Der 2018 erschienene 103. Band der Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Köln enthält fünf der im Rahmen des Begleitprogramms der Ausstellung „Willkommen im alten Köln“ 2016 gehaltenen Vorträge. Die Ausstellung präsentierte neben Gemälden der mittelalterlichen Stadtmauer des Malers Siegfried Glos ausgewählte Archivalien. Der Band stellt eine Novität dar, weil bis dato die Publikation von Findbüchern im Vordergrund stand. Da diese jedoch in Zeiten von Onlinerecherche und digitalisierten Beständen ihren Wert eingebüßt haben, so die Leiterin des Historischen Archivs der Stadt Köln, Bettina Schmidt-Czaia: “… möchten wir zukünftig den Fokus verschieben, indem wir u.a. die Vorträge des Begleitprogramms zu unseren Jahresausstellungen veröffentlichen. Immer wieder bitten uns die Besucher am Rande unserer Vortragsreihe, die Beiträge in Ruhe noch einmal nachlesen zu können. Wir unternehmen mit der Punlikation der Vorträge zukünftig einen weiteren Schritt auf dem Weg des Historischen Archivs der Stadt Köln zu einem Bürgerarchiv, bei dem zu den Kernaufgaben der Bereitstelluung von Quellen zu wissenschaftlicher und privater Forschung auch die Vermittlung von Informationen und Einsichten an einen erweiterten Kreis interessierter Bürger tritt.”
Die fünf Vortragstexte befassen sich mit unterschiedlichen Aspekten der Kölner Stadtmauer. Die Themen reichen von der Bau- und Nutzungsgeschichte der Ulrepforte, den religiösen Dimensionen der Stadtmauer, der Verbindung der Mauer mit ihren angeblich 12 Stadttoren zum himmlischen Jerusalem, über den Einfluss der Mauer auf das Leben der Bevölkerung innerhalb der Mauern bis hin zu einer Hochhausmauer als neuem städtebauliches Leitbild. Die Autorin und Autoren sind Historiker oder Architekten.
Der Architekt Martin Bachem beschreibt im ersten Beitrag sein 2014 vorgestelltes städtebauliches Leitbild für das zu entwickelnde Köln, die sogenannte “Stadtplastik”. Darunter versteht er das Gebiet der Kölner Altstadt und Deutz. Begrenzt wird dieser runde Stadtkörper durch eine doppelte Hochhausreihe entlang der Ringstraße und ihrer geplanten Fortführung im Rechtsrheinischen. Von dieser “Aufkantung” flacht sich der Stadtgrundriss zum Zentrum mit Dom und Rhein ab. Der Hochhausring als “bewohnte Mauer” grenze die Innenstadt klar nach außen ab und gliedere laut Bachem so den Stadtkörper.
Christiane Feld untersucht die religiöse Dimension der Stadtmauer in der seit dem Mittelalter zunehmend als „heiliges Köln“ bezeichneten Stadt. Dieses Attribut fand sich in zahlreichen Schriften, Münzen und Siegeln wieder, etwa im sogenannten Kölner Pfennig, der u.a. eine aufwendige Kirchenarchitektur inmitten einer Ringmauer und das Kürzel SCA (Sancta Colonia) zeigte. Das frühe Kölner Stadtsiegel zierte der inmitten der Stadtmauer sitzende heilige Petrus. Die zahlreichen Reliquien der Heiligen sowie Sekundärreliquien innerhalb der Stadtmauer und der Handel mit diesen machten Köln bzw. die Gesamtheit der Kölner Kirchen zum größten Reliquienschatz in Europa. Als Folge der Anbetung der Heiligen entstanden zahlreiche Prozessionen und offenbaren deren Bedeutung für die Stadt und ihre Bewohner.
