Landes- und Regionalgeschichte digital. Angebote – Bedarfe – Perspektiven Hrsg. von Martin Munke

Der 2022 erschienene Sammelband umfasst zwanzig Aufsätze, die in sechs Abschnitte geordnet sind. Die ersten beiden Aufsätze übernehmen dabei die Aufgabe, übergeordnete konzeptionelle Aspekte herauszuarbeiten, während die übrigen Beiträge konkrete Fallbeispiele vor allem in Bezug auf die sächsische Landesgeschichte, aber zum Teil auch auf andere historische Regionen behandeln. So hat dieser Sammelband auch den Charakter einer beeindruckenden Leistungsschau über das mittlerweile reichhaltige Angebot an (Landes-)Geschichte im Internet. Abgeschlossen wird er mit einem Verzeichnis der Autorinnen und Autoren. Es sei hier ausdrücklich und lobend darauf hingewiesen, dass der gesamte Band kostenfrei auf den Servern der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB) zugänglich ist.[1]

Martin Munke eröffnet den Band mit einem Überblick über die Stellung der Landes- und Regionalgeschichte in der Digitalität der Gegenwart. Dabei wird die Landes- und Regionalgeschichte (welche von Munke als Synonyme betrachtet werden) von drei übergeordneten Entwicklungen beeinflusst: Zum einen ist im Zuge der zunehmenden Globalisierung als Gegenbewegung eine neue, verstärkte Hinwendung zu regionalen und lokalen Geschichts- und Lebensbezügen festzustellen, zum anderen stellt sich die Frage, inwiefern Landesgeschichte zu den neuen Digital Humanities beitragen bzw. von ihnen profitieren kann, und zum dritten muss sich Landesgeschichte heute gegenüber den Anforderungen der Public History positionieren. Bezüglich letzterem steht Landesgeschichte allerdings in einer langen, fruchtbringenden Tradition, da der Beitrag einer interessierten Öffentlichkeit zur landesgeschichtlichen Forschung und deren Kommunikation mit jener die Landesgeschichte von ihrem Beginn an prägt. Munke gliedert anschließend die Digitalität der Landesgeschichte in drei analytische Räume: den Informationsraum, den Kommunikationsraum und den Forschungsraum. Ersterer ist mittlerweile in Deutschland mit einer fast flächendeckenden Anzahl an Regionalportalen, die sich in Informationssysteme und Kulturgutportale aufteilen, gut gefüllt. In ihnen werden auch die Ergebnisse der diversen Digitalisierungsprojekte der Kultureinrichtungen wie Bibliotheken, Museen und Archive systematisch zusammengeführt und zentral einer interessierten (Fach-)Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Der Kommunikationsraum besteht dann aus den klassischen Medien der wissenschaftsinternen Kommunikation (Monographien, Sammelbände und vor allem Fachzeitschriften), während für die wissenschaftsexterne Kommunikation auch neue Medien wie Blogs und Soziale Medien hinzukommen, die über die Kommentarfunktion einen ersten Schritt zur Interaktivität ermöglichen. Letztere lässt sich mit weiteren Angeboten wie Wikis zu regelrechter Mitarbeit an der inhaltlichen Ausgestaltung des wissenschaftlichen Angebots steigern. Dieser Weg wird von einigen digitalen Projekten im Bereich der Landesgeschichte bereits beschritten. Zwischen Informations- und Kommunikationsraum siedelt Munke den Forschungsraum an, da auf der Basis der (hilfs-)wissenschaftlich zur Verfügung gestellten Information ja zunächst Forschung betrieben werden muss, deren Ergebnisse dann kommuniziert werden können. In diesem Bereich, der das eigentliche Feld der Digital Humanities ist, hat die Landesgeschichte bis auf die Editorik allerdings bisher noch nicht viel beizutragen. Die digitale Edition ist freilich durch das Zurverfügungstellen maschinenlesbarer und prozessierbarer Daten und Metadaten eine unabdingbare Voraussetzung für Fragestellungen der Digital Humanities, die quantitative Aspekte oder Fragen der Datenvisualisierung betreffen.

