Übergänge von idealiter abgegrenztem Kriegs- und Friedenszustand, ihre Formen und Charakteristika in diachroner Perspektive standen im Fokus der Tagung „Mars oder Pax? ‚Rheinische‘ Übergänge von Krieg und Frieden“, die im Format der jährlichen ,Herbsttagung‘ der Abteilung für Geschichte der Frühen Neuzeit und Rheinische Landesgeschichte und des Vereins für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande am 23./24. September 2024 in Bonn stattfand. Gefördert wurde die Tagung durch den Landschaftsverband Rheinland (LVR). Zum Schwerpunktthema passend kooperierten das Zentrum für Historische Friedensforschung sowie das Bonn Center for Dependency and Slavery Studies mit seinem Schwerpunkt auf gesellschaftliche Transitionsformen bei der Gestaltung der Tagung. Deren Ziel war es, so Michael Rohrschneider (Bonn) in seiner Einleitung als Ausrichter der Tagung, in der Vielfalt der bestehenden Konzepte zu Übergängen von Kriegs- zu Friedenszeiten einen räumlichen Akzent zu setzen. Mit Beispielen aus dem rheinischen Raum ist dabei – so die Prämisse – ein besonders neuralgischer mächtepolitischer Brennpunkt von Gewalt, Krieg und Frieden erfasst, der von fast jedem west- und mitteleuropäischen Kriegsgeschehen seit dem Spätmittelalter betroffen war. Für die Tagung stand somit die Frage im Raum, ob ein solcher Zuschnitt eine Schärfung erlaubt, die der Forschung in ihrem Bemühen, Krieg-Friedens-Zäsuren zu hinterfragen, sonst schwerer fiele. Insbesondere war dies geboten, da die Tagung gezielt nicht auf eine Epoche mit ihren entsprechenden kriegs- und friedensbedingenden Strukturen beschränkt war, sondern eine im Spätmittelalter ansetzende und bis zum Zweiten Weltkrieg reichende longue durée umfasste.
Dieser diachronen Breite entsprechend war das Tagungsprogramm in sich zwar chronologisch angelegt, jedoch zeigen sich in der Gesamtschau auf die Ansätze, präsentierten Ergebnisse und weitere Fragestellungen zahlreiche überbindende Aspekte, die für diese Nachschau im Vordergrund stehen sollen. Zu diesen gehört vordergründig erstens die Frage nach dem „rheinischen Element“ in der Gesamtschau der Beiträge, also topographischen, sozialen und politischen Präponderabilien und Begebenheiten, die Übergänge von Gewalt, Krieg und Frieden zwischen dem Nieder- und Mittelrhein prägten (I). Zweitens stand das Phänomen der Übergänge als methodisches und heuristisches Problem im Zentrum der Beiträge und Diskussionen (II), was, drittens, in die Frage der Benennung und Typisierung dieser Phase und die Frage nach der aktuellen Auseinandersetzung um die mögliche und unmögliche Krieg-Frieden-Transitionen leitete (III).
I. ‚Rheinische‘ Übergänge?
Der Rhein prägte nicht nur die Topographie, sondern konnte direkt oder indirekt kausal für Übergänge von Krieg und Frieden und vice versa als Untersuchungsgegenstand herangezogen werden.
So konnte der Rhein – wie Guido Thiemeyer (Düsseldorf) in seinem Abendvortrag eindrücklich am Beispiel der 1815 auf dem Wiener Kongress gegründeten Zentralkommission für die Rheinschifffahrt zeigte – auch Entwicklungsmotor einer europäischen Friedensordnung sein. Die zwei Weltkriege wie auch die französische Ruhrbesetzung in der Zwischenkriegszeit stellten dabei bedeutsame Einschnitte der Kommissiongeschichte dar und erschwerten ihre Arbeit enorm. Die Wege, auf denen unter diesen komplizierten Rahmenbedingungen dennoch erfolgreich daran gearbeitet wurde, die Funktion der Kommission aufrechtzuerhalten, illustrieren anschaulich die Kernfrage ihrer Existenz, nämlich die stets umstrittene Kompatibilität einer ökonomisch-gesellschaftlichen Entgrenzung mit den Prämissen einzelstaatlicher rechtlich-politischer Organisation.
