Das im November 2022 erschienene Buch ist der zweite Band der auf dreizehn Bände angelegten Kölner Stadtgeschichte, von der mittlerweile fast alle Bände erschienen sind. Zeitlich schließt er an den 2004 erschienenen Band 1 von Werner Eck zur Geschichte Kölns in römischer Zeit an und leitet über zu dem 2016 erschienenen, noch in weiten Teilen von Hugo Stehkämper († 2010) verantworteten und Carl Dietmar zum Druck gebrachten Band zu Köln im Hochmittelalter an, der 1074/75 einsetzt.
Gegliedert ist der als Handbuch konzipierte Band in drei Hauptteile nach den (Wiederanfängen) in der Merowingerzeit 400-700, der Karolingerzeit 700-900 und der Zeit der Ottonen und Salier 900-1100 und bettet Köln damit in die Geschichte des (fränkischen, fränkisch-deutschen und schließlich römisch-deutschen Reiches) ein. Diese Einbindung in die äußeren Läufte der Welt, die auch der meist geringen Quellendichte für diese Zeit geschuldet ist, wird in der Einleitung ebenso erläutert wie die Verschiedenheit der Verhältnisse in Köln zu Beginn des Untersuchungszeitraum um 400 und zu dessen Ende um 1100. Um die Ereignisse und Entwicklungen über Jahrhunderte und verschiedene Zäsuren hinweg dennoch mit einem roten Faden erzählen zu können, hat sich Karl Ubl entschlossen, die Heiligkeit Kölns als ein Leitmotiv zu nutzen – nicht nur, weil dieses noch heute ein greifbares Motiv Kölner Identität ist. Sondern vor allem, weil es seit dem Beginn des 9. Jahrhunderts konkret in den Quellen greifbar ist, womit die spätestens seit der Mitte des 5. Jahrhunderts greifbare, zunehmende Durchdringung Kölns durch sakrale Monumente und damit wohl auch christliche Praktiken sich in der Kölner Identität verdichtet. Zudem finden sich unter diesem Konstrukt sowohl die weltlichen als auch die geistlichen Bewohner:innen Kölns wieder.
Im ersten Abschnitt über das fränkische Köln wird das Ineinandergreifen von Kontinuität und Wandel im 5. Jahrhundert anhand von textlichen, inschriftlichen und archäologischen Zeugnissen deutlich vor Augen geführt. Nach der mutmaßlichen Flucht des Bischofs Severin nach Bordeaux gab es in Köln für etwa 150 Jahre keinen Bischof mehr. Anderseits war die Stadt keineswegs vollständig verlassen. Wenngleich mit geringerer Bevölkerungszahl und unter infrastrukturell sich verschlechternden Bedingungen lebten hier Franken und Römer, heidnische, christliche und jüdische Bevölkerungsgruppen. Bereits hier zeigt sich eine prägende Eigenschaft des Bandes: eine gelungene Forschungssynthese wird verbunden mit eigenen Akzenten fußend auf einer neuen Sichtung der Quellen, etwa bei den Stellen Gregors von Tours und des Venantius Fortunatus zum Hl. Severin in Köln und Bordeaux, in dem Ubl mit guten Gründen ein und dieselbe Person sieht. Deutlich wird sowohl in Schriftzeugnissen als auch in archäologischen Quellen, dass die Franken in den ersten Jahrzehnten des 5. Jahrhunderts eine immer stärkere Rolle in Köln spielten und zunehmend römische Lebens- und Repräsentationsformen ihrem eigenen Kanon aneigneten. Für die fränkische Zeit wird in Abgrenzung von der Mehrheit des bisherigen Forschung herausgearbeitet, dass Köln kein merowingischer Außenposten war, sondern geradezu in der Mitte des Reiches Theuderichs und seines Sohnes Theudebert lag und aufgrund numismatischer sowie archäologischer Zeugnisse wie den Grablegen im Kölner Dom noch für das 6. Jahrhundert als eine königliche Residenz anzusprechen ist. In diese Zeit fällt spätestens der Namenswechsel von Agrippina zu Colonia, der vermutlich auf Sprachgewohnheiten in der Stadt selbst zurückzuführen ist. Mithilfe einer umsichtigen Kontextualisierung der Kölner Bischofsliste sowie der Verhältnisse im benachbarten Bistum Tongern rekonstruiert Ubl eine Wiederbesetzung des Kölner Bischofssitzes in den 530ern vermutlich unter König Theudebert. In dieses Umfeld gehört vermutlich auch die Errichtung einer Domkirche (Bau II) mit Baptisterium sowie die Umnutzung römischer Bauten als Kirchen und die Etablierung von Heiligenkulten, wie dem der Thebäischen Legion, der offenbar für die fränkische Kriegerelite besonders attraktiv war und möglicherweise durch Verbindungen der in Köln residieren merowingischen Könige nach Burgund begünstigt wurde. Auch der Rückgang der städtischen Bevölkerung, die sozialen und politischen Veränderungen im Umland werden durch eine intensive Diskussion der Lex Ribuaria, von Münzen sowie auch der archäologischen Zeugnisse gut sichtbar gemacht.
