Die Abstracts zur Tagung „Die Stadt und die Anderen“ Sektion II: Das Eigene und das Fremde. Wahrnehmungen – Identitäten – Vermittlungen

Die zweite Tagungssektion führt die Diskussion um Identität und Alterität anhand von Beispielen aus Italien, der Schweiz und Deutschland fort. Es geht um die Wahrnehmung von Sklavinnen in der spätmittelalterlichen Toskana, die mediale Vermittlung von Fremdheitserfahrungen in Berner Bilderchroniken des 15. und 16. Jahrhunderts, Identifikation und Abgrenzung in Selbstzeugnissen von Nürnberger Studenten im Oberitalien des 16. Jahrhunderts sowie Beschreibungen von Ausländern in einer hannoverschen Chronik des 18. Jahrhunderts.

Die Referentinnen und Referenten: Prof. Dr. Marc von der Höh, Inhaber des Lehrstuhls für Geschichte des Mittelalters an der Universität Rostock, ist Spezialist für italienische und deutsche Stadtgeschichte des Mittelalters und hat sich intensiv mit Geschichte und Erinnerungskultur des Kölner Patriziats im Spätmittelalter befasst.[1] Dr. des. Daniela Schulte war Doktorandin im Nationalen Forschungsschwerpunkt „Medienwandel – Medienwechsel – Medienwissen. Historische Perspektiven“ an der Universität Zürich und hat in diesem Rahmen eine Dissertation zur Vermittlung von Katastrophen in Schweizerischen Bilderchroniken des 15. und 16. Jahrhunderts erarbeitet.[2]  Simon Siemianowski M. A. ist Wissenschaftliche Hilfskraft im Bielefelder SFB 1288 „Praktiken des Vergleichens. Die Welt ordnen und verändern“ und arbeitet an einer Doktorarbeit zur Funktionsweise des Selbstvergleichs in Selbstzeugnissen des 15. und 16. Jahrhunderts. Dr. Christian Schlöder wurde mit einer Studie zu Bonn im 18. Jahrhundert promoviert und ist Wissenschaftlicher Archivar am Niedersächsischen Landesarchiv Hannover.[3] Die Sektion wird moderiert von Prof. Dr. Stephan Laux, Inhaber des Lehrstuhls für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Trier, der sich als Spezialist für Landes- und Stadtgeschichte unter anderem mit Hans Heberles „Zeytregister“ aus dem 17. Jahrhundert beschäftigt und im Zuge des aktuellen Marx-Jubiläums eine Online-Edition der Trierer Armenkarte von 1832 realisiert hat.

Mo., 24.09.2018, 14.15–15.00 Uhr
Prof. Dr. Marc von der Höh (Rostock)
Die Fremde im Haus. Sklavinnen in der spätmittelalterlichen Toskana

Abstract folgt.

Mo., 24.09.2018, 15.00–15.45 Uhr
Dr. des. Daniela Schulte (Zürich)
Mediale Vermittlung von Fremdheitserfahrungen in den Berner Bilderchroniken des späten 15. Jahrhunderts

Stadtchroniken sind ein Medium, das die Erinnerung an die eigene Vergangenheit zumeist als Erfolgsgeschichte konstruiert und als Teil einer Selbstvergewisserung der jeweiligen städtischen Eliten betrachtet werden kann. Die Historiographie verweist damit auf das städtische Geschichtsbild, über das die Stadtkommune sich definierte und damit gleichzeitig auch immer wieder gegenüber dem Anderen abgrenzte. Gleichzeitig ist Geschichtsschreibung dabei nicht nur von ihren Entstehungszusammenhängen, sondern auch von der eigenen Narrativität und Medialität geprägt, die auch die vermittelten Ideen von Fremdheit mitbestimmten.

In Bern entstand wie in vielen anderen Städten des Reiches vor allem ab dem 15. Jahrhundert eine eigene Geschichtsschreibung, die vor allem Teil einer Elitenkommunikation über die eigene Vergangenheit war. Um 1430 gab es mit der Chronik von Konrad Justinger eine erste offizielle Stadtchronik, die das Geschichtsbild von der eigenen Stadt maßgeblich prägen sollte, da ihr Text auch in späteren Chroniken weiter tradiert wurde. In den 1470er und 1480er Jahren entstanden in der Folge in Bern vier Bilderchroniken, die an die Arbeit von Justinger anschlossen, diese um jüngere Zeitabschnitte erweiterten und vor allem die Historiographie um eine reichhaltige Bebilderung ergänzen ließen. Das umfangreichste und am aufwendigsten ausgestattete Werk ist die dreibändige Amtliche Berner Chronik von Diebold Schilling, die vom Berner Rat in Auftrag gegeben und 1483 überreicht wurde.