Neben dem Fokus auf flussbedingten Faktoren und Entwicklungen trat im Laufe der Tagung ein besonderer Blickpunkt auf die häufig stark befestigten rheinischen (Land)Städte auf, der auf den typischen urbanisierten Charakter des Rheinlands verweist.
Der Vortrag Guido von Bürens (Jülich) über die Garnisonsstadt Jülich nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 machte dabei anschaulich, dass in ihrer Stadtgeschichte ein Wandel einsetzte, als die typischen Belagerungskriege der Vormoderne an Bedeutung verloren. Trotz der dadurch begründeten preußischen Schleifung der bestehenden Fortifikationen im Jahr 1860 blieb Jülich Garnisonsstadt und die wirtschaftliche Lage des Ortes vom preußischen Militär abhängig. Die nachfolgende Euphorie über den Sieg gegen Frankreich und die Reichsgründung wurde im überwiegend katholisch geprägten Jülich allerdings durch andere politische Geschehnisse rasch eingetrübt. Das Verhältnis der Stadtbevölkerung zu ihrer preußischen Herrschaft blieb somit auch in Sieges- und Friedenszeiten ambivalent.
Eine ähnlich ambivalente Beziehung zwischen Stadtentwicklung und ihrer militärischen Nutzung und Befestigung lässt sich auch anhand des Vortrags von Nikolas Funke (Münster) über die Stadt Wesel zwischen 1570 und 1670 annehmen. Funke definierte diesen Zeitraum für die Stadt als einen „chronischen Kriegszustand“, in dessen Folge die Stadtentwicklung militärischen Erfordernissen untergeordnet wurde. Es existierte dabei innerhalb der Stadt zwar ein Bewusstsein für die stetigen Bedrohungslagen, gleichzeitig wurden aber aus finanziellen wie politischen Gründen nur abschnittsweise dringende Befestigungen errichtet. Unter Besetzung erlebte die Stadt verschiedene typische Konflikte zwischen fremden Soldaten und einheimischer Bevölkerung, die allerdings zumeist weniger schwerwiegend ausfielen, als es erwartbar gewesen wäre. Der (drohende) Krieg war in Wesel vor diesen Hintergründen in der Lebens- und Erfahrungswelt der Stadtbevölkerung somit anders als der Frieden ein dauerhaft präsenter Faktor. Die städtische Perspektive unterstreicht somit den Konstruktcharakter politisch-völkerrechtlich definierter Zustände von Krieg und Frieden.
Diese rheinspezifischen Faktoren erklären hinlänglich die Konfliktdichte der Region. Von diesem Punkt ausgehend, verwiesen mehrere Vorträge auf die Konsequenzen dieser regionalen Kriegsverdichtung.
Als ein Resultat der multiplen inneren und äußeren Konfliktlagen von Städten und Fürsten (vornehmlich) entlang des Rheins in den Auseinandersetzungen in der Spätphase des Stauferreiches schilderte Bernhard Kreutz (Marburg) in seinem Beitrag den Rheinischen Bund von 1254. Der durch diese Spannungen entstandene permanente Kriegszustand hinderte insbesondere die Wirtschaft und veranlasste rheinische Städte (wie auch einige Fürsten) im Jahr 1254 zu einer Bündnisgründung mit dem Ziel der Friedenswahrung untereinander und der gegenseitigen Unterstützung gegen äußere Feinde. Trotz der Kurzlebigkeit des Bundes, der bereits 1257 zerbrach, stellte dieser in der Zeit seines Bestehens eine erfolgreiche „Selbsthilfeorganisation“ der Friedenswahrung durch die Städte dar und etablierte, wenn auch nur vorübergehend, eine Alternative zur dominierenden Kriegs- und Fehdepraxis der Zeit.
Anschließend stellte Stefanie Rüther (Frankfurt am Main) für den 100 Jahre später gegründeten Rheinisch-Schwäbischen Städtebund fest, dass Kriegsphasen für diesen schwerlich von Friedensphasen zu trennen waren. War schon der Bund überhaupt aus einer Bedrohungswahrnehmung heraus gegründet, in der die Gegenwart generell als Kriegszeit empfunden wurde, so barg er in sich das Eskalationspotenzial, vom umliegenden Adel als Bedrohung wahrgenommen zu werden. Gerade in seinen Auseinandersetzungen mit Fürsten zeige sich die Divergenz von Friedens- und Kriegszuschreibung, indem der Bund mit dem Ziel der Friedenswahrung erst Fronten offen legte. Die Friedensschlüsse dieses Bundes waren zeitlich-räumlich begrenzt und bestärkten Konflikte, weil eindeutige Unterscheidungen gezogen wurden. Dies machte den Krieg zum steten Begleiter der Friedenswahrungsabsicht des Bundes entlang des Rheins.