Der Beitrag schließt mit einem Überblick über den Sammelband. Der zweite Abschnitt präsentiert Projekte, die an der SLUB angesiedelt sind. Im dritten Abschnitt werden Projekte vorgestellt, die sich auf die Stadt Dresden beziehen, in ihrer Methodik aber überlokale Implikationen enthalten. Der vierte Abschnitt umfasst Projekte, die in der Region Sachsen angesiedelt sind, während im fünften Abschnitt die Perspektive auf außersächsische Fallbeispiele erweitert wird. Der sechste und letzte Abschnitt bringt abschließend noch einmal die Perspektive der Archive und die im Band sonst nicht berücksichtigte Perspektive der Museen ein.

Andreas Rutz stellt in seinem Beitrag dar, welche Anforderungen an landesgeschichtliche Regionalportale von Seiten der Fachwissenschaft gestellt werden. Er stellt fest, dass Regionalportale dann wichtig werden, wenn ein Forscher sich, z. B. im Rahmen vergleichender Fragestellungen, in ein Gebiet einarbeiten möchte, das bisher nicht seine wissenschaftliche Heimat war. Hier ist es hilfreich, wenn ein Portal die bestehenden digitalen Angebote zur Geschichte einer historischen Region zentral zusammenführt. Die Minimalform eines solchen Portals wäre eine Linkliste, die idealerweise strukturiert und kommentiert wäre. Weitaus nützlicher wäre allerdings, wenn über das Portal die dort zusammengeführten Datenbanken auch in Form einer Metasuche direkt durchsuchbar wären. Dies ist durch Standardisierung der Angebote, zumindest in Bezug auf offene Programmierschnittstellen, zu erreichen, deren erster Schritt die Verwendung von Normdaten ist. Das vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde (ISGV) betreute Historische Ortsverzeichnis von Sachsen (HOV) bietet einen solchen Normdatensatz, der auch von anderen Projekten bereits genutzt wird. Wünschenswert wäre es abschließend noch, wenn die neuen Informationen, die durch das Zusammenführen (genormter) Daten auf dem Portal gewonnen werden, wieder in die Ausgangsdatenbanken zurückgespielt werden könnten, und so die Angebote, die im Portal zusammengeführt sind, ihrerseits weiter angereichert und verbessert werden können. In Bezug auf die Langzeitverfügbarkeit von Regionalportalen und der zusammengeführten Angebote sieht Rutz in erster Linie Bibliotheken und Archive, aber auch außeruniversitäre Forschungsinstitute in der Verantwortung. Lehrstühle und Universitätsinstitute kämen nicht in Betracht, da die heute übliche Forschungsfinanzierung in Form von Drittmittelprojekten keine langfristige Perspektive zulasse.

Mit seinem zweiten Beitrag zu dem Sammelband eröffnet Martin Munke den zweiten Teil, der sich mit den an der SLUB angesiedelten Projekten befasst. Munke stellt hier das Regionalportal Saxorum vor, seine Genese, den aktuellen Stand und die Perspektiven. Es ist ein Nachfolgeprojekt von Sachsen.digital, dessen Website unter dem URL www.sachsendigital.de abgeschaltet worden ist, gleichwohl noch in der Wayback Machine des Internet Archive aufgefunden werden kann.[2] Saxorum setzt sich zum Ziel, die von Andreas Rutz erwünschte Metadurchsuchbarkeit der zusammengeführten Angebote umzusetzen. Dies ist bei der Personensuche dank der Gemeinsamen Normdatei (GND) im wesentlichen gelungen. Bei der Migration bereits bestehender Angebote in das Portal Saxorum sind allerdings zum Teil erhebliche Überarbeitungen nötig, um den in Saxorum geltenden Standards zu genügen. Der Aufbau des Portals wird mit einem bei Hypotheses.org gehosteten Blog und einer Twitter-Präsenz begleitet, womit Saxorum auch im von Munke umrissenen Kommunkationsraum der Digitalität präsent ist.

