Die Bedeutung der Stadt Köln, die im Spätmittelalter eine der wichtigsten Städte nördlich der Alpen gewesen ist, spiegelt sich in ihren zahlreichen Quellen wider, die ohne eine entsprechende geschichtswissenschaftliche Aufbereitung und allgemeinverständliche Präsentation für die Öffentlichkeit oft nur schwer verständlich sind. Innerhalb der monumentalen, von Werner Eck herausgegebenen, 13-bändigen Reihe der „Geschichte der Stadt Köln“ liegt nun mit Band 4 „Köln im Spätmittelalter 1288–1512/13“ ein weiterer wichtiger Teil dieser Präsentation vor, der die ferne spätmittelalterliche Epoche mit ihren vielen Eigenheiten für heutige Menschen begreifbar macht. Grundsätzlich gilt, dass jede Gesamtdarstellung – und es überrascht, dass es zu dieser, der vielleicht bedeutsamsten, Zeit der Kölner Geschichte, bisher keine Gesamtdarstellung gab – immer nur so gut sein kann, wie die Summe ihre Vorstudien.
Mit Wolfgang Herborn vom früheren Institut für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande in Bonn war für den thematischen Zuschnitt des Bandes sicherlich der am besten eingelesene und aufgrund seiner zahlreichen Aufsätze und Monographien erfahrenste Autor gefunden worden. Allein über die Vorarbeiten konnten dessen Tätigkeiten aufgrund seines Todes 2015 nicht hinausgehen. Das der Band trotzdem eine druckfähige Form erreicht hat, was gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann, ist dem Engagement von Carl Dietmar unter der Leitung von Werner Eck zu verdanken. Sie haben Herborns Vorarbeiten zu einem erfolgreichen Abschluss geführt.
Der auf die Berichtszeit 1288–1512/13 ausgelegte Band präsentiert, unterteilt in zwölf große Abschnitte in insgesamt 31 Kapiteln, die wichtigsten Aspekte der Kölner Geschichte im Spätmittelalter. Ausgehend von der Entscheidungsschlacht bei Worringen zwischen dem Erzbischof von Köln und dem Grafen von Berg im Jahr 1288 spannt sich der Bogen bis zum 1512 in Köln tagenden Reichstag. Dabei arbeitet sich der Band nicht einfach nur chronologisch an den zahlreichen Ereignissen der Stadtgeschichte ab, sondern zeigt detailliert die Entwicklung der dahinterstehenden städtischen Strukturen auf, die bis heute – als ein Stichwort sei nur der Gürzenich genannt – wirksam für das Kölner Selbstverständnis sind. Daneben wird aber auch über die zentralen Ereignisse der Kölner Stadtgeschichte im Spätmittelalter ausgewogen berichtet. Das betrifft nicht immer nur das – von einer der größten mittelalterlichen Stadtmauern umfasste – Stadtgebiet Kölns, sondern auch jene Stadtereignisse, die, wie die sogenannte Weberherrschaft 1370/71, in die Nachbarregionen ausstrahlten. Solche überregional wichtigen Ereignisse sind aber – und hier schließt sich der Kreis – erst vor dem spätmittelalterlichen Hintergrund der städtischen Strukturentwicklung zu verstehen. In diesem Zusammenspiel der strukturellen Analyse mit der ereignisgeschichtlichen Darstellung liegt eine große Stärke des Bandes.
Das Buch beginnt mit dem von Anton Woensam (1500–1541) erstellten detaillierten Holzschnitt der Kölner Stadtansicht von 1531. Mit diesem „idealisierende[n] Portrait des hilligen Coellen“ (S. 9), das der Rat der Stadt Köln an Kaiser Karl V. überreichte, wird eine in vielerlei Hinsicht besondere Quelle vorgestellt, die dem Band als verkleinerte (immer noch beeindruckende 140 cm breite) Beilage beigegeben wurde. Damit steht einer der frühesten (nach dem Plan von Augsburg 1521) historischen Stadtpläne Nordeuropas einem größeren Publikum zur Verfügung.
Im ersten Teil „Köln – eine spätmittelalterliche Großstadt“ werden die Voraussetzungen unter anderem der Bevölkerungsstruktur erläutert. Während die demografischen Darstellungen zur Größe Kölns alle korrekt sind, muss der Wunsch noch mehr Quellen einbezogen zu sehen, künftigen Darstellungen vorbehalten bleiben (für das Kolumba-Viertel ist für 1285 eine detaillierte Steuerliste überliefert, für ganz Köln eine Kopfsteuerliste von 1417). Dafür wird die rechtliche und wirtschaftliche Stellung der Kölner Frauen – welche die Bevölkerungsmehrheit stellten (S. 39) – in vorbildlicher Weise mit den Kölner Besonderheiten (Frauenzünfte, Frauen als Testamenstvollstreckerinnen etc.) dargestellt. Die nächsten vier Abschnitte zeigen die chronologische Entwicklung der Ratsverfassung mit den führenden Verfassungsorganen (Schöffenkollegium, Richerzeche, enger/weiter Rat). Der Einfluss des Familienverbandes der Overstolz zeigt sich auch in den Übersichtstabellen der führenden Familien (S. 76 f., 86, 122). Die Entwicklung der Geschlechter im 14. Jahrhundert und die Spaltung in die Parteien der „Greifen“ und der „Freunde“ im 15. Jahrhundert, mithin die innerstädtischen Verwicklungen bis hin zum „Verbundbrief“ werden ausführlich zusammengefasst und dem städtischen Handeln nach Außen, vor allem gegen die immer wieder Gefahr bringenden Kölner Erzbischöfe gegenübergestellt.