Diese Konflikthäufung blieb auch um 1800 überdeutlich. Der Regimewechsel in die sogenannte „Franzosenzeit“ markierte hier den ersten von Katharina Thielen (Bonn) in den Blick genommenen Transitionsprozess bis zum Übergang des Rheinlands in die Preußische Rheinprovinz. Sie fragte in ihrem Beitrag, wie auf der Ebene städtischer Entscheidungseliten der Übergang vom napoleonischen Frankreich in die Preußische Rheinprovinz bewältigt wurde. Für diese schwierigen Übergangsphasen, die meist auch mit einem Krieg-Frieden-Wechsel einhergingen, konnte Thielen den Stadträten in Aachen, Düsseldorf, Köln, Koblenz und Trier eine wichtige Vermittlerrolle zuweisen. Sie leitet hierbei routinierte Handlungsmuster, Erwartungen und Kommunikationsstrukturen bei den Magistraten ab, die ihnen ein pragmatisches Management der Übergänge erlaubten, zugleich aber auch eine Mentalität und Symbolik der lokalen Selbstbehauptung begünstigten, wie sie die spezifische politische Kultur der Preußischen Rheinprovinz gegenüber Preußen bis in die 1890er Jahre prägte.
II. Übergänge als methodisches Problem
Neben solche „Rheinischen Spezifika“ standen generell Übergänge und Transitionsprozesse als historische Probleme im Raum.
Jens Metzdorf (Neuss) kontrastierte die Nachkriegszeit der Stadt Neuss nach dem burgundischen Krieg 1474/5 mit der einjährigen Belagerung der Stadt mit ‚Konflikt‘ und ‚Konsolidierung‘. In den 50 Folgejahren fänden sich Phänomene eines „positiven Friedens“ in einer Aufschwungszeit, ebenso wie eine konfliktreiche Nachkriegszeit, jedoch sei dies für die Stadtgesellschaft selbst zu differenzieren. Die Schäden der Stadt konsolidierten sich nur schwer und langwierig, wohingegen sich private Vermögen schneller erholten, sodass Anfang des 16. Jahrhunderts die Gläubiger der Stadt überwiegend selbst Neusser Bürger waren. Derartige Entwicklungen in der Konsolidierungsphase verwiesen nicht nur auf den Elitenwandel einer Nachkriegszeit, sondern gingen auch mit Konflikten parallel. Konsolidierung und Konflikt nach einem Krieg liefen somit schon innerhalb einer einzelnen Stadt nicht synchron; beide Gegenbegriffe markieren aber langfristige soziale und wirtschaftliche Folgen eines Krieges.
Dem Übergang aus dem Krieg widmete sich auch der Vortrag von Thomas Becker (Bonn), allerdings mit dem Kölner Krieg an einem Beispiel, für das schon ein formelles Kriegsende nicht einheitlich zu setzen ist. Er fokussierte auf die Landstadt Bonn, die in den gewaltsamen Auseinandersetzungen des Krieges um den Kölner Erzstuhl mehrfach erfolgreich erstürmt wurde. Hier etablierte sich jeweils ein lokales Gewaltregime, das aber nicht nur in der Stadt selbst wirkte, sondern von dort aus auf das Umland und Dörfer übergriff. Dies veranschaulicht nicht nur die notwendige, aber quellenmäßig schwer zu fassende Stadt-Land-Beziehung des Kriegsübergangs, sondern auch dass das Ende der Gewaltanwendung der kriegsführenden Ordnungsmacht nicht in eine Friedensphase überging.
Einen weiteren Ansatz zur Konturierung von „Nachkriegszeiten“ bot Christian Schlöder (Leipzig) für die kurkölnische Residenzstadt Bonn nach deren erster schwerer Belagerung und Zerstörung im Pfälzischen Erbfolgekrieg 1689. Er machte deutlich, dass „Prosperität“ in der Stadt eng von Ausrichtung und Ausbau des kurfürstlichen Hofes abhing. Durch die Verzahnung von Hofbediensteten und Stadtbevölkerung seien weniger die Entscheidungen auf städtischer Ebene als vielmehr die des Bonner Hofes für den Wiederaufbau und die Konsolidierung entscheidend gewesen, wenn auch nicht alle kurfürstlichen Planungen von Vorstädten und Stadtgestaltungen umgesetzt wurden.
