Der Verein für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande (1925–2025). Entstehung – Akteure – wissenschaftliches Profil Tagungsbericht

Menschen prosten im Foyer des Tagungsorts Richtung Kamera.

Gut besuchte Tagung “Der Verein für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande (1925–2025): Entstehung – Akteure – wissenschaftliches Profil” Bild: Karst/Stuhldreher

Am 18. März 1925 gründete ein kleiner Kreis führender Persönlichkeiten aus Politik, Kultur und Verwaltung im damaligen Gebäude des Instituts für geschichtliche Landeskunde (IGL) den Verein für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande. Anlässlich des 100-jährigen Gründungsjubiläums widmete sich die von der Abteilung für Geschichte der Frühen Neuzeit und Rheinische Landesgeschichte der Universität Bonn sowie dem Verein für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande ausgerichtete Tagung „Der Verein für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande (1925–2025). Entstehung – Akteure – wissenschaftliches Profil“ der bislang wenig erforschten Vereinsgeschichte,[1] dem Gründungskontext sowie ausgewählten Akteur:innen. Dieser Themenstellung entsprechend war das Tagungsprogramm in sich chronologisch angelegt, wobei der Untersuchungszeitraum sich von der Gründung über die Zeit des Nationalsozialismus und die Nachkriegszeit bis in die Gegenwart erstreckte. Kooperationspartner waren der Lehrstuhl für Geschichtliche Landeskunde der Universität Trier und der Blog „Histrhen. Rheinische Geschichte wissenschaftlich bloggen“. Finanziell gefördert wurde die Tagung durch den Landschaftsverband Rheinland.

Nach der inhaltlichen Einführung in den Aufbau und die Thematik der Tagung durch Michael Rohrschneider (Bonn) stand der Entstehungskontext des Bonners Vereins im Vordergrund. Dabei folgte die erste Sektion einer klaren chronologischen Binnengliederung: Ausgehend von generellen Überlegungen zur Genese historischer Vereine in Rheinland und Westfalen im 19. Jahrhundert rückten die Entstehungsgeschichte des im Zentrum der Tagung stehenden Vereins und seine institutionellen Beziehungen in den Fokus.

Den Auftakt lieferte Stefan Gorißen (Bielefeld) mit einem Vortrag über die Entstehung und Entwicklung historischer Vereine in Rheinland-Westfalen im 19. Jahrhundert. Zunächst skizzierte Gorißen – ausgehend von der Phaseneinteilung Hermann Heimpels – die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte des historischen Vereinswesens im Untersuchungsraum: Während in der ersten Phase (1797–1815) nur vereinzelt Vereine gegründet wurden, waren die zweite und dritte Phase (1815–1848; 1848–1871) durch einen erheblichen nominellen Anstieg regionaler Vereinsgründungen geprägt. Dieser Trend verstetigte sich in der vierten und letzten Phase (1871–1914). Ausgehend von der Feststellung, dass Geschichtsvereine ein eminent wichtiger Faktor des regionalen Geschichtsbewusstseins sind, richtete Gorißen den Blick auf das Sozialprofil der untersuchten historischen Vereine und konstatierte, dass neben bildungsbürgerlichen Gruppen (Lehrer, Professoren, Bibliothekare, Archivare, kirchliche Amtsträger) ebenso Angehörige des Wirtschaftsbürgertums vertreten waren. Mitglieder aus dem Handwerk waren hingegen eher unterrepräsentiert. Fabrik- und Landarbeiter sucht man in den Reihen der Mitglieder hingegen vergebens. Die Gründungen der rheinisch-westfälischen Geschichtsvereine, so fasste Gorißen zusammen, waren jeweils Ausdruck eines bürgerlichen Engagements. Gründungsimpulse von staatlicher Seite sind hingegen nicht zu erkennen. Insofern verstehen sich Geschichtsvereine als eigenständige Antwort der Gesellschaft auf die Herausforderungen und die (historischen) Fragen der Zeit.