Die Berner Geschichtsschreibung ist inhaltlich in großen Teilen vor allem auf die Berner Außenpolitik und die Kriege der eigenen Vergangenheit fokussiert. Insbesondere in der Amtlichen Berner Chronik ist der dritte Band fast ausschließlich der Darstellung der Burgunderkriege gewidmet. Die Begegnung mit dem Fremden ist damit essentieller Bestandteil der Berner Chronistik und wird immer wieder thematisiert. Insbesondere durch die Ergänzung der Chroniken mit bildlichen Darstellungen kann auch ein Blick darauf geworfen werden, wie über die Bildlichkeit Fremdheit gekennzeichnet werden konnte und welche Stereotype vor allem über die Bilder in Szene gesetzt wurden.

Ein Schwerpunkt liegt dabei auf den Erfahrungen mit Fremden auf Kriegszügen, die in diesen Situationen vor allem als Gegner der eigenen Stadt dargestellt werden. Fremde Krieger werden häufig durch andere Rüstungen und fremdartige Waffen schon bildlich als solche gekennzeichnet. Eine besonders auffällige bildliche Abgrenzung geschieht bei der Darstellung der Walliser: Diese werden mit deutlich ausgeprägten Kröpfen und zum Teil Hakennasen im Bild gezeichnet. Es ist genauer zu prüfen, worauf diese Kennzeichnung vor allem der Walliser zurückzuführen ist und welche negativen Vorurteile sich hierin widerspiegeln. Gleichzeitig werden auch Situationen, in denen Fremde nach Bern kamen, in den Blick gerückt. Dabei ist besonders auf eine bildliche Darstellung in der Spiezer Chronik einzugehen, die die Ankunft von schwarzen getauften Heiden aus Ägypten in Bern thematisiert.

Der Beitrag kann somit einen Einblick geben, wie in der Berner Chronistik über Text und Bild in verschiedenen Situationen ein Bild von Fremdheit vermittelt wurde und welche typischen Elemente hierbei genutzt wurden, um bestimmte Ideen von der eigenen Stadt und deren Verhältnis zum Anderen zu inszenieren.

Mo., 24.09.2018, 16.15–17.00 Uhr
Simon Siemianowski M. A. (Bielefeld)
Welsch oder teutsch? Spielräume von Identifikation und Abgrenzung in den Selbstzeugnissen Nürnberger Studenten im Oberitalien des 16. Jahrhunderts

Bezeichnungen wie „Italianer“ und „D(e)utze“ tauchen regelmäßig in Hermann Weinsbergs „Gedenkbüchern“ auf und scheinen ihm derart geläufig zu sein, dass sie keiner weiteren Erläuterung bedurften. Sie verweisen auf Herkunft, ohne konkrete geographische Räume zu meinen und beziehen sich auf sprachliche Gegensätze, ohne mit den ebenfalls verwendeten Bezeichnungen für Sprachen deckungsgleich zu sein: Mit „welscher Sprach“ konnten schließlich je nach Kontext verschiedene romanische Sprachen gemeint sein.

Aus heutiger Sicht sind derartige Zuschreibungen erklärungsbedürftig, zumal sie anscheinend um 1500 eine weitere, qualitative Bedeutungsebene gewinnen. Besonders im humanistischen Diskurs finden sich immer häufiger wertende Gegenüberstellungen. Der Nürnberger Willibald Pirckheimer etwa kopierte und sammelte polemische Gedichte, in denen die ‚Italiener‘ als Pädophile verurteilt werden und die ‚wahre‘ Liebe der ‚Deutschen‘ (hier: „germani“) gepriesen wird. In seinem Werk „De Bello Suitense“ berichtet Pirckheimer jedoch auch, dass er während seines eigenen Studiums in Padua und Pavia nur mit ‚Italienern‘ verkehrt habe. Dafür sei er von den ‚Deutschen‘ verachtet, von den ‚Italienern‘ aber geliebt worden, da er „praeter Germanorum consuetudinem“ – also entgegen der Sitten der ‚Deutschen‘ – humanistisch gebildet gewesen sei. Derart wertende Gegenüberstellungen finden sich auch in zahlreichen anderen Berichten, Reden und Briefen von Nürnberger Humanisten wie Hermann Schedel, Christoph Scheurl oder Christoph Kress, die während oder im Rückblick auf ihre eigene Studienzeit an oberitalienischen Universitäten entstanden sind.

