Das Auge der Geschichte. Der Aufstand der Niederlande und die Französischen Religionskriege im Spiegel der Bildberichte Franz Hogenbergs (ca. 1560–1610) Von Ramon Voges

Lange Zeit galten die Bildberichte des deutsch-flämischen Malers und Bildhauers Frans Hogenberg als objektive Dokumentation der Französischen Religionskriege und des Aufstands der Niederlande. Mit Ramon Voges hat sich nun erstmals ein Historiker einer systematischen Untersuchung der Bildberichte angenommen. In seiner Monographie „Das Auge der Geschichte“, die eine überarbeitete Fassung seiner Doktorarbeit darstellt, nimmt der Stellvertretende Leiter des Deutschen Buch- und Schriftmuseums der Deutschen Nationalbibliothek eine umfassende Analyse der zwischen 1570 und 1619 zu den Französischen Religionskriegen und dem Aufstand der Niederlande erschienenen Bildberichte Hogenbergs vor. Sein Ansatz, die Bildberichte nicht als Abbild des Geschehens, sondern als historische Quellen und als Beispiel der Historiographie zu betrachten, eröffnet dabei neue, wertvolle Perspektiven auf die Werke Hogenbergs.

Ausgehend von der Frage, wie Hogenberg in seinen Bildberichten die Geschichte der Französischen Religionskriege und des Aufstands der Niederlande erzählt, analysiert Voges in acht Kapiteln die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, unter denen Hogenberg seine Werke publizierte, die den Berichten zugrunde liegenden Wirkungsabsichten und damit verbundene angewandte Techniken, sowie den Inhalt einzelner Bildberichte und deren Rezeption. Veranschaulicht werden die Ausführungen anhand einiger der sogenannten „Geschichtsblätter“, die in hervorragender Qualität abgedruckt sind.

Zunächst gibt Voges einen Überblick über die Vorlagen, auf die Hogenberg bei der Fertigung der Bildberichte zurückgriff, sowie die Überlieferung der Bilder. Darüber hinaus nimmt er einen kurzen Vergleich der Drucke mit anderen Formen der zeitgenössischen Publizistik vor. Im zweiten Kapitel widmet Voges sich der äußeren Quellenkritik der Bildberichte. Er rekonstruiert die Lebensstationen Hogenbergs und legt dar, mit welchen Einschränkungen sich Hogenberg als in Köln lebender, vermutlich protestantischer, Exulant konfrontiert sah. Indem Voges einen Blick auf das Nachrichtengeschäft zu Hogenbergs Lebzeiten wirft, arbeitet er dessen Strategien heraus, mithilfe derer sich die Bildberichte erfolgreich auf dem Markt platzieren ließen. Voges zeigt, dass Hogenbergs wirtschaftlicher Erfolg vor allem daher rührte, dass er mithilfe verschiedener Techniken Betrachter*innen seiner Bildberichte zu vermeintlichen Augenzeug*innen eines Ereignisses machte, und damit eine Marktlücke schließen konnte. Auf eine Einordnung der Bildberichte in den historischen Kontext sowie eine Skizzierung der politischen, sozialen und religiösen Konflikte dieser Zeit in Kapitel drei folgt in den Kapiteln vier bis sieben eine detaillierte Analyse der Inhalte der Bildberichte. Indem Voges einzelne Drucke in den Blick nimmt, arbeitet er exemplarisch heraus, welche Techniken Hogenberg nutzte, um den Bildberichten den Anschein der Überparteilichkeit zu verleihen, und gleichzeitig dennoch eine politische Meinung auszudrücken, die es vermochte, die Betrachtungsweise der Rezipierenden zu beeinflussen. Im letzten Kapitel widmet Voges sich der Rezeption der Bildberichte. Als wichtigste Quelle dienen hierbei die Gedenkbücher des Kölner Chronisten Hermann von Weinsberg, dem Hogenbergs Bildberichte seinen Aufzeichnungen zufolge als Nachrichtenmedium dienten.

Voges illustriert sehr überzeugend, dass es zu kurz greift, die Bildberichte als Abbildung des Geschehenen zu begreifen. Zwar stellt er dar, dass sich Hogenberg verschiedener Methoden bediente, wie die Verwendung topographischer Darstellung sowie eine ausschließlich implizite Behandlung von Religion als Konfliktthema, um den Eindruck der Überparteilichkeit zu vermitteln. Doch durch seine Analysen zeigt er eindrucksvoll auf, dass Hogenberg durchaus zur politischen Meinungsbildung beitrug, sei es durch die Auswahl des Abgebildeten oder der den Bildberichten zugehörigen Texten, sei es, indem er allegorische Elemente in seinen Bildern verarbeitete, die das dargestellte Geschehen anders einbanden. Voges plädiert dafür, die Bilder als „Sinnbilder gezeigter Vorgänge“ (S. 176) und als „Medium zweiter Ordnung“ (S. 356) zu betrachten, da sie nicht nur Vorgänge zeigen, sondern diese auf subtile Weise gleichzeitig kommentieren und deuten.