Anschließend richtete Jort Blazejewski (Trier) den Blick auf die Gründung des Vereins für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande im Jahre 1925 und beleuchtete die Vereinsgründung aus Perspektive der zu jener Zeit antagonistischen deutschen und französischen Geschichtspolitik. Den historischen Hintergrund stellte die sogenannte ‚Historikerschlacht um den Rhein‘ dar, in dessen Zuge sich sowohl die deutsche als auch die französische Historiographie bemühte, die Zugehörigkeit des Rheinlandes zu Deutschland respektive Frankreich historisch zu legitimieren. Vor diesem Hintergrund erkannte Blazejewski im Bonner Verein nicht nur einen klassischen vereinsrechtlichen Zusammenschluss; vielmehr hatte dieser multiple Funktionen. Die Vereinsgründung kann als klare Gegenbewegung und Abwehrmaßnahme auf die französische Geschichtspolitik der Zeit interpretiert werden. Neben seiner wirtschaftlich-finanziellen Funktion für die fünf Jahre zuvor gegründete Forschungsstelle, dem IGL, erfüllte der Verein gleichermaßen eine integrative Funktion, indem die im Rheinland verteilten Fachleute für eine gemeinsame Forschungsstrategie vereint, eingebunden und mitunter mobilisiert werden sollten. Mit seinen vorwiegend praktischen Funktionen, so Blazejewski, kann der Verein als flankierende Gründung zum gleichnamigen Bonner Institut aufgegriffen werden.

Der Vortrag von René Schulz (Bonn) erweiterte die Sichtweise um die Betrachtung der Beziehungen zwischen dem Rheinischen Provinzialverband und dem Verein. In seinen quellenreichen Ausführungen untersuchte Schulz die politischen Brüche im Verhältnis von Provinzialverband, Verein und IGL. Bereits die Gründungsinitiative des Vereins durch führende Bonner Persönlichkeiten aus Politik, Kultur und Verwaltung weckte großes Interesse des Verbandes und seiner maßgeblichen Akteure. Als ‚Geschichtsverein neuen Typus‘ sollte dieser vor allem eine Scharnierfunktion zwischen Institut und Provinzialverband einnehmen. Diese Funktion erfüllte der Verein bis in die Anfangszeit des Nationalsozialismus. Bis dahin waren die Beziehungen der drei Institutionen durch enge Zusammenarbeit gekennzeichnet, die sich nicht zuletzt auch an der Teilnahme führender Persönlichkeiten des Provinzialverbandes an den Vereinsveranstaltungen zeigte. Sukzessive ab 1933 ging der Provinzialverband auf Distanz zum Verein. Als Beispiel nannte Schulz die Absenz führender Persönlichkeiten der nunmehr seit 1933 unter NS-Ägide stehenden Provinz bei den Mitgliederversammlungen. Die engen Bande, die durch ausgedehnte Kooperation und personelle Vertrautheit geprägt waren, lösten sich allmählich. Für den Provinzialverband waren der Verein und das IGL fortan nur noch ein kulturpolitisches Betätigungsfeld unter anderen, jedoch mit schwindender Priorität.

Andreas Rutz (Dresden) widmete sich den vom Verein ausgerichteten Tagungen und arbeitete eindrücklich den hohen Stellenwert der Third Mission,[2] die, Rutz zufolge, als Teil der DNA des Bonner Instituts fungierte, heraus. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass diesen Veranstaltungen von Beginn an eine zentrale Bedeutung beigemessen wurde. Gleichwohl offenbart ein Blick auf die seit 1922 unter wechselnden Bezeichnungen ausgerichteten Tagungen durchaus Unterschiede: Während in den ersten Jahrzehnten – dem mit der Vereinsgründung verbundenen Ziel entsprechend, durch die eigenen Forschungen fördernd und bildend in die Region hineinzuwirken – der Weiterbildungsgedanke im Mittelpunkt stand, markierte der Wechsel von Franz Petri zu Edith Ennen 1968 einen deutlichen Einschnitt: Diese Veranstaltungen wurden fortan endgültig zu wissenschaftlichen Tagungen im heutigen (engeren) Sinne, die jeweils ein auf aktuelle Forschungsprobleme bezogenes Thema fokussieren. Seinen Vortrag abschließend plädierte Rutz dafür, den seit den 1990er Jahren gewandelten Tagungsstil (epochenübergreifende Perspektive, geschlechtergerechte Auswahl der Referent:innen, Fokussierung des Zusammenhangs zwischen Landesgeschichte und übergeordneten Fragestellungen) auszudehnen.