Auf noch längere Übergangsphasen verwies Richard Hedrich-Winter (Bonn) mit Blick in die ,rheinischen‘ 1920er Jahre als langer Übergang von Krieg in Krieg. Er rückte die landschaftliche Prägung durch Bergbaugebiete von Lothringen bis ins Ruhrgebiet als Determinante rheinischer ‚Unsicherheit‘ und Nicht-Friedenserfahrung bzw. ‑Auseinandersetzung in den Fokus. Davon ausgehend ordneten sich Überlegungen, Projekte und Operationen zur Separierung, Demilitarisierung und Besatzung des Rheinlands in eine „Überforderung“ des Friedens von 1918/19 ein.
Für die vielfach festgestellte Asynchronität der Friedenserfahrung traten insbesondere zwei Akteursgruppen heraus, die erlauben können, Übergangsprozesse abseits der idealtypischen Krieg-Frieden-Unterscheidungen fassbar zu machen: Kriegsgefangene und die „Jugend“ bzw. ihre Vertreter und Verbände.
Ersteren, den Gefangenen des Siebenjährigen Krieges, widmete sich Leonard Dorn (Fulda). Die Fokussierung auf aus Amerika ins Rheinland heimkehrende Soldaten illustrierte zunächst die von diesen erfahrene „Ungleichzeitigkeit“ des Kriegsendes: Der Siebenjährige Krieg war in Nordamerika faktisch bereits 1760 entschieden, die wiederkehrenden Kombattanten erlebten mit dem Waffenstillstand in Europa aber im Folgenden noch ein zweites Kriegsende. Die von (kriegsbeteiligten) Individuen erlebten Zeiten von Unsicherheit/Krieg und Sicherheit/Frieden mussten somit nicht immer deckungsgleich mit den auf politischer Bühne ausgehandelten Kriegs- und Friedensphasen sein.
Eine solche Asynchronität der Friedenserfahrung lässt sich auch für die Jugend in den rheinischen Städten nach dem Zweiten Weltkrieg annehmen, wie Christine Krüger (Bonn) verdeutlichte. Übergänge von Krieg zu Frieden sollten, so argumentierte sie, nicht unter der Prämisse einer klaren Bruchlinie, sondern unter Berücksichtigung von Kontinuitäten sowie spezifischen Gewaltkulturen und ‑wahrnehmungen untersucht werden. Krüger machte dies anhand des „Bonner Jugendrings“ anschaulich. Seine Vertreter, entwarfen nach dem Krieg das Bild einer vom Nationalsozialismus ‚verführten‘ und ‚missbrauchten‘ Jugend, die ohne Schuld an den Verbrechen des ,Dritten Reiches‘ gewesen sei und gleichzeitig bereits aus diesen gelernt habe. Darüber hinaus kritisierten sie die Besatzungs- und Entnazifizierungspolitik der Alliierten, welche ihrer Ansicht nach keinen Frieden schaffe, sondern vielmehr ein Wechselspiel von Gewalt und Gegengewalt auslösen könne.
III. Kommentar und Diskussion
In seiner Kommentierung der Tagung resümierte Philip Hoffmann-Rehnitz (Freiburg im Breisgau), dass eine mikrohistorisch orientierte Perspektive wie die der Tagung besonders vielversprechend sei, „Übergangsphänomene“ von Krieg und Frieden besser zu konturieren, weil die Übergänge auf lokaler Ebene geprägt wurden – bisweilen auch unabhängig von den Verhandlungsergebnissen und Regelungen der Friedensbeschlüsse. Letztere konnten durchaus zum Konfliktmotor oder -auslöser werden, was das notwendige Aufbrechen der dichotomischen Unterscheidung Krieg-Frieden bedinge, wie auf der Tagung anhand der vielfach festgestellten asynchronen Friedensbeginne geschehen. Hoffmann-Rehnitz plädierte für einen geschärften Blick auf das nicht rein temporär zu verstehende „Dazwischen“ einer Nachkriegszeit als einer distinkten dritten Zeit in der Vormoderne. Diese Nachkriegszeit sah in der Tagung viele Beispiele von Konsolidierungs- und Ordnungsversuchen, die multiple, bisweilen zunehmende Belastungen und Konflikte nicht ausschlossen. Dennoch, so betonte der Kommentator, erschienen Belastungen im Frieden in einem anderen Licht als im Krieg.
