Reichsstädtische Außenbeziehungen in Kriegszeiten – Aachen im Holländischen Krieg

Nachdem ich mein von Prof. Dr. Michael Rohrschneider betreutes Dissertationsprojekt zu den Außenbeziehungen der Reichsstadt Aachen schon 2018 in einem Werkstattbericht[1] vorgestellt habe, bietet die Publikation der Dissertation[2] selbst Gelegenheit, an dieser Stelle in einem „Abschlussbericht“ die weitere Entwicklung meiner Arbeit und einige der wichtigsten Ergebnisse zu präsentieren.

Eingrenzung des Untersuchungszeitraums

Dem aufmerksamen Leser wird nicht entgehen, dass sich der Titel meines ursprünglichen Werkstattberichts noch auf einen deutlich längeren Zeitrahmen bezieht, als jener, welcher letztlich in der fertigen Dissertation behandelt wird. Diese Eingrenzung des Untersuchungszeitraums auf die Phase zwischen dem Angriff der französischen Truppen auf die Republik der Vereinigten Niederlande 1672 und dem Abzug der französischen Truppen aus Aachen im Dezember 1679 bot sich an, da im Lauf des Quellenstudiums die Erkenntnis wuchs, dass die Überlieferung insbesondere der Aachener Korrespondenzen mit eigenen Agenten und Syndizi, aber auch den Akteuren der französischen Seite für die Zeit nach 1679 deutlich lückenhafter ist als jene während des Holländischen Kriegs. Die Entscheidung, die Akten aus der Zeit der späteren Kriege Ludwigs XIV. auszuklammern, ermöglichte somit eine stärkere Fokussierung und intensivere Untersuchung eines trotz einiger kleinerer Überlieferungslücken insgesamt kohärenten und außerdem recht umfangreichen Quellenkorpus. Insgesamt wurden für die Arbeit über 1.200 Dokumente aus dem Stadtarchiv Aachen verwendet, darunter Rats- und Beamtenprotokolle, Korrespondenzen mit Aachener Agenten und Deputierten in Maastricht, Nimwegen, Paris und anderswo, aber auch mit französischen Generälen oder Militärbeamten, Eingaben und Bittschriften an den französischen König und seine Minister sowie Kontributions- und andere Verträge mit der französischen Seite.

Erweiterung des Quellenkorpus

Lesesaal des Service historique de la Défense im Schloss von Vincennes. Foto: Florian Obrecht

Nachdem die Erschließung des Aachener Quellenmaterials abgeschlossen war, folgte die Untersuchung der Akten der „Gegenseite“. Zu diesem Zweck hielt ich mich im Sommer 2019 für über einen Monat in Paris auf, um die relevanten Bestände des Centre des Archives diplomatiques du ministère des Affaires étrangères in La Courneuve sowie des Verteidigungsministeriums beim Service historique de la Défense in Vincennes in Augenschein zu nehmen. Diese Arbeit erwies sich häufig als Suche nach der Nadel im Heuhaufen, denn einerseits produzierte der zunehmend professionalisierte Verwaltungsapparat des ludovizianischen Frankreichs eine ebenso zunehmende Menge an Aktenmaterial, andererseits war die Causa Aachen aus französischer Sicht eher eine Nebensächlichkeit angesichts des sich bald auf weite Teile Europas ausweitenden Konflikts gegen die Niederlande und seine Alliierten, den es auszutragen galt und der daher deutlich stärker im Zentrum der Aufmerksamkeit der beteiligten Akteure stand. Dementsprechend nahm das Thema in den Akten eben auch eine deutlich nachgeordnete Stellung ein. Dennoch ermöglichten die etwas über 100 verschiedenen Dokumente, die für die Fragestellung relevant waren, aufschlussreiche Einblicke hinter die Kulissen der französischen Seite und ergänzten somit die Aachener Quellen. An dieser Stelle gebührt mein Dank dem Deutschen Historischen Institut Paris für die finanzielle Förderung und fachliche Begleitung dieses Forschungsaufenthalts.

