Wie in alten Zeiten, aber ganz anders

Collage aus Quellen der Handschriftensammlung, Uni Bonn/FNZRLG

„Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört“ – es gibt kaum ein bekannteres (oder abgegriffeneres) Zitat als diesen berühmten Ausspruch von Willy Brandt zur Wiedervereinigung. Doch manchmal lohnt es sich, in den vergessenen Ecken des Überlieferten zu stöbern und auch das scheinbar Abgegriffene erneut in die Hand zu nehmen – wie etwa die Handschriftensammlung in der Bibliothek zur Rheinischen Landesgeschichte. Sie umfasst circa 20 staubige Stücke, die bis ins 15. Jahrhundert zurückreichen. Fast alle tragen den Stempel des „Instituts für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande“ (IGL), dessen Gründung sich zwar 2020 zum 100. Mal jährte, das jedoch 2005 aufgelöst wurde.[1] Als materielles Erbe dieses einst interdisziplinär ausgerichteten Instituts kann diese kleine, aber feine Sammlung ein Anlass sein, Vergangenes neu zu verknüpfen – und so vielleicht doch zusammenbringen, was einmal institutionell verbunden war.

Die Sammlung entstand in einer Zeit, in der am Bonner Institut geschichts- und sprachwissenschaftliche Zugänge zu Textquellen institutionell unter dem Dach der Landeskunde vereint waren.[2] Heute sind diese Disziplinen organisatorisch getrennt und auf verschiedene Institute verteilt, doch die Abteilungen des einstigen IGL arbeiten noch immer im selben Gebäude – ein Erbe der ehemaligen Einheit, das nun mit neuem Leben gefüllt wird. Denn an genau jener Sammlung, die zu Zeiten des IGL entstand und von Anfang an weder nur Handschriftensammlung für Historiker noch reiner Sprachquellenfundus für Germanistinnen war, wollen beide Fachrichtungen über das verbindende Element der „Landeskunde“ erneut zusammenarbeiten – und das nicht nur auf Ebene der Forschung, sondern didaktisch verankert bis ins Bachelor-Lehrangebot hinein.

In einem Projekt, das im März 2025 gestartet ist, wird Willy Brandts vielzitiertes Bonmot auf ganz unpathetische Weise wieder zur Arbeitsrealität, nämlich im Lern- und archivalienzentrierte Laboratorium zur Landeskunde, kurz „LarLaLand“[3]. Ziel des Vorhabens ist es, ausgewählte Handschriften der Sammlung sowohl geschichts- als auch sprachwissenschaftlich zu erschließen, mit neuen Methoden auszuwerten und Studierenden in einem Online-Parcours zugänglich zu machen. Anhand konkreter Objekte aus der Bibliothek sollen sie dabei Techniken und Arbeitsweisen beider Disziplinen kennenlernen und anwenden.

Der Hofgarten 22 mit dem IGL. (Stadtarchiv Bonn)

Geleitet wird das für 12 Monate im Rahmen der Förderlinie „vielfältig.nachhaltig.digital“ vom Prorektorat für Studium und Lehre geförderte Projekt von Claudia Wich-Reif und Michael Rohrschneider. Beteiligt sind neben den Wissenschaftlichen Mitarbeitern Tim Krokowski und Jonas Bechtold auch der Projektbearbeiter David Schulte und die beiden Studentischen Hilfskräfte Lara Günter und Connor Schmidt.

Unser Projekt versteht sich als Laboratorium. Zum einen kommen wir als interdisziplinäres Team zusammen und verankern inhaltliche Zusammenarbeit erstmals seit der Erarbeitung der Weinsberg-Edition in den 2000er-Jahren wieder projektbezogen im Haus „Am Hofgarten 22“. Zum anderen experimentieren wir mit den Quellen und führen unsere Experimente ganz bewusst auch in die Lehre: Wie nah kommen sich Geschichtswissenschaft und Sprachgeschichte an einzelnen Quellen? Welche Synergien entstehen dabei für unseren Bestand, für unsere Forschung, aber vor allem auch für die Studierenden der beiden Fächer? Da drei der vier Quellenkurse im Rahmen eines Seminars im kommenden Wintersemester mit Studierenden erarbeitet werden sollen, gehen wir diese Fragen direkt in der Lehrpraxis an.