Der hohe Stellenwert der Third Mission zeigt sich gleichermaßen anhand der Jahresversammlungen des Vereins, die im Zentrum des Vortrages von Ulrich Helbach (Köln) standen: Denn die seit 1949 ausgerichteten, anfänglich zweitägigen Jahresversammlungen, die zunächst unter Beteiligung des Vorsitzenden der Rheinprovinz stattfanden, zeichneten sich durch eine gezielte Verbindung von universitärer Forschung und Öffentlichkeit aus. Exemplarisch zeigt sich dies anhand des Umstandes, dass örtliche Geschichtsvereine gezielt integriert wurden und die in diesem Rahmen von Vereinsmitgliedern gehaltenen Vorträge primär der Vermittlung der lokalen und regionalen Geschichte in die Gesellschaft hinein dienten. Indem diese Veranstaltungen jeweils von der Presse begleitet wurden, fungierten sie zugleich als Leistungsschau des IGL in der Breite der Bevölkerung. Darüber hinaus boten die Jahresversammlungen den Vereinsmitgliedern eine Möglichkeit zum Austausch und zur Vernetzung untereinander. Ungeachtet der Einführung eintägiger Exkursionen 2007, die eine Differenzierung zwischen den Jahresversammlungen alten und neuen Stils erlaubt, zeichnen diese sich insgesamt durch eine erstaunliche Kontinuität aus.

Mit den seit 1931 erscheinenden Rheinischen Vierteljahrsblättern (im Folgenden RhVjbll) rückte Andrea Stieldorf (Bonn) die dritte traditionelle Säule des Vereins in den Mittelpunkt. Das Hauptaugenmerk lag dabei auf der Rolle der Erforschung des Jahres 925 – in welchem Lotharingien an das ostfränkische Reich unter Heinrich I. fiel – in den ersten zwölf Jahrgängen der RhVjbll. Die Auswertung der veröffentlichen Aufsätze zeigte, dass dem Jahr 925 im Kontext der sogenannten ‚Jahrtausendfeiern‘ zunächst eine nachgeordnete Bedeutung zukam. Dies änderte sich im Verlauf der 1930er und 1940er Jahre, da fortan versucht wurde, das Jahr 925 zum Epochenjahr zu erheben, um die Zugehörigkeit Lotharingiens zum Deutschen Reich historisch zu legitimieren. Indem diese Interpretation dem Leitgedanken des IGL entsprach, boten die RhVjbll, deren Gründung in eine Zeit fiel, in der die Verbindung zwischen Politik und IGL enger wurde, dem Verein zugleich ein Forum, das ein breites Publikum erreichte. Wenngleich sich somit zeigt, dass keine Epoche vor geschichtspolitischer Einflussnahme gefeit ist, darf nicht unerwähnt bleiben, dass in den RhVjbll ebenso ideologiefreie Aufsätze publiziert wurden.

Zuhörer und Vortragender vor einer Leinwand mit Vortragstext.