Unter den Perspektivierungen machte der Kommentar unter anderem das Potenzial historisch basierten Reflexionswissens für heutige Erwartungen an Übergänge von Krieg zu Frieden stark. Entsprechend gestaltete es einen weiterführenden Abschluss, dass vier Akteur*innen aus der wissenschaftlichen Politikberatung, die jeweils in Bonner Forschungszentren in leitender Funktion aktiv sind, die abschließende Podiumsdiskussion anführten.
Aus unterschiedlichen fachlichen Disziplinen (Geographie, Soziologie, Politikwissenschaft, Sicherheitsstudien) konturierten die vier Diskutant*innen ihre Wahrnehmung von Transformationsprozessen von Krieg zu Frieden. Die Direktorin des German Institute of Development and Sustainability, Anna-Katharina Hornidge (Bonn), nahm dabei speziell das Spannungsfeld von Sicherheits- und Entwicklungspolitik und die Diskussionen um die jüngste UN-Vollversammlung in den Blick und machte deutlich, inwieweit der Sicherheitsbegriff auch immer das Element der Abwehr von Kriegs- und Konfliktsituationen mitumfasst. Der Direktor des Bonn International Centre for Conflict Studies, Conrad Schetter (Bonn), betonte die sich in der Gegenwart fortwährend abschwächende Idee von der „Verregelung“ des Krieges, welche unter anderem in einer steigenden Zahl nichtstaatlicher Kriegsakteur*innen und einem beschleunigten technologischen Wandel der Kriegführung begründet läge. Der Direktor des Center for Advanced Security, Strategic and Integration Studies, Ulrich Schlie (Bonn), verdeutlichte im Anschluss daran die anarchischen Tendenzen und Formveränderungen moderner Kriege, die im beginnenden postamerikanischen Zeitalter mit einer sich verändernden Weltordnung einhergingen und dabei nicht nur strategische Unsicherheiten steigerten, sondern gleichzeitig auch die praktische Frage nach der Beendigung von Kriegen immer schwieriger werden ließen. Der Sprecher des Bonner Zentrums für Versöhnungsforschung, Hanse-Georg Soeffner (Bonn), setzte den Schwerpunkt seines Statements dagegen auf die Feststellung, wie unwahrscheinlich das Erreichen eines Friedens, in noch stärkerem Maße einhergehend mit einer wirklichen Versöhnung der Kontrahenten, sei und wie sehr dadurch außergewöhnliche Friedenszeiten wie diejenige der Bundesrepublik Deutschland nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs geschätzt werden müssten.
In der sich hieran anschließenden Diskussion über aktuelle Herausforderungen des Friedensschließens und des Dialogs mit Akteuren, die nicht die eigenen Werte teilen, betonten die Diskutant*innen mehrfach die Option, historische Beispiele für aktuelle Konflikte heranzuziehen, warnten aber vor leichtfertigen Analogieschlüssen. Übereinstimmung zeigten sie zudem in der Überzeugung, dass insbesondere die Mächte des Westens in einer sich verändernden, verstärkt durch Autokratien geprägten Weltpolitik lernen müssten, mit außenpolitischen Unsicherheiten zu leben und unter Verzicht auf einen kolonialen Duktus kontinuierlichen Austausch mit staatlichen wie nichtstaatlichen Akteur*innen aufrechtzuerhalten. In diesem Zusammenhang könne – auch durch historische Perspektiven geprägten – Friedensnarrativen eine Schlüsselbedeutung zukommen, um eine wertebasierte Friedensstiftung erfolgreich vertreten zu können.
