Briten in Westfalen. Beziehungen und Begegnungen 1945–2017 Hrsg. von Ulrike Gilhaus und Andreas Neuwöhner

Eigentlich müsste dieses Buch zusammen mit dem zweiten, ergänzenden Band, mit dem gleichen Titel sowie dem Untertitel „Besatzer, Verbündete, Freunde?“ von 2019 rezensiert werden. Beide Bücher sind Ergebnis des Forschungs- und Ausstellungsprojekts „Briten in Westfalen“, das von der Stadt Paderborn, dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe, dem Verein für Geschichte und Altertumskunde, der Universität Paderborn und dem Arbeitskreis ostwestfälisch-lippischer Archive getragen wurde. Das hier rezensierte ältere Buch ist der Begleitband für die Ausstellung zum Thema, die 2017 in Paderborn gezeigt wurde und anschließend als Wanderausstellung bis 2019 an acht Standorten in Westfalen gezeigt wurde. Das jüngere Buch ist das Resultat einer 2018 abgehaltenen Tagung und bietet wichtige Themenergänzungen.

Anlass für dieses Großprojekt war der völlige Abbau der britischen Militärpräsenz aus Westfalen bis 2020. Die zwölf Beiträge des Bandes orientieren sich an den zentralen Fragen, wie sich Deutsche und Briten seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Westfalen begegnet sind, was sie voneinander wahrgenommen haben und welche Veränderungen die Briten in der Region hervorgerufen haben. Da die musealen Quellenbestände hierzu schwach sind, spielten deutsche und britische Zeitzeugeninterviews eine große Rolle sowie grundsätzlich der Austausch zu den British Forces Germany.

Bettina N. Blum erläutert in Ihrem Eingangsaufsatz den Aufbau der Ausstellung und betont das wissenschaftliche Desiderat der 70-jährigen britisch-westfälischen Beziehungen und deren Auswirkungen. Spannend ist der Kurzbeitrag der britischen Soldatin Wendy Faux, die 25 Jahre in Deutschland gelebt hat, und damit eine direkte Quelle aus britischer Sicht bietet. Als Soldatentochter bringt sie zudem die Sichtweise eines britischen Kindes zur Zeit des Kalten Krieges in Deutschland als weitere Perspektive in Ihre Betrachtungen ein. Der ausschließlich positive Bericht über ihren Aufenthalt in Deutschland kann nicht verhehlen, dass die Abgeschlossenheit der militärischen Infrastruktur, die eine eigene „community“ mit Ärzten, Schulen, Geschäften, Freizeitmöglichkeiten etc. darstellte (S. 126), den Kontakt zur deutschen Nachbarschaft nicht förderte bzw. nicht nötig machte. Auf dieses Paradoxon verweist auch Thomas Küster in seinem Beitrag „Living with Herman“ hin: „diese britischen Einwohner sind auf deutscher Seite kaum als integrale Bevölkerungsgruppe betrachtet worden“, so Küster (S. 107). Trotz der Attraktivität Deutschlands als Stationierungsort (bessere Wohnqualität, zusätzliche Zahlungen, Familien konnten mitziehen), war die Sprachbarriere meist groß und es fand eine – automatische – Selbstabgrenzung („Verinselung“) durch die britische Infrastruktur statt, die zu bestimmten Anlässen (Empfänge, Flugschauen usw.) unterbrochen wurde. Spannende Erkenntnisse liefert auch Florian Staffel, der in seinem Beitrag „Zusammen im Dialog? Die westfälische Gesellschaft und das britische Militär“ unterschiedliche Formen des Protestes erläutert, die unter anderem durch Zerstörungen (bei militärischen Manöverübungen) und Lärmbelästigungen von deutschen Stellen geäußert wurden. Zunächst taten dies die Presse und Politik, ab den 1970er Jahren formierten sich verstärkt Bürgerinitiativen (S. 130). Letztere hatten sich vielfach das Thema Umweltschutz auf die Fahnen geschrieben und richteten sich somit gegen die militärischen Übungen, die als Belastung empfunden wurden. Erfolgreich war eine Bürgerinitiative, die 1991 einen Landtagsbeschluss zur Schaffung eines Nationalparks nach der militärischen Nutzung in der Senne erwirkte (S. 134). Staffel zeigt kritisch-reflektierend das ambivalente Verhältnis zwischen britischem Militär und westfälischen Bürgern auf. Velten Arnold kann im Beitrag „Konversion und Umweltschutz“ dem gegenüberstellen, dass es ohne die britischen Truppenübungsplätze wie Senne bei Paderborn viele seltene Tierarten nicht mehr geben würde. Diskussion auf deutscher Seite entstand jedoch bei der Frage, so kann Arnold aufzeigen, in welcher Form speziell diese besonderen Gebiete nach Abzug der Streitkräfte geschützt werden können (S. 154/155). Der letzte Beitrag über die belgischen Streitkräfte in Soest von Claudia Hiepel bestätigt im Grunde die Erkenntnisse zu den deutsch-britischen Beziehungen, beispielsweise in Bezug auf die Abgrenzung durch die umfassende militärische Infrastruktur, und ist als wichtige Ergänzung zu werten.

Der Band eignet sich insgesamt zum einen als ein guter Startpunkt für die Auseinandersetzung mit dem Thema – auch für interessierte Laien – und bietet neben qualitativ guten Bildern spannende neue sowie fundierte Erkenntnisse über die zeitgeschichtlichen Beziehungen zwischen (Angehörigen der) Britischen Streitkräfte Deutschlands und der deutschen Zivilgesellschaft beziehungsweise Institutionen in Westfalen, die in anderen Stationierungsregionen nicht so umfangreich durch ein einziges Projekt aufgearbeitet worden sind. Wünschenswert wären allerdings weitere Beiträge aus britischer (Zeitzeugen-)Sicht gewesen oder zumindest auch die Publikation von Zeitzeugeninterviews, die für das Projekt durchgeführt wurden. Zudem wiederholen sich in unterschiedlichen Beiträgen Informationen, beispielsweise zu britischen Großevents (Flugtagen etc.) oder zu den ehemaligen Truppenübungsplätzen (insbesondere zur Senne), was hätte vermieden werden können. Wichtig und wünschenswert ist, in Jahren dann noch einmal eine Rückschau über die langfristigen Konsequenzen des Abzugs der Britischen Streitkräfte aus Westfalen und aus Deutschland zu halten. Ein Desiderat ist zudem weiterhin der wissenschaftlich-vergleichende Blick auf die Besatzungspolitik alliierter Streitkräfte in Deutschland. Der vorliegende Band bietet jedoch einen wichtigen Ausgangspunkt hierfür.

 

Ulrike Gilhaus; Andreas Neuwöhner (Hg.): Briten in Westfalen. Beziehungen und Begegnungen 1945–2017. Paderborn 2017 (Studien und Quellen zur westfälischen Geschichte; 84); 190 S.; zahlr. Abb.; 32,90 €, ISBN: 978-3-506-78698-2.

 

Zitierweise:
Gruttmann, Dörthe: Rezenson zu “Briten in Westfalen. Beziehungen und Begegnungen 1945–2017”, in: Histrhen. Rheinische Geschichte wissenschaftlich bloggen, 26.01.2023, http://histrhen.landesgeschichte.eu/2023/01/rezension-briten-in-westfalen-gruttmann

Druckversion

Beitrag kommentieren

Ihre E-Mail wird nicht öffentlich sichtbar sein. Erforderliche Felder sind markiert mit einem *

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.