Jens Bemme führt diesen Aspekt weiter aus und betont dabei die Wichtigkeit „offener“ Daten, die die Überarbeitung und Ergänzung durch ein interessiertes Publikum ermöglichen, das sich aus Fachöffentlichkeit und Laienforschern zusammensetzt. Dementsprechend setzt die SLUB in ihren Projekten in nicht geringem Maße auf die Nutzung offener Datenrepositorien wie Wikidata, Wikisource und Wikimedia Commons.

Konstantin Hermann stellt die aktuellen Aktivitäten des seit 2015 bestehenden Landesdigitalisierungsprogramms für Wissenschaft und Kunst (LDP) des Freistaates Sachsen dar, das an der SLUB koordiniert wird. Er geht dabei von der Beobachtung aus, dass durch die Entscheidung, welche Kulturgüter digitalisiert werden, und damit deren Zugänglichkeit und Nutzbarkeit signifikant erhöht wird, eine Lenkung des Forschungsinteresses stattfindet. Nicht digitalisierte Bestände und Kulturgüter drohen somit aus dem Blick der Forschung zu verschwinden. Lag zu Beginn der systematischen Digitalisierungsprojekte und in den letzten Jahren die Priorität auf großen und häufig benutzten Beständen, versucht das LDP nun, auch kleine, unikale oder sonst, zum Beispiel wegen Kriegsverlagerungen, nur schwer zugängliche Bestände zu digitalisieren. Auf diese Weise soll einer Verengung des Forschungsblickes entgegengewirkt und die Geschichte Sachsens in ihrer ganzen thematischen und zeitlichen Breite und Tiefe zugänglich gemacht werden.

Der Beitrag von Dominik Stoltz schließt den Teil über die an der SLUB angesiedelten Projekte ab. Er stellt das vornehmlich auf der Kartensammlung der SLUB basierende Virtuelle Kartenforum (VKF) und die Ergebnisse der seit 2018 stattfindenden umfangreichen Überarbeitung des VKF vor. Besonders zu erwähnen ist dabei, dass nun auch angemeldete Nutzer in der Lage sind, eigene Geoinformationen mit den durchgehend goereferenzierten historischen Karten zu verknüpfen und somit historisch und lokal zu verorten.

Jonas Bruschke, Cindy Kröber und Florian Niebling eröffnen den dritten Teil des Bandes, in dem Projekte vorgestellt werden, die sich auf den Stadtraum Dresden beziehen. Bruschke, Kröber und Niebling berichten von dem abgeschlossene Projekt HistStadt4D, das an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg und der Technischen Universität Dresden angesiedelt war. Ziel war es, auf der Basis topographischer und bildlicher Daten zur Innenstadt Dresdens einen Demonstrator zu entwickeln, der einen neuen Zugang zu visueller Information ermöglicht. Bisher sind Bilder über textliche Metadaten erschlossen und in Bilddatenbanken nur über diese auffindbar. Dies verlangt vom Nutzer der Datenbank ein hohes Maß an Kenntnis im Umgang mit Schlagwörtern, das nicht immer vorausgesetzt werden kann; auch im Falle von fehlenden oder fehlerhaften Metadaten kommt es dazu, dass für die Fragestellung des Nutzers potentiell relevantes vorhandenes Bildmaterial nicht gefunden wird. Im Unterschied dazu ist das zentrale suchbare Metadatum der Bilder in HistStadt4D die räumliche Verortung der abgebildeten Gebäude, die in einer zeitlich auswählbaren dreidimensionalen Kartendarstellung virtuell aufgesucht werden können. Heat-Maps und Visualisierungen der Kamerablickrichtung zeigen anschaulich, welche Gebäude und Gebäudeteile im Laufe der Zeit besonders oft abgebildet worden sind. Bereits bestehende textliche Beschreibungen der aufgenommen Bilder sind natürlich ebenfalls im Projekt verfügbar und wie gehabt per Schlagwort- oder Volltextsuche durchsuchbar. Zur Erstellung des Demonstrators sind die Bilder aufwendig manuell verortet worden. Inwiefern dies auch maschinell durchgeführt werden kann, muss in weiteren Projekten erforscht werden.

