Baden 1713–1714, Petersberg 2013, S. 79f. Ders.: Der europäische Friedenskongress von Baden 1714 und die Rolle der Eidgenossen, in: Windler (Hrsg.): Kongressorte (Anm. 4), S. 123f.
[12] Zit. n. Schilling, Lothar: Temples de la paix et de la sûreté publique au milieu des armes: Auswahl und Status frühneuzeitlicher Kongressorte, in: Windler (Hrsg.): Kongressorte (Anm. 4), S. 18, Anm. 4.
[13] Braun, Guido: Stadt und Kongress als Erfahrungs- und Handlungsräume eines kurialen diplomatischen Akteurs: Domenico Passionei in Baden, in: Windler (Hrsg.): Kongressorte (Anm. 4), S. 137f.
[14] Stollberg-Rilinger, Barbara: Völkerrechtlicher Status und zeremonielle Praxis auf dem Westfälischen Friedenskongress, in: Juncker, Michael/Kintzinger, Martin/Schwinges, Rainer Christoph (Hrsg.): Rechtsformen internationaler Politik. Theorie, Norm und Praxis vom 12. bis 18. Jahrhundert, Berlin 2011 (Zeitschrift für Historische Forschung. Beihefte, 45), S. 150f.
[15] Häusler, Wolfgang: „Europa bin ich – nicht mehr eine Stadt“. Die Haupt- und Residenzstadt Wien als Schauplatz des Kongresses, in: Duchhardt (Hrsg.): Städte und Friedenskongresse (Anm. 4), S. 135–158.
Zitierweise
Bechtold, Jonas: “Diplomatie vor der Haustür. Vom frühneuzeitlichen Kongresswesen zur Bonner Weltklimakonferenz”, in: Histrhen. Rheinische Geschichte wissenschaftlich bloggen, 03.11.2017, http://histrhen.landesgeschichte.eu/2017/10/diplomatie-vor-der-haustuer/
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