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Die Medizinische Fakultät der Universität zu Köln in der NS-Zeit

Der an der Universität zu Köln am Institut für Geschichte und Ethik der Medizin lehrende Medizinhistoriker Ralf Forsbach legt eine beachtliche Monographie über die Geschichte der Kölner Medizinischen Fakultät während der NS-Zeit vor. Das mehr als 300 Seiten umfassende, reichlich bebilderte Werk ist 2023 im Böhlau-Verlag erschienen. Es ist in Bezug auf die Kölner Medizinische Fakultät die erste Gesamtdarstellung der Zeitspanne von 1933 bis 1945.

Die Studie ist klug strukturiert. Besonders erwähnenswert sind die Übersichtstabellen, die unter anderem die Parteimitgliedschaften der involvierten Akteure penibel dokumentieren. Die innerhalb des Haupttextes angebrachten Steckbriefe sorgen für Übersichtlichkeit.

Das Buch gibt Aufschluss über die Haltung der Fakultät, der einzelnen Kliniken, Institute und Fächer, beschreibt die maßgeblichen Verantwortlichen und erklärt die enge Verstrickung zwischen Fakultät, Stadt und Ministerium bei der Umstrukturierung nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten. Die Kölner Medizinische Fakultät entstand 1919 aus der „Akademie für praktische Medizin” als zur gleichen Zeit die Wiedergründung der Universität stattfand. Die Verwaltung der Kliniken und Institute blieb weiterhin im Aufgabenbereich der Stadt. Ein großer Teil der Studie ist den Biografien der in den Umbau der Universität in der NS-Zeit involvierter Personen gewidmet. Im Fokus stehen die für die Umstrukturierung wesentlich verantwortlichen Klinik- und Institutsdirektoren. Aufgrund der engen Verbindung zwischen städtischen und universitären Strukturen steht des Weiteren aber auch der städtische Gesundheitsdezernent Carl Cörper (1886–1960) im Fokus.

Am Beginn des Unrechtsregimes standen Beurlaubungen und Entlassungen sowie die Diskriminierung und der Ausschluss von Mitgliedern der Universität aus rassistischen und politischen Gründen. Davon war das wissenschaftliche Personal in gleicher Weise betroffen, wie die Studierenden. Der Autor widmet sich dem Schicksal jüdischer Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen und Studierender, aber beispielsweise auch dem Schicksal homosexueller Studierender, welche aufgrund ihrer sexuellen Orientierung exmatrikuliert wurden. Forsbach konnte die Entziehung von 66 Doktorgraden während der NS-Zeit zusammentragen, wobei 24 der Fälle auf die Medizinische Fakultät entfielen. Von diesen betroffenen Personen konnte der Autor mit den wichtigsten biografischen Daten und dem Datum der Depromotion ausfindig machen.

Die Institute profitierten von Zwangsarbeit, aber auch von der Forschung an Zwangsarbeitern und der Einlieferung von Leichen Hingerichteter aus dem Gefängnis „Klingelpütz“. Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter wurden in den Kliniken unter anderem zur Arbeit in den Küchen und zum “Stationsputzen” eingesetzt.

In Köln schätzt Forsbach die Zahl der Opfer von Zwangssterilisationen auf 4.070 Personen, wobei zirka 2.500 Personen jeweils ungefähr zur Hälfte in der Chirurgischen Klinik und zur Hälfte in der Frauenklinik zwangssterilisiert wurden, darunter 1.187 Betroffene aufgrund der damaligen Diagnose „angeborenen Schwachsinns“, 403 aufgrund von „Schizophrenie“ und 338 wegen Epilepsie. Die Chirurgische Klinik stand unter der Leitung des Chirurgen Hans von Haberer (1875–1958), der zwischen April 1935 und Oktober 1938 das Amt des Rektors der Universität Köln innehatte. Die meisten Zwangssterilisationen wurden zwischen 1934 und 1938 von dem Chirurgen und Urologen Karl Freiherr von Ferstel durchgeführt. Ferstel hatte eine eigene, nach ihm benannte, Operationsmethode der Vasektomie entwickelt, die in Köln zur Anwendung kam. Schon 1938 wechselte er an die Abteilung für Urologie des St.-Marien-Hospitals in Köln, deren Leitung er übernahm. Nach dem Zweiten Weltkrieg war er als Primararzt am Landeskrankenhaus im steirischen Rottenmann tätig.

Der Autor konnte für eine große Zahl der aufgrund rassistischer oder politischer Gründe aus ihrer universitären Anstellung Entlassenen und für diejenigen Absolventinnen und  Absolventen, die in der NS-Herrschaft ihre akademischen Titel verloren, biographische Lebensdaten ermitteln und so ihr weiteres Schicksal nachvollziehbar machen. Trotz dieser beachtlichen Leistung betont der Autor, dass sein Buch „längst nicht alle Fragen abschließend beantworten kann“ und er mit seinem Werk „den Anstoß zu weiteren Detailstudien biografischer wie institutioneller Art geben“ möchte. Eine Lücke klafft insbesondere noch hinsichtlich der Nachgeschichte der NS-Zeit. In Bezug auf die Opfer macht der Autor ebenso klar, dass die Forschung noch nicht abgeschlossen ist. So steht etwa die Bestimmung der Namen der in der NS-Zeit hingerichteten Personen, deren Leichen an das Anatomischen Institut gelangten, noch aus. Das gleiche gilt für die große Zahl der Namen der Zwangssterilisierten und der in den „Euthanasie“-Aktionen ermordeten. Es ist zu hoffen, dass diese Forschungslücken in Zukunft geschlossen werden können und Forschungen zu Personen und Einrichtungen der Kölner Medizinischen Fakultät noch zusätzlich vertieft werden. Diese nun vorliegende Arbeit hat in Bezug auf die Universität Köln eine wichtige Grundlage für jede weiterer Beschäftigung mit der Zeitspanne von 1933 bis 1945 geschaffen und stellt damit einen sehr beachtlichen und wertvollen Beitrag für die Forschung dar.

Forsbach, Ralf: Die Medizinische Fakultät der Universität zu Köln in der NS-Zeit, Wien/Köln 2023, 325 S. mit Register; ISBN: 978-3-412-52770-9

 

Zitierweise:
Hlade, Josef: Rezension zu “Die Medizinische Fakultät der Universität zu Köln in der NS-Zeit. Von Ralf Forsbach”, in: Histrhen. Rheinische Geschichte wissenschaftlich bloggen, 15.04.2024, http://histrhen.landesgeschichte.eu/2024/04/rezension-forsbach-medizinische-fakultaet-koeln-ns-hlade