Das Oberlandesgericht Köln zwischen dem Rheinland, Frankreich und Preußen Von Hans-Peter Haferkamp und Margarete Gräfin von Schwerin (Hrsg.)

Für Rechtshistoriker fällt die Lektüre von Gerichtsfestschriften oft eher ernüchternd aus, da sie mit deren Vorstellungen an eine wissenschaftliche Herangehensweise kollidieren und auch nur einen begrenzten Wert als Materialsammlung haben. Dies ist bei dem vorliegenden Werk nicht der Fall. Dies hat auch mit dem Gericht zu tun, dessen 200jähriges Bestehen gewürdigt wird. Der 1819 ins Leben gerufene und für die gesamte Rheinprovinz zuständige Rheinische Appellationsgerichtshof in Köln stand im Spannungsfeld verschiedener Rechtstraditionen und rechtsnormativer Konzepte. Dies wird auch durch den Buchtitel („… zwischen dem Rheinland, Frankreich und Preußen“) deutlich gemacht, der dem Untersuchungsprogramm des Werkes die Richtung weist. Es sollen die „rheinisch-französisch-preußischen Einflüsse“ auf die Rechtsprechung untersucht werden (S. 12 f.). Dies geschieht auf den verschiedenen Ebenen des materiellen Rechts, des Verfahrensrechts, der Justizorganisation, der Personalpolitik, der Juristenausbildung, der Spezialgerichtsbarkeit (arbeitsgerichtliche Rechtsprechung), sowie schließlich in Bezug auf die materialisierte Wissensbasis der Gerichtsbarkeit, den Beständen der Gerichtsbibliothek

In beeindruckender Weise eingelöst wird dieser Anspruch im Beitrag des Mitherausgebers Hans-Peter Haferkamp. Verkürzt gesagt geht es um den Stellenwert des ordre public in der gerichtlichen Argumentation. Völlig unberücksichtigt bleiben konnte dieser Topos unter der weiter währenden Geltung des französischen Rechts nicht. Doch die Zivilrechtsprechung der rheinischen Justiz neigte dazu, ihn zurückzudrängen, jedenfalls ihm nicht jenes  Gewicht einzuräumen, wie dies die französische Doktrin tat. Damit trat auch ein grundlegender Widerstreit zwischen verschiedenen Rechtskonzepten zutage: die Konzeption eines weitgehend autonomen Privatrechts gegen die Konzeption eines stärker etatistisch konturierten Rechts, welches der Geltendmachung öffentlicher Interessen weiten Raum bot. Eine weitere Spielart der Integration „fremden“ Rechts untersucht Stefan Geyer, der den Blick in die Zeit des Ancien Régime vorverlagert, indem er die Berücksichtigung älteren Rechts, vor allem des Statutarrechts, in der späteren Rechtsprechung untersucht. Für die von ihm untersuchten Fälle kommt er zu dem Befund, dass dies in weitgehend unproblematischer Weise geschah, soweit die betreffenden Rechtsverhältnisse zur Geltungszeit dieses älteren Rechts begründet worden waren. Hierfür bedurfte es auch keiner besonderen gerichtlichen Kraftakte; das französische Recht ließ diese Berücksichtigung älteren Rechts zu und auch die materiellrechtliche Lösung war im Prinzip die gleiche.

Auf der Verfahrensebene werden derartige Gemengelagen von Peter Oestmann untersucht. Wenngleich sich nur – wegen der unübersichtlichen Überlieferung – auf eine nur schmale Quellengrundlage stützend, kann Oestmann plausibel darlegen, wie stark der französische Stil die rheinische Rechtsprechung geprägt hat. Er zeigt aber auch, dass es schwierig ist, ein bestimmtes gerichtliches Procedere auf einen begrifflichen Nenner zu bringen, wie seine – teilweise die bisherige Forschung korrigierenden – Ausführungen zur „mündlichen Verhandlung“ zeigen. Auf einen wichtigen verfahrensmäßigen Aspekt aufmerksam macht auch der Beitrag von Eric Zakowski zur frühen Arbeitsgerichtsbarkeit. Den Erfolg der Gewerbegerichte im Rheinland und den Misserfolg von ähnlichen Einrichtungen im übrigen Preußen erklärt er mit der unkomplizierteren Verfahrensweise Ersterer und dem stärker formellen Procedere Letzterer. Obwohl man sich natürlich vor monokausalen Erklärungen hüten sollte, scheint das ein wichtiger Gesichtspunkt zu sein – verdanken dann doch gerade die späteren reichsrechtlichen Gewerbegerichte (ab 1890) ihre Beliebtheit in starkem Maße jenem unkomplizierten Verfahren, welches gerade auch die rheinischen Gewerbegerichte auszeichnete.

