Warum Friedenschließen so schwer ist
Derzeitige asymmetrische Konflikte lassen die Erforschung frühneuzeitlicher Friedensprozesse, insbesondere des Westfälischen Friedenskongresses (WFK), wieder aktuell werden. Somit konnte die Tagung „Warum Friedenschließen so schwer ist: Der Westfälische Friedenskongress in interdisziplinärer Perspektive“ vom 31. August bis zum 1. September 2017 an der Universität Bonn ihre Relevanz nicht nur im geschichtswissenschaftlichen, sondern auch im tagespolitischen Diskurs unterstreichen. Ziel der internationalen Tagung war es, neue Forschungen zum WFK und zur Friedensstiftung aus einer multiperspektivischen Sicht aufzuzeigen. Organisiert wurde sie von Dorothée Goetze und Lena Oetzel sowie vom Lehrstuhl für Frühe Neuzeit und Rheinische Landesgeschichte der Universität Bonn in enger Kooperation mit dem Bonner Zentrum für Historische Friedensforschung, vom Fachbereich Geschichte der Universität Salzburg und vom Landschaftsverband Rheinland. Im Vordergrund stand neben detaillierten Analysen von Aspekten der vormodernen Friedensstiftung auch die Frage nach den praktischen Anwendungsmöglichkeiten der Forschungserkenntnisse.
Die erste Sektion präsentierte Meistererzählungen über den Westfälischen Frieden aus vier verschiedenen nationalen Perspektiven, die zum Teil historiographische, zum Teil politisch-kulturelle Schwerpunkte setzten. Etwa im Zuge schwedischer Kriegsbegründungen (Martin Hårdstedt) oder generalstaatlicher Innenpolitik (Irena Kozmanová) offenbarte sich das Potential an Instrumentalisierung und Lenkung von Narrativen. In Schweden schon lange ein geschichtswissenschaftliches Thema, wird man in Frankreich und Spanien erst in den letzten Jahrzehnten auf die Ereignisse in Westfalen aufmerksam. Am Beispiel der spanischen Diplomatie zeigt sich, dass trotz einer generellen Friedensbereitschaft Akteure auch skeptisch gegenüber dem Aushandlungsformat eines multilateralen Kongresses sein konnten. Face-to-face-Verhandlungen im kleineren Rahmen wurden hier bevorzugt (Alistair Malcolm). Anhand der französischen Wissenschaftslandschaft nach 1945 konnte gezeigt werden, dass Narrative nicht nur national, sondern auch disziplinär variieren können, in diesem Falle zwischen Politologie und Geschichtswissenschaft (Claire Gantet). Die Dekonstruktion des Westphalian System verdeutlichte auch der Kommentar aus politikwissenschaftlicher Perspektive (Benjamin de Carvalho).
Die Nachwuchssektion gab Qualifikationsarbeiten Raum zur Präsentation, die in ihrer Beschäftigung mit legitimierender Kommunikation und Performanz auf gemeinsamen Grundlagen basierten (Ralf-Peter Fuchs). Mit den Zusammenhängen zwischen Kongressgeschehen und Zeitungsberichten, die zum Beispiel durch die Preisgabe von Geheimverhandlungen oder die frühzeitige Publikation von Verhandlungsakten eng miteinander verflochten waren, wurden etwa essentielle Aspekte von Kommunikationsprozessen auf dem WFK aufgezeigt (Jonas Bechtold). Zur Betrachtung der diplomatischen, auch performativen Praxis gehörte die Analyse informeller Mittel zur Überwindung formeller Probleme am Beispiel des Einzugs des kurkölnischen Gesandten in Münster (Alexander Schoenen). Das Problemfeld des Kunstraubs, das über den WFK hinaus ins Kriegsgeschehen weist, konnte exemplarisch anhand der schwedischen Einnahme von Mainz 1631 dargestellt werden. Es wurde deutlich, dass es sich hier auch um einen auf Völkerrecht basierenden Vorgang handeln konnte (Marcel Mallon).
