Weihnachten bei den Weinsbergs

Begonnen hat das #Weinsberg500-Jahr mit einem Beitrag, wie Hermann Weinberg  seinen Geburtstag feierte. Zum Ende des großen Jubiläums steht Weihnachten im Mittelpunkt – und Weinsbergs Vorbehalte gegen Silvester.

Weihnachten
Der 25. Dezember wurde im 16. Jahrhundert so begangen, wie es noch heute viele Menschen tun: mit einem Kirchenbesuch. Weinsberg ging allerdings nicht immer in dieselbe Kirche; neben St. Brigiden[1] erwähnte er St. Jakob[2] und St. Laurenz.[3] Dass er die Weihnachtsmesse nicht in seinem Kirchspiel besuchte, sah der dortige Pfarrer ungern[4] – was den Chronisten aber nicht besonders beeindruckte. Weinsberg und seine Ehefrau Drudgin Bars gingen zu Weihnachten mitunter getrennte Wege und feierten die Messe in verschiedenen Kirchen.[5]

Neben dem Kirchenbesuch spielte das Zusammensein mit Familie und Freunden eine zentrale Rolle an den Feiertagen: Man kam zusammen, feierte und sang gemeinsam Kirchenlieder.[6] Den Verlauf von Weihnachten 1581 berichtet Weinsberg verglichen mit anderen Jahren ausführlich: “Das christfest hab ich Herman, min broder und sind hausfraw und min suster Sibilla und andern gesinde s. Jacob gehalten und den abent im haus Weinsberg under uns das kintgin gewieget, gesongen und mit Jesulin frolich gewest. Den mitag uff s. Stephani tag under uns stil gewest. Den dinstag Joannis Evangelistae hat min broder Jacob von Gusten und mister Johan, sinen fasbender, und sinen son Peter mit irer aller frawen zu gast und ich hab in ein firdel raitsweins geschenkt“.[7] Der genannte Ratswein, den der Kölner Magistrat für geleistete Dienste als Naturallohn ausgab, ist der einzige Hinweis von Weinsberg auf Geschenke zu Weihnachten.
Besonders wichtig war an Weihnachten und der anschließenden Oktav,[8] der Woche zwischen Weihnachten und dem 1. Januar, nach Möglichkeit zu ruhen und nicht zu arbeiten. Weinsberg fasste das in einem Satz zusammen: „man hilt die christwoch moissich und frei von unnodigen geschefften und ergetzst sich mit singen und freuden“.[9] Daher ärgerte es ihn besonders, wenn ihn seine Pflichten an diesem Tag in Beschlag nahmen, wie die Fahnenwache am noch dazu verregneten Weihnachtsabend 1584, als er sein Fähnlein (die kleinste Einheit der städtischen Verteidigung) „im groissen regen uff die Eigelsteinsportz“ führen musste.[10] Dort angekommen hielten sie Wache und beschlossen „zu 12 uren das alte jar, fingen do an zu singen: „Puer natus est nobis“ und „Dies est laetitiae“ und machten uns mit dem neuwen geborn kintgin Jesu frolich“ Neben den genauen Angaben der Lieder, die gesungen wurden, enthält dieser Absatz einen wesentlichen Aspekt des Weihnachtsfests in Köln: den damit verbundenen Jahreswechsel am 25. Dezember.

Astronomische Uhren spielten eine wesentliche Rolle in der frühneuzeitlichen Öffentlichkeit. Als Beispiel das Detailbild einer Astronomischen Uhr am Heilbronner Rathaus. Bild von Joachim Köhler