In den folgenden zwei Abschnitten wird die Stadt noch weiter im überregionalen Kontext verortet, was über die Hansestadt Köln zu deren spezifischer und ausgeprägter städtischer Wirtschaftsstruktur führt. Da Köln neben seiner Bedeutung im spätmittelalterlichen Rheinland vor allem als bedeutende Hansestadt eine große Sonderrolle innehatte, scheint die Darstellung der Kölner Hansegeschichte etwas zu kurz geraten zu sein. Ein Umstand, den die ausführliche Betrachtung von Fernhandel, Handwerk und ausgewählten Gewerben bis hin zu den Lebenshaltungskosten wieder wettmacht.
Nach den wirtschaftlichen Betrachtungen wird auch das religiöse „Leben im heiligen Köln“, bezüglich seiner spezifischen Formen der Frömmigkeit, seines Gemeindelebens, aber auch der überregional wichtigen Kölner Juden und des Umgangs mit den Kölner Randgruppen betrachtet. Die Wichtigkeit der Kölner Juden als bedeutende jüdische Gemeinde im spätmittelalterlichen Nordeuropa wird zwar anhand eines ausführlichen Kapitel mit eigener Karte gewürdigt, dabei bieten aber die neueren archäologischen Funde und Befunde im Umfeld der erhaltenen Mikwe noch mehr Material. Die in der Stadt lebenden Geistlichen beiderlei Geschlechts werden ebenso ausführlich dargestellt wie das Bildungswesen an den Kölner Schulen. Die 1388, während des Großen Abendländischen Schismas, gegründete Kölner Universität zählt zu den ältesten nördlich der Alpen. Die Bedeutung ihrer vier Fakultäten auch für die spätere Entwicklung des Buchdrucks durch Ulrich Zell ab 1464 wird ausführlich dargestellt. Es folgt noch ein Abschnitt zu „Kunst und Architektur, Künstler und Stifter“ in dem auf die zahlreichen bedeutenden erhaltenen Kunstwerke eingegangen wird sowie „Ein Nachwort – Zum Lobe Kölns“. Mit einem ausführlichen Anhang (bibliographische Angaben, Anmerkungen, Personenregister, Orts- und Sachregister, Bildnachweis) endet der qualitativ hochwertige Band mit insgesamt 629 Seiten und 169 teilweise farbige Abbildungen.
Der herausragenden Stellung Kölns als größte und bedeutendenste Stadt im Heiligen Römischen Reich während des Spätmittelalters wird der Band mehr als gerecht. Die Darstellung ist verständlich, sauber belegt und sehr gut lesbar. Die teilweise komplexen Zusammenhänge, ohne die die spätmittelalterliche Stadtgeschichte Kölns kaum verständlich sind, werden gut verständlich und nachvollziehbar dargelegt. Trotz der genannten Schwierigkeiten konnte das Projekt zu einem glänzenden Abschluss gebracht werden. Angesichts der Fülle des Materials, dass zu Köln überliefert ist, verwundert es fast, dass hier die erste Gesamtdarstellung dieser Glanzzeit überhaupt in einem Band vorgelegt werden konnte. Die gelungene Auswahl stellt für jegliche künftige Forschung eine nachvollziehbare Basis bereit. Angesichts der herausragenden Materialien ist dieser gewichtigen Gesamtdarstellung eine weite Verbreitung sicher, denn als maßgebendes Beispiel ist Köln für alle stadtgeschichtlichen Darstellungen weit über Deutschland hinaus der markante Vergleichpunkt.
Wolfgang Herborn/Carl Dietmar: Köln im Spätmittelalter 1288–1512/13 (Geschichte der Stadt Köln, 4), Greven Verlag, Köln 2019, ISBN 978-3-7743-0444-4.
Zitierweise:
Wozniak, Thomas: Rezension zu “Köln im Spätmittelalter 1288-1512/13 (Geschichte der Stadt Köln; Band 4)”, in: Histrhen. Rheinische Geschichte wissenschaftlich bloggen, 29.03.2021, http://histrhen.landesgeschichte.eu/2021/03/rezension-koeln-im-spaetmittelalter-wozniak