Wiederholt thematisiert Voges, dass die Rolle und das Selbstverständnis Hogenbergs die Wirkabsicht der Bildberichte beeinflussten, und argumentiert, dass Hogenberg vor allem als Geschäftsmann agierte, der den Käufer*innen das bot, was sie sehen wollten, nämlich „bildliche Darstellungen des Zeitgeschehens, das sie für verlässlich hielten“ (S. 89). Als entscheidend für Hogenbergs Erfolg erachtet Voges, dass es dem Kupferstecher gelang, seine Werke aufgrund der Aktualität der dargestellten Geschehnisse mit einem hohen Nachrichtenwert zu versehen, und gleichzeitig selbst Historiographie zu betreiben. Vor diesem Hintergrund attestiert Voges Hogenberg, ein „neues Genre der Zeitgeschichte“ (S. 36) geschaffen zu haben. Darüber hinaus spannt er den Bogen zur Forschung der Mediengeschichte der Frühen Neuzeit, indem er den Bildern selbst attestiert, zu indizieren, wann Bildberichterstattung als glaubwürdig galt, und welche Wirkabsichten derartigen Veröffentlichungen zugrunde lagen.

Die Ausführungen zur Rezeption der Hogenbergschen Bildberichte sind gewinnbringend und lassen zugleich Raum für anknüpfende Forschungen. Zwar bieten die Chroniken Hermann von Weinsbergs einen einmaligen Einblick in die zeitgenössische Rezeption der Bildberichte, allerdings ist fraglich, inwiefern von der Rezeption durch den historisch überdurchschnittlich interessierten Weinsberg auf eine allgemeine, über die Kölner Stadtgrenzen hinaus reichende  Rezeption der Bilder geschlossen werden kann. In diesem Zusammenhang bleibt auch offen, wie groß der Wirkungskreis der Bildberichte war, und welchen Einfluss sie auf die öffentliche Deutung der Geschehnisse in Frankreich und den Niederlanden hatten. Voges führt zwar an, dass die Bildberichte dazu beigetragen hätten, die militärischen Erfolge des Herzogs von Alba in den Niederlanden in eine „publizistische Niederlage“ zu verwandeln, lässt seine Leser*innen jedoch im Unklaren darüber, inwiefern die Bildberichte in den Niederlanden bekannt waren, und welche Wirkung sie, sofern bekannt, erzielten, setzt seine These doch voraus, dass dem Publikum Hogenbergs subtile parteiliche Hinweise nicht verborgen blieben. Die hier beschriebenen Lücken dürften jedoch vor allem der dürftigen Quellenlage zur Rezeptionsgeschichte verschuldet sein.

Mit seiner Monographie hat Voges ein Grundlagenwerk geschaffen, dessen Nutzung nicht nur für jeden/jede, der/die sich mit den Hogenbergschen Bildberichten beschäftigt, unerlässlich ist, sondern auch mediengeschichtlich oder historiographisch Interessierten neue Perspektiven eröffnet. Durch seine Ausführungen legt Voges offen, dass das Potential der Bildberichte für die Forschung noch lange nicht erschöpft ist, indem er beispielsweise auf ungeklärte Bedeutungen von Motiven und Symbolen in den einzelnen Bildberichten, oder auf die noch nicht zu Ende geschriebene Rezeptionsgeschichte verweist. Im Zeitalter von Fake News und zunehmenden Konflikten zwischen Medien, Politik und Gesellschaft ist es faszinierend zu sehen, dass sich auch Nachrichtenpublizistik vor über 400 Jahren im Spannungsfeld zwischen finanziellen Interessen, Informationsverbreitung und politischer Meinungsbildung befand.

Voges, Ramon: Das Auge der Geschichte. Der Aufstand der Niederlande und die Französischen Religionskriege im Spiegel der Bildberichte Franz Hogenbergs (ca. 1560–1610), Leiden 2019 (Studies in Medieval and Reformation Traditions, 216); ISBN: 978-900-439-254-0

 

Zitierweise:
Goßner, Christina: Rezension zu “Das Auge der Geschichte. Der Aufstand der Niederlande und die Französischen Religionskriege im Spiegel der Bildberichte Franz Hogenbergs (ca. 1560–1610)”, in: Histrhen. Rheinische Geschichte wissenschaftlich bloggen, 31.01.2022, http://histrhen.landesgeschichte.eu/2022/01/rezension-auge-der-geschichte-hogenberg-gossner

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Christina Goßner

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