Die Stadtverwaltung Mülheim an der Ruhr im Nationalsozialismus. Auswirkungen nationalsozialistischer Politik auf die Stadtverwaltung anhand ausgewählter Dienstbiografien
Das 2020 erschienene Werk von Kyra Sontacki befasst sich erstmals mit den personellen Folgen der nationalsozialistischen Politik auf die Stadtverwaltung von Mülheim an der Ruhr. Anspruch der Studie ist es aufzuzeigen, „wie der Nationalsozialismus Einfluss auf die Aufgaben sowie den Arbeitsalltag der Mülheimer Stadtverwaltung hatte und inwieweit die politischen Umstände in das Arbeitsleben einzelner Bediensteter hineingewirkt und die Entscheidungen der Beschäftigten beeinflusst haben“ (S. 1-2). Veröffentlicht als Band 45 der „Wissenschaftlichen Beiträge aus dem Tectum Verlag, Reihe Geschichtswissenschaft“ gliedert die Verfasserin ihre Arbeit zur Klärung dieses Themas auf insgesamt 98 Seiten logisch und sinnvoll; das übliche Problem von Struktur- und Personengeschichte, das beim Nationalsozialismus als totalitärem System besonders schwierig zu bearbeiten ist, löst sie mit einem systematischen Zugriff auf die Stadtverwaltung: Der Hauptteil zwischen obligatorischer Einleitung, historischem Kontext zu Beginn und Fazit, Interview-Anhang sowie Verzeichnissen zu Ende besitzt vier Kapitel, die strukturelle Bereiche wie das Oberbürgermeisteramt, die Feuerwehr, das Schulamt und die Stadtkasse anhand ausgewählter Dienstbiografien untersuchen.
Sontacki zeigt hierbei sehr deutlich auf, wie stark der Nationalsozialismus seinem Anspruch gemäß bis in kleinste Bereiche hineinwirken konnte. Auswirkungen hatte das sowohl auf Bedienstete der Stadtverwaltung, die selbst dem Nationalsozialismus distanziert bis negativ gegenüberstanden, als auch auf genuin durch den Nationalsozialismus ins Amt Gekommene, die mit ihm sympathisierten. Hierbei zeigt sich die Stärke der Auswahl der Dienstbiografien durch Sontacki: Sie bringt überzeugte Nationalsozialisten wie den Oberbürgermeister von 1933 bis 1936 genauso ein, wie eine Stück für Stück verdrängte jüdische Lehrerin und einen vermeintlich nur mit technischen Fragen befassten Rechnungsführer der Mülheimer Gas- und Stromversorgung. Ersichtlich wird, dass eine Einteilung in schwarz und weiß, Systemtreue und -feindschaft, nicht einfach möglich ist. Die Verfasserin kommt zum Ergebnis, „dass der Nationalsozialismus den Verlauf von Karrieren innerhalb der Stadtverwaltung Mülheim an der Ruhr stark beeinflusste“ (S. 79), Berufswege konnten profitieren oder abbrechen, und die Alltagsarbeit der Bediensteten war von den neuen Umständen geprägt.
Inmitten dieser sehr komplizierten Fragen ist Sontackis Arbeit quellennah, flüssig geschrieben, gut lesbar und neutral gehalten. Ebenfalls positiv zu vermerken ist, dass ihr Werk einen wichtigen Beitrag leistet zur Erforschung des Nationalsozialismus in Mülheim an der Ruhr im Allgemeinen und für die Rolle und Funktion von Städten im Nationalsozialismus im Besonderen. Für ersteres ist ihr Werk künftig unverzichtbar, für zweiteres eine sehr gute Fallstudie. Damit reiht sie sich in die systematischen Betrachtungen der Städte und Stadtverwaltungen im Nationalsozialismus ein, die immer einen wichtigen Beitrag zum Gesamtverständnis des Nationalsozialismus leisten.[1]
Diesen positiven Punkten steht nur ein negativ zu vermerkender gegenüber, über den aber durchaus kontrovers diskutiert werden könnte. Es könnte nämlich kritisiert werden, dass die Verfasserin eine relativ einseitige Quellenauswahl getroffen hat. Sie arbeitet quellennah mit den Akten der Stadt, aber weitere Quellen wie etwa Spruchgerichtsunterlagen oder auch Akten der Parteigliederungen hätten zusätzliche Perspektiven einbringen und sicherlich die eine oder andere offene Frage noch beantworten können. Ob das aber deutlich kritisiert werden sollte, sei dahingestellt, denn erstens ist Sontackis Werk ein sehr kurzes, wodurch sie auf das Wichtigste beschränkt arbeiten musste, und zweitens ist ihre Fragestellung auf die Innenperspektive der Stadtverwaltung konzentriert, wofür Parteiunterlagen interessante Ansätze gebracht hätten, die aber für die Gesamtfrage sekundär gewesen wären. Insgesamt betrachtet ist Sontackis Werk über die Stadtverwaltung Mülheims jedem nahezulegen, der sich mit lokal- und regionalhistorischen Aspekten des Nationalsozialismus befasst.
Kyra Sontacki: Die Stadtverwaltung Mülheim an der Ruhr im Nationalsozialismus. Auswirkungen nationalsozialistischer Politik auf die Stadtverwaltung anhand ausgewählter Dienstbiografien (= Wissenschaftliche Beiträge aus dem Tectum Verlag, Reihe Geschichtswissenschaft, Bd. 45), Baden-Baden 2020; ISBN: 978-3-8288-4487-2; ePDF: 978-3-8288-7520-3; ePub: 978-3-8288-7521-0.
[1] Anhand der Stadt Münster beispielsweise die beiden 2019 erschienenen Werke Hartmann, Annika: Verwaltung vor Ort zwischen Konflikt und Kooperation. Die Stadtverwaltung Münster und der Nationalsozialismus, Berlin 2019 (=Villa ten Hompel, Bd. 13) sowie Erdmann, Philipp: Kommunales Krisenhandeln im Zweiten Weltkrieg und in der Nachkriegszeit. Die Stadtverwaltung Münster zwischen Nationalsozialismus und Demokratisierung, Berlin 2019 (= Villa ten Hompel, Bd. 14).
Zitierweise:
Meis, Daniel: Rezension zu “Die Stadtverwaltung Mülheim an der Ruhr im Nationalsozialismus. Auswirkungen nationalsozialistischer Politik auf die Stadtverwaltung anhand ausgewählter Dienstbiografien”, in: Histrhen. Rheinische Geschichte wissenschaftlich bloggen, 16.01.2023, http://histrhen.landesgeschichte.eu/2023/01/rezension-stadtverwaltung-muelheim-ruhr-nationalsozialismus-meis