Der Rhein ist schon lange ein Thema in den Geschichtswissenschaften. Gleichwohl hat der Fluss in den letzten Jahren in besonderem Maße das Interesse der Forschung gefunden. Es erschienen zahlreiche Studien zur Rhein-Geschichte aus wirtschafts-, politik- und kulturhistorischer Perspektive. Hierzu gehört auch der vorliegende Band, der verschiedene Aufsätze des ehemaligen Direktors des Düsseldorfer Stadtarchivs versammelt. Alle Beiträge sind bereits an anderen Orten publiziert worden, manche wurden für die Neuauflage geringfügig überarbeitet.
Auch wenn er gelegentlich bis in das späte Mittelalter zurückgreift, konzentriert sich von Looz-Corswarem in seinen Forschungen vor allem auf die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert. In räumlicher Hinsicht stehen insbesondere die Städte Düsseldorf und Köln mit Mittelpunkt des Interesses. Drei große Themen der Rhein-Geschichte werden verhandelt.
Erstens geht es um die Fragen politischer Herrschaft, die sich in der „Sattelzeit“ stark wandelte. Mit dem Ende des Alten Reiches und der Napoleonischen Herrschaft am Rhein entstand eine neue politische Ordnung, die massive Auswirkungen auf die Rheinstädte hatte. Entscheidend für die Region war, dass beginnend mit dem so genannten Octroi-Vertrag zwischen Frankreich und dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation von 1804 eine neue Organisation für die Schifffahrt auf dem Rhein geschaffen wurde. Der Vertrag war der Auftakt zu einer völligen politischen Neuordnung der Rhein-Landschaft. In wirtschaftlicher Hinsicht erklärte er die Freiheit der Rheinschifffahrt und das Ende der Zölle auf dem Rhein. Damit beendete der Vertrag auch die seit dem Mittelalter existierenden Stapelrechte der Städte Köln und Mainz. In politischer Hinsicht schuf der Vertrag eine eigene Organisation zur Verwaltung der Rheinschifffahrt, den so genannten Octroi. Dieser übte die politische Hoheit und die Rechtsprechung für die Rheinschifffahrt aus. Kerngedanken des Octroi-Vertrages wurden auf dem Wiener Kongress in die Zentralkommission für die Rheinschifffahrt übernommen. Diese war die erste internationale Organisation im modernen Sinne. Mit dem sogenannten Mainzer Vertrag von 1832 nahm die Zentralkommission ihre Arbeit auf. Mit dem Octroi und der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt wurde eine völlig neue politische Ordnung für die wichtigste Wasserstraße des europäischen Kontinents entworfen.
Zweitens stehen wirtschaftliche Fragen im Mittelpunkt der Aufsätze. Hier geht es nicht zuletzt um die wirtschaftliche Rivalität der Städte Köln und Düsseldorf. Köln hatte durch das Stapelrecht eine überragende wirtschaftliche Bedeutung für die Region. Alle mit dem Schiff transportierten Güter mussten in den Domstadt ausgeladen und zum Kauf angeboten werden. Dieses aus dem Mittelalter stammende Privileg der Kölner war allerdings mit den sich durchsetzenden Gedanken der Handelsfreiheit nicht mehr zu vereinbaren. Insbesondere die Stadt Düsseldorf verwandte viel Mühe und Energie darauf, das Kölner Privileg abzuschaffen. Dies gelang erst mit Inkrafttreten des Mainzer Vertrages von 1832. Allerdings konnte sich auch danach die Stadt Düsseldorf nur mühsam gegen die Kölner Konkurrenz durchsetzen. Die neuen und modernen Dampfschiffe, so hält der Autor fest, fuhren auf ihrem Weg nach Köln zunächst an Düsseldorf vorbei. Insgesamt wird aber nochmals deutlich, welch herausragende Bedeutung der Wasserweg für die Wirtschaft der Region hatte.
Schließlich geht es auch um die Technikgeschichte der Rheinschifffahrt. Auch hier spielte Köln eine wichtige Rolle, war die Stadt doch nach damaligem Verständnis der Ort, an dem sich der Oberrhein vom Niederrhein schied. Während auf dem Niederrhein große Schiffe zwischen den niederländischen Städten und Köln verkehrten, waren die Schiffe zwischen Köln und Mainz wegen der besonderen Bedingungen des Flusses sehr viel kleiner. In Köln musste also umgeladen werden, auch das war ein wichtiger Standortvorteil für die Stadt. Dies änderte sich allerdings mit dem Auftauchen der Dampfschiffe auf dem Rhein. Diese konnten ab den 1840er Jahren auch die stärkere Strömung des damals so genannten Oberrheins zwischen Köln und Mainz befahren und machten ein Umladen der Waren überflüssig. Weitere Aufsätze sind der Organisation der Schiffer-Gilden in den Sattelzeit und den natürlichen Hindernissen für die Schifffahrt im Winter gewidmet. Spannend zu lesen sind außerdem die Beiträge über die Repräsentations-Schiffe des Rates der Stadt Köln und des Trierer Kurfürsten auf dem Rhein.
Insgesamt zeigt der Band, dass Clemens von Looz-Corswarem einer der profundesten Kenner der Rhein-Geschichte ist. Insbesondere hat er einen sehr guten Überblick über die Archivalien in Köln und Düsseldorf, auf denen die Aufsätze im Wesentlichen beruhen. Das überrascht angesichts seiner langjährigen Tätigkeit in den Archiven der beiden Städte nicht. Gerade die regionalgeschichtliche Differenzierung kann die zur Zeit boomende Rhein-Forschung mit wirtschafts- und kulturhistorischen Fragestellungen um wichtige Aspekte ergänzen und vor allem differenzieren. Kritisch ist anzumerken, dass die Aufsätze in der Zusammenschau einige Redundanzen enthalten, was daran liegt, dass sie ursprünglich an anderen Orten erschienen sind. So wird der Leser mehrfach über die Funktionsweise des Kölner Stapels unterrichtet. Hier hätte eine Schlussredaktion gewiss noch Abhilfe schaffen können.
Clemens von Looz-Corswarem: Schifffahrt und Handel auf dem Rhein vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert. Beiträge zur Verkehrsgeschichte (Schriften zur rheinisch-westfälischen Wirtschaftsgeschichte, 48), Böhlau, Köln/Weimar/Wien 2020; ISBN 978-3-412-51771-7.
Zitierweise:
Thiemeyer, Guido: Rezension zu “Schifffahrt und Handel auf dem Rhein vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert. Beiträge zur Verkehrsgeschichte”, in: Histrhen. Rheinische Geschichte wissenschaftlich bloggen, 08.03.2021, http://histrhen.landesgeschichte.eu/2021/03/rezension-schifffahrt-und-handel-auf-dem-rhein-thiemeyer