Markus Jansen analysiert die verbreitete These, die Kölner Stadtmauer bilde das himmlische Jerusalem nach. Dieses besitzt gemäß der Schilderung der Offenbarung des Johannes eine ummauerte Stadtanlage mit jeweils drei Stadttoren an jeder der vier Seiten. Die Symbolik der himmlischen Stadt wird immer wieder für den mittelalterlichen Städtebau herangezogen. So attestieren zahlreiche Wissenschaftler der Kölner Stadtmauer mit ihren angeblich zwölf Toren eine derartige Verbindung, deren Ursache in der gerne reklamierten Heiligkeit Kölns zu suchen ist. Auch wenn die kunsthistorische Forschung wiederholt betonte, dass es ausreiche, einzelne prägende Elemente der Himmelstadt zu übernehmen, gibt es nach Jansen keine Verbindung zwischen Köln und Jerusalem. Er hebt hervor, dass Köln 14 landseitige Stadttore und diverse Öffnungen am Rheinufer besaß, was die himmlischen Zwölfzahl deutlich übertraf. Die städtische Geschichtsschreibung sprach nie die Gemeinsamkeit mit Jerusalem an. Nach Jansen muss man – im Gegensatz zu Literaturmeinungen vor allem aus den 1970er-Jahren – davon ausgehen, dass die Kölner Stadtmauer nicht das himmlische Jerusalem nachbildete.
Die Bau- und Nutzungsgeschichte der Ulrepforte referieren das Historiker-Architekten-Tandem Marcus Leifeld und Ulrich Schlüter. Durch den Umbau der kleinen Doppelturmanlage im ersten Drittel des 15. Jahrhunderts zu einer Kappenwindmühle verlor das Tor endgültig seine Funktion, so dass es bis heute oft nicht als Toranlage wahrgenommen wird. Nach dem Abriss der Kölner Stadtmauer ab 1881 erfuhr die Ulrepforte ihre bauliche Umnutzung zur Restauration. Nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte der Wiederaufbau als Domizil für die Karnevalsgesellschaft “Rote Funken”, die sie bis heute nutzen und derzeit umfangreiche Umbaumaßnahmen vorbereiten, um das Objekt besser nutzen und den Bürgern als lebendigen Erinnerungsort der Kölner Stadtgeschichte näherzubringen zu können.
Max Plassmann thematisiert im letzten Beitrag das Leben im Schatten der größten und stärksten mittelalterlichen Stadtbefestigung nördlich der Alpen. Diese schien aufgrund der geringen Anzahl an Belagerungen überdimensioniert, jedoch schreckte gerade die sichtbare Stärke viele Feinde ab. Die Mauer definierte den städtischen Raum, begrenzte die Zugänglichkeit und verhinderte das unkontrollierte Verschwinden gesuchter Straftäter. Über die Jahrhunderte erforderte die Größe der Anlage eine enorme Summe, um die Befestigung in Stand zu halten. Die Erhebung von Steuern zu diesem Zweck erforderte die Schaffung von Verwaltungsstrukturen. Auch war die Stadt in der frühen Neuzeit nicht immer Willens und in der Lage, die Oberhoheit über die Stadtmauer zu behalten. Der Bau von Häusern an und auf der Mauer und die Inbeschlagnahme von Mauerabschnitten hatten oft eine fehlende Bauunterhaltung zur Folge, so dass sich die Stadt gezwungen sah, die Abschnitte zurückzukaufen. Auch die äußeren Befestigungsbereiche, wie Wall und Graben, erfuhren verbotenerweise unterschiedlichste Freizeitnutzungen durch die Kölner. In der wachsenden Stadt des ausgehenden 19. Jahrhunderts erwiesen sich die Befestigung zunehmend als Hemmnis, sodass die Mauer ab 1881 abgebrochen wurde.
Insgesamt bietet das Werk interessante neue Einblicke zu einem wichtigen Aspekt der Kölner Stadtgeschichte und die Autoren stellen einige verbreitete falsche Behauptungen richtig. Von der Konzeption her richtet sich die Veröffentlichung durch die ausführliche Auflistung von Anmerkungen zunächst an Wissenschaftler, Historiker und Festungsforscher, aber auch an ein breiteres stadtgeschichtlich interessiertes (Laien-)Publikum.
Willkommen im alten Köln – Geschichte(n) rund um die Kölner Stadtmauer (Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Köln 103), Köln 2018, 88 Seiten, ISBN: 978-3-928907-36-1.
Zitierweise:
Hess, Alexander: Rezension zu „Willkommen im alten Köln – Geschichte(n) rund um die Kölner Stadtmauer. Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Köln 103.”, in: Histrhen. Rheinische Geschichte wissenschaftlich bloggen, 06.02.2020, http://histrhen.landesgeschichte.eu/2020/02/willkommen-im-alten-koeln/
- Willkommen im alten Köln Geschichte(n) rund um die Kölner Stadtmauer - 6. Februar 2020