Das Haus Arenberg und die Habsburgermonarchie. Eine transterritoriale Adelsfamilie zwischen Fürstendienst und Eigenständigkeit (16.–20. Jahrhundert)
Beim vorliegenden Buch handelt es sich um den sechsten Band der Geschichte des Hauses Arenberg in Europa. Die bisherigen Bände waren stets territorial organisiert und beleuchteten die Geschichte des Hauses Arenberg, einer hochadeligen Familie, die seit dem 15. Jahrhundert bedeutenden Besitz in verschiedenen geographischen Räumen (Deutschland, den Niederlanden, Belgien und Frankreich) angehäuft hatte. Der aktuelle Band verabschiedet sich insofern von einer so strikten Zuordnung, als er mit der Geschichte der Verbindungen zwischen den Arenberg und den Habsburgern zunächst die Beziehungen zweier adeliger Häuser zueinander fokussiert. Den weitgestreuten Besitzungen sowohl des Hauses Arenberg wie auch des Hauses Habsburg beziehungsweise der frühneuzeitlichen Casa de Austria entsprechend ist dieser personell-institutionelle Fokus allerdings immer mit einem territorialen Fokus auf die jeweiligen Herrschaftsgebiete verknüpft, besonders dort, wo die Herrschaftsrechte beider Dynastien sich überlagerten.
Die Beiträge des Bandes sind chronologisch geordnet und, bei einer familiengeschichtlichen Studie wenig verwunderlich, zumeist um ausgewählte arenbergsche Zentralfiguren herum aufgebaut. Nach einer Einleitung der Herausgebenden folgt Renate Pieper mit einem Überblick über das Haus Arenberg in seinen Verbindungen zur Casa de Austria bis ins 17. Jahrhundert, dann schildert Martin Wrede die militärischen Karrieren der Familienangehörigen dieses Zeitraums. Mit dem ersten Beitrag von Veronika Hyden-Hanscho wird die Ausrichtung der Arenbergs auf den österreichischen Zweig des Hauses Habsburg im 17. Jahrhundert beschrieben. Katrin Keller folgt mit einem Aufsatz zu den Frauen der Familie während dieser Loyalitätstransition, Hyden-Hanscho schließt mit ihrem zweiten Beitrag zur Herrschaftsvermittlung in den österreichischen Niederlanden an. Dieser Aufsatz ist zugleich der erste von dreien, in denen Léopold Philippe, Herzog von Arenberg (1690-1754) eine zentrale Rolle spielt. Auch die nächsten Beiträge von Guy Thewes zur Militärorganisation in den österreichischen Niederlanden und Horst Carl zu den Regimentern der Familie im kaiserlichen Dienst während des 18. Jahrhunderts fokussieren vor allem Léopold Philippe, der zudem in den Beiträgen von Keller und dem auf Carl folgenden Aufsatz von Sandra Hertel zur Bedeutung der Höfe in Wien und Brüssel für Politik und Status der Familie sehr prominent vertreten ist. Léopold Philippe als wohl mächtigstes Mitglied der Familie in den betrachteten vier Jahrhunderten wird so zur heimlichen Hauptfigur des Buchs.
William Godsey nimmt in seinem Beitrag die Überlebensstrategie der Familie in der Umbruchzeit zwischen 18. und 19. Jahrhundert in den Blick. Als vor allem in den österreichischen Niederlanden und dem Rheinland begüterte Adelsfamilie waren die Arenberg von der französischen Revolution und den napoleonischen Kriegen in ihrem Status, materiellem und territorialen Besitz besonders betroffen. Die letzten drei Beiträge des Bandes von Veronika Hyden-Hanscho behandeln die Militärkarrieren der Arenbergs im Kaisertum Österreich und k.u.k. Österreich-Ungarn des 19. Jahrhunderts, drei ausgewählte Frauenbiographien der Familie aus dieser Zeit und ein Verzeichnis der Besitzungen der Arenberg in den Herrschaftsbereichen des Hauses Habsburg und Reichsitalien.
Der Band ist überaus reich illustriert, mit häufig ganzseitigen, meist farbigen Abbildungen in hervorragender Qualität. Die meisten davon erweitern durch einen direkten Textbezug das Verständnis der Gegenstände, allerdings sind einige wohl einfach zur Auflockerung des Textbestandes eingefügt. Alle Beiträge sind mit reichhaltigen Anmerkungsapparaten versehen, die allerdings – wohl, um auch ein nichtwissenschaftliches Publikum anzusprechen – als Endnoten Platz finden müssen. Dafür gibt es am Ende des Bandes Kurzzusammenfassungen aller Beiträge sowie ein kombiniertes Personen-, Orts- und Sachregister, was die Benutzbarkeit des Bandes erhöht. Diese Ausstattung dürfte mit den beteiligten Partnern zu erklären sein: Die Familienstiftung der Arenberg förderte sowohl die Veröffentlichung als auch das vorausgegangene gleichnamige Forschungsprojekt, einerseits in materieller Hinsicht, andererseits durch Zugang zu den Beständen des Familienarchivs.