Schließlich wurden auch noch einige Akten aus dem Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien herangezogen. Da der Fokus der Arbeit auf den Beziehungen Aachens zu Frankreich liegt, waren die Wiener Akten natürlich nur punktuell von Interesse, doch ließen sich auch hier einige interessante Dokumente zutage fördern, wie z.B. ein kaiserliches Exemtionsschreiben vom September 1675, mit welchem Leopold I. die Reichsstadt Aachen und ihr Territorium von Kontributionen, Einquartierungen etc. von alliierter Seite befreite.[3] Dieses Schreiben sollte etwa in den Verhandlungen der Aachener Vertreter mit der französischen Garnison in Maastricht immer wieder eine Rolle spielen wenn es etwa darum ging, Kontributionsforderungen von dieser Seite abzuwehren.

Ergebnisse – ein „Update“ für die Stadtgeschichte

In der älteren Forschung zur Aachener Stadtgeschichtewurde wurde die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts oftmals eher kursorisch behandelt. Eine Ausnahme ist eine Darstellung älteren Datums von Käthe Dubois zu Aachen in den Reichskriegen des 17. und 18. Jahrhunderts, welche auch die Kriege Ludwigs XIV. umfasst.[4] Die gut fünfseitige Darstellung der Ereignisse des Holländischen Kriegs darin ist zwar im Vergleich zu anderen stadtgeschichtlichen Arbeiten zu dieser Zeitrecht detailliert und erhellend, aber keineswegs erschöpfend. Insbesondere die Interaktionen mit der französischen Seite während dieser Phase kommen dabei nur kurz zur Sprache. Diese stehen wiederum im Mittelpunkt einer weiteren Arbeit recht alten Datums von Rudolf Peltzer.[5] Auch diese zeichnet sich durch einen äußerst langen Untersuchungszeitraum aus, der vom Mittelalter bis zum Ende der französischen Monarchie reicht. Die Phase des Holländischen Kriegs findet dementsprechend nur in einigen wenigen Absätzen Erwähnung.

Zwar waren die wichtigsten ereignisgeschichtlichen Eckpunkte dieser Phase schon bekannt – Bemühungen des Magistrats um Neutralität, Einquartierung zunächst kaiserlicher, später französischer Truppen in der Stadt, Kontributionsforderungen; jedoch konnte auf Grundlage des beschriebenen Quellenmaterials – welches älteren Forschern offenbar nicht bekannt war oder zumindest von ihnen nicht berücksichtigt wurde[6] – ein deutlich detaillierteres Bild jener Zeit angefertigt und auch einige Ungenauigkeiten aus älteren Arbeiten korrigiert werden. So verblieb etwa die seit Oktober 1678 bestehende französische Garnison in Aachen nicht, wie bisher behauptet, nur bis zum Abschluss des Friedens zwischen Frankreich und Kaiser am 5. Februar 1679, sondern sogar bis Dezember 1679 in der Stadt, was für die Bewohner eine erhebliche Belastung bedeutete.[7]

Akteure und Mikropolitik

Darüber hinaus konnte auch neueren Forschungsströmungen Rechnung getragen werden, sodass ein größerer Schwerpunkt auf die einzelnen Akteure gesetzt wurde, aber auch deren mikropolitische Vernetzung untereinander und mit Anderen in den Blick genommen wurde.[8] Dabei traten vor allem auf Aachener Seite auch Akteure in den Blickpunkt, die in der bisherigen Forschung bisher überhaupt nicht erwähnt wurden: Dazu gehören der Agent Adriën Correur in Paris, der städtische Syndikus Johann Albert Braumann, der im Winter 1678 sogar für mehrere Monate zu Verhandlungen an den französischen Königshof reiste, oder der Dominikanerpater Leonard de la Florence, der 1678 und 1679 als Agent und Mandatsträger des Aachener Magistrats beim Nimwegener Friedenskongress fungierte. In allen drei Fällen ließ sich anhand der Quellen zeigen, mit welchen Personen diese Akteure in Kontakt standen und wie sie es verstanden – obwohl sie als Vertreter einer nichtsouveränen[9] Reichsstadt eigentlich nur als reine Deputierte ohne wirklichen diplomatischen Rang agieren konnten – sich Zutritt zu hochrangigen Ministern, Diplomaten und Generälen zu verschaffen.