Neujahr
In der Stadt Köln galt der sogenannte Weihnachts- oder Nativitätsstil, oder wie Weinsberg es ausdrückte: „den 25. dec. war christach, dan fengt ein neu jar an nach Colnischem gebruch“.[11] Zu Weinsbergs Lebzeit setzte sich in Europa jedoch zunehmend der 1. Januar (Circumcisionsstil = Tag der Beschneidung des Herrn) als Jahresanfang durch. Einfluss darauf hatte die Gregorianische Kalenderreform, die wohl grundlegendste Anpassung des seit der Antike verwendeten Julianischen Kalenders. Die Reform war nötig, weil das Datum des Julianischen Kalenders im Verhältnis zu den astronomischen Ereignissen im 16. Jahrhundert fast um zwei Wochen abwich. Anfang 1582 – Weinsberg war zu diesem Zeitpunkt 64 Jahre alt – wurde eine Päpstliche Bulle publiziert, die verfügte, das Datum vom 4. Oktober 1582 auf den 15. Oktober vorzustellen.[12] Außerdem führte die Reform auf der Basis präziserer Berechnungen des Umlaufs der Erde um die Sonne neue Schaltjahresregelungen ein, die noch heute gültig sind.[13] Natürlich folgten die evangelischen Territorien der päpstlichen Bulle zu diesem Zeitpunkt nicht und es kam mitunter zu heftigen konfessionell aufgeladenen Auseinandersetzungen. Der Rat der Stadt Köln stellte erst auf Anweisung Kaiser Rudolfs II. im November 1583 das Datum auf den “neuen Stil” um.[14] Die Reform selbst nahm keinen direkten Bezug auf das Jahresanfangsdatum, beinhaltete aber eine Auflistung der Namenstage der Heiligen, die am 31. Dezember endete. Das ließ viele Zeitgenossen Weinsbergs vermuten, dass die katholische Kirche den 1. Januar als Jahresanfang präferierte. Offiziell allerdings stellte der Rat der Stadt Köln seinen Jahresanfang nicht um.

Weinsberg bezog 1591 in seiner Chronik unter dem Abschnittstitel „Christag ist der eirst Neujarstag, darin vil irren, die in uff prima Jan. halten“ leidenschaftlich Stellung für die Kölner Tradition des Jahreswechsels:[15]A[nno] 1591 auf den hilligen Christag war dingstag, der 25. dec. novo et reformato stylo, ist disser Neujarstag, wie recht und sich gepurt, angangen, nit uff der Besneidung tag den eirsten januarii. Nachdem sich aber vil irren und zweiflen, ob man den eirsten tag dess monatz januarii sult anfangen, under wilchen min broder Gotschalck einer ist.“ Es war also unter den Einwohnern, ja selbst in Weinsbergs Familie, umstritten, was der „richtige“ Jahresanfang zu sein hat. Detailliert stellte Weinsberg die Schwierigkeiten für die Kölner Verwaltung im Falle einer Umstellung dar; sollte man, wie es damals diskutiert wurde, die Auszahlungen von Pensionen und Renten unter dem neuen Jahr verbuchen, würde ein „groiss missverstant in den rentboicheren, regnongsbuchern und andern registern“ erwachsen, was seiner Meinung „ein groisser irtumb were“. Er fährt fort: “Den loblichen brauch und stylum halten auch die pabstliche heiligkeit und romischer hoff, item die rom. keiserliche maiesteit, Deutzlant, Italien, Franckrich, Hispanien und vil ander landen, fursten und herrn, wiewoll wenige andere das neuwe jar auf einen andern tag als uff Christag anfangen, als Incarnationis Jesu Christi, Annuntiationis Mariae, Oistern und gerglichen, der doch wenich sin und iren benachparten landen damit irrtumb machen.” Weinsberg spricht die unterschiedlichen Jahresanfänge an, die zu seiner Zeit in Gebrauch waren und er stellt besonders heraus, dass Köln kein Einzelfall war, sondern viele andere Territorien und Herrscher den Jahresanfang am 25. Dezember nutzen. Damit vertrat er einmal mehr die Linie des Rates und dessen Verwaltung, die trotz mehrfacher Änderungsversuche bis zur französischen Annexion 1794 an diesem Datum für den Jahresanfang festhielten,[16] obgleich sich zwischenzeitlich der Circumcisionsstil, also der 1. Januar, weiter verbreitete. Die heutige Bezeichnung „zwischen den Jahren“ wird auf die von Weinsberg geschilderte parallele Verwendung der Kalendersysteme Nativitätsstil und Circumcisionsstil zurückgeführt. So prägt der Dualismus der beiden Stile bis heute unseren Sprachgebrauch.

