Die Abstracts zur Tagung „Herrschaftsnorm und Herrschaftspraxis im Kurfürstentum Köln“

Die vierte Sektion widmet sich explizit einem Leitgedanken der gesamten Tagung: dem charakteristischen Spannungsverhältnis der Kurfürsten und Erzbischöfe von Köln als weltliche und geistliche Herrscher. Prof. Dr. Andrea Stieldorf, Lehrstuhlinhaberin für Historische Grundwissenschaften und Archivkunde an der Universität Bonn, rückt zu diesem Zweck die Analyse von Siegeln und Münzen in den Mittelpunkt und ermöglicht dadurch einen bildorientierten Zugang zur Thematik der Tagung. Gleich zwei Referentinnen stammen von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel: Während Dr. Nina Gallion, die mit einer Dissertation zum Thema “Städtewesen, städtische Führungsgruppen und Landesherrschaft im spätmittelalterlichen Württemberg” promoviert wurde, die Rolle der spätmittelalterlichen Kölner Erzbischöfe als Metropoliten darlegen wird, wendet sich Frederieke Maria Schnack M.A., die an einer Dissertation zum Thema “Handlungsspielräume geistlicher Herrschaft im Mittelalter” arbeitet, am Beispiel der Grafen von Moers dem Faktor Dynastie zu. Der Bonner Universitätsarchivar Dr. Thomas P. Becker widmet sich abschließend mit dem Heimerzheimer Kirchstuhlstreit einer Begebenheit aus dem frühen 18. Jahrhundert, deren Analyse über den lokalen Raum hinaus Einblicke in generelle Probleme der frühmodernen Herrschaftspraxis im Kurfürstentum Köln erlauben wird. Die Moderation der Sektion übernimmt Dr. Dorothée Goetze, Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Abteilung für Geschichte der Frühen Neuzeit und Rheinische Landesgeschichte.

Im Anschluss an die letzte Sektion erfolgt eine öffentliche Podiumsdiskussion, die sich mit den Potenzialen und möglichen Problemen der Erarbeitung eines Handbuchs des Kurfürstentums Köln auseinandersetzen wird. Dass ein solches Handbuch ein wichtiges Desiderat der Forschung darstellt, dürfte unstrittig sein; diskutiert werden insbesondere methodische und konzeptionelle Fragen sowie das Problem der Realisierbarkeit. Die Diskutantinnen und Diskutanten vertreten die beiden relevanten Epochen (Mittelalter und Frühe Neuzeit) und unterschiedliche Institutionen (Universitäten, Archive und Forschungsinstitute). Moderiert wird die Podiumsdiskussion von Prof. Dr. Michael Rohrschneider. Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Tagung sind herzlich eingeladen, mit den Podiumsgästen mitzudiskutieren.

 

Sektionsleitung: Dorothée Goetze (Bonn)

Prof. Dr. Andrea Stieldorf, 10.30-11.15 Uhr 
Mitra, Thron und Krummstab. Siegel und Münzen als Quellen für Herrschaftsvorstellungen der Kölner Erzbischöfe des Hoch- und Spätmittelalters
Herrschaftsnormen und selbst Herrschaftspraxis finden ihren Niederschlag nicht nur in Texten, sondern auch in Bildern – ein Umstand, der in der Forschung der letzten Jahre zunehmend Beachtung findet. Seit dem 10. Jahrhundert und damit seit dem Anwachsen der politischen Bedeutung der Reichsbischöfe unter den Ottonen liegen Siegel der Kölner Erzbischöfe vor, die, insbesondere das Brustbildsiegel des Bruders Ottos I., Brun, immer wieder vor dem Hintergrund des sog. ottonisch-salischen Reichskirchensystems interpretiert werden. Offenbar parallel dazu führte aber Brun wie schon sein Vorgänger Wichfried ein aus Reliquienverschlüssen bekanntes Siegel, das den Erzbischof begleitet von zwei Assistenzfiguren zeigt. Richteten sich diese beiden Siegeltypen an unterschiedliche Adressaten? Hatte das eine Siegel einen Reichs-, das andere einen Kölnbezug? Diese Fragen kulminieren in den Bullen Pilgrims und Hermanns, die diese verschiedenen Linien zusammenzuführen scheinen. Eine Steigerung oder vielleicht besser Intensivierung des herrschaftlichen Bezuges in Bezug auf Köln ist seit dem 11. Jahrhundert zu beobachten, als die Münzprägung der Kölner Erzbischöfe an ikonographischer Eigenständigkeit gewinnt und das Bild des Erzbischofs zusammenbringt mit einer Stadtabbreviatur, in der man durchaus eine Visualisierung des erzbischöflichen Anspruchs auf die Herrschaft in der Stadt Köln sehen darf. Seit dem Beginn des 12. Jahrhunderts lassen sich die Kölner Erzbischöfe auf ihren Siegeln und bald dann auch auf ihren Münzen thronend abbilden und verdeutlichen damit ihre geistliche und weltliche Macht innerhalb ihres Machtbereiches. Warum aber wich gerade der machtbewusste Arnold II. von Wied, der wieder die lothringischen Herzogsrechte an sich zog, von diesem Muster ab und ließ sich stehend darstellen, dabei allerdings das Siegelfeld vollständig ausschöpfend? Welche Implikationen sind mit der Aufnahme des erzstiftischen Wappens in die erzbischöflichen Siegel seit Konrad von Hochstaden verbunden? Und warum lassen sich Kölner Erzbischöfe in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts auf ihren Sekreten mit Lehnsfahnen darstellen, die auf späteren Siegeln durch den doppelbärtigen Schlüssel des Hl. Petrus ersetzt werden, und die Figur des Erzbischofs durch den Heiligen selbst? Überhaupt spielen seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts Heiligendarstellungen eine größere Rolle auf den erzbischöflichen Siegeln, die es in ihrer religiösen aber auch herrschaftlichen Funktion zu analysieren gilt. Parallel dazu wird der Blick immer wieder auch auf die Münzbilder zu richten sein, die die visuellen Ausdrucksmöglichkeiten erzbischöflicher Herrschaft noch erweitern.