Christoph Hanzig und Michael Thoß stellen das am Dresdener Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung (HAIT) angesiedelte Forschungsprojekt zur Tiefenerschließung der Sachsen betreffenden Artikel der nationalsozialistischen Gauzeitung „Der Freiheitskampf“ vor. Am Beispiel des Suchbegriffs „Rassenhygiene“ erläutern sie die Vorzüge, aber auch die Begrenzungen der Datenbank. Wesentlich zu berücksichtigen ist, dass im „Freiheitskampf“ nur das berichtet wurde, was von Seiten der nationalsozialistischen Machthaber als zu berichten erlaubt wurde. So finden sich im „Freiheitskampf“ zwar viele Berichte über das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ (GzVeN) und seine Bedeutung sowie über die Aktivitäten des in Dresden ansässigen „Deutschen Hygiene-Museums“, welches erheblich dazu beitrug, dass Sachsen während der NS-Zeit als ein Zentrum der Rassenhygiene gelten muss. Statistiken über die infolge des GzVeN durchgeführten Zwangssterilisationen oder gar Berichte über die in sächsischen Einrichtungen durchgeführte systematische Ermordung behinderter und psychisch kranker Menschen sind allerdings im „Freiheitskampf“ nicht zu finden. Beides unterlag dem Willen der nationalsozialistischen Führung gemäß der Geheimhaltung.

Matthias Erfurth, René Haupt, Iris Schilke, Christian Strübing und Tanja Tröger stellen zum Abschluss des Dresden-Teils das Stadtwiki Dresden vor. Christian Strübing initiierte es im Jahre 2003 als eines der ersten Regiowikis in Deutschland. Er hatte dabei ursprünglich im Sinn, eine basisdemokratische Bürgerplattform anzubieten, auf der über Belange des Dresdener Stadtlebens diskutiert werden konnte. Über diese Intention hat sich das Stadtwiki Dresden aber sehr bald weiterentwickelt zu einem Datenrepositorium Dresdener Stadtgeschichte. Interessant sind einige demographische Hinweise zum Dresdener Stadtwiki: Getragen, auch finanziell (Betriebs- und Wartungskosten der Server) wird das Projekt von einer losen Gruppe von zehn bis fünfzehn ehrenamtlich tätigen Frauen und Männern, die Gesamtanzahl der Beiträger geht allerdings in die Hunderte. Die überwiegende Mehrzahl der Beiträger ist älter als vierzig Jahre, Frauen sind in der deutlichen Minderzahl. Die Tätigkeit für das Stadtwiki ist rein ehrenamtlich und muss neben Berufs- und Familienzeit ihren Platz finden. So sei durchaus feststellbar gewesen, dass mit der Familiengründung einiger aktiver Stadtwikianer die Anzahl neuer Artikel deutlich langsamer angestiegen sei. Obwohl dies immer wieder angedacht wird und auch einige Vorteile mit sich brächte, ist eine weitere Institutionalisierung des Stadtwikis in Form eines eingetragenen Vereins bisher nicht zustande gekommen. Zur Vernetzung mit der Dresdener Regionalgeschichtsforschung dient die regelmäßige Teilnahme am „Markt für Dresdner Geschichte und Geschichten“, der seit 2018 in Kooperation mit der SLUB veranstaltet wird.

Jens Klingner und Henrik Schwanitz eröffnen mit ihrem Beitrag den vierten Abschnitt des Bandes, in dem Projekte mit Bezug auf Sachsen versammelt sind. Klingner und Schwanitz stellen kurz die Projekte vor, die am Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde (ISGV) angesiedelt sind. Es handelt sich um das Lebensgeschichtliche Archiv (LGA), das Digitale Bildarchiv, der Codex diplomaticus Saxoniae, das Repertorium Saxonicum, das Historische Ortsverzeichnis von Sachsen (HOV), die Sächsischen Gerichtsbücher, die Sächsische Biografie, Kinokultur in Dresden sowie Online-Präsentationen diverser, umgrenzter Einzelprojekte. Abschließend eröffnen Klingner und Schwanitz Perspektiven auf die Zukunft und resümieren, dass für das ISGV – wie für alle geistes- und kulturwissenschaftlichen Forschungseinrichtungen – gelte, dass bei der Konzeption neuer Forschungsprojekte das Digitale immer mitzudenken sei.

