Zwischen Macht und Ohnmacht. Spielräume adeliger Herrschaft im frühneuzeitlichen Rheinland von Monika Gussone, Hans-Werner Langbrandtner und Peter K. Weber

Die Erforschung (nieder)adeliger Lebenswelten der Frühen Neuzeit gehörte lange nicht zu den zentralen Themenfeldern der rheinischen Landesgeschichte. Es ist ein Verdienst der Vereinigten Adelsarchive im Rheinland e.V. in den vergangenen Jahren hier nachhaltige Impulse gesetzt zu haben. In diesem Sinne versteht sich auch der vorliegende Sammelband, der aus einer 2017 auf Schloss Wissen am Niederrhein veranstalteten Tagung hervorgegangen ist, als ein Problemaufriss zu Fragen adeliger Herrschaft im frühneuzeitlichen Rheinland. Die elf Beiträge sind relativ gleichmäßig vier Themenfeldern zugeordnet, wobei eine umfangreiche Einleitung der Herausgeber die Konzeption des Bandes transparent macht.

Der erste Abschnitt „Der rheinische Adel und sein Handlungsspielraum zwischen Landesherrschaft und Untertanen“ umfasst zwei Beiträge. Hans-Werner Langbrandtner formuliert Überlegungen zur Typologie des rheinischen Niederadels und Helmut Gabel fragt, eigene ältere Untersuchungen aufgreifend, nach dem bäuerlichen Widerstand in rheinischen und maasländischen Herrschaften vor 1800. Langbrandtner gibt einen sehr guten Überblick auf der Basis des aktuellen Forschungsstands und eigener Quellenkenntnis. So versucht er, die Herausbildung des Niederadels seit dem Mittelalter nachzuzeichnen, um anschließend auf die besondere Rolle der sogenannten Unterherrschaften einzugehen. Hierbei handelt es sich um ein Phänomen, das man besonders zahlreich im Herzogtum Jülich beobachten kann. Kleine Herrschaftsbereiche, die zwar in Lehnsabhängigkeit zum jeweiligen Fürsten stehen, aber über weitergehende Rechte, beispielsweise die Hochgerichtsbarkeit, verfügen. In einzelnen Fällen versuchten die Unterherren auch, sich vom Territorialherrn zu lösen und die Reichsunmittelbarkeit zu erlangen, was Helmut Gabel in seinem Beitrag mit dem Beispiel Ottos von Bylandt und der Herrschaft Rheydt im späten 16. Jahrhundert aufgreift. Bemerkenswert ist hier zu beobachten, dass die Untertanen die schwierige Situation, in die sich der Herr zu Rheydt manövriert hatte, mit Unterstützung des Landesherrn zu ihren Gunsten zu nutzen versuchten.

Der zweite Abschnitt ist der Hexen- und Religionspolitik gewidmet, dessen drei Beiträge danach fragen, ob und wie der Niederadel diese Problemfelder für seine Zwecke instrumentalisierte. Rita Voltmer bilanziert die Forschung zum adligen Handlungsfeld der Hochgerichtsbarkeit am Beispiel des Eifelraumes. Die dort zu beobachtenden Wellen der Verfolgung der Hexerei stehen in unmittelbaren Zusammenhang mit dem Wunsch der Adeligen über die Prozesse ihre entsprechenden Rechte sichtbar werden zu lassen. Claudia Kauertz geht dieser Fragestellung am Beispiel der Reichsherrschaft Wildenburg und der kurkölnischen Unterherrschaft Schönstein an der Sieg nach. Monika Gussone zeichnet schließlich die Position des rheinischen Adels zur Kirchenpolitik zwischen Reformation und Konfessionalisierung nach. Auch hier ergaben sich Handlungsspielräume, die sich u.a. durch die lange Zeit indifferente Haltung der Herzöge von Jülich-Kleve-Berg zur Reformation eröffneten.

Mit dem dritten Abschnitt weitet sich der Blick vom deutschen Rheinland auf den niederrheinisch-maasländischen Raum, womit richtigerweise nationalstaatlich Perspektiven durchbrochen werden, die für die Frühe Neuzeit allgemein und den Adel insbesondere keine Rolle spielten. Iris Kwiatkowski stellt die Herren von Bronckhorst-Batenberg „zwischen Fürstendienst, Landstandschaft und autogener Herrschaftsausübung“ vor. Peter Christoph Slawek beschäftigt sich mit der „Erhebung von Wissen und Diersfordt zu Herrlichkeiten im Jahr 1497/1498“ durch Herzog Johann II. von Kleve, womit auch dem Tagungsort seine Referenz erwiesen wird. Dem Phänomen reichsunmittelbarer Herrschaften („Sonnenlehen“) in der niederländischen Provinz Limburg widmet sich Jacques van Rensch in seinem Beitrag.

Der vierte und letzte Abschnitt blickt schließlich mit Vergleichsbeispielen nach Luxemburg, Westfalen und Niedersachsen. Peter K. Weber stellt die Adelsherrschaft Reuland im späten 16. Jahrhundert vor, Antje Diener-Staeckling die westfälische Herrschaft Lembeck und Wencke Hinz die Herrschaft des Adels im Fürstentum Lüneburg.

Die durchweg lesenswerten und quellennah erarbeiteten Beiträge vertiefen unser Bild adeliger Herrschaft der Frühen Neuzeit im Nordwesten des Alten Reichs. Sie bieten zahlreiche Denkanstöße, die die zukünftige Forschung hoffentlich weiterverfolgen wird.

Monika Gussone / Hans-Werner Langbrandtner / Peter K. Weber (Hrsg.), Zwischen Macht und Ohnmacht. Spielräume adeliger Herrschaft im frühneuzeitlichen Rheinland (Vereinigte Adelsarchive im Rheinland e.V., Schriften Bd. 6), Bielefeld: Verlag für Regionalgeschichte 2020, 384 Seiten, 23 Abbildungen, 29,00 €; ISBN 978-3-7395-1206-8.

 

Zitierweise:
von Büren, Guido: Rezension zu “Zwischen Macht und Ohnmacht. Spielräume adeliger Herrschaft im frühneuzeitlichen Rheinland”, in: Histrhen. Rheinische Geschichte wissenschaftlich bloggen, 06.07.2021, http://histrhen.landesgeschichte.eu/2021/07/rezension-macht-und-ohnmacht-vonbueren

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Guido von Büren
Guido von Büren

Über Guido von Büren

Geb. 1974 in Jülich, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Baugeschichte in Aachen. Mitarbeiter am Museum Zitadelle Jülich. Vorsitzender des Jülicher Geschichtsvereins 1923 e.V. und der Wartburg-Gesellschaft zur Erforschung von Burgen und Schlössern e.V. Mitglied der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde. Kurator der Ausstellung „Renaissance am Rhein“ im LVR-LandesMuseum Bonn (Herbst/Winter 2010/2011) sowie Kurator zahlreicher Ausstellungen im Museum Zitadelle Jülich. Forschungs- und Publikationsschwerpunkt: Architektur der Renaissance nördlich der Alpen und Festungsbau der Frühen Neuzeit sowie Rheinische Landesgeschichte.

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