Der Abendvortrag von Stephan Laux: “Das Schweigen der Historiker: Locarno und der ,Westpakt‘ im Echo der Historiographie (1925–ca. 1963)”. Bild: Karst/Stuhldreher

Der Abendvortrag von Stephan Laux (Trier) rückte gleichermaßen ein historiographiegeschichtliches Thema in den Vordergrund. Er ging der Frage nach, wie die Historiographie auf die Fixierung der Rheingrenze durch den Locarno-Vertrag bzw. den ‚Westpakt‘ reagierte. Das Hauptaugenmerk lag dabei auf den Ansichten der Historikerzunft von 1925, die bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts hineinwirkten. Damit standen vor allem Historiographen der 1880er-Generation im Fokus, die neben ihrer Profession vor allem auch Zeitzeugen waren. Im besagten Vertragswerk garantierte und erkannte Deutschland seine durch den Versailler Vertrag festgelegte Westgrenze an. Unverständnis gegenüber dem Vertrag kam vor allem aus den rechtsnationalen und national(sozialistisch)en Kreisen der DNVP und NSDAP. Vor diesem Hintergrund verortete Laux die Ansichten der Historikerschaft in Deutschland. Keineswegs verwunderlich scheint die Reaktion der nationalkonservativen Historiker, deren Haltung zum Vertrag sich vor allem durch Empörung auszeichnete, nicht zuletzt bedingt durch eine stark ausgeprägte Antipathie gegenüber Frankreich. Laux differenzierte unterdessen zwischen Verhalten und Gesinnung der Historiker:innen: Während der Großteil der deutschen Historikerschaft dem Vertrag mit Zurückhaltung und Schweigen gegenüberstand, befürworteten ihn explizit nur einzelne Historiker:innen, etwa jene aus dem pazifistischen Lager. Auch die Reaktionen derjenigen Historiker:innen, die aus dem Kreis der ‚Vernunftsrepublikaner‘ kamen, stellten sich nicht gegen das Vertragswerk, konnte Deutschland doch seinen internationalen Status durch den Vertrag zumindest partiell restituieren. Ferner hielten sich die Revisionisten der Zunft mit Äußerungen zurück, jedenfalls in der Öffentlichkeit. So akzentuierte Laux, dass sich bis zum Jahr 1933 keine eindeutige historiographische Position zum Vertragswerk herauskristallisierte. Auch die Haltung der zeitgenössischen rheinländischen Historiker:innen um 1925 zeichnete sich durch strategische Zurückhaltung aus. Die regionale Historikerschaft war zu dieser Zeit reorganisiert, fand sogar international Anschluss. Die Regelung durch Locarno lenkte nunmehr das Augenmerk vom Westen auf den Osten, denn die östlichen Grenzen des Deutschen Reiches wurden im Vertrag nicht anerkannt. Charakteristisch ist für jene Gruppe die Distanzierung vom Politischen und eine ausgeprägte Tendenz zur Anpassungsbereitschaft. Die Kulturraumforschung und die Vormoderne zählten fortan zu den präferierten Forschungsgebieten und -themen der Landeshistoriker:innen. Die erschreckende Aktualität des Vertrages unter veränderten Rahmenbedingungen präsentierte Laux in seinem Fazit. Er stellte in Aussicht, was Europa vom mittlerweile ins Abseits gedrängten Schweizer Friedenswerk noch lernen könne.

Im Rahmen der traditionellen Sektion „Rheinische Landesgeschichte in Bericht und Kritik“, in deren Rahmen laufende Forschungsprojekte mit Bezug zur rheinischen Landesgeschichte abseits des Tagungsthemas vorgestellt werden, präsentierte Chiara Mastandrea (Bonn) ihr Dissertationsvorhaben zu den Authentifizierungsstrategien in Urkunden Kölner Konvente anhand der Beglaubigungsmittel im 13. Jahrhundert. Ziel des Projekts ist es, in vergleichender Perspektive die Nutzungsentwicklung der unterschiedlichen Beglaubigungsmittel (Siegel, Siegelankündigungen, Zeugenlisten) zu analysieren sowie etwaige Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Konventen herauszuarbeiten. Neben einer Auswertung der Siegelungen und Siegelankündigungen wird eine prosopographische Untersuchung der bislang nicht hinreichend ausgewerteten Zeugenlisten vorgenommen. Auf diese Weise werden Aussagen mit Blick auf das soziale Umfeld der Konvente ermöglicht. Aufgrund des Umfangs des Quellenkorpus, das 600 bis 800 im Original überlieferte Urkunden umfasst, wird der Fokus weniger auf einzelne Urkunden gerichtet. Stattdessen wird eine quantitative Untersuchung der Authentifizierungsstrategien der Urkunden von 24 Männer- und Frauenkonventen vorgenommen.