Dörthe Schimke stellt die Wissenschaftskommunikation des ISGV vor, mit besonderer Berücksichtigung der neuen Medien. Sie weist auf die wichtige Rolle hin, die Wissenschaftskommunikation heutzutage im Forschungsprozess spielt, nicht zuletzt, weil es den Anspruch gibt, die Ergebnisse der von der Öffentlichkeit finanzierten Forschung ebendieser Öffentlichkeit auch nahezubringen. In ihrem Fazit legt sie allerdings ebenso dar, dass eine gelingende Wissenschaftskommunikation eine eigenständige Aufgabe darstellt, die eigene Institutionen benötigt und nicht nachhaltig neben der Forschungstätigkeit im engeren Sinn nebenher geleistet werden kann. Wieviel aber auch unter diesen Bedingungen möglich ist, stellt Schimke in ihrem Beitrag eindrucksvoll dar.

Michael Klein stellt in seinem Beitrag die Digitalisierungsbemühungen des Sächsischen Staatsarchivs dar. Dabei wurde mit der Digitalisierung der Mikroformen und der analog vorliegenden Findmittel begonnen, welche nun zu einem großen Teil abgeschlossen ist. Für die nun anstehende Digitalisierung der Originalarchivalien wurde eine Priorisierung entwickelt, welche die Informationsdichte der Bestände und damit ihre zu erwartende Nutzungsfrequenz berücksichtigt. Konkret werden dabei Bestände und Teilbestände beurteilt nach den Kriterien der Aussagekraft des Bestandes und des geografischen Wirkungskreises der Unterlagen sowie der Überlieferungsdichte und der Möglichkeit zur virtuellen Zusammenführung mit Archivgut gleicher Provenienz in anderen Einrichtungen und zur Weiterverarbeitung. Ebenso werden die Zeitaufwände für vorbereitenden Erschließungs- und Bestandserhaltungsmaßnahmen berücksichtigt. Mit seinen umfangreichen Digitalisierungsmaßnahmen kommt dabei das sächsische Staatsarchiv seiner gesetzlichen Verpflichtung nach, historisches Kulturgut zu bewahren und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Grit Richter-Laugwitz konkretisiert diese Grundsätze dann am Beispiel des Archivverbundes Stadtarchiv und Staatsfilialarchiv Bautzen, wodurch dieser Beitrag auch eine eminente archivwissenschaftliche Bedeutung erhält. Sie schließt mit der Forderung an die Archive, stärker an die Öffentlichkeit zu treten und ihre Aufgabe und ihren Nutzen deutlicher zu vermitteln, wozu eine angemessene Internetpräsenz wesentlich beiträgt. Diese besteht dabei nicht nur in der Zurverfügungstellung der grundlegenden Kontaktdaten via Website, sondern auch ganz entscheidend in der Digitalisierung von Archivalien und Findmitteln und der Zusammenführung dieser Digitalisate mit solchen aus anderen Archiven in übergreifenden Portalen und Metasuchmaschinen wie findbuch.net und dem Archivportal-D.

