Ein neues Forschungsprojekt in Wien widmet sich unter der Leitung von Katrin Keller der Korrespondenz der bisher in Forschung und Öffentlichkeit wenig beachteten Großmutter Maria Theresias: “Familiensache. Dynastische Handlungsspielräume in der Korrespondenz von Kaiserin Eleonora Magdalena von Pfalz-Neuburg (1655–1720)” (gefördert durch den FWF).[1] Im Zentrum des Projekts steht die Korrespondenz der Kaiserin mit ihrem Vater Philipp Wilhelm und ihrem ältesten Bruder Johann Wilhelm von Pfalz-Neuburg, die sich im Bayerischen Hauptstaatsarchiv in München befindet. Der Fund dieses umfangreichen Korpus ist umso beachtlicher, als Briefe von Frauen aus der Frühen Neuzeit insgesamt deutlich schlechter überliefert sind als solche von Männern.[2]
Kaiserin Eleonora Magdalena, die dritte Ehefrau Kaiser Leopolds I., repräsentierte und verband wie die meisten verheirateten Fürstinnen zwei Dynastien. Ihre Korrespondenz mit ihrem Vater und ihrem Bruder bildete beinahe vier Jahrzehnte lang (1677 bis 1716) eine wichtige Kommunikationsachse zwischen dem Kaiserhaus und ihrer 1685 zur pfälzischen Kurwürde aufgestiegenen Herkunftsdynastie. Beide Häuser arbeiteten in dieser Zeit in reichspolitischen Belangen eng zusammen, zumal die zahlreichen Geschwister der Kaiserin geradezu als „dynastische Reserve“ (Volker Press) der Habsburger fungierten.
Bis in jüngere Zeit wurden Dynastien vorrangig in Verbindung mit der Entwicklung von Staatlichkeit untersucht, wodurch vielfach der Blick auf die Rolle von Frauen und nachgeborenen Söhnen für den Zusammenhalt und die Herrschaftssicherung fürstlicher Häuser verdeckt wurde. Im Gegensatz dazu stellt das Projekt das dynastische Agieren einer hochrangigen Fürstin in den Mittelpunkt. Ermöglicht wird dies durch eine außergewöhnlich gute Überlieferungssituation: Im Zentrum steht die bereits erwähnte, insgesamt 5300 Seiten umfassende Korrespondenz mit dem Vater und Bruder, die 1151 eigenhändige Briefe (ca. 3300 Seiten) der Kaiserin sowie ca. 430 Konzepte von Gegenschreiben der beiden pfälzischen Kurfürsten und 75 Drittbriefe enthält. Daneben haben sich noch zahlreiche andere Quellen, u.a. viele weitere Briefe der Kaiserin erhalten: Größere Bestände eigenhändiger Schreiben der Kaiserin finden sich in Archiven und Bibliotheken in Wien, München, Hannover und Wolfenbüttel.
Über dieses Korrespondenznetzwerk und dessen Erschließung durch eine Teiledition im Rahmen des Projekts Familiensache möchten wir im Folgenden einen kleinen Überblick geben:
Den Umfang des Kontaktnetzes der Kaiserin verdeutlicht ein Register über ihre sogenannten „expedierten Schreiben“, also Kanzleibriefe, aus den Jahren 1697 bis 1705, deren Adressat:innen über ganz Europa verteilt waren, von Kopenhagen bis Neapel und von Lissabon, Madrid und London bis nach Warschau und Belgrad.[3] Als Adressat:innen werden insgesamt über 200 Personen genannt, darunter viele Mitglieder der europäischen Fürstenhäuser, Kardinäle und andere Geistliche, Nonnenklöster, Diplomaten, kaiserliche und andere Amtsträger. Inhaltlich handelte es sich großteils um Neujahrswünsche, Anzeigen von Geburten, Hochzeiten und Todesfällen sowie Gratulations- und Kondolenzschreiben – also streng konventionelle Briefe, bei denen es vor allem um die Pflege von Beziehungen und die wechselseitige Bestätigung von Status und Ehre ging. Hinzu kamen Empfehlungs- und Begleitschreiben.
