Eine kaiserliche Inszenierung in Köln
Im September des Jahres 1804 besuchte der proklamierte Kaiser Napoleon zusammen mit seiner ersten Frau Joséphine de Beauharnais die linksrheinischen Gebiete, die seit 1792 sukzessive von den Franzosen erobert worden waren. Die Hauptstadt des neu geschaffenen Roer-Departements Aachen erreichte Napoleon am 3. September 1804. Er sollte weiter über Jülich, Krefeld, Venlo und Rheinberg bis nach Köln reisen und besuchte im Anschluss unter anderem Bonn und Koblenz. Die Reise an den Rhein war als klassische Herrscherreise geplant und inszeniert. Sie diente Napoleon dazu, sich vor Ort kundig zu machen, als Kaiser zu präsentieren und auch zu legitimieren. Den Untertanen wurde eine Chance der Huldigung und Ehrung des Herrschers gegeben, die durch Dekoration, Feiern und zeremonielle Handlungen ausgedrückt wurden. Für den Ablauf des Besuchs war ein striktes Protokoll vorgegeben, das auf der Tradition des Herrscherempfangs (lat. adventus) beruhte, der von der Antike über das Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert mit leichten Modifikationen praktiziert wurde.[1] Aufgrund dieser Vorgaben realisierten die Rheinstädte insgesamt ähnliche Dekorations- und Festprogramme, die sie jedoch individuell ausgestalten konnten.[2]
„O! der Du nun allein in Dir aller großen Kaiser Triumphe, Glück und Herrschergaben vereinigst, Held! Staaten- und Epochenschöpfer Napoleon!“[3]
In Köln wurden zu Ehren des Kaiserpaares eine Vielzahl von panegyrischen Inschriften erstellt und öffentlich präsentiert. Die über dreißig lateinischen Epigramme unterschieden sich in ihrer Länge und Komplexität. Sie wurden für eine temporäre Nutzung im Zeitraum des Besuchs angefertigt und befanden sich auf eigens errichteten Denkmalen oder Bildern und waren somit auf Holz, Gips oder Leinen angebracht. Keine der Inschriften ist im Original erhalten.
Das umfangreiche Inschriftenkorpus stammte aus der Hand Ferdinand Franz Wallrafs, der nicht nur der letzte gewählte Rektor der alten Kölner Universität, Professor, Sammler, Stadtreformer und “Kölner Erzbürger” war, sondern auch Literat und ein sehr versierter Epigraphiker. Im Auftrag der Stadt und für die lokale Kaufmannschaft fertigte er seine lateinischen Inschriften im Lapidarstil an. Sie wurden nach dem Kaiserbesuch in die deutsche und französische Sprache übersetzt und als „Sammlung der Inschriften, welche bei den Beleuchtungen der Stadt Köln am Tage der Ankunft Seiner Majestät des Kaisers Napoleon und Seiner Majestät der Kaiserin Joséphine angebracht waren“ (siehe Abb.) herausgegeben. Die Ehrerweisungen an Napoleon und Joséphine wurden aber nicht nur mittels Sprache und Schrift, sondern auch durch Bilder, Beleuchtungen und formelle Handlungen ausgedrückt. Diese Gesamtinszenierung war ebenfalls Teil der Planungen Ferdinand Franz Wallrafs.
Wie ein Netz erstreckten sich die Inschriften, Symbole und Bilder räumlich über die Stadt. Während des Besuchs passierten Napoleon und Joséphine die wichtigsten Stationen Kölns. Zentrale dekorierte Orte waren zum Beispiel das Eigelsteintor, der Neumarkt, das Rathaus, der Hafen und die Zentralschule im Gebäude des ehemaligen Jesuitenkollegs.
Auf einem Triumphbogen am Eigelsteintor befand sich beispielsweise ein Epigramm, das das Kaiserpaar in Köln willkommen hieß. Napoleon betrat Köln am 13. September 1804 durch das nördliche Stadttor. Zum Adventus Augusti et Augustae, zur Ankunft des Kaiserpaares, spricht die ergebene Stadt Köln öffentliche Wünsche aus und lobt Napoleon als guten, glücklichen und erlauchten Kaiser des Frankenreiches. Gleichzeitig wird die Hoffnung ausgedrückt, dass mit Napoleon auch die alte Römerstadt Köln, das Gestirn der alten Grenze, wiederauflebe. Die Inschriften enthielten sowohl historische und gegenwärtige als auch symbolische Bezüge. Dabei spielte Wallraf geschickt mit antiken und mittelalterlichen Verweisen und zitierte römische Autoren, wie Vergil und Horaz.