Angela Kugler-Kießling stellt die Digitalisierungsprojekte der Universitätsbibliothek der TU Bergakademie Freiberg vor. Diese Bibliothek hält zurzeit sächsische Grubenrisse im Kartenforum der Deutschen Fotothek, die Briefe an Abraham Gottlob Werner, 1700 Bände der Historischen Universitätsbibliothek, die Sammlung der Bergmännischen Specimina und die numismatische Sammlung der TU Bergakademie Freiberg online vor. Einleitend legt Kugler-Kießling leichterhand dar, dass es für eine Bibliothek nicht mehr reiche, Dokumente einfach ins Netz zu stellen. Vielmehr müssten auch neue und junge Nutzergruppen an die von den Bibliotheken betreuten Bestände herangeführt werden, was letztlich auch Edutainment-Angebote einschließe. Zu Ende gedacht bedeutet dies allerdings, dass Bibliotheken (und Archive, wie man hinzufügen kann) ihre Bestände nicht nur katalogisieren und erschließen, sondern auch selber (wieder) wissenschaftlich auswerten und die Ergebnisse in neuer, „spannender“ Weise präsentieren müssen. Durchaus eine „Herausforderung“, wie Kugler-Kießling zugibt.

Mit Daniel Fähles und Andreas Neuburgers Beitrag wird der fünfte Teil des Bandes eröffnet, in dem die Perspektive auf Digitalisierungsfallbeispiele außerhalb des Freistaats Sachsen erweitert wird. Fähle und Neuburger stellen „Mein LEO-BW“ vor, das um Nutzerpartizipation erweiterte landeskundliche Informationssystem Baden-Württembergs LEO-BW. „Mein LEO-BW“ bietet dabei für registrierte Nutzer die Möglichkeit, aus ihrer Sicht landeskundlich interessante Orte, sog. Spots, zu markieren und mit Photos und Erläuterungen zu versehen. „Mein LEO-BW“ weist einige wesentliche Elemente Sozialer Medien auf, indem Spots von anderen Nutzern kommentiert, gelikt und geteilt werden. Um die Bereitschaft zu erhöhen, inhaltlich etwas beizutragen, hat man in der Konzeption auf eine leichte Gamifizierung gesetzt, indem allgemein einsehbare Abzeichen für verschiedene Anzahlen an hochgeladenen Beiträgen vergeben werden. Nach drei Jahren Online-Stellung von „Mein LEO-BW“ ziehen Fähle und Neuburger eine positive Zwischenbilanz. Für Baden-Württemberg sind nun, mit wenigen Ausnahmen, annähernd flächendeckend landeskundlich relevante Orte dokumentiert, die sich nicht nur auf die bekanntesten „Hotspots“ Baden-Württembergs beschränken, sondern vor allem „die unbekannten Schätze und Kleinode in der Fläche das Landes“ erfassen. Bei der Auswertung der Nutzung ist auch hier ein Phänomen festzustellen, das ebenso bei anderen, ähnlich gelagerten Projekten auftritt: Eine kleine Zahl an Nutzern produziert die größte Zahl an Beiträgen, während die meisten der übrigen Nutzer jeweils nur wenig Inhalt generieren. Hier ist unter dem Schlagwort citizen science die richtige Balance zu finden zwischen der Wertschätzung lokalen Wissens und der unentgeltlichen (Aus-)Nutzung der Arbeitskraft patenter wissenschaftlicher Mitarbeiter. Ein erhoffter intensiver Austausch der Nutzer des Angebots untereinander hat sich allerdings nicht eingestellt. Erwähnenswert ist auch, dass Fähle und Neuburger die Bedenken darstellen, die in den Diskussionen im Vorfeld der Erweiterung LEO-BWs zur Interaktivität von den Portal-Partnern geäußert wurden. Diese sind bedenkenswert, gleichwohl zeigt die bisherige Erfahrung mit „Mein LEO-BW“, dass die mit Interaktivität einher gehen könnenden Risiken (Generierung erheblicher Mengen sachlich falscher oder anderweitig anstößigen Contents) bei den Freunden baden-württembergischer Landes- und Lokalgeschichte nicht erheblich sind und gut von der Redaktion des Portals gehandhabt werden können.

