Wiedererlangte Schätze
Die Universitäts- und Landesbibliothek Bonn (ULB) hat im Herbst 2018 aus belgischem Privatbesitz zahlreiche Handschriften und Drucke zurückerhalten, die seit der Nachkriegszeit in ihrem Bestand fehlten. Es handelt sich insgesamt um 645 Bände, darunter elf mittelalterliche Handschriften, zwei neuzeitliche Handschriften, zwei mittelalterliche Urkunden, zwei historische Karten, 39 Inkunabeln – davon sechs leider nur fragmentarisch – sowie zahlreiche Drucke des 16. bis 20. Jahrhunderts. Die Rückgabe der Bestände ist am 11. April 2019 in einem öffentlichen Festakt, an dem auch die bisherige Besitzerin, Frau Tania Grégoire aus Brüssel, teilnahm, feierlich begangen worden.
Wann die Bücher entwendet wurden, konnte bisher nicht genau geklärt werden. Während des Zweiten Weltkrieges lagerte die Bibliothek einen großen Teil ihrer Bestände aus. Die wertvollsten Objekte, darunter vermutlich die Autographensammlung, die mittelalterlichen Handschriften und die Inkunabeln, wurden im Frühjahr 1943 in Kisten verpackt und an drei rechtsrheinische Auslagerungsorte im Wildenburger Land bzw. im Westerwald verbracht: Schloss Crottorf, das Pfarrhaus in Friesenhagen und das Kloster Marienthal bei Hamm an der Sieg. Die Massenauslagerung des übrigen Bestandes begann erst sehr viel später. Von Dezember 1943 bis Ende August 1944 wurden ca. 270.000 Bände an fünf linksrheinische Bergungsstätten ausgelagert, davon gut die Hälfte in ein Hotel am Nürburgring. Dort überstanden sie den Krieg weitgehend unversehrt, während bei der Zerstörung des Universitätshauptgebäudes am 18. Oktober 1944 ca. 160.000–180.000 der noch in Bonn verbliebenen Bände verbrannten.
Nach dem Krieg wurden die ausgelagerten Bestände nach und nach wieder nach Bonn zurückgeführt und zwischen Herbst 1946 und Frühjahr 1950 vorübergehend in einem ehemaligen Luftschutzbunker in der Bonner Gronau gelagert. Von dort wurden sie sukzessive wieder in das Universitätshauptgebäude und das ehemalige Bankhaus Schaaffhausen, die neue Bibliothekzentrale, überführt. Revisionen der Urkundensammlungen im Oktober 1949 sowie der Handschriften und Inkunabeln im Akademischen Jahr 1951/52 ergaben jedoch signifikante Verluste – es fehlten 33 mittelalterliche Handschriften und 61 Inkunabeln – bei den wertvollsten Bestandsgruppen, ohne dass die Ursache ermittelt werden konnte. Die jetzt zurückerhaltenen Bestände erlauben einige Rückschlüsse auf das damalige Geschehen.Rheinische Bezüge sind bei den zurückerlangten Büchern aufgrund der Dominanz französischsprachiger Titel nur selten zu konstatieren. Dies gilt besonders für die Inhalte der Bücher. Hier sind nur zwei Handschriften und zwei Drucke zu nennen:
- S 333
De separatione praepositurae Sancti Gereonis Coloniensis
Pergament – 8 Blatt – 4° – Köln – E. 13. Jh.
Für die Kölner Stiftsbibliothek Sankt Gereon geschrieben. Kam nach Auflösung des Stifts 1802 in die Bibliothèque Nationale, seit 1819 in der Bonner Universitätsbibliothek - S 1945
Stammbuch des Wilhelm Weyer, Enkel des Johann W. Weyer
(1515-1588) mit zahlreichen Eintragungen bes. von Angehörigen niederrheinischer Geschlechter meist aus den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts.
Papier – 17. Jh. – qu. 8° - 1228 k
Wierstraat, Christianus: Histori des beleegs van Nuis. Köln : Koelhof, 1497.
Niederdt. Bericht über die Belagerung von Neuss durch Karl den Kühnen 1474, die letzten sechs Blatt hs. ergänzt. Diese Ausgabe ist sehr selten. Bisher waren nur drei Exemplare bekannt (British Library, USB Köln, UB Leipzig), jetzt kommt als viertes ein Bonner Exemplar hinzu. - N 181/206 k
Hulst, Felix van: Le Rhin de cologne a Mayence, ses chateaux, ses ruines , ses coteaux; souvenir historique, traditions populaires et légendes qui s` y rattachent ou Excursion d` un belge en suisse . 1er partie. Liège : Oudard, 1847.