Die dritte Sektion widmete sich den Quellen zum WFK, da sie die Grundlage für die modernen historiographischen Narrative bilden und entsprechend in ihrer Medialität betrachtet werden müssen. Über verschiedene Zugänge, sprach-, medien- und musikwissenschaftlich sowie informationstechnisch, wurden Perspektiven aufgezeigt, die eine historisch-kritische Edition der modernen Forschung bieten kann. Dabei wurden nicht nur Diarien, Korrespondenzen und Protokolle herangezogen, die den Hauptteil der Quellengrundlage zur Erforschung des WFK ausmachen (Sandra Müller und Arno Strohmeyer), sondern auch die Wirkung und der Einsatz von Musik untersucht (Elisabeth Natour). Anhand der APWdigital wurde aufgezeigt, wie eine analoge Edition in eine digitale überführt wird. Anschaulich wurden dabei Chancen und Probleme dargestellt (Tobias Tenhaef). Die hohe Bedeutung der digitalen Aufarbeitung von Quelleneditionen und die Notwendigkeit, den digitalen Zugang zu Archivalien zu verbessern, unterstrich auch der abschließende Kommentar (Thomas Just).
Normen, Werte und Diskurse standen in der vierten Sektion im Vordergrund. Hier ging es um zeitgenössische Friedensvorstellungen sowie ihre Thematisierung durch die Reichspublizistik. Die Normierung des Friedens trat gegenüber der Normierung des Krieges deutlich in den Hintergrund. Nur wenige Werke beschäftigten sich explizit mit der Thematik (Volker Arnke). Des Weiteren wurden die zahlreichen Krankheiten, die die Gesandten plagten und das Problem der Korruption thematisiert. Krankheit stand im Spannungsfeld zwischen Subjektivität und öffentlicher Wahrnehmung. Sie diente aber auch als Kommunikationsmittel in Verhandlungen (Lena Oetzel). Korruption lässt sich nur sehr schwer von rechtmäßigen Geschenken trennen. Zur Zeit des WFK gab es noch keinen modernen Korruptionsbegriff mit strafrechtlicher Konsequenz. Korruption war abhängig vom Blickwinkel des Betrachters (Dorothée Goetze). Problematisch für die Friedensverhandlungen war zudem die Tatsache, dass in den vielfältigen Diskursen auf dem WFK kriegstreibende Normen und Werte fortgalten. Auch wenn der Wert des Friedens hoch eingeschätzt wurde, galt dies nicht für die Friedfertigkeit (Hillard von Thiessen).
Die fünfte Sektion handelte von Praktiken der Diplomatie und der Stadt. Ein wesentlicher Bestandteil der Diplomatie war Spionage. Gerade die Franzosen waren auf diesem Gebiet sehr erfolgreich. Dies lag unter anderem daran, dass die kaiserliche Spionageabwehr sehr schlecht aufgestellt war (Maren Walter). Teil der Diplomatie waren auch die zahlreichen feierlichen Veranstaltungen in Westfalen und in Nürnberg 1649/1650, die nicht allein der Unterhaltung der Gesandten dienten, sondern auch immer eine politische Botschaft transportierten und für die eigene Sache warben (Clemens Peck). Unter anderem durch das gemeinsame Unterhaltungsprogramm bildete sich eine Gemeinschaft der Diplomaten heraus. Sie hatten eine humanistische Bildung, waren vielfach Juristen und blieben über lange Zeit gemeinsam vor Ort (Magnus U. Ferber). Dass diplomatische Vorstöße nicht immer die offiziellen Wege nahmen, beweisen Beispiele, in denen Diplomatengattinnen zugunsten von Bittstellern bei ihren Ehemännern Fürsprache hielten. Sie wurden im Rahmen einer Audienz aufgesucht und gebeten, die jeweiligen Anliegen wohlwollend zu unterstützen (Maria-Elisabeth Brunert). Die Beiträge zeigten, dass sich gerade die frühneuzeitliche Kongressgeschichte besonders gut für praxeologische Ansätze eignet, um eine Perspektivierung historischer Phänomene zu schaffen (Dagmar Freist).