Während der Band spannende Einblicke in die Geschichte einer adeligen Familie bietet, die zwar im Lauf ihrer Geschichte unterschiedliche Fortune hatte, für die sich aber bis weit ins 19. Jahrhundert hinein eben kein Niedergang feststellen lässt, gibt es doch auch einige Schwächen: Der privilegierte Zugang der Autor:innen zu den Familienarchiven kann nichts daran ändern, dass auch dort manche Quellen nicht mehr zu finden sind, weil sie nicht überliefert wurden. Das betrifft vor allem die Frauen der Arenbergs – sowohl die in die Familie geborenen wie auch die eingeheirateten weiblichen Mitglieder des Hauses. Ihre Materialien wurden in der Überlieferung nicht sonderlich geschätzt und sind daher zum großen Teil verloren, so dass die ihnen gewidmeten Beiträge trotz erheblicher Kreativität in der Recherche und einiger Ausweichstrategien oft auf Spekulationen angewiesen sind. Das wird zwar transparent gemacht, führt aber dazu, dass auch in diesem Band die Geschichten der männlichen Familienangehörigen prominenter und substantieller präsentiert werden. Die grundlegend chronologische, innerhalb dieser Chronologie aber bestimmte Themen aufgreifende Organisation des Bandes führt zu einigen Wiederholungen, die sich durch stärkere herausgeberische Eingriffe vielleicht hätten vermeiden lassen. Die einzelnen Beiträge sind von unterschiedlicher, aber durchweg hoher Qualität. Allerdings zeichnen sich alle Beiträge durch eine den Familienangehörigen gegenüber sehr verständnisvolle Perspektive aus; auch die von der bisherigen Geschichtsschreibung als Ausreißer oder schwarze Schafe behandelten Personen werden positiv gewürdigt. Im Beitrag von Renate Pieper führt das dazu, dass der Familienstrategie des 16. Jahrhunderts eine sehr weitreichende Weitsicht hinsichtlich der globalhistorischen Entwicklungen und der Möglichkeiten, diese bestmöglich zu nutzen, zugeschrieben wird, die etwas übertrieben erscheint: Sicherlich war auch manches dem Zufall geschuldet.
Während die Einleitung zu Recht darauf hinweist, dass die Geschichte transterritorialer, also in verschiedenen Herrschafts-, Sprach- oder Kulturräumen begüterter Familien noch wenig erforscht ist, und die Arenberg in dieser Hinsicht einen lohnenden Untersuchungsgegenstand darstellen, fehlt der Hinweis, dass es sich bei den Habsburgern ebenso um eine transterritoriale Adelsfamilie handelte, wenn auch um eine gekrönte. Die Gegenüberstellung der transterritorialen Adelsfamilie auf der einen und der tendenziell monolithisch als ‚Habsburgermonarchie‘ angesprochenen Einheit auf der anderen Seite vergibt so einen Teil des innovativen Potentials, der im Zugang über die Transterritorialität angelegt ist, indem sie Ähnlichkeiten kleiner und Differenzen größer erscheinen lässt, als sie es aus der analytischen Rückschau möglicherweise waren. Beide Familien definierten sich als katholisch, konservativ und tendenziell illiberal sowie über ein ausgeprägtes Standesbewusstsein. Für die Arenbergs war die Beziehung zum Haus Habsburg zwar eine dienende, aber vor allem eine, die den territorialen Bestand und den hohen Grad an Selbstbestimmtheit sichern sollte, die die Familie erlangt hatte. Für die Habsburger war die mächtige Familie im äußersten Westen des Heiligen Römischen Reichs eine willkommene und notwendige Stütze der eigenen Herrschaft, der daher durchaus substantielle Zugeständnisse eingeräumt wurden. Zumindest bleibt nach der Lektüre des Bandes der Eindruck bestehen, ein Teil des arenbergschen Selbstbewusstseins und Behauptungswillens speiste sich vielleicht daraus, dass der Unterschied zwischen den beiden Häusern als weniger groß wahrgenommen wurde, als Reichtum und Machtpotential jeweils nahelegten.
Insgesamt beleuchtet der Band aber nicht nur die Strategien und Möglichkeiten einer hochadeligen Familie während der Frühen Neuzeit, sondern berührt dabei wegen der komplexen territorialen Verhältnisse im Grenzbereich zwischen Heiligem Römischen Reich und Frankreich und der Integration in verschiedene Nationalstaaten während des 19. Jahrhunderts auch immer Fragen von übergreifender, oft gesamteuropäischer Relevanz. Der Band kann ganz nebenbei auch noch einmal zeigen, dass der Übergang von der Frühen Neuzeit ins 19. Jahrhundert deutlich langgezogener war und für manche Akteure deutlich langsamer Veränderungen mit sich brachte, als es oftmals herrschende Meinung ist. Interessant ist er also nicht nur für diejenigen, die sich der Geschichte des Adels befassen, sondern auch für die Politik- und Gesellschaftsgeschichte Mitteleuropas zwischen 16. und 19. Jahrhundert insgesamt.
William D. Godsey, Veronika Hyden-Hanscho (Hrsg.): Das Haus Arenberg und die Habsburgermonarchie. Eine transterritoriale Adelsfamilie zwischen Fürstendienst und Eigenständigkeit (16.–20. Jahrhundert), Regensburg 2019, 34 s/w Illustrationen, 4 Stammbäume, 65 farb. Illustrationen, 496 S.; ISBN 978-3-7954-3299-7
Zitierweise:
Winnerling, Tobias: Rezension zu “Das Haus Arenberg und die Habsburgermonarchie. Eine transterritoriale Adelsfamilie zwischen Fürstendienst und Eigenständigkeit (16.–20. Jahrhundert)”, in: Histrhen. Rheinische Geschichte wissenschaftlich bloggen, 29.11.2021, http://histrhen.landesgeschichte.eu/2021/11/rezension-haus-arenberg-habsburgermonarchie-winnerling