Die „NRW-Legende“

Da war sie wieder, die „NRW-Legende“: CDU-Generalsekretär Peter Tauber trat am NRW-Wahlabend im Berliner Konrad-Adenauer-Haus vor die Kameras und Mikrofone, um unter dem Jubel seiner Parteifreunde zu verkünden: „Die CDU hat die Herzkammer der SPD erobert, Rot-Grün ist abgewählt“.1 Da solche und ähnliche Äußerungen zur (Entwicklung der) parteipolitischen Landschaft in NRW von Vertreterinnen und Vertretern jeglicher politischer Couleur immer wieder zu hören und zu lesen sind, folgen hierzu in komprimierter Form einige Anmerkungen.

  1. Das Herbert Wehner zugeschriebene Diktum von der „Herzkammer“ bezog sich mitnichten auf das gesamte Bundesland NRW, sondern auf Dortmund.2
  2. Diese „Herzkammer“ aber konnte die CDU im Mai 2017 eben nicht erobern. Die Direktmandate in den vier Dortmunder Wahlkreisen (Dortmund I – Dortmund IV) fielen ausnahmslos an die SPD.3
  3. Vermutlich zielte Tauber auf ein anderes Bild ab, nämlich eines das sich tatsächlich auf das gesamte Bundesland bezieht. Es ist die These, dass NRW ein oder sogar das „Stammland“ der SPD sei.
  4. Auch diese These ist problematisch, streng historisch betrachtet sogar schlichtweg falsch. Von 1946, dem Jahr der Landesgründung, bis zum Jahr 1966, dem Jahr des Regierungsantritts des Kabinetts Heinz Kühn I, stellte die SPD gerade einmal für gut zwei Jahre den Ministerpräsidenten: In den Jahren 1956 bis 1958 führte Fritz Steinhoff eine Koalition aus SPD und FDP unter Unterstützung und Beteiligung des Zentrums – der ehemalige, zunächst parteilose Ministerpräsident (1946–1947) Rudolf Amelunxen, der inzwischen der Zentrumspartei angehörte, blieb als Justizminister im Amt. Im Jahr 1958 erreichte die CDU bei den Landtagswahlen mit 50,5 Prozent dann sogar die absolute Mehrheit der Stimmen, so dass das erste sozialliberale „Experiment“ rasch beendet war. Selbst zu Zeiten der zweiten, dauerhafteren sozialliberalen Koalition unter Heinz Kühn und Johannes Rau (1966–1980) blieb die Union bei zwei Landtagswahlen (1970 und 1975) mit jeweils deutlich über 40 Prozent Stimmenanteilen stärkste Kraft und stellte somit den Landtagspräsidenten.
  5. Erst in der Ära Johannes Rau (1978–1998) konnte die SPD ihre Position zu einer erdrückenden Dominanz ausbauen und dreimal in Folge (1980, 1985, 1990) die absolute Mehrheit der Landtagsmandate erringen. In diesem Zusammenhang spricht man auch von einer „Hegemonialphase“ der SPD.4 Rau gelang es mittels seines Regierungsstils und mit Hilfe des Slogans „Wir in NRW“, das Land geradezu mit seiner Partei zu identifizieren. In der Wahrnehmung vieler Angehöriger der jüngeren Generation präsentierte sich NRW seit den 1980er Jahren – und später im Rückblick – als Hochburg der SPD „von Beginn an“. Ein Trugschluss, der an der historischen Realität vorbeigeht.

Bis die CDU also die „Herzkammer“ der SPD erobern kann, muss sich Peter Tauber noch mindestens bis zum Jahr 2020 gedulden – dann finden in NRW und folglich auch in Dortmund Kommunalwahlen statt.

 


1 Vgl. https://archiv.cdu.de/artikel/klarer-wahlsieg-fuer-die-cdu-rot-gruen-nrw-abgewaehlt (Abruf vom 03.12.2023 – Aktualisierung durch die Redaktion).

2 Vgl. etwa Jacobsen, Lenz, Die Stadt der Sozis, 15. Februar 2017, http://www.zeit.de/politik/deutschland/2017-02/dortmund-spd-ruhrgebiet-martin-schulz-heimatreporter-d17 (Abruf vom 15.05.2017).

4 Vgl. hierzu Korte, Karl-Rudolf/Florack, Martin/Grunden, Timo, Regieren in Nordrhein-Westfalen. Strukturen, Stile und Entscheidungen 1990 bis 2006, Wiesbaden 2006.

 

 

Zitierweise:
Schlemmer, Martin: “Die „NRW-Legende“”, in: Histrhen. Rheinische Geschichte wissenschaftlich bloggen, 16.05.2017, http://histrhen.landesgeschichte.eu/2017/05/die-nrw-legende/