Auf der Ebene der Juristenausbildung lässt sich das Verhältnis mit den Stichworten „Preußische Prüfungsordnung – (teilweise) französisch-rechtliche Ausbildungs- und Prüfungsinhalte“ beschreiben. Jaqueline Weertz zeigt aber auch, dass hieraus nicht schwerwiegende Konflikte  resultierten. Schwierigkeiten praktischer Art ergaben sich dann allerdings aus der zeitweisen Verlagerung der Prüfung an die Immediat-Justiz-Examinationskommission zu Berlin. Aber auch hier wurden die französisch-rechtlichen Inhalte berücksichtigt. Ebenso werden keine grundlegenden clashes in der Personalpolitik sichtbar, wie der Beitrag von Christian Wiefling zeigt. Die Gerichtskollegien waren an der Spitze wie auch zahlenmäßig von Rheinländern dominiert. Der wesentliche Unterschied zur Personalpolitik im übrigen Preußen zeigt sich darin, dass man dort die richterlichen Beamten im ganzen Königreich rotieren ließ, die rheinischen Richter waren davon weitgehend ausgenommen.

Inwiefern die Baugeschichte des Kölner Gerichts sich dazu eignet, eine französisch/rheinländisch-preußische Spannungslage sichtbar zu machen, lotet der Beitrag von Daniela Bennewitz aus. Die Entwurfsabfolge Weyer-Schinkel-Weyer für den Neubau scheint dies nahezulegen, weil Weyer für den französischen, Schinkel für den preußischen Stil stand. Aber das sollte man vielleicht nicht überzeichnen, überdies lässt sich auch nicht ohne weiteres ein Gleichklang von architektonischer und rechtlicher Rationalität annehmen (was in dem Beitrag auch nicht so behauptet wird). In einem Punkt aber musste die architektonische Gestaltung rechtliche Anforderungen zwingend ins Kalkül ziehen: Dort wo mündliche und öffentliche Verhandlungen vorgeschrieben waren, mussten auch entsprechende räumliche Gegebenheiten geschaffen werden, kleine Sitzungszimmer reichten dann nicht mehr (wie übrigens auch im Beitrag von Oestmann bemerkt). Wo sich der französische Einfluss geltend machte, zeigt sich aber in deutlicher Weise bei der Sichtung der Bibliotheksbestände, wie der Beitrag von Michael Frohn zeigt. Der hohe Anteil französischer juristischer Literatur legt Zeugnis darüber ab, dass nicht nur der Gesetzestext der französischen Codes maßgeblich war. Obwohl Haferkamp überzeugend dargestellt hat, dass es bei der Auslegung der französischen Gesetze zu einer Zurückdrängung der französischen Doktrin kommen konnte, war diese doch weiterhin präsent.

In seinem Beitrag zur Organisationsgeschichte – eigentlich in weiterem Sinne zur Justizgeschichte – der rheinischen Obergerichte kann Dieter Strauch in reichhaltiger Weise aus seiner bisherigen Forschung schöpfen und einen weiten Bogen vom Mittelalter bis zur Gegenwart schlagen. Die Fokussierung auf die den Sammelband tragende Leitfragestellung nach den Einflüssen der rheinisch-französisch-preußischen Gemengelage tritt dadurch natürlich ein wenig in den Hintergrund, aber kommt doch auf jenen ca. 15 Seiten zum Tragen, die sich mit der Zeit zwischen 1789 und 1879 befassen. Insbesondere wird deutlich, welche organisatorischen Anpassungsleistungen auf den Wechsel der jeweiligen politischen und Rechtsregime folgten.

