Die preußische Personalpolitik am Rheinischen Appellationsgerichtshof bis 1879 – Borussifizierung oder Rheinischer Sonderweg? Von Christian Wiefling

Die Geschichte des Oberlandesgerichts Köln ist besser bekannt als die vieler anderer ordentlicher Gerichte. Das ist vor allem das Verdienst des Kölner Rechtshistorikers Hans-Peter Haferkamp, der in mehreren Forschungsprojekten die Geschichte des Oberlandesgerichts vom aufkeimenden Nationalsozialismus bis zur Nachkriegszeit untersuchte. 2019 veröffentlichte er, zusammen mit der damaligen Gerichtspräsidentin, eine Festschrift zum 200 jährigen Bestehen des Oberlandesgerichts, die dessen Geschichte in mehreren Abhandlungen beleuchtet.[1] Im Zusammenhang mit diesem Forschungsprojekt entstand die Dissertationsschrift von Christian Wiefling (S. 7, 22). Wieflings Arbeit widmet sich der Frühgeschichte des Gerichts, als es – ganz in der Tradition des Alten Reichs – den Namen “Rheinischer Appellationsgerichtshof” trug.

Die Arbeit Wieflings beantwortet erstmals die Frage, wie der preußische Staat mit dem französischen Recht des Rheinlandes nach dem Ende der napoleonischen Herrschaft umging. Dem Verfasser geht es hierbei nicht im Sinne einer dogmengeschichtlichen Untersuchung darum, welche Bestimmungen des französischen Rechts im preußischen Rheinland fortgalten oder wie sie ausgelegt wurden. Vielmehr geht es um die rechtspolitische Frage, ob die preußischen Justizminister zwischen 1819 und 1879 versuchten, durch die Besetzung der Richterstellen ihre  Vorstellungen davon durchzusetzen, ob das französische Recht oder das preußische Recht im Rheinland gelten sollte (S. 19, besonders deutlich auf S. 313). Es geht damit letztlich um die große Frage in der postnapoleonischen Periode des Rheinlands, ob eine „Borussifizierung“ oder ein „rheinischer Sonderweg“ erreicht werden sollte.

Wiefling stellt hierfür drei Fragen voran: Er will beantworten, ob erstens das Klima am Gericht preußisch oder französisch geprägt war, zweitens, ob die Personalpolitik als Mittel zur Durchsetzung der preußischen Rechtskultur genutzt wurde und drittens inwiefern diese Politik ihr Ziel erreichen konnte (S. 19). Mit dem Begriff der Rechtskultur stellt Wiefling einen vieldeutigen Begriff in den Mittelpunkt der Arbeit.[2] Eine vorangestellte Erläuterung des Begriffs hätte dem Leser ermöglicht, die Methode der Arbeit von Beginn an besser nachvollziehen zu können.

Im ersten Kapitel der Arbeit skizziert Wiefling, wie das französische Recht im von Frankreich annektierten (linksrheinischen) “Rheinland” durchgesetzt wurde und wie es dessen Verwaltungsstrukturen veränderte, und wie es nach dem Ende der französischen Herrschaft neben dem konzeptionell inkompatiblen preußischen Recht stand (S. 27–41). Im folgenden Kapitel rekonstruiert er auf der Grundlage der Akten des Preußischen Justizministeriums aus dem Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz die Entstehung und die Organisation des Appellationsgerichtshofs (S. 43–85).

Den Kern der Arbeit bildet das dritte Kapitel (S. 87–311), in dem Wiefling auf der Grundlage der oben genannten Quellen, die ministeriale Personalpolitik zwischen 1819 und 1879 untersucht. Der erste und längste Teil dieses Kapitels orientiert sich an den Amtszeiten der preußischen Justizminister zwischen 1819 und 1838 (S. 98–285). Hierbei folgt Wiefling grundsätzlich einem Dreischritt: Er stellt zuerst den jeweiligen Minister und seine rechtspolitischen Ansichten vor. In einem zweiten Schritt rekonstruiert er die Personalpolitik des Ministers in Bezug auf das Kölner Gericht und analysiert dann, ob die rechtspolitischen Überzeugungen die Auswahl der Richter beeinflusste. Wiefling kommt zu dem Ergebnis, dass die Minister einen rheinischen Sonderweg perpetuierten, indem sie im französischen Recht ausgebildete Richter auswählten (insb. S. 316).

Das an den Amtszeiten orientierte Vorgehen muss der Autor für die Zeit zwischen 1838 und 1879 allerdings aufgeben (S. 285–311). Wiefling begründet dies so: Für die Zeit ab 1838 hätten die Justizminister nicht mehr versucht, ihre rechtspolitischen Überzeugungen über die Personalpolitik durchzusetzen, sondern das französische Recht durch das preußische anhand verbindlicher Anweisungen an die Richter zu ersetzen. Für eine Aushöhlung des französischen Rechts durch eine interessengeleitete Personalpolitik bestand also kein Bedürfnis (insb. S. 285, 321).

Mit seiner Arbeit schließt Wiefling in sprachlich exzellenter Weise eine Lücke in der Forschung zur Geschichte des Kölner Oberlandesgerichts. Beeindruckend ist die Anzahl der Quellen, die der Verfasser für die Erstellung des Werks auswertete. Neben den Akten aus dem Geheimen Staatsarchiv zog er Archivalien zum Oberlandesgericht aus den Beständen des Nordrhein-Westfälischen Landesarchivs und dem Archiv des Landschaftsverbands Rheinlands heran. Großflächig greift er auch die zeitgenössische Fachliteratur auf und vermittelt damit ein umfassendes Bild über die Diskussionen zur Rolle der rheinischen Justiz. Damit leistet Wiefling einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der rheinischen Rechtsgeschichte.

 

Christian Wiefling: Die preußische Personalpolitik am Rheinischen Appellationsgerichtshof bis 1879 – Borussifizierung oder Rheinischer Sonderweg? (Rechtsgeschichtliche Schriften, 34), Wien/Köln 2023, 352 S., ISBN: 978-3-412-52652-8

 


[1] Haferkamp, Hans-Peter/Schwerin, Margarate Gräfin von (Hg.), Das Oberlandesgericht Köln zwischen dem Rheinland, Frankreich und Preußen, Köln/Weimar/Wien 2019, passim.

[2] Vgl. zu den verschiedenen Deutungsmöglichkeiten z. B. Michaels, Ralf, Art. Rechtskultur, in: Handwörterbuch zur Rechtsgeschichte, 2. Aufl., 29. Lieferung, Berlin 2022, Sp. 1206–1208.

 

Zitierweise:
Jansen, Alexander: Rezension zu “Die preußische Personalpolitik am Rheinischen Appellationsgerichtshof bis 1879”, in: Histrhen. Rheinische Geschichte wissenschaftlich bloggen, 25.01.2024, http://histrhen.landesgeschichte.eu/2024/01/rezension-preussische-personalpolitik-am-rheinischen-appellationsgerichtshof-jansen

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Alexander Jansen

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