Neben solchen Kanzleibriefen und den bereits erwähnten 1151 eigenhändigen Briefen an den Vater und ältesten Bruder sind auch zahlreiche weitere eigenhändige Briefe der Kaiserin erhalten. Sie reichen von den Brautbriefen, die sie noch vor ihrer Hochzeit an Kaiser Leopold I. schrieb, über Briefe an ihre Söhne und zahlreiche weitere Familienmitglieder, oder an Diplomaten und höchstrangige kaiserliche Amtsträger, Kardinäle und geistliche Fürsten und Kurfürsten, bis hin zu einfachen Geistlichen, untergeordneten Amtsträgern oder, in einem Fall, an ihre eigene Kammerfrau.
Dieses ganz Europa umspannende Korrespondenznetzwerk und die ebenso breit gefächerten Inhalte der erhaltenen Korrespondenzen weisen auch zahlreiche Bezüge in den rheinischen Raum auf. Neben dem Vater und den Brüdern Johann Wilhelm und Karl Philipp, die nacheinander Kurfürsten von der Pfalz waren, sind hier zunächst die geistlichen Karrieren weiterer Brüder der Kaiserin zu nennen. Unter diesen stechen besonders Ludwig Anton (1694 als gewählter Gegenkandidat zum Kölner Erzbischof Joseph Clemens von Bayern gestorben) und Franz Ludwig (1716–1729 Kurfürst von Trier und 1729–1732 Kurfürst von Mainz) hervor. Bereits seit 1677 spielte die Besetzung dieser Erzbistümer eine wichtige Rolle in der Korrespondenz der Kaiserin und sie stand mit verschiedenen ihrer Inhaber in Kontakt.
Aber auch mit den Stadträten von Köln und Aachen tauschte sie Glückwunschreiben, ebenso mit einer Reihe von Klöstern wie etwa den Karmelitinnen in Düsseldorf; für die Unbeschuhten Karmelitinnen oder die Dominikanerinnen in Aachen intervenierte sie mehrfach beim Stadtrat. An den aus der Fürstabtei Corvey in Westfalen stammenden und am kaiserlichen Hof einflussreichen Jesuiten Vitus Tönnemann sind mehrere eigenhändige Briefe der Kaiserin überliefert. Eine wichtige Rolle in der Korrespondenz Eleonora Magdalenas mit ihrem Vater nahm der aus Kleve stammende kaiserliche Obersthofkanzler Theodor Althet Graf Strattmann ein, der zuvor in pfalzneuburgischen Diensten gestanden und auch an der Vermittlung ihrer Ehe mitgewirkt hatte.
Das Ziel des Projektes „Familiensache“ ist neben der inhaltlichen Erschließung dieses spannenden Korpus auch, die Briefe der Kaiserin in einer digitalen Edition öffentlich zugänglich zu machen. Das Herzstück dieser digitalen Edition stellt die eigenhändige Korrespondenz der Kaiserin mit ihrem Bruder und Vater dar, welche bereits gescannt wurde. Nach einer umfassenden Bestandserfassung, Qualitätssicherung und -kontrolle der gescannten Bilddateien liegt der Fokus in der aktuellen Projektphase auf der automatisierten Texterkennung durch die Software Transkribus.
Die Korrespondenz Eleonora Magdalenas ist nicht nur in ihrem Umfang eine Herausforderung, sondern erfordert auch eine stete Weiterentwicklung und Anpassung der digitalen Tools. Auf Veränderungen im Schriftbild reagiert das Projektteam flexibel, indem die verwendeten HTR-Modelle zur Texterkennung kontinuierlich nachgeschärft und weitertrainiert werden. Dies macht es möglich, auch über den langen Zeitraum der Korrespondenz zuverlässige Ergebnisse zu erzielen. Die Integration hochauflösender Scans der Briefe als METS-Dateien über die Software Goobi ermöglicht es, alle Briefe früh mit Metadaten anzureichern, und wird später die Basis für eine vergleichende Ansicht zwischen Original und Transkription in der digitalen Edition darstellen.