Aus all diesen durchgehend instruktiv informierenden und in unterschiedlichem Maße analytisch und konzeptionell anregenden Beiträgen ergibt sich das Bild einer vielfältig in rechtlicher Diversität eingebundenen Justiz. Ein über den Informationswert hinausgehendes Verdienst des Werkes ist, dass es zu weitergehenden Fragestellungen anregt. Die erste betrifft zeitliche Aspekte. Begegnung von Recht geschieht zu verschiedenen Zeiten in unterschiedlicher Weise, auch weil sich die Rahmenbedingungen ändern und sich das Recht, welches sich gegenübersteht, verändert. Hier könnte man unterscheiden: die Zeit bis 1814/15; der Schwebezustand bis zur offiziellen Akzeptanz des französischen Rechts; die Zeit bis Mitte des 19. Jahrhunderts, als sich auch im übrigen Deutschland Gerichtsverfassung und Verfahren in einer Weise änderten, die dem rheinischen Typ schon deutlich näher war; die Zeit bis zur Vereinheitlichung der Justizverfassung Ende der 1870er; schließlich die Zeit bis zur Vereinheitlichung des materiellen Zivilrechts durch das BGB. Die rheinländisch-französisch-preußische Konstellation war 1832 eine andere als beispielsweise 1862 oder 1882.

Der zweite Gesichtspunkt ist der der Untersuchungsebene: Dies wurde schon in der Einleitung angesprochen und kommt auch in den Schwerpunkten der einzelnen Beiträge zum Tragen: materielles Recht, Verfahrensrecht, Justizorganisation, Juristenausbildung und Personalpolitik, Gerichtsarchitektur. Aus den Beiträgen ergeben sich aber noch Anhaltspunkte für Weiteres: Justiznutzung, Juristenhabitus, intellektuelle Prägungen, Bürgerpartizipation (Stichwort: Öffentlichkeit, Laienbeteiligung). Es zeigt sich also, dass das Vorhandensein verschiedenen Rechts innerhalb eines staatlichen Gemeinwesens in verschiedener Weise Wirkung entfalten kann und es fragt sich, inwiefern man eine diesbezügliche Fokussierung nicht vielleicht ausbauen kann.

Drittens geht es um den organisatorischen Bezug. Im Mittelpunkt des Buches steht ein bestimmtes Gericht. Einige Beiträge befassen sich auch mit der Judikatur dieses Gerichts. Wenn man aber ein bestimmtes Gericht als Akteur von rechtlicher Diversität in den Mittelpunkt stellt, stellt sich die Frage, ob man diesen Ansatz nicht weiter ausbauen kann. Dann ginge es um entsprechende Einflüsse auf die vorinstanzliche Gerichtsbarkeit, die Ausstrahlung auf die juristische Literatur, mögliche Vorreiterrollen etc. Es werden die rheinländisch-französisch-preußischen Gemengelagen also nicht schlechthin untersucht, sondern wie sie in der Tätigkeit einer bestimmten Institution zum Tragen kommen.

Viertens schließlich kommt man nicht umhin, über Begrifflichkeiten zu sprechen. Sicher besteht die Gefahr der Blickverengung, wenn man die in diesem Sammelband geschilderten Phänomene vorschnell in ein bestimmtes begriffliches Korsett zwängt. Aber wenn man in globalhistorischer Perspektive von Transfer und Translation, von Multinormativität und Rechtspluralismus, von entanglements und legal diversity spricht, zeigt gerade der vorliegende Band, dass Entsprechendes auch vor unserer Haustür geschah. Mit dem Werk liegt somit ein wichtiger regionalhistorischer Beitrag zu einer globalen Rechtsgeschichte vor.

 

Hans-Peter Haferkamp/Margarete Gräfin von Schwerin (Hrsg.), Das Oberlandesgericht Köln zwischen dem Rheinland, Frankreich und Preußen. Festschrift zum 200-jährigen Bestehen (1819-2019), Böhlau, Wien/Köln/Weimar 2019; ISBN 978-3-412-51313-9.

 

Zitierweise:
Collin, Peter: Rezension zu “Das Oberlandesgericht Köln zwischen dem Rheinland, Frankreich und Preußen”, in: Histrhen. Rheinische Geschichte wissenschaftlich bloggen, 15.06.2020, http://histrhen.landesgeschichte.eu/2020/06/rezension-olg-koeln-collin

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PD Dr. Peter Collin

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