Die Abstracts zur Tagung „Die Stadt und die Anderen“ Öffentlicher Abendvortrag

Der öffentliche Abendvortrag der Tagung ist Hermann Weinsberg gewidmet, dessen 500. Geburtstag in diesem Jahr den Impuls zur Veranstaltung der Tagung und zu deren inhaltlicher Ausrichtung gegeben hat. Referent des Abends ist der Germanist PD Dr. Peter Glasner, Studienrat im Hochschuldienst am Institut für Germanistik, Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft der Universität Bonn.

Zu Glasners Forschungsschwerpunkten gehören unter anderem die kulturwissenschaftliche Sprachgeschichte und die Namenforschung, die er mit einer Dissertation zur „Lesbarkeit“ der Stadt Köln im Mittelalter bereichert hat[1], mittelalterliche und frühneuzeitliche Erzählkontexte, wie sie in der noch ungedruckten Bonner Habilitationsschrift zum „Erzählen von intriganten Narren im Mittelalter“ von 2014 diskutiert werden sowie die Medialität vormoderner Manuskriptkultur, der auch der Abendvortrag gewidmet sein wird.[2]

Mo., 24.09.2018, 19.00 Uhr
PD Dr. Peter Glasner (Bonn)
Geschriben und gemailt: Persönliche und kollektive Identitätskonstruktion in der Manuskriptkultur des Hermann von Weinsberg (1518–1597)

Hermann von Weinsbergs so obsessives wie unausgesetztes Schreibprojekt eines Haus- und Familienbuches umfasst und illustriert das gesamte Leben seines Schreibers. Es zählt zu jenen sprach-, geistes-, kultur- und mentalitätsgeschichtlich schier unerschöpflichen Quellen im Übergang von Spätmittelalter und Früher Neuzeit, die in der Sozial- und Erfahrungsgeschichte prägnant als ‚Ego-Dokumente’ bezeichnet werden. Diese Quellen konstituieren einerseits Identität als Teilhabe an diversen Kollektiven (Stadt, Viertel, Konfession etc.) und sind andererseits um die Abgrenzung von kulturinterner Alterität, etwa mit Blick auf Stand oder Konfession, bemüht.

Den Kern von Weinsbergs Manuskripten bildet das „Gedenkboich der Jaren Hermanni von Weinsberch“, das als Haus- und Familienchronik das Leben seines Verfassers in den Mittelpunkt stellt. Ergänzt wird dieses durch einen sogenannten ‚Materialienband’, nämlich das von Weinsberg selbst mit zahlreichen Illustrationen versehene „Boich Weinsberch“, welches die legendarischen Anfänge der Familiengeschichte zu Zeiten Karls des Großen in der Intermedialität Weinsbergscher Manuskriptkultur darbietet.

Der Beitrag widmet sich der Frage, inwiefern Text und Bild in Weinsbergs Handschriften als Identitätsrepräsentation fungieren. Erst in der Hinwendung zu Text und Bild in Weinsbergs Handschriften werden die Wechselbeziehungen von Identität und Alterität als Konstruktionen manifest, die Weinsberg den Traditionen der jeweiligen Medialität entnommen hat. Vor allem in dem vielfach variierten Bildprogramm seiner ‚Namensetymologie’, das ihn sowohl persönlich als auch als Hausvater mit Christus als Weinstock verbindet, kulminiert Identität auch als Abgrenzung von Alteritärem: Das Haus Weinsberg manifestiert so ‚etymologisch’ wie ikonographisch seine Zugehörigkeit zum alten Glauben mit dem mittelalterlichen Traditionalismus der Stifterikonographie. Was folglich im Bildmedium traditionell und typisierend erscheint, wirkt im Autobiographischen des Textes jedoch tendenziell individuell und dies vor allem dann, wenn Weinsberg sowohl als Autor als auch als Illustrator seiner Manuskripte zur Kenntnis genommen wird.

 


[1] Peter Glasner: Die Lesbarkeit der Stadt, Bd. 1: Kulturgeschichte der mittelalterlichen Straßennamen Kölns; Bd. 2: Lexikon der mittelalterlichen Straßennamen Kölns, Köln 2002.

[2] Vgl. in diesem Zusammenhang Peter Glasner: Ein geschrift zu ewiger gedechtniß… Das erinnernde Ich bei Hermann von Weinsberg (1518–1597) in der Medialität von Schrift und Bild, in: Gerald Kapfhammer / Wolf-Dietrich Löhr / Barbara Nitsche (Hrsg.): Autorbilder. Zur Medialität literarischer Kommunikation in Mittelalter und Früher Neuzeit (Tholos. Kunsthistorische Studien 2), Münster 2006, S. 285–319; zu Weinsberg außerdem Peter Glasner: Hermann von Weinsberg (1518–1597), in: Verfasserlexikon Frühe Neuzeit 6 (2017), Sp. 481–487.

 

 

Zitierweise:
Rutz, Andreas: Die Abstracts zur Tagung „Die Stadt und die Anderen“. Öffentlicher Abendvortrag, in: Histrhen. Rheinische Geschichte wissenschaftlich bloggen, 01.08.2018, http://histrhen.landesgeschichte.eu/2018/08/die-abstracts-zur-tagung-abendvortrag

Druckversion
Prof. Dr. Andreas Rutz
Prof. Dr. Andreas Rutz

Über Prof. Dr. Andreas Rutz

Prof. Dr. Andreas Rutz ist Inhaber des Lehrstuhls für Sächsische Landesgeschichte an der Technischen Universität Dresden und Direktor des Instituts für Sächsische Geschichte und Volkskunde. Studium in Bonn, Paris und New York, Promotion 2005 und Habilitation 2014 in Bonn, danach Lehrstuhlvertretungen in Münster, Bonn und Düsseldorf sowie eine Kurzzeitdozentur in Tokio/Japan. Forschungsschwerpunkte sind die vergleichende Landes- und Stadtgeschichte sowie die Geschichte der Frühen Neuzeit; aktuelles DFG-Projekt: „Weibliche Herrschaftspartizipation in der Frühen Neuzeit. Regentschaften im Heiligen Römischen Reich in westeuropäischer Perspektive“.

Beitrag kommentieren

Ihre E-Mail wird nicht öffentlich sichtbar sein. Erforderliche Felder sind markiert mit einem *

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.