1000 Jahre Abtei Brauweiler. Kloster, Gefängnis, Kulturdenkmal, für den Landschaftsverband Rheinland

Das 1000-jährige Jubiläum der Klostergründung in Brauweiler durch die ottonische Kaisertochter Mathilde (†1025) und ihren Gemahl Pfalzgraf Ezzo (†1034) ist mit einem vielfältigen Veranstaltungs- und Tagungsprogramm einhergegangen. Pünktlich zum Termin hat auch der unter anderem für den Kölner Stadt-Anzeiger tätige Kulturredakteur Michael Kohler eine zusammenfassende Darstellung der Geschichte der Abtei sowie der Arbeits- und Besserungsanstalt, die nach der Säkularisierung auf dem Klostergelände entstanden ist, vorgelegt. Der reich bebilderte Band will keine detailversessene Studie für Fachhistoriker sein; auf Fußnoten und Anmerkungen wurde demzufolge verzichtet.

Etwa die Hälfte der insgesamt 200 Seiten sind der Abteigeschichte im engeren Sinne gewidmet, angefangen von der Vorgeschichte der Klostergründung, die noch ins 10. Jahrhundert zurückreicht, bis zur Aufhebung der Abtei im August 1802. Es versteht sich, dass dabei keine umfassende Institutionengeschichte geboten werden kann; die haben Erich Wisplinghoff (1992) und Peter Schreiner (²2009)[1] auch schon vorgelegt. Vielmehr geht es Kohler darum, die Geschichte von Brauweiler ansprechend, dabei aber durchaus aufschlussreich für ein breites Publikum zu präsentieren. Folglich treten die spektakulären, anekdotischen oder unterhaltsamen Ereignisse und Sachverhalte stärker in den Vordergrund. Das betrifft natürlich die Legenden, die sich um die Umstände der Heirat Mathildes mit Ezzo ranken (angeblich soll er seine kaiserliche Braut beim Brettspiel gewonnen haben), oder die Vision der Pfalzgräfin unter dem Maulbeerbaum im Brauweiler Garten, die ihr den rechten Ort für die Abteigründung gewiesen hat. Es gehört zu den Vorzügen der Darstellung, dass diese Erzählungen der noch im 11. Jahrhundert niedergeschriebenen Stiftungslegende nicht einfach als schrullige Phantastereien typisch mittelalterlichen Aberglaubens abgetan, sondern als Ausdruck spezifischer Weltvorstellungen und literarischer Gattungskonventionen gewürdigt werden. 

So werden einzelne Abschnitte der Klostergeschichte abgeschritten: die rege Bautätigkeit der Königin Richeza (†1063), einer Tochter der pfalzgräflichen Klostergründer, die mit dem polnischen Thronfolger verheiratet worden war, als Witwe aber in die Heimat zurückkehrte und als maßgebliche Förderin des Klosters hervortrat; die nach ihrem Tod einsetzenden Auseinandersetzungen zwischen der Abtei und den Kölner Erzbischöfen um das Gut Klotten an der Mosel (auch dieser Konflikt wurde schon zeitgenössisch mit einem denkwürdigen „Strafwunder“ garniert); die Rolle Abt Wolfhelms (1065–1091) im sog. zweiten Abendmahlsstreit; der Besuch des hl. Bernhard von Clairvaux im Kloster; die Anlage des hochromanischen Neubaus im 12./13. Jahrhundert; der 1467 erfolgte Anschluss des Klosters an die Reformkongregation von Bursfeld usw. Dass die spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Phase der Klostergeschichte sehr zügig abgehandelt wird, ist wohl ihrem im Vergleich zur vorangehenden Zeit minderen Unterhaltungswert geschuldet. Ausgiebiger wird die letzte Prachtentfaltung unter Abt Anselm Aldenhoven (1778–1802, †1810) gewürdigt, unter dem die repräsentative Prälatur errichtet wurden – nur wenige Jahre, bevor die „Franzosenzeit“ dann eine ganz andere Ära in Brauweiler einleitete.

