Die Abstracts zur Tagung „Die Stadt und die Anderen“ Einführungssektion

In den kommenden Wochen werden an dieser Stelle die Abstracts zur Tagung „Die Stadt und die Anderen. Wahrnehmung und Erfahrung von Fremdheit in Selbstzeugnissen und Chroniken des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit“ (Bonn, 24.–25. Sept. 2018) veröffentlicht.

Eröffnet wird die Tagung von PD Dr. Andreas Rutz (Mo., 24.09.2018, 9.30–10.00 Uhr), Forschungsstipendiat der Gerda Henkel Stiftung und Privatdozent am Institut für Geschichtswissenschaft der Universität Bonn (Abt. für Geschichte der Frühen Neuzeit und Rheinische Landesgeschichte). In seiner Einführung wird das Tagungsprogramm aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive und in quellenkritischer Hinsicht vorgestellt. Sowohl die Leitbegriffe der Tagung – Wahrnehmung, Erfahrung, Fremdheit, Stadt – als auch die spezifische Quellengrundlage – Selbstzeugnisse und Chroniken – bedürfen einer methodischen Reflexion und Grundlegung. Die betreffenden Quellen artikulieren in vielfältiger Weise Fremdheitswahrnehmungen und -erfahrungen im Kontext des städtischen Alltags. Es handelt sich dabei allerdings nicht um mehr oder weniger objektive Darstellungen, die distanziert und neutral beobachtend vom städtischen Leben mit Anderen berichten. Vielmehr folgen die Texte bei der Darstellung des Fremden narrativen Strategien, die sich aus dem Kontext ihrer Entstehung, der spezifischen Autorperspektive und den Darstellungskonventionen der Zeit und des Mediums ergeben. Die Entschlüsselung der Konstruktionsprinzipien des Fremden lässt dementsprechend immer auch Rückschlüsse auf das Selbstverständnis des Autors und seiner Stadtgemeinde zu.

Vertieft und zugleich disziplinär erweitert wird die Reflexion über die methodischen Grundlagen der Tagung im Vortrag von Prof. Dr. Michaela Fenske, Lehrstuhlinhaberin für Europäische Ethnologie / Volkskunde an der Universität Würzburg, die sich bereits in ihrer Dissertation mit frühneuzeitlicher Stadtgeschichte und hier dem Markt als Begegnungs- und Kommunikationsraum befasst hat.[1]

Mo., 24.09.2018, 10.00–10.45 Uhr
Prof. Dr. Michaela Fenske (Würzburg)
Relationalität und Relativität des Fremden. Perspektiven aus der Europäischen Ethnologie

Fremdsein ist eine relationale und eine relative Kategorie. Wer wann wo wem fremd ist und fremd bleibt, wird in Zeit und Raum immer wieder neu und von verschiedenen Akteur_innen, unter Umständen auch jeweils anders definiert. Der Vortrag nimmt Begegnung und Umgang mit Fremden auf einem frühneuzeitlichen städtischen Markt als Ausgangspunkt. Als Ort vielfachen Austausches, nicht nur von Waren und Gütern, sondern auch von Informationen und Kontakten, waren Märkte bedeutsame Orte der Aushandlung sowohl des Fremdseins (und komplementär des Eigenen) als auch des Umgangs mit Fremden beziehungsweise der Beziehung zwischen Fremden und Einheimischen. Dabei zeigte sich die Gesellschaft der Vormoderne im Vergleich zu der Ideologisierung und Stereotypisierung des Fremden in der Moderne in ihren alltäglichen Praktiken mitunter bemerkenswert pragmatisch. Eine an einem Ausgleich divergierender Interessen interessierte Stadtgesellschaft öffnete sich dem als fremd Gefassten gegenüber ebenso aus Notwendigkeit wie aus Neugierde, hatte dabei jedoch stets die eigenen Interessen im Blick. Die Öffnung gegenüber dem Fremden und seine Integration in das Marktgeschehen erfolgten konsequent im eigenen, wenn auch nicht immer individuellen, so doch gemeinsamen Interesse der Stadtgesellschaft. Angesichts der beschleunigten Globalisierung zu Beginn des 21. Jahrhunderts und der zunehmenden Infragestellungen moderner Ordnungen und Konzepte fragt der Beitrag, inwiefern die in den Gesellschaften der Vormoderne verhandelten Haltungen zu Fremdheit und Fremdsein aufgrund ihres Andersseins heute an Aktualität gewinnen.

[Aktualisierte Fassung, 03.12.2023]

 


[1] Michaela Fenske: Marktkultur in der Frühen Neuzeit. Wirtschaft, Macht und Unterhaltung auf einem städtischen Jahr- und Viehmarkt, Köln/Weimar/Wien 2006.

 

 

Zitierweise:
Rutz, Andreas: Die Abstracts zur Tagung „Die Stadt und die Anderen“. Einführungssektion, in: Histrhen. Rheinische Geschichte wissenschaftlich bloggen, 18.07.2018, http://histrhen.landesgeschichte.eu/2018/07/die-stadt-und-die-anderen-abstracts-einfuehrungssektion/

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Prof. Dr. Andreas Rutz
Prof. Dr. Andreas Rutz

Über Prof. Dr. Andreas Rutz

Prof. Dr. Andreas Rutz ist Inhaber des Lehrstuhls für Sächsische Landesgeschichte an der Technischen Universität Dresden und Direktor des Instituts für Sächsische Geschichte und Volkskunde. Studium in Bonn, Paris und New York, Promotion 2005 und Habilitation 2014 in Bonn, danach Lehrstuhlvertretungen in Münster, Bonn und Düsseldorf sowie eine Kurzzeitdozentur in Tokio/Japan. Forschungsschwerpunkte sind die vergleichende Landes- und Stadtgeschichte sowie die Geschichte der Frühen Neuzeit; aktuelles DFG-Projekt: „Weibliche Herrschaftspartizipation in der Frühen Neuzeit. Regentschaften im Heiligen Römischen Reich in westeuropäischer Perspektive“.

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