Auf französischer Seite war der mit Abstand wichtigste Akteur für die Aachener eindeutig Kriegsminister Louvois, der am Hof eine ausgesprochen einflussreiche Stellung einnahm und in einem besonderen Vertrauensverhältnis zum König stand. An ihm führte für die Aachener Vertreter oftmals kein Weg vorbei; so kontrollierte der Minister etwa den Eingang von Bittschriften an den König, welche für die Aachener oftmals die einzige Möglichkeit darstellten, ihre Anliegen an Ludwig XIV. heranzutragen. Insgesamt ist aber zu konstatieren, dass Ludwig XIV. in den Beziehungen Aachens zu Frankreich in dieser Zeit kaum selbst in Erscheinung tritt. Lediglich zwei Briefe des Magistrats an den König sind überliefert: einer vom Dezember 1673 im Kontext des Streits um ein Handelsprivileg,[10] der andere von knapp einem Jahr später, als der Magistrat den König um Nachsicht für das Einlassen kaiserlicher Truppen in die Stadt bat.[11] In beiden Fällen sind keine Antworten des Königs überliefert.

Ludwig XIV. überquert den Rhein bei Lobith am 12. Juni 1672, Gemälde von Adam Frans van der Meulen (1680; Deutsches Historisches Museum, Berlin). Bildquelle: Wikicommons

Ein weiteres, in diesem Zusammenhang erwähnenswertes Ergebnis meiner Forschungen ist allerdings, dass zusätzlich zu der damals bereits bekannten, in der Stadtchronik Franz Karl Meyers erwähnten Audienz Aachener Deputierter bei Ludwig XIV. im Sommer 1675 sich in den Quellen noch zwei weitere solcher Audienzen nachweisen lassen, nämlich in den Jahren 1672 und 1673. In allen drei Fällen hielt sich der König im Zuge seiner Feldzüge in der Nähe der Stadt auf, sodass sich die Aachener die Gelegenheit nicht nehmen wollten, dem König die Reverenz zu erweisen. Es waren dies wohl die einzigen nachweisbaren Anlässe, zu denen Aachener Akteure direkten, persönlichen Kontakt zum König hatten. Gleichermaßen erstaunlich wie bedauerlich ist allerdings, dass die Quellen sich über Inhalt und Ablauf dieser Audienzen weitgehend ausschweigen. Hierbei handelte es sich wohl auch um einige der wenigen Gelegenheiten, bei denen die Aachener Bürgermeister in Erscheinung traten. Ähnlich wie in vielen anderen Reichsstädten zu dieser Zeit übernahmen vorwiegend die städtischen Syndizi diplomatische und außenpolitische Aufgaben.[12]

Das fehlende Zeremoniell

Schon in meinem letzten Beitrag wurde die Frage in den Raum gestellt, ob sich – in Anlehnung an die nach wie vor für reichsstädtische Diplomatiegeschichte maßgebliche Arbeit von André Krischer[13] – in den Aachener Quellen Belege für die vielerorts übliche akribische Buchführung über zeremonielle Aspekte der Interaktionen eigener Vertreter mit jenen der Fürstenstaaten finden ließen. Der seinerzeit gemachte vorläufige Befund, dass diese Aspekte in den Protokollen und Korrespondenzen schlicht nicht thematisiert wurden, kann an dieser Stelle abschließend bestätigt werden. Über die Gründe dafür kann nur spekuliert werden. Zu erwähnen ist allerdings, dass den Aachener Vertretern aus zeitgenössischer Sicht auch gar keine besondere zeremonielle Behandlung zustand, kamen sie doch in der Funktion von Deputierten und somit einfachen Bittstellern an den Königshof.[14] Weder Braumann noch Correur wurden in irgendeiner Form besondere Empfänge bereitet, sondern sie mussten bei den Ministern im wahrsten Sinne des Wortes antichambrieren, d.h. ihnen in ihrem Vorzimmer aufwarten, oftmals zusammen mit anderen Supplikanten. Dabei musste man sich auch schon einmal damit begnügen, mit nur wenigen Worten „abgefertigt“ zu werden.