Tim Krokowski (Bonn) präsentierte den aktuellen Stand des Projektes „Dialektatlas Mittleres Westdeutschland (DMW)“, das die derzeit in Westdeutschland fassbaren Dialekte dokumentiert, sichert und auf Karten sowohl der Wissenschaft als auch der interessierten Öffentlichkeit zugänglich macht. Das Untersuchungsgebiet umfasst dabei neben Nordrhein-Westfalen ebenso das südwestliche Niedersachsen und das rechtsrheinische Gebiet von Rheinland-Pfalz, sodass insgesamt vier Sprachräume (Westfälisch, Ruhrdeutsch, Südniederfränkisch, Ripuarisch) Berücksichtigung finden. Obschon sich die Erhebungs- und Auswertungsphase infolge der COVID-19-Pandemie überlagern, zeigen die bisher ausgewerteten Daten, dass im Vergleich zu älteren Erhebungen, wie denjenigen Georg Wenkers vom Ende des 19. Jahrhunderts, vieles unverändert geblieben ist. Eine Ausnahme bildet das Ruhrgebiet, in dem sich kein Sprachwandel, sondern ein Sprachwechsel von einem Dialekt hin zu einem Regiolekt vollzogen hat. Exemplarisch zeigt sich dies anhand der lexikalischen Varianten bei ,Hund‘: Während das Lexem Möpp in der Altersgruppe 1 (ab 70 Jahren) weiterhin nachgewiesen werden kann, wird dieses in der Altersgruppe 2 (35–45 Jahre) nicht mehr verwendet. Als Aufgaben für die derzeit beginnende Auswertungsphase definierte Krokowski abschließend die Auswahl der zu untersuchenden Lexeme, den Abgleich mit anderen Sprachatlanten sowie die Erstellung und Kommentierung der dynamischen Atlaskarten.

Mit dem Lern- und archivalienzentrierten Laboratorium für Landeskunde (kurz: LarLaLand) stellte David Schulte (Bonn) ein interdisziplinäres Projekt der Abteilung für Geschichte der Frühen Neuzeit und Rheinische Landesgeschichte sowie der Arbeitsstelle Rheinische Sprachforschung vor. Ausgangspunkt dieses durch die Universität Bonn geförderten Projekts war der Wunsch, die Handschriftensammlung des ehemaligen IGL neu und in aktualisierter Form in die universitäre Lehre einzubinden. Ferner soll den Studierenden auf diesem Wege aufgezeigt werden, welche Reize und Potenziale der landesgeschichtlichen Forschung innewohnen. Hierzu wird basierend auf vier Handschriften zur neuzeitlichen Geschichte der Rheinlande jeweils ein szenariobasiertes Online-Lernmodul erarbeitet, das die Studierenden in einem dreischrittigen Verfahren an die Quellen heranzuführen und sie zur Arbeit mit diesen ermutigt: Im sogenannten Skills-Lab erfolgt zunächst die eigenständige, quellenkritische Erschließung der Quelle nach grundwissenschaftlichen und sprachgeschichtlichen Kriterien. Im anschließenden Transfer-Trail entwickeln die Studierenden – durch LarLaLand geleitet – aus den Beobachtungen des Skills-Labs eine eigene, größere Fragestellung. Als dritter Schritt folgt der szenariobasierte Anwendungsbereich, in dem die Studierenden in ein berufspraktisches Szenario versetzt werden. LarLaLand knüpft damit zwanzig Jahre nach Auflösung des IGL an dessen interdisziplinäres Erbe an und führt die Zusammenarbeit in einem jungen Projektteam fort.

Der Vortrag von Helmut Rönz (Bonn) musste krankheitsbedingt entfallen.