Stefan Aumann und Lutz Vogel geben einen konkreten Erfahrungsbericht über den umfassenden Relaunch des Hesssichen Landesgeschichtlichen Informationssystems LAGIS, das in seiner Ursprungsgestalt bereits 2004 ans Netz ging und sich seitdem zu einem umfassenden, aufgrund seiner modularen Struktur für unkundige Nutzer aber zuweilen auch nicht einfach zu nutzenden Informationsspeicher entwickelt hat. Hier soll in Zukunft eine alle Module umfassende Ein-Schlitz-Suchmaske Abhilfe schaffen, deren Ergebnismenge allerdings durch eine sinnvolle Facettierung handhabbar gemacht werden muss. Bemerkenswert ist der Anlass für den geplanten Relaunch: Die von Google im Jahr 2015 angekündigte Entscheidung, in Zukunft Websites mit für Mobilgeräte geeigneter Darstellung im Ergebnisranking zu priorisieren, führte zu der (gefühlten) Notwendigkeit, das LAGIS nun responsiv zu programmieren, was eine Neubewertung aller Aspekte des Angebotes von der Datenstruktur bis hin zur grafischen Gestaltung der Oberfläche ermöglichte, aber auch erzwang. Eine Verzögerung des für 2020 geplanten Relaunches kam dann zustande durch die zweitweise ungewisse Zukunft der Firma Zend, die das vom LAGIS genutzte Content-Management-System zur Verfügung stellt. Beide Vorfälle zeigen, dass „das Digitale“ bei aller Vervielfältigung der Möglichkeiten doch auch immer von einer erheblichen Volatilität bedroht ist und dass durch die Handlungen zentraler Akteure die Langzeitverfügbarkeit digitaler Angebote von heute auf morgen in Frage gestellt sein kann.

In Veronika Eders und Florian Sepps Beitrag wird mit dem bevorstehenden Ende der Bayerischen Landesbibliothek Online (BLO) ein noch größerer Bruch dargestellt. Dieses seit 2002 bestehende Angebot war ein Pionier unter den deutschen Regionalportalen. Aufgrund politischer Entscheidungen wurde 2013 mit bavarikon allerdings ein zweites bayerisches Regionalportal online gestellt. Um diese Doppelung zu beenden, wurde der Entschluss gefasst, die BLO in bavarikon zu überführen. Dies ist allerdings keine leichte Aufgabe wegen der höchst uneinheitlichen Struktur der in der BLO zusammengeführten Projekte, welche dadurch zustande kam, dass die Langzeitfinanzierung der BLO nur über die kurzfristige Finanzierung neu hinzukommender Projekte gesichert werden konnte. Im Ergebnis lassen sich von den 181 in der BLO zusammengeführten Projekten 39 technisch und juritisch relativ unaufwendig in bavarikon integrieren, 105 Projekte brauchen für eine Aufnahme in bavarikon größere Überarbeitungen bis hin zur Neudigitalisierung, während 37 Projekte voraussichtlich ganz entfallen werden. Mittel- bis langfristig soll die Website BLO abgeschaltet werden, zumal auch eine technische Pflege aufgrund der fehlenden Langzeitfinanzierung über die Laufzeit der BLO nicht gewährleistet werden konnte. Das Beispiel der BLO zeigt, dass digitale Angebote ohne vernünftige Langzeitfinanzierung eine Lebenszeit von ca. 25 Jahren haben. Im Falle bavarikons ist aber der politische Wille da, es dauerhaft verfügbar zu halten, was allein schon an der Schaffung entsprechender unbefristeter Projektstellen ersichtlich ist. Es ist somit zu hoffen, dass bavarikon eine deutlich längere Lebenszeit aufweisen wird.