Exemplar der seltenen Erstausgabe eines französischen Rheinbuchs des 19. Jhs. Mehr als der erste Teil ist nicht erschienen.
- Inc 9
Aeneas Sylvius: Dialogus contra Bohemos. [Köln : Ulrich Zell, ca. 1470]
Beiband zu Inc 1135 - Inc 273
Bonaventura: Regimen conscientiae. [Köln : Zell, 1467-1470]
Beiband zu Inc 1135 - Inc 714 d
Karl IV.: Bulla aurea. [Köln : Cornelis van Zyrickzee, um 1500] - Inc 836
Nider, Johannes: Tractatus de contractibus mercatorum. [Köln : Ulrich Zell, ca. 1472] - Inc 912
Petrus de Harentalis [Petrus <de Herentals]: Tractatus de contractibus mercatorum. Köln : Johannes Koelhoff, 1487 - Inc 934
Pharetra fidei Catholicae. [Köln : Cornelis van Zyrickzee, um 1499] - Inc 1135
Thomas de Aquino: De modo confitendi et de puritate conscientiae. [Köln : Ulrich Zell, ca. 1470] - Inc 1158 h
Tilmannus Dulmaniensis: De vinea spirituali. [Köln : Arnold Therhoernen, 1476] - Inc 1192
Vergilius, Publius Maro: Georgica. Köln : Quentell, 1499. - Inc 1228 k
Wierstraat, Christianus: Histori des beleegs van Nuis. Köln : [Johnnes Koelhof], 1497.
Ein weiterer rheinischer Bezug bei den wiedererlangten Büchern ergibt sich aus deren Provenienzen, bei denen drei besonders zu nennen sind.
Aus der Bibliothek des Koblenzer Görres-Gymnasiums hat die Bonner Universitätsbibliothek 1821 über 1.100 Bände erhalten, darunter auch viele Handschriften und Inkunabeln aus aufgelassenen Koblenzer und weiteren mittelrheinischen Klöstern. Besonders zu nennen ist der Band mit der Signatur Inc . 263 f. Er enthält als Hauptstück eine um 1510 in Paris gedruckte Bonaventura-Ausgabe mit 17 Beibänden, die zum Teil sehr selten sind. Der umfangreiche Sammelband stammt ursprünglich aus dem Bestand der Karmeliter in Boppard und ist über die Koblenzer Gymnasialbibliothek in die Bonner UB gelangt.
Erwähnenswert sind auch Bücher aus der alten Duisburger Universitätsbibliothek, die 1818 den Grundstock der neu gegründeten UB Bonn bildete. Dazu zählt auch die „Summa Theologiae“ des Thomas von Aquin, eine Handschrift in drei Teilen, die um 1465/1470 im Hildesheimer Augustinerchorherrenkloster geschrieben wurde und später in die Duisburger Universitätsbibliothek gelangte. Nach dem Zweiten Weltkrieg fehlte im Bonner Bestand der 1. Teil, der 2. und 3. Teil waren noch vorhanden. Die Bibliothek hat nun die „pars prima“ zurückerhalten, so dass die Handschrift in allen drei Teilen wieder im Bonner Bestand vereint ist.Bücher aus der Bibliothek des berühmten Reisenden und Naturforschers Maximilian zu Wied (1782–1867) sind bei den zurückerlangten Beständen besonders zahlreich vertreten. Der überwiegende Teil seiner Bücher gelangte 1868 nach dem Tod des Prinzen als Geschenk in die Bonner Universitätsbibliothek. Charakteristisch für seine Bibliothek ist die Kolorierung der Buchschnitte: Reisewerke, geographische und historische Titel blau gefärbt, naturwissenschaftliche Werke grün koloriert. Die ULB hat 24 Werke in 57 Bänden zurückerhalten, vor allem aus dem Bereich der Ornithologie. Das absolute Spitzenstück ist John Audubons siebenbändige Quartausgabe seines Werkes „The birds of America from drawings made in the United States …“, das zwischen 1840 und 1844 in New York und Philadelphia erschien. Die Bände sind bestoßen und verschmutzt, die Buchblöcke, vor allem aber die Farbtafeln befinden sich jedoch in einem tadellosen Zustand.
Die Bearbeitung der wiedererlangten Bestände ist angelaufen und wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Die Bände müssen gereinigt, teilweise restauriert und vor allem neu katalogisiert werden.
Zitierweise:
Herkenhoff, Michael: Wiedererlangte Schätze. Die Restitution von Handschriften und Drucken an die ULB Bonn. Mit einer Auflistung der Werke zur Rheinischen Landesgeschichte, in: Histrhen. Rheinische Geschichte wissenschaftlich bloggen, 07.08.2019, http://histrhen.landesgeschichte.eu/2019/08/wiedererlangte-schaetze/