Religiöse Vielfalt in Köln Beiträge des Begleitprogramms der Ausstellung „Hilliges Köln 2.0 – Auf dem Weg zur religiösen Toleranz?“

Das 104. Heft der Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Köln ist eine Zusammenstellung mehrerer Beiträge aus dem Reformationsjubiläumsjahr 2017. Die ersten 82 der 123 Seiten werden von verschriftlichten Vorträgen der titelgebenden Ausstellung gefüllt, die übrigen sind Beiträge und Vorträge, die auf anderen Veranstaltungen im Jahr 2017 gehalten wurden. Der Hauptteil des Heftes zum 500 Reformationsjubiläum soll zudem aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen des Themas „religiöse Toleranz“ reflektieren. Den Anfang macht die Ausstellungseröffnungsrede vom 5. April 2017 von Stefan Bachmann mit dem Titel „Toleranz ist Arbeit!“, dessen lesenswertes Plädoyer für Toleranz zugleich eine Warnung vor dem Verlust des kulturellen status quo durch Unterfinanzierung ist. Dabei reisst er die Fassade der oft zitierten Toleranz in Köln nieder, die eine „fatale Tendenz zur kindlichen Regression, zum Kleinmut und zur Lähmung“ habe (S.11). Damit zeigt Bachmann auf eine pathologische Gleichgültigkeit, die nicht zuletzt auch den Einsturz des Archivgebäudes 2009 mit zu verantworten hat: Der „kölsche Fatalismus“ sei „der depressive Bruder der Kölschen Gelassenheit“ und habe „mit der Toleranz […] nicht viel zu tun“ (S. 11).

Bernd Ridwan Bauknecht setzt sich in „Junge Muslime ganz anders?! – Islamischer Religionsunterricht an öffentlichen Schulen“ mit der Identität muslimischer Jugendlicher und der Unterrichtsstruktur von Religionsunterricht in Köln und Nordrhein-Westfalen auseinander. Die interessanten sozialen und sprachlichen Ansätze lohnen, tiefer verfolgt werden, Bauknecht bietet aber einen anschaulichen Einblick in die Lebenswelt der jungen Generation muslimischer Kölner.

Der Beitrag von Alexander Friedman trägt den sprechenden Titel „Ein ‘fanatischer Kalter Krieger’ aus Köln – Konrad Adenauer und seine Rezeption in der Sowjetunion.“ Ausgehend von der aktuellen Dämonisierung der amtierenden Bundeskanzlerin in Putin-freundlichen Medien analysiert Friedman, Spezialist für russisch-deutsche Beziehungen, das „Feindbild Adenauer“ und liefert mit der sowjetischen Rezeption des Prozesses um die Synagogen-Schändung in Köln vom 25. Dezember 1959 eine kontextualisierte Propaganda-Geschichte aus dem Kalten Krieg, die Toleranz in Köln zugleich auf eine weltpolitische Ebene hebt. Die Parallelen, die Friedman zwischen der Berichterstattung in der Sowjetunion und Putins Russland zieht, gehören in den aktuellen politischen Diskurs, der viel zu oft bereits Erfahrenes und überwunden Geglaubtes vergisst.

Siegfried Hermle hingegen taucht ganz in den frühneuzeitlichen Toleranzbegriff ein. Sein Beitrag „Vom Brauhaus zur Antoniterkirche – Das Ende der Unterdrückung der Kölner Protestanten“ skizziert die Geschichte der protestantischen Minderheit in Köln und konzentriert sich auf den „Toleranzstreit“ Ende des 18. Jahrhunderts, als der Versuch, eine evangelische Kirche in der Stadt zu errichten, trotz der Zustimmung des Rates, am Widerstand und der Intoleranz der Kölner Bevölkerung scheiterte. Ein zweiter Schwerpunkt des Beitrags liegt auf den evangelischen Gottesdiensten, die in Folge der Annexion  durch Frankreich in Köln ermöglicht wurden. Hermle resümiert: „Toleranz für die Protestanten war demnach keine sich aus der Kölnischen Gesellschaft gegebene Entwicklung, sondern letztlich eine auf die französische Besatzung zurückzuführende Maßnahme“ (S. 48).

In „Die Option gegen die Reformation: Warum wurde Köln katholisch?“ geht Max Plassmann zeitlich weiter zurück und führt einige strukturelle Erneuerungen an, die in Köln bereits durchgeführt wurden, bevor die Reformation sie im Rahmen eines größeren Reformkonzepts gefordert wurden: Durch die Pfarrerwahl, die Anbindung der städtischen Gesellschaft an die Kirchspiele und die verbesserte Ausbildung der Pfarrer seien die Kölner auf Laienebene besser aufgestellt gewesen als andere katholische Gesellschaften (S. 55). Dadurch fiel die Argumentation Luthers auf weniger fruchtbaren Boden in Köln als in anderen Städten.

Markus Schwering fokussiert den Blick wieder auf den Begriff “Toleranz” und setzt sich mit dem früheren und heutigen Gebrauch des Wortes auseinander. „Die bedrängte Toleranz – zur Philosophie eines umstrittenen Begriffs“ definiert Toleranz als etwas Erlerntes und damit auch Erlernbares ist. Auch Schwering stellt die Frage, „was an der viel beschworenen Kölnischen Toleranz Wirklichkeit und was daran selbstzufrieden gepflegter Mythos ist“ (S. 72). Dieser Beitrag schließt das Thema Toleranz und Köln ab.