Neutralität und militärische exactiones

Eine weitere Beobachtung aus meinem vorigen Beitrag, welche sich im Lauf der Arbeiten weiter erhärtete, ist jene, dass die Außenbeziehungen Aachens mit Frankreich in dieser Phase fast ausschließlich von militärischen Belangen geprägt waren: Einquartierungen, Kontributionsforderungen, Beschlagnahmung von Waren, Pferden und Fuhrwerken Aachener Bürger, Schikanen von durch das Aachener Territorium ziehenden Streiftrupps, Jagd nach Deserteuren – all dies und noch mehr waren die Themen, welche vorrangig in den Gesprächen mit der französischen Seite verhandelt wurden. Dies muss zunächst nicht weiter verwundern, war der Krieg mit den französischen Garnisonen in Maastricht und Limbourg doch in ganz unmittelbare Nachbarschaft zu Aachen gekommen. Und auch wenn der Fokus dieser Arbeit nicht darauf lag, ergab sich schon bald, dass es auch von alliierter Seite ähnliche Belastungen oder exactiones, wie sie zeitgenössisch genannt wurden, zu ertragen galt. So lagen wie erwähnt im Winter 1674 kaiserliche Truppen in der Stadt, im November 1677 wurde Aachen sogar kurzzeitig von Münsterischen Truppen belagert und beschossen.

Es ist daher nur verständlich, dass der Magistrat darum bemüht war, die durch den erst knapp 20 Jahre zurückliegenden großen Stadtbrand von 1656[15] noch immer arg gebeutelte Stadt so gut es ging aus dem Konflikt herauszuhalten. Die Jahre zwischen 1672 und 1679 waren daher für Aachen geprägt von einem ständigen Lavieren zwischen den Kriegsparteien und den Bemühungen des Magistrats und seiner Vertreter in Paris, Maastricht und Wien um Anerkennung der eigenen Neutralität. Der Erfolg hielt sich allerdings in Grenzen. Dies liegt auch in dem zeitgenössischen Verständnis von Neutralität begründet, welche als völkerrechtliche Kategorie noch nicht in der Form etabliert war, wie wir sie heute kennen.[16] Neutralität war im 17. Jahrhundert kein von jedem Völkerrechtssubjekt jederzeit abrufbares Recht, sondern vielmehr eine Art Gnade, um welche man bei den kriegsführenden Parteien bitten musste und für deren Gewährung häufig auch bestimmte Gegenleistungen, z.B. Neutralitätsgelder, von Nöten waren – siehe die Aachener Kontributionszahlungen an Maastricht. Auch die oben erwähnte kaiserliche Exemtion kam im Kontext dieser Aachener Bemühungen zustande, nachdem Neutralität für eine Reichsstadt nach der Reichskriegserklärung gegen Frankreich im Jahr 1674 eine zunehmend unhaltbare Position geworden war. Doch vermochte auch dieses in den folgenden Jahren mehrfach erneuerte Schreiben die Aachener nicht vollends vor Übergriffen durch Verbündete des Kaisers zu schützen, wie die Ereignisse von 1677 zeigten.

Aachen als Kongressort?