Der zweite Teil über Köln in der Karolingerzeit von 700-900 verzahnt die Informationen, die zur Geschichte Kölns aus dieser Zeit vorliegen, eng mit der Geschichte des karolingischen Großreiches bzw. dessen Auseinanderdriften in verschiedene Teilreiche. Aufgrund der besseren Quellenlage kann nun auch stärker der im einleitenden Abschnitt ankündigte weitere Leitfaden der Rolle des Bischofs für die Geschichte Kölns aufgenommen werden. Diese enge Verbindung wird am Beispiel Hildebalds herausgearbeitet, der als Vertrauter Karls des Großen zum Erzbischof erhoben wurde, womit nach einem gescheiterten Versuch in der Zeit König Pippins für Bonifatius Kölns Rolle als dauerhafter Metropolitansitz vorbereitet wurde. Auch darüber hinaus wird die Zeit Hildebalds als eine Art Weichenstellung gesehen, mit der Etablierung Köln als Standort für Wissen und Schriftlichkeit, mit dem Bau des beeindruckenden Alten Domes. Dessen Anfänge stellt Ubl, auch aufgrund von finanziellen Erwägungen, da Hildebald Mittel aus dem Nachlass Karls des Großen erhielt, in dessen Pontifikat, wenngleich die Arbeiten wahrscheinlich erst in den 850ern abgeschlossen waren, als 857 eine Synode in Köln tagte. Zugleich ist eine Verdichtung zugunsten eines heiligen Köln in dieser Zeit zu beachten, wie am Beispiel u.a. der Heiligenlitanei in der Handschrift Dombibliothek 106 deutlich gemacht wird, aber auch an einer Urkunde für das Bonner Cassiusstift von 804, deren Bedeutung durch Ubl durch die Bezeichnung Hildebalds als Bischof „der heiligen Stadt Köln“ für das identitätsstiftende „Hillige Köln“ in diesem Band zurecht deutlich herauspräpariert wird. Mit dem umstrittenen Kölner Erzbischof Gunthar wird der Blick auf die Zeit der 860er und 870er Jahre gelenkt, die bereits durch die Ausbildung der karolingischen Teilreiche geprägt sind. Gerade diese Geschehnisse zeigen Köln, für das in diesem Kapitel auch Beispiele für den florierenden Rheinhandel beigebracht werden, im Interessenfeld sowohl des westfränkischen Königs Karls des Kahlen als auch seines Halbbruders des ostfränkischen Königs Ludwigs des Deutschen gelegen. Den Vertrag von Meersen 870 interpretiert Ubl als ‚Zeitenwende‘, die dazu führte, dass sich Köln politisch insgesamt stärker auf die östlich des Rheins gelegenen Gebiete hin orientierte, auch wenn die endgültige Festlegung erst 925 unter dem ersten ottonischen Herrscher Heinrich I. erfolgte.
Das dritte Kapitel über die Zeit von 900-1100 setzt in den letzten Jahrzehnten des 9. Jahrhunderts ein und markiert sowohl die Überfälle der Wikinger als auch das nicht mehr leistungsfähige Königtum der Karolinger, zu dessen Folgen die Ausbildung Lothringens als völlig neuem Gebilde gehört, als zwei wesentliche Parameter, die die Geschicke Kölns am Beginn des 10. Jahrhunderts prägten. Ausgehend von den beiden Erzbischöfen Hermann I. und Wichfried und den von diesen geförderten Kulten der Hl. Jungfrauen und des Hl. Severin wird erzählt, wie sich die Stellung des Kölner Erzbischofs auf Reichsebene – zunächst zwischen West- und Ostfrankenreich changierend, dann immer stärker letzterem zuneigend – aber auch in der Stadt Köln selbst verändert. Hier werden, wie Karl Ubl an der Severinsvita plausibel macht, die Bewohner der Stadt selbst erstmals als Gemeinschaft agierende Akteure erkennbar. Diese Fäden werden in dem umfangreicheren Kapitel zu Erzbischof Brun für das Reich, Lothringen und Köln selbst weitergesponnen, dessen Rolle für die Stadtentwicklung gegenüber der bisherigen Forschung – zu Recht – etwas zurückgefahren wird. Zugleich wird dieser Diskussionstand genutzt, um die Bedeutung des 10. Jahrhunderts insgesamt für die weitere Entwicklung der Stadt Köln deutlich zu machen, wobei Brun etwa die Einrichtung eines großen Markareals zwischen Alter Markt und Heumarkt zugesprochen wird. Wird einerseits auf das vermutlich bereits bis ins 10. Jahrhundert zurückzuführende Schöffengericht als ein Faktor für die Ausbildung der Bürgergemeinde verwiesen, so wird der Bau einer großen Halle am Quatermarkt als Zeichen für gemeinschaftliches Agieren der Kölner Bürger gedeutet. Hohe Integrationskraft kam zudem dem Leben in den Pfarrgemeinden zu, die in der Zeit Bruns ihre erste Ausformung