Der übrige Teil des Buches gehört Spezialthemen, wie dem Beitrag „Der Kapitelsaal der ehemaligen Abtei Brauweiler als evangelische Kirche“ von Ulrich Stevens, der sich auf die Nutzung und die Innengestaltung der Abtei konzentriert. Über die Erweiterung der Kölner Museumslandschaft unterrichtet „Von den Ausgrabungen zum Museum im Herzen der Stadt: Das MiQua. LVR-Jüdisches Museum im Archäologischen Quartier Köln“. Mit einigen computergestützt entworfenen Bildern stellt Christiane Twiehaus die Pläne und die künftigen Ausstellungs-Highlights des neuen jüdischen Museums vor, das 2021 eröffnet werden soll.
Eine „klassische“ Mitteilung aus dem Archiv bietet Janusch Carl mit „Wo warst Du, Nachlass? – Der Bestand 1326 (Heinrich Böll) im Historischen Archiv der Stadt Köln“, einer Beschreibung und Geschichte des Nachlasses des berühmten Kölner Schriftstellers und Nobelpreisträgers. Carl stellt die Erwerbung des Nachlasses und wie er im Archiv behandelt wurde dar – betrachtet dabei aber sowohl die Zeit vor als auch nach dem Einsturz 2009. Der Beitrag bietet daher auch einen interessanten Einblick in die juristische Auseinandersetzung zwischen den Erben des Nachlassgebers mit dem Archiv in der Folge des Einsturzes.
Wie die Beiträge zur Toleranz und der Beitrag von Janusch Carl ist auch der abschließende Beitrag des Hefts eine Verschriftlichung eines Vortrags aus dem Jahr 2017: Max Plassmann stellt die historischen Gründe der Sammlungen Ferdinand Franz Wallrafs zusammen. „Wallraf als Sammler. Kulturelle, politische und gesellschaftliche Hintergründe einer Leidenschaft.“ Er kontextualisiert damit die für Köln so bedeutende Sammlung.

Betrachtet man die Beiträge zur Toleranz, fällt auf, dass die meisten Beiträge sich der Intoleranz der Stadt Köln und ihrer Einwohner widmen. Dass sich hinter der kölnischen Gelassenheit tatsächlich Gleichgültigkeit verbirgt, ist nicht weiter verwunderlich, aber zulgeich ist der erste Schritt zur Toleranz immer auch das Identifizieren der eigenen Intoleranz. Die „Religiöse Vielfalt in Köln“ hätte in der Schriftform durchaus vielfältiger und intensiver behandelt werden können. Das gilt auch für die Einbindung anderer Beiträge bis hin zum Gedicht. So fehlt für den Leser, der die Ausstellung nicht gesehen und an keinem der Vorträge teilgenommen hat – oder sich nicht mehr daran erinnern kann – eine editorische Einfassung der Beiträge.

Bei einer Zusammenstellung so unterschiedlicher Beiträge kann im Fazit keine eindeutige Leseempfehlung stehen. Es erscheint sinnvoller, den Ansatz umzudrehen und eine interessensbezogene Empfehlung auszusprechen: Die Beiträge zum Thema Toleranz in Köln von Bachmann, Schwering und Bauknecht lohnen sich für Interessierte an Gesellschaft und Politik der Stadt Köln. Die geschichtswissenschaftlich Interessierten erfreuen sich an den Beträgen von Friedman, Hermle und Plassmann. Die dem Archivwesen Verbundenen ziehen aus dem Beitrag von Carl sowohl Archivgeschichtliches als auch Erkenntnisse über den Umgang mit Nachlässen nach dem 3. März 2009. Die Vorstellung des jüdischen Museums von Twiehaus bedient die museal und Ulrich Stevens die kunstgeschichtlich Interessierten. Auf das Gedicht „Wir sind Wir“ von Wilfried Schmickler (S. 103), dass im Rahmen einer Podiumsdisskussion zum Thema „Was heißt heute Toleranz“ am 5.10.2017 im Archiv vorgetragen wurde, sei an dieser Stelle hingewiesen. Es ist also für viele etwas dabei aber für kaum jemand ist alles in gleichem Maße interessant. Es ist letztlich eben eine Druckfassung der „Vorträge im Archiv“ aus dem Jahr 2017. Daher darf bei einer Rezension, die auf einem wissenschaftlichen Blog erscheint, die Frage aufgeworfen werden, ob möglicherweise für die Publikation mehr oder weniger unverbundener Beiträge ein Blog eine Alternative sein könnte.

 

Religiöse Vielfalt in Köln. Beiträge des Begleitprogramms der Ausstellung „Hilliges Köln 2.0 – Auf dem Weg zur religiösen Toleranz?“ (Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Köln 104), Köln 2019, 123 Seiten; ISBN: 978-3-928907-39-2.

 

Zitierweise:
Hermel, Jochen: Rezension zu “Religiöse Vielfalt in Köln. Beiträge des Begleitprogramms der Ausstellung “Hilliges Köln 2.0 – Auf dem Weg zur religiösen Toleranz?” (Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Köln 104)”, in: Histrhen. Rheinische Geschichte wissenschaftlich bloggen, 07.05.2020, http://histrhen.landesgeschichte.eu/2020/05/rezension-religioese-vielfalt-hermel/

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Jochen Hermel

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