Joseph Teusch und die Kölner “Abwehrstelle gegen die antichristliche Propaganda”

Teusch Porträtfoto

Joseph Teusch, Porträtfoto. (Historisches Archiv des Erzbistums Köln)

Als prägend und anregend, allerdings gelegentlich auch als vereinnahmend, ja, beschwörend“ habe man seine Predigten und Vorträge empfunden, erinnerte sich der spätere Kultusminister Paul Mikat in einem Gespräch mit Norbert Trippen.[1]

In der Tat: Der am 15. Februar 1902 in Köln geborene Joseph Teusch war ein begnadeter Redner und damit auch ein allseits gerne gesehener Gast. In der Düsseldorfer St. Paulus-Pfarre hatte er sich am 20. Januar 1935 zu einer einwöchigen Predigtreihe eingefunden. Das übergreifende Thema der Veranstaltung war die Auseinandersetzung mit dem sogenannten völkischen „Neuheidentum“. Die anwesenden Beamten der Stapoleitstelle Düsseldorf wussten später zu berichten, dass es sich hier ganz offensichtlich um eines „der besten Pferde der Erzdiözese“[2] handeln musste.

Zu diesem Zeitpunkt war der junge Geistliche den zuständigen Gestapo-Beamten bereits ein bekanntes Gesicht. Denn das Hauptaufgabenfeld des Domvikars bestand seit seiner Ernennung am 16. März 1934 in der Leitung einer Arbeitsstelle zur Observation und Analyse antichristlicher Propaganda – in den 1960er Jahren auch bekannt geworden als „NS-Weltanschauungs-Abwehrstelle“ oder häufig auch „Abwehrstelle Teusch“.

Diese Institution entfaltete durch die Herausgabe von zahlreichen Flugblättern und Broschüren eine ungeahnte Breitenwirkung, die weit über die Auswertung nationalsozialistischer Schrift- und Presseerzeugnisse hinausging. Die meist von Teusch selbst verfassten Broschüren waren, wie es in seinem „politischen Lebenslauf“ der Stapo zu lesen ist, von solch „tendenziösem Inhalt“, dass sie alle der Beschlagnahme verfielen. Die dem äußeren Anschein nach rein-theologischen Kleinschriften, hatten aber nicht nur aufgrund ihres beachtlichen Verbreitungsgrades (rund 500.000 Exemplare je Kleinschrift) politisches Gewicht. In einem Bericht an das Geheime Staatspolizeiamt in Berlin heißt es auf diesen Umstand bezugnehmend, dass sich beispielsweise Teuschs erste Publikation („Religion und Weltanschauung“) augenscheinlich mit einer deutschgläubigen „Dritten Konfession“ auseinandersetze, im Grunde aber „den Grundideen des Nationalsozialismus: Blut und Boden, Rasse und Volkstum“ widerspreche.[3] Weiterführend sei im interpretatorischen Freiraum der Veröffentlichungen die „durchaus gefährliche Seite der Tätigkeit des Domvikars“[4] zu sehen.

Rosenberg Porträt

Alfred Rosenberg, Porträtfoto von Heinrich Hoffmann, 1941. (Bundesarchiv)

Dieser weltanschaulichen Gefahr zugrunde lag die eigentliche Tätigkeit der Arbeitsstelle: Die Sammlung und Auswertung des breiten Spektrums an kirchenfeindlichen Verlautbarungen. Joseph Teusch, der diese Arbeit in Personalunion betrieb, sammelte zu diesem Zweck Zeitungen, Broschüren und Bücher unterschiedlichster Herkunft. Die regelmäßigen Auswertungen boten die Grundlage für Flugblätter, Kleinschriften oder Bücher. Auch für Proteste Erzbischof Schultes und des Generalvikariates, zahlreiche Eingaben der Geistlichen und deren Seelsorge galten die Analysen des Domvikars als zentraler Zugriffspunkt.[5]

Neben den zahlenmäßig beeindruckenden Broschüren bildete die Organisation und Verteilung der „Studien zum Mythus des 20. Jahrhunderts“ – das später als „Antimythus“ bekannt gewordene Gegenstück zu Alfred Rosenbergs „Mythus des 20. Jahrhunderts“ – die wohl prominenteste Aktion der Arbeitsstelle. Wie sich der an der Abfassung der Schrift beteiligte Bonner Kirchenhistoriker Wilhelm Neuss erinnerte, konnte es sich dabei nicht nur um eine inhaltliche Auseinandersetzung handeln, „sondern es mußte einmal die unwissenschaftliche und unehrliche Art des Mythus dem Leser aufgedeckt werden.“[6]

Kirchlicher Anzeiger für die Erzdiözese Köln, Studien zum Mythus des 20. Jahrhunderts, 1934.

