Die Abstracts zur Tagung „Herrschaftsnorm und Herrschaftspraxis im Kurfürstentum Köln“

Bei Untersuchungen zu Herrschaftsnorm und Herrschaftspraxis in der Vormoderne gilt es, neben den institutionellen Rahmenbedingungen stets auch die betreffenden Akteure in den Blick zu nehmen. Denn in einer Zeit, in welcher der “Staat” neuzeitlicher Prägung noch nicht herausgebildet war, wurde Herrschaft nicht nur personal verstanden, sondern Herrschaft musste auch vor Ort personell umgesetzt werden. Das territorial heterogene Kurfürstentum Köln ist für die Erforschung derartiger Prozesse ein besonders aufschlussreiches Beispiel, da gerade das charakteristische Spannungsverhältnis von weltlicher und geistlicher Gewalt Herrschaftsstrukturen entstehen ließ und spezifische Probleme mit sich brachte, bei denen unterschiedlichste Akteure bzw. Akteursgruppen in Erscheinung traten. Anhand ausgewählter Beispiele aus dem Mittelalter und der Frühen Neuzeit werden diese Phänomene in der ersten, “akteurszentrierten” Sektion näher analysiert.

Den Auftakt bilden zwei Vorträge, die laufenden Dissertationsvorhaben entstammen. Während sich Fabian Schmitt M.A., dessen Doktorarbeit am Lehrstuhl von Frau Prof. Dr. Andrea Stieldorf angesiedelt ist, den Ministerialen der Regierungszeit Erzbischof Engelberts von Berg widmet, richtet Philipp Gatzen M.A. den Fokus auf zentrale Akteure seiner von Prof. Dr. Michael Rohrschneider betreuten Dissertation zu den Statthaltern Kurfürst Clemens Augusts (1700-1761). Die Regierungszeit dieses Wittelsbachers steht auch im Mittelpunkt des Vortrags von Michael Rohrschneider, der sich mit dem Oeuvre des Bonner Historikers Max Braubach (1899-1975) befasst. Die einschlägigen Arbeiten Braubachs sind für die Erforschung der kurkölnischen Geschichte des 17. und 18. Jahrhunderts immer noch von großer Bedeutung; sie müssen allerdings vor dem Hintergrund der Forschungsentwicklung der letzten Jahrzehnte – zumindest in Teilen – neu bewertet werden. Die Moderation der Sektion übernimmt Dr. Tobias Weller, der in seiner Dissertation zur Heiratspolitik des deutschen Hochadels im 12. Jahrhundert, gewissermaßen passend zum Thema der Sektion, Personen- und Verfassungsgeschichte in Einklang gebracht hat.

 

Sektionsleitung: Dr. Tobias Weller

Fabian Schmitt M.A., 10.00-10.45 Uhr
Die Ministerialen im Herrschaftskonzept des Kölner Erzbischofs Engelbert von Berg (1216–1225)
Als Engelbert von Berg 1216 zum Erzbischof von Köln gewählt wurde, fand er schwierige Herrschaftsbedingungen vor: Zehn Jahre Thronstreit hatten auch das Kölner Erzstift in Mitleidenschaft gezogen. Seine vordringlichste Aufgabe sah er deshalb darin, sich und seinen Nachfolgern eine neue Herrschaftsgrundlage zu verschaffen. Häufige Wechsel im Amt des Erzbischofs, Parteiwechsel zwischen Staufern und Welfen und eine starke Einbindung in die Reichspolitik hatten in den Jahren zwischen 1205 und 1215 eine effektive Herrschaftsausübung im Westen des Reiches unmöglich gemacht. So war ein Machtvakuum entstanden, das vor allem der lokale Adel genutzt hatte, um seine Positionen gegenüber dem Erzstift zu festigen und auszubauen. Aber auch einzelne Ministeriale, ursprünglich unfreie Funktionsträger, waren während der Abwesenheit des Metropoliten bestrebt gewesen, eigene, dem niederen Adel durchaus ähnliche Aktivitäten zu entfalten.
Hier griff Engelbert energisch ein. Er versuchte einerseits, die Herrschaftsansprüche des Adels einzudämmen, und andererseits, die Ministerialen neu auf sich zu verpflichten. Durch die Gründung von Städten, vor allem in Westfalen, versuchte er, die Macht des Erzstifts zu festigen und Stützpunkte zu schaffen, von denen aus auch in die Fläche hinein agiert werden konnte. Er führte eine zehn Jahre währende Auseinandersetzung mit dem Adel, die schließlich in seiner Ermordung am 7. November 1225 endete.
Der Vortrag will die Beteiligung und die Rolle der Ministerialen an und in Engelberts Politik ausloten. Folgende Fragen stehen dabei im Mittelpunkt: Lässt sich erkennen, dass der Erzbischof die Ministerialen stärker in seinen Dienst nahm als seine Vorgänger? Lässt sich feststellen, ob er seinen Lehnshof neu zu organisieren versuchte, indem er Adelige durch Ministeriale ersetzte? Hat Engelbert erkannt, dass das Lehnssystem des 12. Jahrhunderts nicht mehr funktionierte und ist deshalb das verstärkte Einbeziehen von Ministerialen ein erster Schritt, die Verwaltung von Rechten und die Durchdringung von Territorium neu zu organisieren? Ein Schritt hin also zur spätmittelalterlichen Ämterverfassung?
Aber nicht nur die Funktionen, die die Ministerialen in der erzbischöflichen Politik besetzten, sollen beleuchtet werden, sondern auch das Verhalten der Dienstleute selbst. Bereits im 12. Jahrhundert sind Emanzipationsbestrebungen von der erzbischöflichen Aufsicht erkennbar. Nutzten die Ministerialen gerade die Jahre des Thronstreits, um noch unabhängiger zu werden? Wie reagierten sie auf das autoritäre Vorgehen Engelberts gegenüber dem Adel? Konnten sie in die frei werdenden Positionen vorstoßen? Welche Rolle spielte Engelberts Politik für den Anschluss der Ministerialen an den niederen Adel?
Durch die Untersuchung dieser Fragen soll gezeigt werden, wie Herrschaftsdurchsetzung im Kölner Erzstift im frühen 13. Jahrhundert funktionierte und dass sie auch unter Engelbert kein top-down-Prozess und auf Herrschaftsträger angewiesen war, die keine willfährigen Befehlsempfänger waren, sondern eigene Interessen und Ansprüche verfolgten.
[Siehe auch die Vorstellung des Dissertationsprojektes von Fabian Schmitt (Anm. d. Red.)]