 

Dr. Nina Gallion, 11.15-12.00 Uhr
Reine Formsache? Der Kölner Erzbischof als Metropolit im 13. und 14. Jahrhundert
Das auf spätantike Wurzeln zurückgehende Bistum Köln erhielt im Jahr 795 eine Vorrangstellung, als es zum Metropolitansitz (und somit zum Erzbistum) erhoben wurde und gemeinsam mit den Suffraganbistümern Lüttich, Utrecht, Münster, Osnabrück, Minden und zeitweilig auch Bremen eine Kirchenprovinz bildete. Als Metropolit gebot der Kölner Erzbischof über gewisse Rechte und Kompetenzen, die unter anderem die Bestätigung und Weihe neuer Suffraganbischöfe, die Einberufung von Provinzialsynoden, die Aufsicht über die Suffragane und die zuständige ordentliche Gerichtsbarkeit betrafen. In den folgenden Jahrhunderten sollte sich jedoch zeigen, dass die Metropolitanrechte kaum oder nur zeitweilig Bestand hatten. Im 13. und 14. Jahrhundert verfügte der Kölner Erzbischof nur noch über das Recht, seine Suffraganbischöfe zu weihen und als Appellationsinstanz zu fungieren, wohingegen sein Konfirmationsrecht sowie sein Jurisdiktionsrecht als ordentlicher geistlicher Richter an den Papst gefallen waren. Auch Visitationen nahm er fast nur noch mit päpstlicher Erlaubnis vor und berief nur selten und unregelmäßig Provinzialsynoden ein. Forscht man nach den Ursachen, dann offenbaren sich vor allem strukturelle Gründe: Der zunehmende Ausbau der päpstlichen Macht seit dem Investiturstreit und die parallel dazu verlaufenden Territorialisierungsprozesse führten dazu, dass weder die Kurie noch die Kölner Suffraganbischöfe Interesse an einem starken Metropoliten hatten und dass der Erzbischof in dieser Hinsicht folglich auf verlorenem Posten stand. Ähnliche Tendenzen lassen sich aber auch für die Erzbischöfe von Mainz und Trier feststellen, die ihre Metropolitanrechte im 13. und 14. Jahrhundert gleichfalls nur noch sehr eingeschränkt wahrnehmen konnten. Insgesamt sollte die Stellung des Metropoliten also realistisch eingeschätzt werden, was unterstreicht, dass Herrschaftsnorm und Herrschaftswirklichkeit keinesfalls deckungsgleich waren.

 