Kirchlicher Anzeiger für die Erzdiözese Köln, Studien zum Mythus des 20. Jahrhunderts, 1934.

Die Schrift war als Gemeinschaftswerk konzipiert; verschiedene „Fachgelehrte“ – nach der Veröffentlichung der “Studien” meist nur noch als „Dunkelmänner“ bezeichnet – verfassten Einzelbeiträge zu den unterschiedlichen Bestandteilen des „Mythus“. Das Ergebnis der Autoren fiel erwartungsgemäß vernichtend aus. Nahezu jedes Rosenbergsche Argument griffen die Studien auf, um es zu kurzerhand zu widerlegen. Besonders schwer wog das Urteil über Rosenbergs Methodik und der Umgang mit den Quellen.

Die „Studien“ leisteten wie die zahlreichen anderen Veröffentlichungen der Arbeitsstelle einen entscheidenden Beitrag dazu, mit dem Wissen um die teils unkritische Abfassung des völkischen Schrifttums, Raum für kritische Distanz zu schaffen – oder wie Wilhelm Neuss es formulierte: Nun auch „den Blick in eine Fabrik der Lüge“[7] zu richten. Die Suggestion, die ideologische Abrechnung mit der katholischen Kirche basiere tatsächlich auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, bröckelte.

Die Einrichtung der Kölner Stelle bildete eine entscheidende Zäsur in der weltanschaulichen Auseinandersetzung zwischen Kirche und NS-Ideologie. Sie bot ein Vorbild für ähnliche Organisationen und gab entscheidende Impulse, die weit über die Grenzen der Erzdiözese Köln hinaus strahlten. Die Verteilung des Materials in den rund 20.000 Pfarreien des Deutschen Reiches übernahmen Teusch und die Unterstützer der Arbeitsstelle ganz offensichtlich nicht alleine. In den einzelnen Diözesen brauchte es zahlreiche freiwillige Helfer aus Klerus und Gemeinde, die die Aktionen trugen – ein treffendes Beispiel dafür, dass katholische Milieustrukturen trotz nationalsozialistischer Einbrüche Bestand hatten und funktionierten.

So häufig das Vorhandensein der Kölner Stelle auch erwähnt wurde, blieb die Funktion, Struktur und inhaltliche Ausrichtung der von Domvikar Joseph Teusch geleiteten Arbeitsstelle für lange Zeit ein Desiderat der Forschung. Zu gering war die zeitliche Distanz zum 1976 verstorbenen Prälaten, zu groß war die Unzugänglichkeit der Quellen, zu schwer wog letzten Endes die Deutungshoheit von Bernd Wittschier – des eigenen Schwagers.

 


 

* Der Beitrag ist Ausschnitt einer umfassenderen Auseinandersetzung mit der Arbeitsstelle, deren Ergebnisse in den kommenden Wochen und Monaten an unterschiedlicher Stelle veröffentlicht werden (bsp. Geschichte in Köln).

[1] Vgl. Trippen, Norbert, Josef Kardinal Frings (1887-1978), Band 1: Sein Wirken für das Erzbistum Köln und für die Kirche in Deutschland (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe B, Bd. 94), Paderborn 2003, S. 423. Vortragsmanuskripte finden sich in AEK NL Teusch, Nr. 383.

[2] LAV NRW R, RW 58, Nr. 9211, p. 58.

[3] LHAK 403, Nr. 16845, p. 423.

[4] LAV NRW R, RW 58, Nr. 9211, p. 8.

[5] Vgl. beispielsweise Corsten, Wilhelm (Bearb.), Kölner Aktenstücke über die Lage der katholischen Kirche in Deutschland 1933-1945, Köln 1949, S. 46ff., S. 123f.

[6] Neuss, Wilhelm, Kampf gegen den Mythus des 20. Jahrhunderts. Ein Gedenkblatt an Clemens August Kardinal Graf von Galen (Dokumente zur Zeitgeschichte, Bd. 4), Köln 1947, S. 14.

[7] Ebd., S. 35.

 

Zitierweise:
Münster, Keywan Klaus: “Joseph Teusch und die Kölner “Abwehrstelle gegen die antichristliche Propaganda””, in: Histrhen. Rheinische Geschichte wissenschaftlich bloggen, 09.06.2016, http://histrhen.landesgeschichte.eu/2016/06/joseph-teusch-koelner-abwehrstelle/

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Keywan Klaus Münster

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