erhielten. Gefördert wurde die Heiligkeit Kölns durch Brun zudem, in dem dieser die Reliquien unterschiedlicher Heiliger nach Köln brachte, darunter den Petrusstab. Daran schließt sich ein Kapitel über „Köln als Erinnerungsort der Ottonen“ an, in dem der Fokus von den einzelnen Erzbischöfen weggeführt und die Geschichte Kölns bis zum Ende der ottonischen Zeit in Köln unter Erzbischof Heribert fortgeführt wird. Zugleich wird hier die weiterhin enge Verquickung zwischen den Kölner Erzbischöfen und den Ottonen deutlich, die sich mit dem Wechsel von Otto III. zu Heinrich II. zu lösen begann. Für die Geschicke der Stadt Köln war dabei von Belang, dass weiterhin die verschiedenen Heiligenkulte durch Reliquientranslationen und die Anfertigung von hagiographischen Texten zu alten und neuen Heiligen (wie St. Ursula oder Erzbischof Heribert) gestärkt wurden. Mit der Gründung St. Pantaleons in Köln durch Brun begann zudem die Geschichte der Benediktinerklöster in Köln. Mit der Darstellung des 11. Jahrhunderts rückt auch die Konkurrenz mit Mainz und Trier um das Krönungsrecht in den Vordergrund, welches Pilgrim für sein Erzbistum sichern konnte. Die Rolle Annos von Köln wird ebenfalls genutzt, um die Stellung Kölns im Reich deutlich herauszuarbeiten, dessen Auseinandersetzungen mit den Kölner Bürgern sowie mit den Ezzonen um die Vorherrschaft in der Region zugleich zum Folgeband 3 überleiten, wo die Emanzipationsprozesse der Bewohner Kölns gegen Ende des 11. Jahrhunderts deutlicher bearbeitet werden als in diesem Buch.
Der Band zeichnet sich durch eine gute Leserführung aus, bei der am Kapitelanfang ein kurzer Einstieg geboten wird, sowie ein bis zwei Thesen formuliert werden, die durch das Kapitel führen, welches wiederum jeweils mit einer kurzen Zusammenfassung beschlossen wird. Die Einbettung in die allgemeine politische Geschichte kennzeichnet den gesamten Band, tritt aber insbesondere im Kapitel über die Zeit von 400-700 hervor, als die direkt auf Köln zu beziehenden Quellen noch zu wenig und damit insgesamt alleine noch nicht aussagekräftig sind. Besonders im Kapitel 900-1100 erweist sich die Entscheidung, den Umgang mit den Heiligen als einen Leitfaden für die Erzählung zu nutzen, als Glücksgriff, da so die komplexen politischen Verhältnisse gut integriert werden können. Der Band bietet also einen Blick auf das Köln im Reich und das Köln der Erzbischöfe und der Kirche, mit nur wenigen Schlaglichtern zur den Bewohnern Köln und der wirtschaftlichen Entwicklung, was freilich der Quellenlage geschuldet ist. Dabei zeichnet er sich durch seine Quellennähe aus und arbeitet neben den Schriftquellen auch mit archäologischen Erkenntnissen und Zeugnissen der materielle Kultur; die unterschiedlichen Forschungsdiskussionen werden dabei abgewogen eingearbeitet.
Es handelt sich um einen schön ausgestatteten Band mit Farbabbildungen und Karten von guter Qualität, die sich in der Regel in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Text befinden, den sie illustrieren; dennoch wäre es hilfreich gewesen im Text selbst auch auf die entsprechenden Abbildungsnummern zu verweisen. Das ist freilich ebenso eine Quisquilie wie die auch den anderen Bänden der Reihe innewohnende Entscheidung, Literaturangaben in den Endnoten möglichst knapp zu halten. Denn so erschließen sich die Forschungsdiskussionen, die Karl Ubl in dem Band immer wieder anführt, letztlich nur Fachkolleg:innen; für ein breiteres Publikum wird es bei entsprechendem Interesse schwer, sich die entsprechenden Angaben selbst zu beschaffen. Doch sind dies letztlich Kleinigkeiten, die den Wert als Bandes als gelungener und gut lesbarer Übersichtsdarstellung Köln im Frühmittelalter keineswegs mindern können.
Karl Ubl, Köln im Frühmittelalter. Die Entstehung einer heiligen Stadt 400-1100 (Geschichte der Stadt Köln, Bd. 2), Köln 2022, 450 S. Text mit 197 farb. Abb., 44 S. Lit. und Anmerkungen, ISBN: 978-3-7743-0440-6
Zitierweise:
Stieldorf, Andrea: Rezension zu “Köln im Frühmittelalter. Die Entstehung einer heiligen Stadt 400-1100”, in: Histrhen. Rheinische Geschichte wissenschaftlich bloggen, 19.06.2023, http://histrhen.landesgeschichte.eu/2023/06/rezension-koeln-im-frühmittelalter-stieldorf