Die sechste Sektion beschäftigte sich mit unterschiedlichen Strategien der Vermittlung wissenschaftlich fundierter Ergebnisse an eine breite Öffentlichkeit und mit ihren jeweiligen Bedingungen aus der Perspektive eines Stadtarchivs und eines Archivvereins (Nils Jörn), eines kulturhistorischen Museums (Joachim Krüger) sowie eines Autors Historischer Romane (Michael Wilcke). Im Rahmen der Ausführungen zu Experteninterviews bei TV-Dokumentationen über den Westfälischen Frieden stand nicht zuletzt auch der positive Lerneffekt für den Wissenschaftler im Vordergrund, komplexe Sachverhalte und Prozesse kurz und prägnant wiederzugeben. Zugleich wurde auch die Bereitschaft zur adäquaten Vermittlung durch Historiker als Legitimationsstrategie des Fachs gefordert (Christoph Kampmann).
Unter der Moderation von Anuschka Tischer diskutierten Michael Kaiser, Christoph Kampmann, Patrick Milton und Michael Rohrschneider, ob sich aus vergangenen Friedensprozessen für aktuelle Konflikte lernen lässt Ein prominentes, vielfach zitiertes Beispiel, im Rahmen dessen Praktikabilität und Funktionalität von Forschungsergebnissen über den WFK debattiert wird, ist der Nahe Osten. In einem regen und konstruktiven Gespräch, in dem auch Ergebnisse der Seminarreihe “A ʻWestphalia’ for the Middle East” aufgeführt wurden, wurde deutlich, dass der Westfälische Frieden dann als Lernelement für Konfliktlösungen der heutigen Zeit dienen kann, wenn strukturelle Friedensprozesse des 17. Jahrhunderts als Inspiration herangezogen werden. Die Verträge selbst mit ihren Bestimmungen als Blaupause zu nutzen, sei dagegen nicht förderlich. Die Historische Friedensforschung müsse dabei Wege und Instrumente der Konfliktlösung im Detail erfassen sowie Mythen im Rahmen des Friedens von 1648 demonstrieren.
Die vielen unterschiedlichen und zum Teil neuen Untersuchungsansätze, Fragestellungen und Analysen zum WFK zeigen, dass die Beschäftigung mit dem Kongress für die Forschung noch immer lohnenswert ist. Dies belegen die fundierten Vorträge und Kommentare sowie die anschließenden regen Diskussionen. Gerade die interdisziplinären Zugänge versprechen interessante neue Erkenntnisse. Hieraus ergeben sich neue Perspektiven, die die Aktualität des Themas aufzeigen. Angesichts der aktuellen Krisenherde spielt die Frage, wie ein multikonfessioneller, überstaatlicher Krieg bzw. Konflikt, der sich über Jahre erstreckt, befriedet werden kann, eine zentrale Rolle. Anhand des WFK konnte gezeigt werden, dass es sich bei der Friedensstiftung um einen Prozess aus vielen parallel und gegenläufig, distanziert und miteinander verwobenen Strukturen handelte. Bei aktuellen Fragen der Konfliktlösung, etwa nach der Einführung von Amnestien und Garantiemächten, konnte diese Tagung, exemplarisch für frühneuzeitliche Friedensforschung natürlich keine abschließende Antwort geben, wohl aber Perspektiven für eine Sensibilisierung solcher Ansätze schaffen.
Eine ausführliche Version des Tagungsberichts findet sich bei H-Soz-Kult. [Anmerkung der Redaktion, 08.12.2017]
Zitierweise:
Laufs, Markus/Mallon, Marcel: “Warum Friedenschließen so schwer ist. Der Tagungsbericht”, in: Histrhen. Rheinische Geschichte wissenschaftlich bloggen, 25.10.2017, http://histrhen.landesgeschichte.eu/2017/10/tagungsbericht-bonn1648/