IV. Rheinische Landesgeschichte in Bericht und Kritik
Teil der Tagung war die traditionelle Sektion zur „Rheinischen Landesgeschichte in Bericht und Kritik“, in der laufende Forschungsvorhaben abseits des Tagungsthemas vorgestellt werden. Valerie Palmowski (Bonn) stellte hier ihr Forschungsprojekt aus der Vor- und Frühgeschichtlichen Archäologie vor, mit dem sie die räumliche Anordnung sozialer Schichten und Personengruppen innerhalb einer Landschaft untersucht. Ausgangspunkt ist die Beobachtung einer in der aktuellen Forschung fortbestehenden Marginalisierung des ländlichen Raums, z.B. als „Versorgungshinterland“ von Metropolen, und einer entsprechenden Prägung archäologischer Narrative und Methoden etwa in Hinblick auf sogenannte „Barometerobjekte“, die besonderen Stand und Stratifizierung anzeigen. Mit dem Raum zwischen Inden-Pier und Merken erschließt sie nicht nur eine Landschaft im Umfeld eben eines solchen frühmittelalterlichen Zentrums (hier Aachen), sondern kann auch aufgrund der abgeschlossenen Ausgrabungen im Gebiet im Vorfeld der dortigen Braunkohlegrabungen auf einen reichen Fundbestand zurückgreifen. Erste Ergebnisse weisen darauf hin, hinsichtlich der räumlichen Prägung, beispielsweise in der Anlage von Brunnen oder der Platzierung von Höfen, eine erhebliche Kontinuität von der spätrömischen Phase bis ins 12. Jahrhundert anzulegen.
Ulf Floßdorf (Bonn) widmet sich einem grundwissenschaftlichen Themenbereich der mittelalterlichen Geschichte, welches er in seiner Projektvorstellung zu Münzen und Siegeln als Herrschaftsmedien geistlicher Reichsfürsten am Beispiel der Kirchenprovinz Köln präsentierte. Die Studie setzt sich einen zeitlichen Rahmen von der Ottonenzeit bis zum Ende der Stauferzeit und einen geographischen Zuschnitt auf die Kölner und Magdeburger Kirchenprovinz. Ziel ist es, die visuelle Repräsentation der Reichsfürsten über Siegel und Münzen herauszuarbeiten. Konkret können dabei neue Erkenntnisse zum reichsfürstlichen Herrschaftsverständnis und der Manifestation von Rangansprüchen erwartet werden. Darüber hinaus soll das Verhältnis von reichfürstlichen zu königlichen Repräsentationsformen näher beleuchtet werden: Lässt sich hier eine Aneignung oder vielmehr eine bewusste Abgrenzung ausmachen und stehen diese Beobachtungen in einem direkten Zusammenhang zu den tatsächlichen politischen Beziehungen zwischen Herrscher und dem jeweiligen Fürsten?
Nicht der reichsfürstlichen Ebene, sondern vielmehr der vielfach noch desideratsbelasteten landständischen Ebene wendet sich Kara Kuebart (Bonn) in ihrem Projekt über die Entstehung von Steuerstaatlichkeit in den Vereinigten Herzogtümern Jülich-Kleve-Berg im 16. Jahrhundert zu. Anhand der Umsetzung und Umsetzbarkeit von Reichs- und Landessteuern in den einzelnen Ämtern, Gerichten, Unterherrschaften und Städten der Herzogtümer im „composite state“ Jülich-Kleve-Berg nimmt sie die innere „Staatenbildung“ und Inkorporation der Stände in die Herrschaft in den Blick. Mit den aus den untersuchten Quellen und Matrikeln gewonnenen Daten kann Kuebart langfristige Trends und Entwicklungen, z.B. über die Steuerlastverteilung zwischen und innerhalb der einzelnen Herzogtümer oder im Verhältnis einzelner Ständegruppen (Klerus, Städte, Ämter etc.), herausarbeiten.
Eine Publikation der Tagungsbeiträge ist geplant. Eine ausführliche Fassung des Tagungsberichts erscheint in den Rheinischen Vierteljahrsblättern 2025.
Zum Tagungsprogramm: http://histrhen.landesgeschichte.eu/2024/08/mars-oder-pax-rheinische-uebergaenge-von-krieg-und-frieden-herbsttagung-programm/
Zitierweise:
Bechtold, Jonas/Gerber, Alexander: Mars oder Pax? ‚Rheinische‘ Übergänge von Krieg und Frieden. Tagungsbericht, in: Histrhen. Rheinische Geschichte wissenschaftlich bloggen, XX.11.2024, http://histrhen.landesgeschichte.eu/2024/11/tagungsbericht-herbsttagung-2024-mars-oder-pax
- Mars oder Pax? ‚Rheinische‘ Übergänge von Krieg und Frieden Tagungsbericht - 18. November 2024