Im Zusammenhang mit dem Streben nach Neutralität stehen auch die Bemühungen der Aachener, den Friedenskongress in ihre Stadt zu holen. Sicherlich spielten dabei einerseits die positiven Erfahrungen von 1668 eine große Rolle, als der Kongress zur Beendigung des Devolutionskriegs der Stadt sowohl einen finanziellen, vor allem aber auch einen Gewinn an Prestige einbrachte. In ihren Schreiben an Agent Correur vom Winter 1674/75, als kaiserliche Truppen in der Stadt quartierten, äußerten die Stadtväter aber auch mehrmals die Hoffnung, durch die Wahl zum Kongressort neutralisiert zu werden und somit sowohl die Einquartierung wie auch die französischen Kontributionsforderungen abstellen zu können.[17] Allerdings setzten diese Bemühungen nicht – wie noch in meinem älteren Beitrag konstatiert – erst mit dem Scheitern des Kölner Kongresses von 1674 ein; vielmehr war Aachen sogar im Vorfeld dieses auf schwedische Vermittlung zustande gekommenen Kongresses ein ernsthafter Konkurrent für die Stadt am Rhein mit echten Erfolgsaussichten gewesen. Weshalb Köln aber schließlich den Zuschlag erhielt, ließ sich aus den verwendeten Quellen nicht eruieren; diese Frage bietet also Anknüpfungspunkte für weitere Forschungen.

Im Nachgang zum geplatzten Kölner Kongress[18] bewarb sich der Aachener Magistrat aber wie erwähnt erneut um die Ausrichtung der Friedensverhandlungen. Hier konnte man auch auf Unterstützung von päpstlicher Seite zählen, da dem Papst das nun ausgewählte Nimwegen als „häretische“ Stadt nicht genehm war. Einen großen Unterstützer fand man etwa im Pariser Nuntius Pompeo Varese, doch auch dessen Intervention beim französischen König vermochte dessen Bedenken gegen eine weitere Reichsstadt als Kongressort nicht zu zerstreuen. Es sollte ein gutes Dreivierteljahrhundert dauern, bevor erneut eine Reichsstadt Austragungsort eines europäischen Friedenskongresses wurde, nämlich ironischerweise Aachen 1748.

Aachen und der Nimwegener Kongress

Doch beschäftigte der Kongress in Nimwegen den Aachener Magistrat noch in ganz anderer Weise. Die Erkenntnisse hierzu ergaben sich aus dem Quellenbestand der Rats- und Beamtenprotokolle, vor allem aber die Korrespondenz des Magistrats mit dem von ihm beauftragten Agenten beim Friedenskongress, dem bereits erwähnten Dominikanerpater Leonard de la Florence. Hierbei ging es vor allem um eine mögliche Aufnahme der Reichsstadt Aachen in die bevorstehenden Friedensverträge – ein Thema, welches noch einmal an zusätzlicher Dringlichkeit gewann, nachdem Aachen im Oktober 1678 unter Androhung von Waffengewalt zur Aufnahme einer französischen Garnison gezwungen worden war. Hierbei hatte man mit dem kommandierenden Marschall François-Henri de Montmorency-Bouteville, Herzog von Piney-Luxembourg vertraglich vereinbart, dass der Unterhalt dieser Garnison auf Kosten des Königs gehen sollte und keine Belastung für die durch jahrelange Kontributionen hochverschuldete Stadt bedeuten sollte. Diese Vereinbarung sollte in der Praxis jedoch keinen Bestand haben, denn schon bald wurden die Aachener mit Forderungen nach Geld und Sachleistungen für die französischen Truppen konfrontiert. Auch hierüber verhandelte neben Agent Correur in Paris auch de la Florence in Nimwegen.

De la Florence erwies sich auf dem Kongress als erstaunlich gut vernetzt und in den Geschäftsgang eingebunden. Er verkehrte oft mit den Mitgliedern der kaiserlichen und französischen Gesandtschaft,[19] kooperierte auch mehrfach mit den kurkölnischen und pfalz-neuburgischen Gesandtschaften, deren Dienstherren ebenfalls von Besetzungen durch französische Truppen betroffen waren und interagierte auch häufig mit dem päpstlichen Mediator, dem Nuntius Bevilacqua – ein Kontakt, bei dem der gemeinsame geistliche Hintergrund sicherlich hilfreich war. Auch wenn die Verhandlungen de la Florences letztlich nur von durchwachsenem Erfolg gekrönt waren – die französischen Truppen blieben wie erwähnt bis Ende 1679 in der Stadt und mussten auf Kosten des Magistrats unterhalten werden – so kann das Maß an Zugang, welches ein Vertreter einer kleinen Reichsstadt auf dem Kongress erhielt, doch als symbolpolitischer Erfolg für Aachen gewertet werden. Insgesamt handelt es sich hierbei um ein Kapitel, welches in der bisherigen Forschung zur Aachener Stadtgeschichte nur wenig beleuchtet wurde, weshalb ich hoffe, mit meiner Arbeit auch in diesem Punkt die Forschung vorwärts gebracht zu haben.

