Die Abstracts zur Tagung „Herrschaftsnorm und Herrschaftspraxis im Kurfürstentum Köln“

Den Abendvortrag der diesjährigen Herbsttagung im Festsaal der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn  am 23. September 2019 hält Frau Prof. Dr. Claudia Garnier. Claudia Garnier habilitierte sich mit einer Untersuchung über Auswirkungen der wachsenden Schriftlichkeit im Hochmittelalter auf symbolische Verhaltensweisen und ist seit 2011 Professorin für Geschichte der Vormoderne an der Universität Vechta.[1] Ihre Promotion erhielt sie für eine Arbeit über Politische Freundschaft und fürstliche Netzwerke im 13. Jahrhundert.[2] 

 

Prof. Dr. Claudia Garnier, 19.00 Uhr
Von Freundschaften und Fehden. Herrschaft und Konflikt im spätmittelalterlichen Kurfürstentum Köln

Die „territoriale Herrschaftsbildung“ gehört zu den lange etablierten, in jüngerer Zeit indes kritisch hinterfragten Leitbegriffen der Landesgeschichte. Sie wurde in der Regel als Bündel an Maßnahmen eines weltlichen oder geistlichen Funktionsträgers beschrieben, ein Gebiet zu einen und zu befrieden, um auf diesem Fundament politische Ordnungsstrukturen und geeignete Instrumente der Administration zu entwickeln. Zum Erfolgskonzept spätmittelalterlicher Territorialherrschaft zählten die Behauptung der obersten Gerichts- und Lehnsgewalt sowie die Verbindung von Rechts- und Machtansprüchen, die zunächst fragmentiert und kleinräumig verteilt, am Ende jedoch in der Hand des Landesherrn gebündelt waren. Konflikte um Recht und Besitz, die Eskalation divergierender Standpunkte in offenen Auseinandersetzungen oder gar Waffengängen stellten aus dieser Sicht eine dysfunktionale Begleiterscheinung dar, die es zu beseitigen oder doch zumindest zu kontrollieren galt.

Indem der Beitrag die spätmittelalterliche Konfliktpraxis nicht als Gefährdung oder destabilisierendes Element, sondern als elementaren Bestandteil vormoderner Herrschaft begreift, nimmt er eine andere Perspektive ein. Im Zentrum steht nicht der Kölner Erzbischof als gestaltender und die Kräfte in seinem Einflussbereich koordinierender und kontrollierender „Territorialherr“, sondern als Akteur, der in entsprechende Netzwerke ebenso eingebunden war wie die übrigen Parteien. Als Bündnispartner oder Fehdegegner beteiligte er sich an den Aushandlungsprozessen über Macht und Einfluss ebenso wie die übrigen involvierten Kräfte. Ob er sich als geistlicher Funktionsträger mit anderen Mitteln als Adel oder Städte zu behaupten versuchte und wie die Doppelfunktion als Kölner Erzbischof und Kurfürst des Reiches in das politische Handeln einfloss, wird an Fallbeispielen vor allem aus dem 13. und 14. Jahrhundert zu diskutieren sein.

Die Schlagworte „Freundschaft“ und „Fehde“ erscheinen in diesem Zusammenhang lediglich auf den ersten Blick als gegensätzliches Begriffspaar. Bündnisse und Einungen, die in der spätmittelalterlichen Quellensprache oftmals unter dem Begriff der „Freundschaft“ firmieren, begegneten den Herausforderungen der Rechts- und Herrschaftssicherung ebenso wie Fehden, in denen kontroverse Ansprüche auf gewaltsame Art und Weise ausgetragen wurden. Bündnisse, selbst wenn sie der Sicherung des Landfriedens dienten, reagierten auf äußere Bedrohungen: Sie konnten explizit auf bestimmte Konflikte ausgerichtet sein oder sie nahmen diese zumindest billigend in Kauf. Die Allianzen sicherten gleichzeitig den internen Frieden, indem Mitglieder auf ein bestimmtes Verhalten verpflichtet und Möglichkeiten der Beilegung innerer Streitigkeiten geboten wurden. Ebenso waren Fehden nicht ausschließlich von Gewalthandlungen geprägt, denn immer sind Versuche zu beobachten, die Auseinandersetzungen auf gütlichem Weg beizulegen, etwa durch Verhandlungen und Schiedsgerichte. So bedingten Freundschaft und Fehde einander und bildeten in ihrer Wechselwirkung einen zentralen Aspekt vormoderner Herrschaft.

Von diesem praxeologischen Ansatz ausgehend, soll die Frage diskutiert werden, wie die Beobachtungen in aktuelle Konzepte der Landegeschichte zu integrieren sind, die ihr Erkenntnisinteresse weniger auf die Entwicklung der Territorialherrschaft und Landeshoheit richten, sondern den Gegenstand ihrer Forschung als Wahrnehmungs- und  Kommunikationsräume begreifen. Auch wird Herrschaft in diesem Kontext nicht als Geschichte von Institutionen und ordnungsstiftenden Maßnahmen begriffen, sondern aus der Perspektive der beteiligten Akteure und ihrer Netzwerke interpretiert. Die spätmittelalterliche Konfliktführung erscheint als vielsprechendes Untersuchungsfeld, um die Validität dieser methodischen Konzepte zu diskutieren.

 


[1] Siehe Seite der Universität Vechta. Der Titel ihrer Habilitationsschrift lautet: Die Kultur der Bitte. Herrschaft und Kommunikation im mittelalterlichen Reich. Darmstadt 2008, ISBN 978-3-534-21956-8.

[2] Garnier, Claudia: Amicus amicis – inimicus inimicis. Politische Freundschaft und fürstliche Netzwerke im 13. Jahrhundert (= Monographien zur Geschichte des Mittelalters. Band 46). Stuttgart 2000, ISBN 3-7772-0001-8.

 

Zitierweise:
Plassmann, Alheydis/Rohrschneider, Michael/Stieldorf, Andrea: Herrschaftsnorm und Herrschaftspraxis im Kurfürstentum Köln im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. Abendvortrag, 19.08.19, http://histrhen.landesgeschichte.eu/2019/08/kurkoeln2019-abendvortrag/