Praktiken der Diplomatie – Praktiken der Stadt

Was haben der Weltjugendtag in Köln 2005, die 23. Internationalen Klimakonferenz der Vereinten Nationen in Bonn 2017 und der Westfälische Friedenskongress (WFK) gemeinsam?

Alle drei Veranstaltungen stellen die Organisator/innen und gastgebenden Städte vor die Herausforderung, Infrastruktur für mehrere Tausende Besucher bereitzustellen und für einen begrenzten Zeitraum Fremde und Einheimische zu einer Stadtgemeinschaft zu integrieren. In Köln waren es über 800.000 Teilnehmende, in Bonn werden im November 2017 etwa 25.000 Konferenzteilnehmer/innen erwartet. Der General Anzeiger Bonn bezeichnet die Vorbereitung als Mammutaufgabe.[1]

Auf dem WFK war die Zahl der Gäste zwar deutlich geringer,[2] aber die Aufgabe nicht weniger herausfordernd.[3] Die fünfte Sektion der Tagung „Warum Friedenschließen so schwer ist: Der Westfälische Friedenskongress in interdisziplinärer Perspektive“ fragt nach Praktiken, sowohl der Diplomatie als auch der Stadt.

Wie beeinflusste eine solch große Konferenz die ausrichtende Stadt? Das meint nicht nur Infrastrukturfragen, sondern auch Auswirkungen etwa auf das kulturelle Leben. Ein Beispiel hierfür bietet der Beitrag des Salzburger Germanisten Clemens Peck, der die Theater- und Festkultur am Nürnberger Exekutionstag (1649/50) in den Blick nimmt und damit zugleich die Perspektive über die Verhandlungen in Westfalen hinaus weitet bis zum Abschluss der Beratungen über die praktische Umsetzung des Friedens.[4]

Mit der Soziabilität der auf dem WFK Anwesenden befasst sich auch der Beitrag des Frankfurter Historikers Magnus U. Ferber. Er fragt nach der Gemeinschaft der Diplomaten in Westfalen, wie sie sich als soziale Gruppe konstituierten und ihrer (zumindest sprachlich) zunehmenden Abnabelung von den Entsendehöfen Ferber am Beispiel der Abreise des kaiserlichen Prinzipalgesandten Trauttmansdorff nachzeichnet.

Damit wird zugleich die Brücke geschlagen zu den Praktiken der Diplomatie. Zwei spezielle Aspekte diplomatischer Praxis beleuchten die Bonner Historikerinnen Maren Walter und Maria-Elisabeth Brunert.

Brunert widmet sich der Intervention als diplomatischem Mittel. Das Innovative an ihrem Ansatz ist, dass sie nicht die Gesandten, sondern deren Frauen ins Zentrum ihrer Betrachtung stellt, denen, wie sie zeigen wird, mehr Aufgaben zukamen als nur Repräsentation und Haushaltsführung.

Maren Walter befasst sich mit einem hochaktuellen Thema: Informationsbeschaffung. Deren Wege sind nicht immer nachvollziehbar oder mitunter sogar illegal. Auch im Kontext der Friedensverhandlungen in Münster und Osnabrück galt es die Verhandlungsstrategie der Kongressparteien zu ergründen, ihre Ziele, Forderungen und Konzessionsbereitschaft. Anhand eines Protokolls aus dem Jahr 1646 vollzieht Walter Spionageversuche und deren Abwehr im Umfeld des WFK nach.

Als Kommentatorin für die Sektion konnte Prof. Dr. Dagmar Freist (Oldenburg) gewonnen werden, die sich in den letzten Jahren intensiv mit Fragen der historischen Praxeologie befasst hat.[5] Gerade ihre Expertise zu kulturellen und sozialen Praktiken der Frühen Neuzeit auch außerhalb von Friedensverhandlungen wird dazu beitragen, die Ergebnisse dieser Sektion zu kontextualisieren und für über den WFK hinausweisende Forschungen fruchtbar zu machen.

Durch die Sektion führt Prof. Dr. Siegrid Westphal (Osnabrück), die zuletzt mit einem Band zum Westfälischen Frieden auf sich aufmerksam gemacht hat und daher die Verhandlungen auf dem Kongress genauestens kennt.[6] Zudem verbindet sie in ihrer Forschung die Geschichte des Alten Reichs mit Kultur- und Geschlechtergeschichte – Aspekte, die in dieser Sektion besonders hervortreten.

 

SEKTION 5: PRAKTIKEN DER DIPLOMATIE – PRAKTIKEN DER STADT, 13.00–15.30 Uhr

Moderation: Siegrid Westphal / Kommentar: Dagmar Freist

  1. Spionageabwehr und –aufklärung im Umfeld des Westfälischen Friedenskongresses. Das Protokoll einer Spionageaffäre im Kurfürstentum Mainz 1646 (Maren Walter)
  2. Friedensverträge, Friedensspiele. Diplomatische Theater- und Festkultur am Nürnberger Exekutionstag 1649/50 (Clemens Peck)
  3. Die Gemeinschaft der Diplomaten in Westfalen als Friedenspartei (Magnus U. Ferber)
  4. Intervenieren als Praktik. Zur Rolle von Diplomatengattinnen auf dem Westfälischen Friedenskongress (Maria-Elisabeth Brunert)

 


[1] Inhoffen, Lisa: Bonn bereitet sich auf die internationale Klimakonferenz vor. In: General Anzeiger Bonn (14.07.2017):  https://ga.de/bonn/stadt-bonn/bonn-bereitet-sich-auf-die-internationale-klimakonferenz-vor_aid-43430447 [Zugriff am 11.03.2021, Link durch die Redaktion aktualisiert]

[2] Bosbach hat insgesamt 194 Gesandtschaften ermittelt, die zwischen 200 und 4 Personen umfassten. Bosbach, Franz: Die Kosten des Westfälischen Friedenskongresses. Eine strukturgeschichtliche Untersuchung. (Schriftenreihe zur Erforschung der Neueren Geschichte, 13) Münster 1984, 14-30.

[3] Dies spiegelt sich besonders in der Anekdoten zum kaiserlichen Prinzipalgesandten Trauttmandsdorff wider, der einen seiner ersten Briefe vom WFK mit „Münster hinter dem Saustall“ lokalisierte. Dickmann, Fritz: Der Westfälische Frieden, Münster 1959, S. 190.

[4] Siehe zum Nürnberger Exekutionstag: Oschmann, Antje: Der Nürnberger Exekutionstag 1649-1650. Das Ende des Dreißigjährigen Krieges in Deutschland. (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte, 17) Münster 1991.

[5] In Auswahl: Freist, Dagmar (Hg.): Diskurse – Körper – Artefakte. Historische Praxeologie in der Frühneuzeitforschung. (Reihe Praktiken der Subjektivierung, 5) Bielefeld 2015; Dies. et al. (Hg.): Selbst-Bildungen. Soziale und kulturelle Praktiken der Subjektivierung. (Reihe Praktiken der Subjektivierung, 1) Bielefeld 2013.

[6] Westphal, Siegrid: Der Westfälische Frieden. München 2015.

 

Zitierweise:
Goetze, Dorothée: „Praktiken der Diplomatie – Praktiken der Stadt“, in: Histrhen. Rheinische Geschichte wissenschaftlich bloggen, 02.08.2017, http://histrhen.landesgeschichte.eu/2017/08/praktiken/