Doch welche diskursive Funktion erfüllt die Unterscheidung „teutsch/welsch“ beziehungsweise „germanicus/italicus“ für die Selbstverortung in einer Zeit vor der Entstehung moderner Nationalidentitäten? Welchen Vorteil bot sie gegenüber anderen denkbaren Vergleichspaaren wie etwa der Gegenüberstellung von Herkunftsstadt und Studienstadt? Ist dieser ‚nationale‘ Diskurs tatsächlich – wie etwa Dieter Mertens meinte – Beleg für eine wachsende Elitenkonkurrenz und die universitäre „natio germanica“ der Ort einer „Selbstidentifizierung vor Fremden“?[4] In diesem Fall müsste aber erklärt werden, warum die mit den Zuschreibungen verbundenen Werturteile je nach Situation so unterschiedlich ausfielen und warum sich Pirckheimer und andere Nürnberger Humanisten mal mit der einen, mal mit der anderen Kategorie identifizierten. Ausgehend von Überlegungen im Rahmen des Bielefelder Sonderforschungsbereiches 1288 „Praktiken des Vergleichens. Die Welt ordnen und verändern“ geht der Vortrag von der Hypothese aus, dass die Motivation für die vergleichende Verwendung der beiden Zuschreibungen nicht primär in der Affirmation einer ‚deutschen‘ Identität gegenüber einer ‚italienischen‘ Alterität zu suchen ist. Vielmehr stand zunächst allein die Markierung der eigenen Zugehörigkeiten im Mittelpunkt, welche gerade durch die scheinbare Ambiguität der Komparata ‚deutsch‘ und ‚italienisch‘ im humanistischen Diskurs neue Spielräume gewann.

Mo., 24.09.2018, 17.00–17.45 Uhr
Dr. Christian Schlöder (Hannover)
Vorurteile und eigene Erfahrungen. Beschreibungen von Ausländern in der Chronik des hannoverschen Kammerschreibers Johann Heinrich Redecker (1682–1764)

Die Chronik „Historische Collectanea von der Königlichen und Churfürstlichen Residentz-Stadt Hannover“ des hannoverschen Kammerschreibers Johann Heinrich Redecker (1682–1764) behandelt die Geschichte der Stadt Hannover seit ihrer Gründung bis zum Jahr 1762. Die Beschreibungen der Ereignisse in der Lebenszeit des Chronisten sind teilweise sehr ausführlich und beinhalten neben den für die Quellengattung typischen Nachrichten aus dritter Hand auch autobiographische Berichte. Damit handelt es sich um ein Ego-Dokument, das Auskunft über die Selbstsicht des Autors gibt. Die im Stadtarchiv Hannover verwahrte Chronik wurde von der regionalgeschichtlichen Forschung zu Beginn des 20. Jahrhunderts stark rezipiert. Zahlreiche Auszüge aus der insgesamt 1078 Seiten umfassenden Chronik wurden in den hannoverschen Geschichtsblättern zwischen 1905 und 1911 abgedruckt. Eine systematische Untersuchung der Chronik unterblieb jedoch. Neben den chronikalischen Aufzeichnungen und Berichten des Autors finden sich darin viele Illustrationen, Zeichnungen, Pläne und Drucke.

Im Vortrag werden die Aussagen des Chronisten über nicht deutschsprachige Ausländer im Zeitraum zwischen 1682 und 1762 vorgestellt und analysiert. Die Beschreibungen dieser „Fremden“ werden systematisch miteinander verglichen. Gefragt wird danach, ob zwischen Menschen nach ihrer Herkunftsregion unterschieden wird, welche Rolle Vorurteile spielen, wie die Beschreibungen von Ausländern zur Identitätsbildung genutzt werden und ob sich die Wahrnehmung der ‚Fremden‘ im Verlauf des Untersuchungszeitraumes verändert.