Günther Schulz (Bonn) beleuchtete die Wirtschafts- und Sozialgeschichte als Themenfeld des Vereins seit etwa 1960. Hierzu wurden die in den RhVjbll, dem Publikationsorgan des Vereins, veröffentlichten Aufsätze herangezogen. Zunächst konturierte Schulz den allgemeinen Zusammenhang zwischen dem Themenfeld der Wirtschafts- und Sozialgeschichte sowie dem Verein und vermochte damit aufzuzeigen, dass aufgrund des kulturräumlichen Interesses des IGL und des Vereins, wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Abläufen naturgemäß eine herausragende Bedeutung zukam. Schulz konturierte drei zentrale Ergebnisse: Zunächst ist der Befund zu nennen, dass epochenübergreifend agrar- und stadtgeschichtliche Themen einen besonderen Stellenwert in den RhVjbll einnahmen. Zweitens bildeten sich in der Zeitschrift die Theoriedebatten des Faches ab. Insofern fungierten die RhVjbll auch und gerade als Forum für innovative, aber auch kontroverse Forschungsansätze. Drittens stellten sie ein wichtiges Präsentationsmedium für Bonner Arbeiten dar. Trotz Zäsuren in der Bonner Geschichtswissenschaft und in den Vereinsaktivitäten betonte Schulz auch Kontinuitäten. So bleiben die Rheinlande und die angrenzenden Gebiete der dominante Raumbezug, wenngleich dieser nunmehr unter anderen semantischen und kategorischen Prämissen betrachtet wird. Ferner stellte die Vormoderne die präferierte Epoche dar. Für den betrachteten Zeitraum und darüber hinaus blieb und bleibt sowohl für die Geschichtswissenschaft Bonner Prägung als auch für die Landesgeschichte die strikte Quellennähe und die dezidierte Anwendung der historisch-kritischen Methode das generelle Charakteristikum.

Blick durch Stuhlreihe auf Leinwand mit Vortragsbildern.

Konzentrierte Arbeitsatmosphäre auf der Tagung. Bild: Karst/Stuhldreher

Der Erfahrungsbericht von Manfred Groten (Bonn), der aus seiner langjährigen Tätigkeit als Lehrstuhlinhaber und Vorstandsmitglied des Vereins schöpfte, fokussierte die Außenwirkung des Vereins, die ihn von anderen Geschichtsvereinen unterscheidet. Dieser Unterschied resultiert aus der seit der Gründung bestehenden engen Anbindung an die Universität. Exemplarisch zeigt sich dies anhand eines Vergleiches mit dem oftmals als Schwesterverein bezeichneten Historischen Verein für den Niederrhein: Während Hochschulen in der Selbstdarstellung desselben eher eine nachgeordnete Bedeutung zukommt, ist der Verein für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande seit seiner Gründung eng mit dem IGL respektive der Abteilung für Geschichte der Frühen Neuzeit und Rheinische Landesgeschichte verbunden. Indem der Verein somit als verbindendes Element zwischen dem Bonner Institut, anderen Geschichtsvereinen und einer landeskundlich interessierten Öffentlichkeit gedacht und konzipiert ist, muss er einen, so Groten, Spagat zwischen Wissenschaft und außeruniversitärer Öffentlichkeit vollziehen. Dies spiegelt sich insofern in der Außenwirkung wider, als diese sich keineswegs ausschließlich auf den Bereich der universitären Lehre beschränkt(e); vielmehr galt und gilt es im Sinne einer Third Mission, wissenschaftliche Ergebnisse durch Exkursionen, Vorträge, Tagungen, Führungen und Veröffentlichungen öffentlichkeitswirksam zu präsentieren.