Kaiserstadt und Sonnenkönig

Erwähnenswert ist auch die Rolle, welche der im Titel erwähnte Status Aachens als „Kaiserstadt“ in den Verhandlungen mit der französischen Seite spielte. Immer wieder beriefen sich die Aachener Vertreter auf die gemeinsame Verbindung zu Karl dem Großen, einerseits als „Gründer und Erbauer“ Aachens, andererseits als „erster Kaiser und französischer König“. Hier versuchte man eindeutig, an die traditionelle Karlsverehrung der französischen Königsdynastien anzuknüpfen und ein gemeinsames Bindeglied zu schaffen. Ludwig XIV. wurde hierbei als Nachfolger des berühmten Frankenherrschers die Rolle eines Beschützers Aachens zugesprochen; eine Verbindung, welche man durch den Verweis auf die Praxis der Ausstellung der Leichentücher der französischen Könige in der Aachener Münsterkirche sowie des Abhaltens öffentlicher Gebete für den Monarchen noch zu vertiefen suchte. Letztlich sollte Aachen so einerseits als eine Art Vermittler des aus dieser Verbindung zu Karl dem Großen erwachsenen Prestiges positioniert werden, andererseits leitete man hieraus auch implizit gewisse Schutzpflichten Ludwigs für die Stadt ab, welche mit dem gegenwärtigen Verhalten des französischen Militärs gegenüber der Stadt nicht in Einklang zu bringen seien.

Abschluss

Dies war ein kurzer Überblick über einige der wichtigsten Ergebnisse meiner Dissertation. In der vollständigen Arbeit finden sich neben einer weitaus detaillierteren Betrachtung dieser Themen auch Untersuchungen zu Punkten, die an dieser Stelle aus Platzgründen ausgespart werden mussten, etwa die Frage nach der Rolle von Patronage und asymmetrischen Beziehungen, von Geschenken und Komplimenten, aber auch nach den Verhandlungs- und Legitimationsstrategien der Aachener Vertreter gegenüber der französischen Seite. Zudem wird darin noch eine ganze Reihe weiterer wichtiger Akteure in den Blick genommen, welche in diesem Beitrag keine Erwähnung finden konnten. Und schließlich wird in einem Exkurs auch der Frage nachgegangen, wie sich die Ereignisse dieser Zeit auf die Aachener Bevölkerung – sowohl in der Stadt wie auch ihrem Umland – auswirkten und wie sich die Beziehungen zur französischen Seite – meist in der Form von Soldaten und Offizieren – auf dieser Ebene gestalteten.

Die Arbeit ist erhältlich als Teil der Beihefte zur ZAGV. Ich möchte an dieser Stelle abschließend meinen Dank aussprechen, zum einen meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Rohrschneider, ohne dessen Betreuung diese Arbeit nicht möglich gewesen wäre, sowie Herrn Prof. Dr. Müller, Vorsitzenden des Aachener Geschichtsvereins, für seine tatkräftige Unterstützung bei der Publikation.


[1] Obrecht, Florian: „Die Außenbeziehungen der Reichsstadt Aachen mit Frankreich 1656–1715. Ein Werkstattbericht zum Dissertationsprojekt“, in: Histrhen. Rheinische Geschichte wissenschaftlich bloggen, 27.02.2018, http://histrhen.landesgeschichte.eu/2018/02/aussenbeziehungen-aachen/

[2] Obrecht, Florian: Kaiserstadt und Sonnenkönig. Die Außenbeziehungen der Reichsstadt Aachen während des Holländischen Kriegs 1672–1679 (Beihefte der Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 16), Neustadt a. d. Aisch, 2022.