Im Vordergrund stehen dabei die persönlichen Erfahrungen und Begegnungen des Chronisten. Es wird untersucht, inwiefern diese Fremdheitserfahrungen seine Einstellungen und Vorurteile gegenüber fremden Menschen beeinflussten. Zum Beispiel hatte Redecker selbst im Jahr 1735 Kontakt mit einem Araber namens Keisa, den er bat, seinen Namen auf Arabisch niederzuschreiben. Die Schilderung dieser Begegnung sowie die Unterschrift des arabischen Prinzen finden sich auf einem Zettel, der in die Chronik aufgenommen wurde. Redecker nennt Keisa einen Prinzen, der in seiner Sprache Emir genannt werde, und hebt die Höflichkeit des Mannes hervor. Für die Kommunikation wurde ein Dolmetscher hinzugezogen. Redeckers Ausführungen zeugen insgesamt von großer Neugier und Wertschätzung für diesen Fremden aus dem arabischen Kulturraum. Besonders eindrucksvoll ist die ausführliche Beschreibung eines „Wilden“ aus Grönland, den ein Holländer nach Hannover gebracht hatte. Redecker selbst traf die beiden und erkundigte sich ausführlich nach der Herkunft und den Lebensgewohnheiten des fremden Mannes. In der beigefügten Zeichnung des Grönländers werden die auffallenden Charakteristika, der gedrungene Körper, die gebückte Haltung sowie die asiatischen Augen, besonders stark betont.

Zum Verständnis dieser Beschreibungen Redeckers wird sein Lebensumfeld in der Residenzstadt Hannover erläutert, zumal zu seiner Person wenig bekannt ist. Als Angehöriger des glanzvollen kurfürstlichen Hofes, an den besonders unter Ernst August und Georg Ludwig häufig hohe Gäste aus dem In- und Ausland kamen, hatte er selbst mit zahlreichen Ausländern Kontakt.

Abschließend werden die gewonnenen Erkenntnisse in den Forschungskontext zur Integration und Wahrnehmung von ‚Fremden‘ in der Frühen Neuzeit eingeordnet. Dabei wird besonders auf die Besonderheit der Quelle eingegangen, schließlich wurden Chroniken und Selbstzeugnisse im Gegensatz zu normativen Quellen für diese Fragestellungen bisher kaum von der Forschung herangezogen.

 


[1] Marc von der Höh: Erinnerungskultur und frühe Kommune. Formen und Funktionen des Umgangs mit der Vergangenheit im hochmittelalterlichen Pisa (1050–1150) (Hallische Beiträge zur Geschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit 3), Berlin 2006; die Bochumer Habilitationsschrift von 2014 mit dem Titel „Geslechte. Studien zur verwandtschaftlichen Strukturierung der älteren Kölner Führungsschicht im Spätmittelalter“ ist noch nicht publiziert.

[2] Daniela Schulte: Die zerstörte Stadt. Katastrophen in den schweizerischen Bilderchroniken des 15. und 16. Jahrhunderts (Medienwandel – Medienwechsel – Medienwissen 41), Zürich 2018 [im Druck].

[3] Christian Schlöder: Bonn im 18. Jahrhundert. Die Bevölkerung einer geistlichen Residenzstadt (Stadt und Gesellschaft 5), Köln/Weimar/Wien 2014.

[4] Dieter Mertens: Auslandsstudium und acts of identity im Spätmittelalter, in: Elisabeth Vogel (Hrsg.): Zwischen Ausgrenzung und Hybridisierung. Zur Konstruktion von Identitäten aus kulturwissenschaftlicher Perspektive. (Identitäten und Alteritäten 14), Würzburg 2003, S. 97–106, hier S. 103.

 

Zitierweise:
Rutz, Andreas: Die Abstracts zur Tagung „Die Stadt und die Anderen“. Sektion II: Das Eigene und das Fremde. Wahrnehmungen – Identitäten – Vermittlungen, in: Histrhen. Rheinische Geschichte wissenschaftlich bloggen, 08.08.2018, http://histrhen.landesgeschichte.eu/2018/08/die-stadt-und-die-anderen-sektion-zwei/

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Prof. Dr. Andreas Rutz
Prof. Dr. Andreas Rutz

Über Prof. Dr. Andreas Rutz

Prof. Dr. Andreas Rutz ist Inhaber des Lehrstuhls für Sächsische Landesgeschichte an der Technischen Universität Dresden und Direktor des Instituts für Sächsische Geschichte und Volkskunde. Studium in Bonn, Paris und New York, Promotion 2005 und Habilitation 2014 in Bonn, danach Lehrstuhlvertretungen in Münster, Bonn und Düsseldorf sowie eine Kurzzeitdozentur in Tokio/Japan. Forschungsschwerpunkte sind die vergleichende Landes- und Stadtgeschichte sowie die Geschichte der Frühen Neuzeit; aktuelles DFG-Projekt: „Weibliche Herrschaftspartizipation in der Frühen Neuzeit. Regentschaften im Heiligen Römischen Reich in westeuropäischer Perspektive“.

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