Ausgangspunkt des Projektes ist es, die Handschriftensammlung, die einst im IGL unter interdisziplinären Gesichtspunkten entstanden ist, als Lehrsammlung zu begreifen und wieder in die Lehre zu bringen – dezidiert in Sprach- und Geschichtswissenschaft. Darum ist unser Laboratorium archivalienzentriert. Im Projekt werden vier unikale Quellen aus der Handschriftensammlung der Bibliothek zur Rheinischen Landesgeschichte (Am Hofgarten 22) im Zentrum stehen. Dank des Vereins für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande und der Sparkasse KölnBonn sind diese mittlerweile restauriert und von der ULB digitalisiert worden und damit bereit für einen Einsatz als Lehrsammlung. Ausgewählt haben wir:

  • Eine Akte mit Erbbestimmungen und Bauplänen des Schloss Veynau bei Euskirchen vom 16. bis ins 18. Jahrhundert (Digitalisat)
  • Das Tauf- und Heiratsbuch der deutschen reformierten Gemeinde im niederländischen Vaals aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts (Digitalisat)
  • Das Ausgabenbuch der Freifrau Henriette von Thimus, einer Aachener Bürgerin, aus der Zeit der napoleonischen Kriege und bis 1820 (Digitalisat)
  • Das Reisetagebuch des preußischen Archivars und Juristen von Eltester, das seine Reisen und Ausflüge bis 1850 verzeichnet. (Digitalisat)

LarLaLand findet sich direkt hinter Lalaland

Unser Projekt ist lernzentriert, weil es den Arbeitsprozess der Studierenden anhand konkreter historischer Quellen in den Mittelpunkt stellt. Die entstehenden Kurse folgen einem dreistufigen Aufbau: Im ersten Schritt wird jede Quelle wissenschaftlich grundlegend erschlossen – durch Kontextualisierung, zusätzliche Recherchen und eine erste Analyse. Darauf aufbauend lernen die Studierenden, wie sich aus den quellenbezogenen Erkenntnissen Beiträge zu übergeordneten Fragestellungen ableiten lassen – etwa zu Themen wie „Mobilität“ oder „Identität“. Diese Transferleistung bildet die zweite Stufe. In einem dritten Schritt wird der wissenschaftliche Erkenntnisprozess in ein berufsorientiertes Anwendungsszenario überführt: Aus den gewonnenen Einsichten soll etwa ein kurzer Ausstellungstext, ein Archivvermerk oder eine didaktische Umsetzung nach Vorgaben des nordrhein-westfälischen Kernlehrplans entstehen.

Das Ziel ist die Erarbeitung von vier quellenbezogenen, interdisziplinären Lehr-Lern-Parcours, die von Studierenden selbstständig oder unter Anleitung in der synchronen Lehre durchlaufen werden können. Damit bringen nicht nur wir im Projektteam alte interdisziplinäre Strukturen mit neuen Ideen und Methoden zusammen – auch die Studierenden begegnen einer Tradition, die in zeitgemäßer Form neu belebt wird.

Wächst auf diese Weise wieder zusammen, was zusammen gehört(e)? – wer den (uns rein zufällig namentlich nahen) Film „Lalaland“ gesehen hat, weiß, dass manches aus der Vergangenheit auch mal ein kleiner Traum zwischendurch werden darf. Auch in diesem Sinne experimentieren wir gerne in unserem „LarLaLand“.

 


[1] Zur digitalen Jubiläumsausstellung: https://ausstellungen.deutsche-digitale-bibliothek.de/landeskunde-bonn-100/#s1

[2] Dreßen, Samuel/Schulte David: Die rheinische Rara-Sammlung der Universität Bonn. Eine Fundgrube zur Medialität und Heterogenität „Kleiner Welten“ im vormodernen Rheinland, in: Histrhen. Rheinische Geschichte wissenschaftlich bloggen, 06.05.2024, http://histrhen.landesgeschichte.eu/2024/05/rheinische-rara-sammlung-universitaet-bonn-schulte-dressen. Neben der Geschichts- und Sprachwissenschaft gehörte auch die Abteilung „Volkskunde“ zum IGL.

[3] Zur Projektwebsite: https://www.igw.uni-bonn.de/fnzrlg/de/forschung/rheinische-landesgeschichte/larlaland

 

Zitierweise:
Bechtold, Jonas: Wie in alten Zeiten, aber ganz anders. Interdisziplinäre Zusammenarbeit im Projekt „LarLaLand“, in: Histrhen. Rheinische Geschichte wissenschaftlich bloggen, 07.07.2025, http://histrhen.landesgeschichte.eu/2025/07/larlaland-projektbeschreibung-bechtold