Michael Lörzer, André Karliczeck, Carsten Resch und Andreas Christoph schließen mit ihrem Beitrag den Teil zu Fallbeispielen außerhalb Sachsens ab. Sie stellen das seit 2019 online zugängliche Thüringer Kultur- und Wissensportal Kulthura vor. Obwohl noch relativ jung, stellt es doch bereits jetzt mit mehr als einer Million zugänglicher Datenobjekte eines der größten deutschen Regionalportale dar. Mit einem effektiven Workflow, komplexen Datenmodell und der automatischen Zusammenführung bereits vorliegender normierter Daten ist es ein zentraler Partner, mit dem die vielfältigen Kultureinrichtungen Thüringens die Aufgabe der Digitalisierung ihrer Bestände bewältigen können. Bemerkenswert ist die bei der Suche in Kulthura in Anschlag gebrachte Philosophie: Anders als bei vielen Datenbanken, die eine konkrete Suchanfrage erfordern und keinen ungefilterten Zugriff auf den gesamten Datenbestand zulassen, wird ebendies von Kulthura standardmäßig ermöglicht, sobald die Suchfunktion aufgerufen wird. Diese vollständige Ergebnismenge lässt sich dann durch Filterung und Volltextsuche je nach Fragestellung eingrenzen. Dieser ungewöhnliche Weg wurde gewählt, um dem Nutzer auch ein „Flanieren“ durch das thüringische Kulturgut zu ermöglichen und so die Chance auf wissensvermehrende Zufallsentdeckungen zu erhöhen.

Ralf Lusiardi eröffnet mit seinem Beitrag den sechsten und letzten Teil des Bandes. Nach der konzeptionellen Einteilung von Regional(geschichts)portalen in Informationsportale und Kulturgutportale macht sich Lusiardi an die Aufgabe, zu verstehen, warum in den letzten zwanzig Jahren Archive nur sehr zögerlich am Aufbau und am Beitrag zu solchen Portalen beteiligt waren. Er sieht den Grund dafür in den Aufgabenprioritäten und den großen Arbeitsrückständen der Archive, aber auch in deren Sorge, dass ihre Besonderheit nicht mehr sichtbar wird, wenn sie bloß als ein Content-Geber neben vielen anderen auf einer umfassenden Website erscheinen. Im Laufe der Zeit haben sich solche Bedenken gleichwohl gelegt und immer mehr Archive beteiligen sich mit ihren Beständen an Regionalportalen, vor allem an für archivische Inhalte besonders geeigneten Informationsportalen. Lusiardi begrüßt diese Entwicklung ausdrücklich und empfiehlt den Landesarchiven, weiterhin und verstärkt an ihr zu partizipieren.

Der Band wird abgeschlossen mit dem Beitrag von Christina Ludwig. Er lotet anhand der Fallbeispiele der Geschichte des Festspielhauses HELLERAU und des Nachlasses des Dresdner Photographen Bernhard Braun die Möglichkeiten der Kooperation zwischen Museen und Regionalportalen aus. Eine Präsenz von Museen im digitalen Raum würde nicht nur deren Sichtbarkeit erhöhen und zur Zusammenführung von Kulturgut verschiedenster Provenienz führen, sondern könnte auch mittels social tagging und citizen science die Erschließung der umfangreichen musealen Depotbestände erleichtern.

Der Band ist für alle geeignet, die sich über den Stand der Digitalität in der (sächsischen) Landesgeschichte informieren möchten. Die Beiträge bieten Berichte aus der Praxis aber auch Vergleichsmöglichkeiten und Anregungen für eigene digitale Projekte; er sei somit allen Leserinnen und Lesern, die sich aktuell in der Konzeptionierungsphase eines digitalen Projektes befinden, wärmestens empfohlen.

Munke, Martin (Hrsg): Landes- und Regionalgeschichte digital. Angebote – Bedarfe – Perspektiven, Thelem, Dresden/München 2022, 310 Seiten, ISBN: 978-3-95908-529-8.

 


[1] Unter https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bsz:14-qucosa2-744325 (Zugriff am 27.03.2024)

[2] Eine Sammlung von Digitalisten, die von der SLUB gehostet werden, findet sich daneben noch unter dem URL https://sachsen.digital (Zugriff 27.03.2024).

 

Zitierweise:
Tenhaef, Tobias: Rezension zu “Landes- und Regionalgeschichte digital. Angebote – Bedarfe – Perspektiven”, in: Histrhen. Rheinische Geschichte wissenschaftlich bloggen, 27.03.2024, http://histrhen.landesgeschichte.eu/2024/03/rezension-landes-regionalgeschichte-digital-tenhaef

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Tobias Tenhaef

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