In Bezug auf die Darstellung Kölns zeigte sich eine Fokussierung auf die ruhmreiche römische Geschichte und die karolingische Phase. Vor allem das Motiv der (ehemals) bedeutenden Handelsstadt, die mit Hilfe Napoleons wiederaufleben sollte (renascere), wurde in den Epigrammen im Hafen propagiert, die von der Handelskammer in Auftrag gegeben worden waren. Durch die Darstellung der Inschriften im Stadtraum wurde deren Inhalt auf einer visuellen Ebene an das Kaiserpaar und auch die Kölnerinnen und Kölner selbst vermittelt. Diese aufwendige und multimediale Ausgestaltung aus Inschriften, Bildern und Architektur verdeutlicht den Anspruch, mit dem Napoleon begegnet wurde, und lässt zudem Motive der Verantwortlichen erkennen.[4]
Hinter der festlichen Dekoration und dem epigraphischen Schmuck standen verschiedene Interessen auf Kölner Seite. Die Stadt Köln, die durch die französische Besatzung einen Statusverlust vor allem gegenüber Aachen erlitten hatte,[5] und vor allem die lokale Kaufmannschaft versuchten, Napoleon von Köln als überregionalem Handelszentrum zu überzeugen, wirtschaftliche Privilegien zu erhalten und dem schlechten Ruf der Rheinstadt entgegenzuwirken. Die ehemalige freie Reichsstadt sollte zu einer der premières villes des Reiches aufsteigen.[6] Wallraf erhoffte sich durch den Besuch des Kaisers konkret, dass die 1798 geschlossene Kölner Universität an die Stadt zurückgegeben werde.[7] Außerdem wollte auch er das Ansehen seiner geliebten Heimatstadt überregional verbessern.[8]
Nach dem Auszug Napoleons durch das Severinstor am 18. September 1804 konnten die Kölner Bürger mit dem Kaiserbesuch zufrieden sein.[9] Die Stadt wurde als eine der premières villes anerkannt, womit man sich Aachen an Status immerhin wieder näherte. Auch die Auftraggeber der öffentlichen Dekoration, die Stadt und die Handelskammer, waren zufrieden und zeigten sich Wallraf gegenüber dankbar und erkenntlich. Darüber hinaus wurden einige der genannten Wünsche von Kölner Seite erfüllt. Napoleon veranlasste zum Beispiel die Erneuerung des Stapelrechts und des Freihafenprivilegs. Zur Wiedereröffnung der Kölner Universität kam es jedoch bekanntlich nicht.
Die kaiserliche Inszenierung des Besuchs ist ein (weiterer) Beweis des Engagements Ferdinand Franz Wallrafs für seine Heimatstadt. Ihm war es gelungen, ein klug konstruiertes Bild Kölns als geschichtsträchtige Handels- und traditionsreiche Römer- und Frankenstadt zu generieren, in das er geschickt Forderungen an Napoleon einbaute und diese durch den Verweis auf historische Vorbilder als legitime Wünsche auslegte. Auch wenn es formale Vorgaben der französischen Seite gab, wusste Wallraf – vor allem in den Inschriften – die Besonderheiten Kölns herauszuarbeiten. Sie sind der (inhaltliche) Kern des Gesamtkonzepts. Wallrafs Inszenierung des Kaiserbesuchs von 1804 wurde bereits Mitte des 19. Jahrhunderts als „Krone all seiner derartigen Leistungen“[10] bezeichnet. In der Selbstdarstellung Kölns als stolze Stadt, die Wallraf entschieden multimedial betrieb, kann auch ein identitätsstiftendes Moment erkannt werden. Die ehemalige Glorie und Größe der Stadt präsentierte Wallraf nicht nur dem neuen Kaiser, sondern auch den Bürgerinnen und Bürgern Kölns, deren Lebenswelt sich in der vorangegangenen Dekade radikal gewandelt hatte.