Ihr ist der zweite Teil des Bandes gewidmet, der die „Nachnutzung“ der Abtei in den Blick nimmt. Sie beginnt 1809 mit der Einrichtung eines Bettlerdepots für das damals zu Frankreich gehörende Rur-Département. Das durchaus den Ideen der Aufklärung verpflichtete Konzept dahinter war die Resozialisierung sozial deklassierter Menschen durch Arbeit. Nach der Eingliederung der Rheinlande ins Königreich Preußen wurde dieses dépot de mendicité umstandslos als „Arbeits-Anstalt“ für Landstreicher, Kleinkriminelle, Alkoholiker und Prostituierte sowie als Erziehungsheim für verwahrloste Kinder fortgeführt. Völlig zu Recht stellt Kohler klar, dass der hier herrschende Arbeitsbetrieb vor dem Hintergrund der Zeit nicht von vornherein als staatliche Ausbeutung betrachtet werden darf; für viele Zeitgenossen außerhalb der Anstalt war es in puncto Arbeitsschutz und Gesundheitsversorgung nicht besser bestellt. Allerdings brachen sich viele sozialreformerische Ambitionen, die insbesondere der langjährige Anstaltsleiter Johann Baptist Ristelhueber (1783-1848) im Hinblick auf die vielen jugendlichen „Häuslinge“ hegte, an der notorischen Überbelegung und sonstigen Widrigkeiten. Die Strafmaßnahmen blieben harsch, die Rückfallquote hoch. Und in der Folgezeit entwickelten sich die Dinge zum Schlechteren: Die Zahl der Anstaltsinsassen stieg stark an, auf dem Gelände wurden immer weitere Neubauten zur Unterbringung, eine Maschinenhalle sowie Werkstätten und Arbeitshäuser angelegt, schließlich verfügte die Besserungsanstalt sogar über eine eigene Gasfabrik und ein Wasserwerk. Die Kirche wurde zwar von der Pfarrgemeinde weiter genutzt, aber ansonsten bildete die Klosteranlage „nur noch die historische Fassade eines riesigen Gefängnis- und Industriekomplexes“ (S. 134). Die Maßnahmen zur Disziplinierung wurden zunehmend menschenunwürdig. Von den überharten Strafen und Schikanen, die in der „Besserungsanstalt“ herrschten, erhielt 1895 eine breite Öffentlichkeit Kenntnis, als sich Anstaltsleiter und -arzt nach einem Todesfall vor Gericht verantworten mussten – und freigesprochen wurden. Während des 1. Weltkrieges sank dann die Zahl der Insassen, nicht zuletzt aufgrund des Personalbedarfes der Armee, auf ca. 700 Personen; 1913 hatte sie mit über 1500 noch die Bevölkerungszahl des Ortes Brauweiler übertroffen. Auch während der Weimarer Republik wurde die Besserungsanstalt weiterbetrieben, allerdings bei insgesamt abnehmenden Belegungszahlen und deutlicher Milderung der Sanktionen, etwa durch die Abschaffung der körperlichen Züchtigungen.

Den Tiefpunkt erlebte Brauweiler während des Dritten Reiches. Unmittelbar nach dem Reichstagsbrand 1933 wurden hier Hunderte von Regimegegnern in „Schutzhaft“ genommen. Der Ort wandelte sich in den folgenden Jahren zu einer NS-Vollzugsanstalt gegen Prostituierte, Alkoholkranke und „Asoziale“, für die massenweise Zwangssterilisierungen angeordnet wurden. Schließlich richtete die Gestapo Sonderkommandos auf dem Gelände ein: Gefangene, besonders inhaftierte Zwangsarbeiter, wurden misshandelt, gefoltert, einige vor Ort ermordet, andere zur Hinrichtung nach Köln überstellt. Kurzzeitig zählte Auguste Adenauer, die Frau des späteren Bundeskanzlers, zu den Inhaftierten in Brauweiler, wo sie im Herbst 1944 gezwungen wurde, den Aufenthaltsort ihres Mannes preiszugeben; aus Verzweiflung unternahm sie dort einen Suizidversuch, an dessen Folgen sie dreieinhalb Jahre später verstarb. Auch Konrad Adenauer selbst wurde über zwei Monate im Brauweiler Zellenbau gefangen gehalten.