 

Philipp Gatzen M.A., 11.15-12.00 Uhr
Die Statthalter Kurfürst Clemens Augusts im Erzstift Köln
Clemens August von Bayern (1700-1761) war nicht nur Kölner Kurfürst, sondern auch Fürstbischof von Hildesheim, Münster, Paderborn und Osnabrück sowie Hoch- und Deutschmeister. Während bereits diese Ämterfülle dem Wittelsbacher genügend Anlässe bot, zahlreiche und häufige Reisen im nordwestdeutschen Raum auf sich zu nehmen, besuchte er über seine gesamte Regierungszeit hinweg immer wieder seine Familie in Bayern und frönte gerne seiner Jagdpassion. So war er nicht nur in seinen niedersächsischen und westfälischen Territorien fast durchweg abwesend, sondern auch im Rheinischen Erzstift samt seiner Residenzstadt Bonn selten präsent. Dieser Umstand machte eine persönliche Herrschaftsausübung des Wittelsbachers beinahe unmöglich, weshalb Clemens August während seiner Abwesenheiten Statthalter einsetzte, die an seiner Stelle die Regierung übernahmen. Wie in den meisten seiner niedersächsischen und westfälischen Nebenlande wurden auch im Erzstift zumeist hochrangige Domherren für dieses Amt ausgewählt. Allerdings waren die Statthalter hier nicht nur im Kölner Domkapitel Würdenträger, sondern bekleideten auch am kurfürstlichen Hof als Obristhofmeister häufig eine hohe Charge. Da sie zudem oftmals als Geheime Räte berufen wurden, drängt sich die Frage auf, welchen Einfluss auf die Politik des Erzstiftes sie durch ihre Ämterfülle besaßen.
Diesem von der Forschung bisher wenig beachteten Thema soll der Vortrag nachgehen. Neben den Wirkungsmöglichkeiten der Statthalter soll untersucht werden, welchem Kalkül die Übertragung der Statthalterschaft auf Dignitäten des Domstifts entsprang, und auch das Spannungsverhältnis verschiedener Verpflichtungen und Loyalitäten, in denen diese Amtsträger agierten, soll näher betrachtet werden.

 

Prof. Dr. Michael Rohrschneider, 12.00-12.45 Uhr
Die Herrschaftspraxis während der Regierungszeit Kurfürst Clemens Augusts im Spiegel der Arbeiten Max Braubachs

Der Bonner Historiker Max Braubach (1899–1975) hat sich in zahlreichen Publikationen intensiv mit der kurkölnischen Politik während der Regierungszeit des Kölner Kurfürsten Clemens August (reg. 1723–1761) auseinandergesetzt. Neben Arbeiten zur auswärtigen Politik und diplomatiegeschichtlichen Abhandlungen, die in seinem Œuvre breiten Raum einnehmen, hat Braubach auch eine Reihe von Studien vorgelegt, die sich mit der inneren Politik, Verfassung und Verwaltung Kurkölns, dem Hof des Kurfürsten und seinen leitenden Mitarbeitern befassen. Ziel des Vortrags ist es, anhand der einschlägigen Veröffentlichungen Braubachs nachzuvollziehen, welches Bild von der kurkölnischen Herrschaftspraxis des 18. Jahrhunderts gezeichnet wird. Dabei wird es nicht nur darum gehen, die vordergründige Frage zu beantworten, ob und in welchem Maße die Befunde Braubach auch noch im 21. Jahrhundert Gültigkeit beanspruchen dürfen, sondern es gilt auch, seine Ausführungen in einer Zeit historiographisch zu verorten, für die eine Fokussierung auf die Protagonisten des Geschehens und eine Orientierung am Absolutismus-Paradigma noch selbstverständlich war.

 

Zitierweise:
Plassmann, Alheydis/Rohrschneider, Michael/Stieldorf, Andrea: Herrschaftsnorm und Herrschaftspraxis im Kurfürstentum Köln im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. Sektion I: Akteure und personelle Praktiken, in: Histrhen. Rheinische Geschichte wissenschaftlich bloggen, 22.07.19, http://histrhen.landesgeschichte.eu/2019/07/kurkoeln2019-sektion-eins/