In seinem abschließenden Vortrag beleuchtete Michael Rohrschneider (Bonn) Stand und Perspektiven des Vereins und richtete – unter fiktiver Bezugnahme auf das 150. Vereinsjubiläum im Jahr 2075 – einen perspektivischen „Blick nach vorn zurück“: Denn Jubiläen historischer Vereine sind nicht nur ein legitimer Anlass zum Feiern, sondern bieten gleichermaßen eine Möglichkeit zur Reflexion des eigenen Selbstverständnisses sowie zu einer (außer-)wissenschaftlichen Standortbestimmung. Wenngleich das 100. Gründungsjubiläum in schwierige Zeiten fällt, die aus der der zunehmenden Polarisierung der Gesellschaft, dem Klimawandel und der Rückkehr des Krieges nach Europa resultieren, weise der Verein weiterhin ein, so Rohrschneider, „großes Potenzial“ auf. Angesichts der veränderten Rahmenbedingungen sei es daher einerseits erforderlich, an den klassischen Säulen der Vereinsarbeit festzuhalten. Andererseits gelte es, die Präsenz in den sozialen Netzwerken, Kooperationen mit dem Blog „Histrhen“ sowie Angebote für Studierende auszubauen, um ein jüngeres Publikum zu erreichen. Darüber hinaus hänge der Erfolg der Vereinsarbeit maßgeblich vom Engagement der Mitglieder ab: Denn neben Kooperationen mit verschiedenen Institutionen sind insbesondere Teamwork und persönliches Engagement der Mitglieder Faktoren, die in den vergangenen 100 Jahren zum Erfolg beigetragen haben und dies auch hoffentlich weiterhin werden.

Abgerundet wurde die Tagung durch eine Führung durch die temporäre Ausstellung „Von Intriganten, Pedanten und Biergenies – Schlaglichter auf die Bonner Geschichtswissenschaft im Wandel der Zeit“, die anlässlich des 55. Deutschen Historikertags erarbeitet und im ehemaligen Luftschutzbunker in der Konviktstraße gezeigt wurde.

Eine Publikation der Vorträge ist geplant. Eine ausführliche Fassung des Tagungsberichts erscheint in den Rheinischen Vierteljahrsblättern 2026.

Zum Tagungsprogramm: https://histrhen.landesgeschichte.eu/2025/08/herbstagung2025/

 


[1] Eine Ausnahme bildet Marlene Nikolay-Panter, Der Verein für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande. Gründung und frühe Jahre, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 65 (2001), S. 374–399.

[2] Hier verstanden als Auftrag der Universitäten, Wissen für die Gesellschaft verfügbar zu machen und gleichzeitig Impulse aus der außeruniversitären Welt für Forschung und Lehre aufzunehmen.

 

Zitierweise:
Karst, Jannis/ Stuhldreher, Katharina: Der Verein für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande (1925–2025). Entstehung – Akteure – wissenschaftliches Profil. Tagungsbericht, in: Histrhen. Rheinische Geschichte wissenschaftlich bloggen, 19.12.2025, http://histrhen.landesgeschichte.eu/2025/12/tagungsbericht-2025-VgLkRh-1925-2025

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Jannis Karst & Katharina Stuhldreher
Jannis Karst & Katharina Stuhldreher

Über Jannis Karst & Katharina Stuhldreher

Jannis Karst studierte im Bachelor Politik-, Geschichtswissenschaft und Soziologie sowie im Master Geschichtswissenschaft mit der Fachrichtung Internationale Geschichte der Neuzeit an der Universität Bonn. Derzeit promoviert er zur Darstellung des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg in der polnischen Geschichtsschreibung und ist an der Bonner Abteilung für Geschichte der Frühen Neuzeit und Rheinische Landesgeschichte tätig. Katharina Stuhldreher studierte im Bachelor Geschichte und Germanistik sowie Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft und anschließend im Master Geschichte mit der Fachrichtung Allgemeine Geschichte an der Universität Bonn. Sie promoviert zu reichsständischen Sekretären auf dem Westfälischen Friedenskongress. Gleichzeitig arbeitet sie an der Abteilung für Geschichte der Frühen Neuzeit und Rheinische Landesgeschichte sowie am Zentrum für historische Friedensforschung der Universität Bonn.

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