Nach dem Krieg wurde das Brauweiler Klostergelände mehrere Jahre von der britischen Besatzungsmacht als Lager für displaced persons (vor allem ehemalige Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter) genutzt, bevor es 1950 an das Land Nordrhein-Westfalen überging und – als wäre nichts geschehen – weiterhin als Arbeitsanstalt für Personen diente, die man mit erzieherischen Maßnahmen zu „normalen“ Bürgern formen wollte. Prominenteste Insassin dürfte Rosemarie Nitribitt gewesen sein, die freilich nach ihrer Entlassung weiterhin der Prostitution nachging und später einem bis heute nicht aufgeklärten Mord zum Opfer fiel. Erst die bundesdeutsche Strafrechtsreform von 1969 machte nach 160 Jahren dem Betrieb der Arbeits- und Besserungsanstalt ein Ende. Stattdessen wurde in den Liegenschaften ein Landeskrankenhaus eingerichtet, zunächst zur Behandlung von Suchtkranken, dann als allgemeinpsychiatrische Klinik. Auch sie geriet bald in Verruf und wurde 1978 geschlossen, nachdem eine junge Patientin nach der Einnahme von Psychopharmaka, die ihr verabreicht wurden, gestorben war.

Bei dieser Vorgeschichte kann man die Entscheidung des Landschaftsverbandes, die Anlage künftig als Kulturzentrum und Sitz zweier seiner Ämter (Denkmalpflege sowie Archivberatung und Fortbildung) zu nutzen, nur als ein Glücksmoment für Brauweiler ansehen, zumal sie eine grundlegende Renovierung der Baulichkeiten zur Folge hatte, die den Besucher noch heute in ihren Bann ziehen.

Mit dem Buch von Michael Kohler liegt eine konzise, eingängig geschriebene Überblicksdarstellung des geschichtsträchtigen Ortes vor, die sich den Zeiträumen, die heutigen Betrachter fremd und unverständlich vorkommen mögen, unvoreingenommen zuwendet und der Versuchung widersteht, populäre Klischees über vormoderne Verhältnisse zu bedienen. Hervorzuheben ist insbesondere die reichhaltige und durchdachte Bebilderung, die nicht nur Architektur- und Ausstattungsobjekte umfasst, die bei einem Rundgang gerne übersehen werden, sondern zudem über großformatige historische Fotos eine Vorstellung vom Aussehen und Betrieb der Arbeitsanstalt vermittelt; die entsprechenden Gebäude wurden in den 1970er und 80er Jahren zum größten Teil abgerissen. Auf S. 78 lässt sich auch die Fingerreliquie des heiligen Nikolaus bewundern, die vor wenigen Jahren aus der Abteikirche gestohlen wurde. Ein kleines Manko bildet freilich die Auswahlbibliographie, die mit zwölf Titeln sehr übersichtlich bliebt. Der gebotene Stoff macht jedenfalls Lust auf mehr.

 

Michael Kohler, 1000 Jahre Abtei Brauweiler. Kloster, Gefängnis, Kulturdenkmal, für den Landschaftsverband Rheinland hg. von Anne Henk-Hollstein und Ulrike Lubek, Köln 2024; ISBN: 978-3-7743-0980-7.


[1] Peter Schreiner, Geschichte der Abtei Brauweiler bei Köln. 1024–1802,  erg. Neuaufl., Pulheim 2009; Erich Wisplinghoff, Das Erzbistum Köln 5: Die Benediktinerabtei Brauweiler (Germania Sacra. Neue Folge, Bd. 29), Berlin/New York 1992.

 

Zitierweise:
Weller, Tobias: Rezension zu “Michael Kohler: 1000 Jahre Abtei Brauweiler. Kloster, Gefängnis, Kulturdenkmal, für den Landschaftsverband Rheinland hg. von Anne Henk-Hollstein und Ulrike Lubek”, in: Histrhen. Rheinische Geschichte wissenschaftlich bloggen, 16.04.2025, https://histrhen.landesgeschichte.eu/2025/04/rezension-brauweiler-weller/