[3] Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien, Rk Kleinere Reichsstände 2 Aachen, fol. 140f.

[4] Dubois, Käthe: Die Reichsstadt Aachen als Stand des niederrheinisch-westfälischen Kreises in den Reichskriegen des ausgehenden 17. und 18. Jahrhunderts, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 60 (1939), S. 1–92.

[5] Peltzer, Rudolf Arthur: Die Beziehungen Aachens zu den französischen Königen, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 25 (1903), 133–268.

[6] So verwendeten weder Peltzer noch Dubois den eigentlich sehr umfangreichen und aufschlussreichen Bestand der Korrespondenz Correur, der wiederum ein wichtiger Stützpfeiler meiner Arbeit ist.

[7] Vgl. den Bericht über den Auszug der Franzosen unter Salutschüssen und Glockengeläut im Beamtenprotokoll vom 20. Dezember 1679, Stadtarchiv Aachen, RAA 2 Beamtenprotokolle 4, S. 47. Zur Datierung des Auszugs auf den 5. Februar vgl. Dubois: Reichsstadt, S. 13. Auch Albert Huyskens schreibt in dem von ihm herausgegebenen Band zur Aachener Heimatgeschichte, dass die Franzosen die Stadt nur bis zum Frieden von Nimwegen besetzt gehalten hätten, vgl. Huyskens, Albert: Aachens Geschichte von den Karolingern bis zur Gegenwart, in: Aachener Heimatgeschichte, hrsg v. Albert Huyskens, Aachen 1924, S. 1–81, hier S. 81. Der späte Abzug war letztlich auf Verzögerungen bei der Friedensexekution zurückzuführen.

[8] Grundlegend zum Konzept der akteurszentrierten Diplomatiegeschichte immer noch Thiessen, Hillard von / Windler, Christian: Einleitung: Außenbeziehungen in akteurszentrierter Perspektive, in: Akteure der Außenbeziehungen. Netzwerke und Interkulturalität im historischen Wandel, hrsg. v. Hillard von Thiessen und Christian Windler (Externa. Geschichte der Außenbeziehungen in neuen Perspektiven 1), Köln 2010, S. 1–12. Dass dieses Konzept in der Forschung weiterhin von großem Interesse ist zeigt auch, dass ein zuletzt erschienenes, umfassendes Handbuch zu Friedensprozessen in der Frühen Neuzeit dem Punkt „Akteure“ gar ein eigenes Kapitel widmet, vgl. Arnke, Volker: Akteur*innen der Friedensstiftung und -wahrung, in: Handbuch Frieden im Europa der Frühen Neuzeit/Handbook of Peace in Early Modern Europe, hrsg. v. Irene Dingel, Michael Rohrschneider, Inken Schmidt-Voges, Siegrid Westphal und Joachim Whaley, Berlin / Boston 2021, S. 511–527.

[9] Die in der Praxis zwar politisch weitgehend autonom agierenden, aber nominell immer noch dem Kaiser unterstehenden Reichsstädte ließen sich nur schwer in das völkerrechtliche Konzept der Souveränität, welches nach 1648 in Europa zunehmend von Bedeutung wurde, einfügen. Vgl. hierzu Brunner, Otto: Souveränitätsproblem und Sozialstruktur in den Deutschen Reichsstädten der Frühen Neuzeit, in: Stadtgeschichte, hrsg. v. André Krischer (Basistexte Frühe Neuzeit 4), Stuttgart 2017 (erstmals veröffentlicht 1968), S. 37–62.

[10] Aachen an Ludwig XIV., 13.12.1673, Archives diplomatiques du ministère des Affaires étrangères, CP Allemagne Petites Principautés, Aix-la- Chapelle, 1, fol. 126.

[11] Aachen an Ludwig XIV., 17.12.1674, Stadtarchiv Aachen, RA II Allg. Akten 1597, fol. 35f.