Es ist festzuhalten, dass dem Weihnachtstag in Köln durch den gleichzeitigen Jahreswechsel eine zusätzliche Bedeutung innewohnte. Sofern keine amtlichen Verpflichtungen bestanden, waren die Weihnachtsfeiertage geprägt durch das Ruhen geschäftlicher Tätigkeiten und dem Besuchen von Freunden. Weihnachten bei den Weinsbergs war ein kirchliches und familiäres Fest, dass sich vor allem durch das Singen von Kirchenliedern und bedächtiger Festivität auszeichnete.

 


[1] Das Buch Weinsberg. Denkwürdigkeiten aus dem 16. Jahrhundert, Bd. I und II, bearb. von Konstantin Höhlbaum, Leipzig 1886/87, Bd. III und IV bearb. von Friedrich Lau, Bonn 1897/98, Bd. V, bearb. von Josef Stein, Bonn 1926 (Nachdruck der Ausgaben: Düsseldorf 2000); (Weinsberg I-V). Hier: Weinsberg V, S. 10.

[2] Weinsberg II, S. 135.

[3] Weinsberg V, S. 32.

[4]A. 1552 uff christach 25. dec. hab ich zu sant Brigiden eirst hochtzit gehalten, dan der pastoir s. Jacob magte sware dingen draus, das man bussen sinem kirspel (darin man wonte) hoichzit sult halten on erleubnis sins pastoirs.“ Weinsberg V, S. 10.

[5] Weinsberg II, S. 135.

[6] Joseph Klersch: Volkstum und Volksleben in Köln. Ein Beitrag zur historischen Soziologie der Stadt. Band 1, Köln 1965, S. 72. (Klersch, Volkstum)

[7] Weinsberg V, S. 185.

[8] Die Oktav bezeichnet in der katholischen Kirche sowohl den achten Tag nach einem Hochfest als auch den dazwischenliegenden Zeitraum. Vgl. Jürgen Bärsch: Oktav. In: Walter Kasper (Hrsg): Lexikon für Theologie und Kirche. 3. Auflage. Band 7. Freiburg im Breisgau 1998, Sp. 1016.

[9] Weinsberg V, S. 349.

[10] Weinsberg V, S. 245.

[11] Weinsberg II, S. 135.

[12] Päpstliche Bulle “inter gravissimas curas“ Februar 1582, erlassen durch den damaligen Papst Gregor XIII (1502-1585, im Amt seit 1572).

[13] Die Gregorianische Kalenderreform ist ein vielfach berbeitetes Thema, an dieser Stelle sei nur an ein Grundlagenwerk für Geschichtsstudierende erinnert: Ahasver von Brandt: Werkzeug des Historikers. Eine Einführung in die historischen Hilfswissenschaften. 15. Auflage. Stuttgart 1986. S. 31-34.

[14] Es fielen dann der 3. bis 12. November 1583 weg. Klersch, Volkstum, S. 70. Weinsberg erwähnt diesen Vorgang und schreibt, dass der Rat am 27. Oktober 1583 den „reformiert calendarium oder almanach publiceirt“ hat, den Gregor XIII durch die „astronomos“ hat erstellen lassen. Er nimmt auch Bezug auf den Anlass, nämlich das Schreiben des Kaisers Rudolf II, dass am 3. Oktober vor dem Rat verlesen worden war. Weinsberg III, S. 216f.

[15] Die folgenden Zitate sind zu finden unter: Weinsberg V, S. 349.

[16] Klersch, Volkstum, S. 70.

 

 

Zitierweise:
Hermel, Jochen: „Weihnachten bei den Weinsbergs. Weihnachten und Neujahr im Köln des 16. Jahrhunderts“, in: Histrhen. Rheinische Geschichte wissenschaftlich bloggen, 17.12.2018, http://histrhen.landesgeschichte.eu/2018/12/weihnachten-bei-den-weinsbergs