[1] Vgl. Schmitz, Ulrike: Adlige Strategien gegenüber Napoleon – Annähern oder Abstand halten? Napoleon zu Gast beim Adel, in: Gersmann, Gudrun/Langbrandtner, Hans-Werner/Schmitz, Ulrike (Hrsg.): Im Banne Napoleons. Rheinischer Adel unter französischer Herrschaft. Ein Quellenlesebuch (Vereinigte Adelsarchive im Rheinland e. V. 4), Essen 2013, S. 83-88, hier S. 83f. Zur Tradition der Herrscherempfänge siehe beispielsweise: Dotzauer, Winfried: Die Ankunft des Herrschers. Der fürstliche „Einzug“ in die Stadt (bis zum Ende des alten Reiches), in: Archiv für Kulturgeschichte Vol. 55 (1973), S. 245-288. Ein facettenreicher Sammelband zu verschiedenen Formen von Triumphzügen: Kimpel, Harald/Werckmeister, Johanna (Hrsg.): Triumphzüge: Paraden durch Raum und Zeit, Marburg 2001. Neue Ansätze bei: Hölkeskamp, Karl-Joachim: »Performative turn« meets »spatial turn«. Prozessionen und andere Rituale in der neueren Forschung, in: Boschung, Dietrich/Hölkeskamp, Karl-Joachim/Sode, Claudia (Hrsg.): Raum und Performanz. Rituale in Residenzen von der Antike bis 1815, Stuttgart 2015, S. 15-74.
[2] Vgl. Buchholz, Christopher: Französischer Staatskult 1792-1813 im linksrheinischen Deutschland. Mit Vergleichen zu den Nachbardepartements der habsburgischen Niederlande (Europäische Hochschulschriften 3, Geschichte und ihre Hilfswissenschaften 749), Frankfurt am Main 1997, S. 213-227; Der Beobachter, 12. September 1804; Der Beobachter, 16. September 1804.
[3] Wallraf, Ferdinand Franz: Abdruck und freie Übersetzung der lateinischen Inschriften, welche beym freudenvollen Empfange Ihrer Kaiserlichen Majestäten Napoleon und Joséphine in der, von der Kaufmannschaft in Köln veranstalteten feyerlichen Beleuchtung des Rheinhafens, den Thurm im Mittelpunkte desselben umgaben, Köln 1804, S. 16.
[4] Vgl. Müller, Klaus: Ferdinand Franz Wallraf: Gelehrter, Sammler, Kölner Ehrenbürger (1748-1824), Köln 2017, S. 35-37.
[5] Vgl. dazu: Rowe, Michael: A Tale of Two Cities: Aachen and Cologne in Napoleonic Europe, in: Broers, Michael/Hicks, Peters/Guimerá, Augustin (Hrsg.): The Napoleonic Empire and the New European Political Culture (War, Culture and Society 1750-1850), Basingstoke u. a. 2012, S. 123-131.
[6] Vgl. Müller, Klaus: Köln von der französischen zur preußischen Herrschaft. 1794–1815 (Geschichte der Stadt Köln 8), Köln 2005, S. 71.
[7] Vgl. Krüssel, Hermann: Napoleon Bonaparte in lateinischen Dichtungen vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts. Band 2. Von der Rheinreise und Kaiserkrönung bis zum Preußenfeldzug (1804-1806) (Noctes Neolatinae 25), Hildesheim 2015, S. 209.
[8] Vgl. Müller 2017, S. 57-59.
[9] Vgl. Müller 2005, S. 73f.
[10] Ennen, Leonard: Zeitbilder aus der neueren Geschichte der Stadt Köln, mit besonderer Rücksicht auf Ferdinand Franz Wallraf, Köln 1857, S. 222.
Zitierweise:
Stein, Henrike: Eine kaiserliche Inszenierung in Köln. Napoleon besucht das Rheinland, in: Histrhen. Rheinische Geschichte wissenschaftlich bloggen, 10.09.2018, http://histrhen.landesgeschichte.eu/2018/09/eine-kaiserliche-inszenierung-in-koeln