[12] Vgl. hierzu Krischer, André: Syndici als Diplomaten in der Frühen Neuzeit. Repräsentation, politischer Zeichengebrauch und Professionalisierung in der reichsstädtischen Außenpolitik, in: Spezialisierung und Professionalisierung. Träger und Foren städtischer Außenpolitik während des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit, hrsg. v. Christian Jörg und Michael Jucker (Trierer Beiträge zu den historischen Kulturwissenschaften 1), Wiesbaden 2010, S. 203–227.

[13] Ders.: Reichsstädte in der Fürstengesellschaft. Politischer Zeichengebrauch in der Frühen Neuzeit (Symbolische Kommunikation in der Vormoderne), Darmstadt 2006.

[14] Vgl. Krischer: Syndizi, S. 203; ebenso Stollberg-Rilinger, Barbara: Honores regii. Die Königswürde im zeremoniellen Zeichensystem der Frühen Neuzeit, in: Dreihundert Jahre Preußische Königskrönung. Eine Tagungsdokumentation, hrsg. v. Johannes Kunisch (Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 6), Köln 2002, 1–26, hier S. 21.

[15] Dem Brand fiel die überwiegende Mehrheit der Aachener Häuser zum Opfer. Er zerstörte praktisch im Handumdrehen das gotische Aachener Stadtbild, ebnete langfristig aber auch den Weg zur Entwicklung zum barocken Modebad. Vgl. hierzu auch Kraus, Thomas: Der Aachener Stadtbrand vom 2. Mai 1656 und seine Folgen, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 109 (2007), S. 35–99.

[16] Sehr umfassend dazu Gotthard, Axel: Der liebe vnd werte Fried. Kriegskonzepte und Neutralitätsvorstellungen in der Frühen Neuzeit (Forschungen zur kirchlichen Rechtsgeschichte und zum Kirchenrecht 32), Köln 2014.

[17] Die Praxis, Austragungsorte von Friedenskongressen zu neutralisieren, war in den 1670er Jahren bereits fest etabliert, vgl. dazu Schilling, Lothar: Temples de la paix et de la sûreté publique au milieu des armes. Auswahl und Status frühneuzeitlicher Kongressorte, in: Kongressorte der Frühen Neuzeit im europäischen Vergleich. Der Friede von Baden (1714), hrsg. v. Christian Windler, Köln / Weimar / Wien 2016, S. 17–37; ders.: Zur rechtlichen Situation frühneuzeitlicher Kongressstädte, in: Städte und Friedenskongresse, hrsg. v. Heinz Duchhardt (Städteforschung. Veröffentlichungen des Instituts für vergleichende Städtegeschichte in Münster, Reihe A 49), Köln / Weimar / Wien 1999, S. 83–107.

[18] Vgl. in diesem Zusammenhang auch Rohrschneider, Michael: Die ,verhinderte Friedensstadt‘: Köln als Kongressort im 17. Jahrhundert, in: Frühneuzeitliche Friedensstiftung in landesgeschichtlicher Perspektive. Unter redaktioneller Mitarbeit von Leonard Dorn, hrsg. v. Michael Rohrschneider (Rheinisches Archiv 160), Köln 2020, S. 139–161.

[19] Der französische Prinzipalgesandte, Godefroy d’Estrades, war den Aachenern schon aus seiner Zeit als Gouverneur der Maastrichter Garnison bekannt, war seinerzeit von diesen auch mit diversen Geschenken und Verehrungen bedacht worden, weshalb er sich der Stadt und ihrem Mandatsträger gegenüber recht aufgeschlossen zeigte.

Zitierweise
Obrecht, Florian: “Reichsstädtische Außenbeziehungen in Kriegszeiten – Aachen im Holländischen Krieg. Ein Abschlussbericht zur Dissertation „Kaiserstadt und Sonnenkönig. Die Außenbeziehungen der Reichsstadt Aachen mit Frankreich während des Holländischen Kriegs 1672–1679”, in: Histrhen. Rheinische Geschichte wissenschaftlich bloggen, 17.04.2023, http://histrhen.landesgeschichte.eu/2023/04/aachen-im-hollaendischen-krieg