Frederieke Maria Schnack M.A., 13.15-14.00 Uhr
Dynastiepolitik im Zeichen der Erzbischofswürde. Das Streben der Grafen von Moers nach Kölner Suffraganbistümern im 15. Jahrhundert
Als Dietrich von Moers 1414 Erzbischof von Köln wurde, trat er damit die Nachfolge seines Onkels mütterlicherseits, Friedrichs von Saarwerden, an und unterstrich den Anspruch seiner Familie, auch im Bereich der geistlichen Fürstentümer in und um Westfalen die eigene Macht ausbauen zu wollen. Die folgenden Jahrzehnte sind gekennzeichnet von den Bemühungen der Grafendynastie, auch für die übrigen nachgeborenen Söhne, die keine weltliche Herrschaft übernehmen konnten, Bischofssitze zu erwerben. Geographisch orientierte sich die Familie dabei im Umfeld von Dietrichs Kirchenprovinz: Während Heinrich als Bischof von Münster und Administrator von Osnabrück wirkte, konnte sich Walram als Elekt von Utrecht nicht durchsetzen und wurde nach Heinrichs Tod zu dessen Nachfolger in Münster gewählt, was die dortige Stiftsfehde auslöste. Dietrich selbst war zusätzlich als Administrator des Bistums Paderborn tätig.
Auffällig ist hierbei, dass zumeist solche Diözesen in den gräflichen Fokus gerieten, die als Suffraganbistümer Dietrich als Kölner Erzbischof unterstellt waren. Im Vortrag wird deshalb untersucht werden, welche Rolle und Bedeutung Dietrich in der dynastischen Politik seiner Familie hatte und wie die gräflichen Bemühungen um die Bischofssitze konkret abliefen, d.h. wie mit Oppositionen anderer Adelsdynastien, vor allem der Grafen von Hoya, und den Auswirkungen der Münsterischen Stiftsfehde umgegangen wurde. Nicht zuletzt wird gefragt werden, welche Handlungsspielräume sich Dietrich als Metropolit und Mitglied seiner Familie boten und welche Rückschlüsse auf sein Herrschaftsverständnis als Kölner Erzbischof gezogen werden können.

 

Dr. Thomas P. Becker, 14.00-14.45 Uhr
Gesellschaftsordnung contra Kirchenreform. Der Heimerzheimer Kirchstuhlstreit als Beispiel für die Vermischung von geistlicher und weltlicher Macht im Kurfürstentum Köln
Im Spätherbst 1701 bat der Kölner Generalvikar Johann Werner de Veyder einen kurfürstlichen Beamten, im Dorf Heimerzheim, an der Ville auf halbem Weg zwischen Euskirchen und Bonn gelegen, dem Pfarrer Hermann Baden die schriftliche Aufforderung zu überbringen, die in dem Rezess einer früher im Jahr erfolgten Visitation festgelegten Bestimmungen vollständig zu erfüllen. Es ging dabei um die zeitliche Verlegung einer Donnerstagsmesse von sieben auf neun Uhr und um das Zurückholen eines geschnitzten Kirchstuhls des Grundherren, des Barons von Meinerzhagens, den der Pfarrer aus der Kirche entfernt hatte. Rein innerkirchliche Angelegenheiten also, die eigentlich keine weiteren Maßnahmen erfordert hätten.
Aber die Angelegenheit wuchs sich zu einer beachtlichen Affäre aus. Erst im dritten Anlauf, unter Aufbietung größerer Machtmittel, konnte der Pfarrer gezwungen werden, die Forderungen des Generalvikars zu erfüllen. Die Kirche bediente sich zur Durchsetzung ihrer Maßnahmen von vorne herein der weltlichen Macht. Der Vorfall demonstriert einerseits den wenig ausgeprägten Untertanensinn der kurkölnischen Landbevölkerung, er verdeutlicht andererseits auch die Paradoxien einer Regierung, die sich einerseits der Umsetzung der Tridentinischen Reformen zutiefst verpflichtet fühlte, die andererseits die Aufrechterhaltung der Ständeordnung mit den angestammten Vorrechten des Adels nicht in Frage stellen wollte. Der Widerspruch zwischen Kirchenreform und Gesellschaftsordnung wird hier durch Gewalt zugunsten der Adelsprivilegien entschieden, das Dilemma aber nicht aufgelöst. Vielmehr ist der Heimerzheimer Kirchstuhlstreit ein Beispiel dafür, wie die Spannung zwischen Modernisierung der kirchlichen Verhältnisse und Aufrechterhalten der angestammten Ordnung bis zum Untergang des geistlichen Kurstaates am Ende des 18. Jahrhunderts erhalten blieb.

 

Podiumsdiskussion, 15.15-16.30 Uhr
Handbuch des Kurfürstentums Köln: Potenziale und Probleme
Moderation: Prof. Dr. Michael Rohrschneider
mit Prof. Dr. Claudia Garnier (Vechta), Dr. Stefan Gorißen (Bielefeld), Dr. Georg Mölich (Bonn), Dr. Michael Kaiser (Köln/Bonn), Prof. Dr. Stephan Laux (Trier), Dr. Joachim Oepen (Köln) und Prof. Dr. Andrea Stieldorf (Bonn)

 

 


Zitierweise:
Plassmann, Alheydis/Rohrschneider, Michael/Stieldorf, Andrea: Herrschaftsnorm und Herrschaftspraxis im Kurfürstentum Köln im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. Sektion IV: Zur Rollenpluralität der Erzbischöfe und Kurfürsten von Köln, 12.08.2019, http://histrhen.landesgeschichte.eu/2019/08/kurkoeln2019-sektion-vier/