Drei Bereiche bleiben trotz allem dem menschlichen Auge vorbehalten: Fehlerkorrektur, Ergänzungen und Chiffre. Allzu oft ist die Kaiserin in Eile und verwendet aus diesem Grund vielfach Kürzungen, ergänzt an den Seitenrändern oder zwischen den Zeilen. Als besonders knifflig und in Handarbeit zu lösen erweist sich ihre Tendenz, Buchstaben zu vergessen. Der Alltag Kaiserin Eleonores war straff getaktet, weshalb die „Bitt mihr zue vergeben, das nit ender geschrieben…“[4] an ihre Korrespondenzpartner:innen regelmäßig seitens der Kaiserin vorgebracht wird.
In späteren Jahren wurden politische Aussagen zudem oft und nicht immer korrekt chiffriert. Die Auflösung dieser chiffrierten Passagen nach einem bereits erarbeiteten Chiffrenschlüssel und die Zuordnung von Codenamen für zentrale Schlüsselpersonen erfolgt manuell. Was im ersten Augenblick dank Transkribus nach einer großen Zeitersparnis für die Bearbeiterinnen klingt, erweist sich so als zeitintensive Aufgabe für prüfende Augen. Damit liegt der starke Fokus auf einer sehr genauen Korrekturphase, in der die Rohtranskriptionen zuerst korrigiert und danach kollationiert werden. In manchen Fällen stellte sich bisher erst nach hunderten Briefen heraus, was gewisse Abkürzungen oder Wörter bedeuten könnten.
Bereits in diesem Stadium werden auch die Grundsteine für die Anreicherung des Textes gelegt. Neben den Metadaten werden über Tags Orte, Personen und Institutionen, Abkürzungen, Streichungen und weitere Auffälligkeiten erfasst. Damit ist bereits eine grobe Struktur für den nächsten Schritt gelegt: die Textauszeichnung mit TEI. Zudem findet eine Vorselektion besonders inhaltsreicher, interessanter Briefe statt. Diese werden später auch in einer Druckedition publiziert.
Wer den Fortschritt des Projektes verfolgen möchte, ist herzlich eingeladen, dem Projektblog unter https://kaiserin.hypotheses.org/ einen Besuch abzustatten!
Projekthomepage: https://www.oeaw.ac.at/ihb/forschungsbereiche/geschichte-der-habsburgermonarchie/forschung/familiensache
[1] FWF: Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung. Das Projekt wird unter der Leitung von Katrin Keller am Institut für die Erforschung der Habsburgermonarchie und des Balkanraumes der Österreichischen Akademie der Wissenschaften durchgeführt.
[2] James Daybell, Gender, Politics and Archives in Early Modern England. In: James Daybell, Svante Norrhem (Hg.), Gender and Political Culture in Early Modern Europe, 1400–1800. New York: Routledge, 2016, S. 25–45, hier S. 26f.
[3] Wien, Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Familienkorrespondenz A 32-3; dazu vgl. Katrin Keller, Die Kaiserin. Reich, Ritual und Dynastie. Wien: Böhlau Verlag, 2021, S. 269–273.
[4] Bayerisches Hauptstaatsarchiv München, Kurpfalz, Kasten blau 44 Nr. 2d, fol. 015, Eleonore Magdalena an ihren Bruder Johann Wilhelm von Pfalz-Neuburg, eigenhändig, 21.06.1679.
Zitierweise:
Peper, Ines/Sptzbart, Anna: Zur Korrespondenz von Kaiserin Eleonora Magdalena von Pfalz-Neuburg (1655–1720). Ein neues Forschungsprojekt, in: Histrhen. Rheinische Geschichte wissenschaftlich bloggen, 16.05.2022, http://histrhen.landesgeschichte.eu/2022/05/korrespondenz-kaiserin-eleonora-magdalena-pfalz-neuburg-edition