Die ‚Kleine Welt‘ als großes Hindernis?
Für ein Aufeinandertreffen von ‘Kleinen’ und ‘Großen’ Welten ist der Kölner Krieg (1583-1588) in vieler Hinsicht ein geeigneter Untersuchungsgegenstand, betraf dieser Konflikt doch neben der lokalen Ebene im Rheinland oder in Westfalen auch die Reichs- und sogar auch die internationale Ebene. Im Rahmen des von der TRA 5 „Present Pasts“ geförderten Projekts „‚Kleine‘ und ‚Große‘ Welten im Rheinland der Vormoderne“ sollen unter anderem die Einflussmöglichkeiten der ‚Kleinen‘ auf die ‚Großen Welten‘ durch bottom-up-Prozesse betrachtet werden. Ein Beispiel für eine solche Initiative stellt das Vorgehen des erzstiftischen Landtags im Januar 1583 gegen Kurfürst Gebhard Truchsess von Waldburg dar.
Die Episode auf dem erzstiftischen Landtag 1583 steht in direktem Zusammenhang mit dem Reformationsversuch Gebhard Truchsess‘ und stellt eine der ersten Erprobungen der Bestimmungen der 1550 erneuerten Rheinischen Erblandesvereinigung im Konfliktfall dar. Diesen Konflikt um die konfessionelle Ausrichtung des Kurfürstentums konnte wohl keiner der Domkapitulare vorhersehen, die im Jahre 1577 die Stimme für den treuen Katholiken Gebhard abgegeben hatten.[1] Gebhard agierte in den ersten Jahren seines Episkopats eindeutig als katholischer Landesherr und empfing sogar 1578 die Priesterweihe. Als Folge einer Liebesbeziehung zur Gerresheimer Stiftsdame Agnes von Mansfeld und unter Einfluss mehrerer protestantischer Grafen sowie der Geschwister der Agnes wandte sich Gebhard jedoch dem protestantischen Bekenntnis zu und fasste den Beschluss zu konvertieren. Das Bischofsamt und die Kurwürde wollte er jedoch nicht – wie im Geistlichen Vorbehalt des Augsburger Religionsfriedens von 1555 geregelt – freigeben, sondern versuchte das Kurfürstentum ebenfalls der Reformation zuzuführen. Hieraus entwickelte sich eine bewaffnete Auseinandersetzung um die konfessionelle Ausrichtung des Kurfürstentums Köln – der sogenannte Kölner Krieg, in den auch verschiedene internationale Akteure eingebunden waren.[2]
Nachdem Gebhard am 4. November 1582 handstreichartig die Stadt Bonn und umliegende Burgen besetzt hatte, veröffentlichte er am 19. Dezember ein Religionsedikt, in dem er sich öffentlich zum neuen Glauben bekannte und seinen Untertanen die freie Ausübung der Religion gestattete.[3] Dieses Vorgehen rief das Domkapitel auf den Plan, das noch im Dezember einen Landtag für den 27. Januar nach Köln ausschrieb, da es im Vorgehen des Gebhard Truchsess sowohl einen Bruch des Religionsfriedens als auch der Erblandesvereinigung sah.
Diese Erblandesvereinigung war ein Schriftstück, das auf normativer Ebene das Verhältnis zwischen dem Kurfürsten als Landesherrn und den Landständen, also dem Domkapitel, Edelleuten, Ritterschaft und Städten im Erzstift, regelte und dabei auch Möglichkeiten zum Widerstand für die Stände beinhaltete.[4] Erste Versionen wurden 1463 nach dem Tod des Kurfürsten Dietrich von Moers (reg. 1414–1463) sowohl für das Rheinische Erzstift als auch für das Herzogtum Westfalen abgeschlossen. Für das Rheinische Erzstift jedoch wurde die Erblandesvereinigung nach dem Reformationsversuch Hermanns von Wied (reg. 1515–1546) 1550 erneuert und mit Bestimmungen versehen, die einen Konfessionswechsel des Kurfürsten verhindern sollten. So wurde in §21 dem Kurfürsten untersagt, etwas newerung in Sachen unser heiligen Religion widder der Christliche und Catholischen Kirchen algemeine Ordnung[5] zu unternehmen. Sollte ein Kurfürst das hingegen doch tun, so mogen dat Capittel, Edelmanne, Ritterschaft, Stede und gemeine Landtschaht zusammen oder besonder beschrieven, die auch dem Capittel sonder Indracht des Herrn folgen sollen, und Je dat erkennen geven.[6] Auf Basis dieser Bestimmungen hatten die Stände des rheinischen Erzstifts nun die Möglichkeit argumentativ gegen Veränderungen religiöser Art durch den Kurfürsten vorzugehen. Im Herzogtum Westfalen gab es diese Möglichkeit nicht, da dort keine Aktualisierung der Erblandesvereinigung vorgenommen worden war.
Spannend ist die Frage, ob es Domkapitel und Ständen letztlich auch gelang, diese normativen Ansprüche in eine praktische Politik umzusetzen, das heißt: Gelang es Domkapitel und Landständen mit Hilfe dieser Erblandesvereinigung argumentativ gegen die reformatorischen Ideen des Kurfürsten vorzugehen, oder mussten sie sich der top-down-Herrschaftsgewalt des Kurfürsten beugen.? Entscheidend sollte dabei der bereits angesprochene Landtag im Januar 1583 werden.[7]
Auf die Ausschreibung des Landtages reagierten beide Parteien – also sowohl die domkapitularisch-katholische als auch die truchsessisch-protestantische –, indem sie Unterstützer aus dem eigenen Lager zum Besuch des Landtages bewegen wollten. Die Zahl der Teilnehmer war dementsprechend hoch: So sollen sich Vertreter aller rheinischen Städte, eine große Zahl an Rittern sowie Adelige aus dem Vest Recklinghausen in der Stadt Köln eingefunden haben.[8] Lediglich Vertreter des Herzogtums Westfalen ließen sich trotz mehrmaliger Aufforderung durch das Domkapitel entschuldigen, sandten aber ein Schreiben, dass sie bei der Erblandesvereinigung verbleiben wollten.[9] Auf Seiten des Domkapitels sind von Beginn an vier Anhänger Gebhards zu konstatieren, die sich für die Neuerungen aussprachen und nicht in die Argumentation einstimmten, dass der Kurfürst mit der Freistellung der Religion die Erblandesvereinigung gebrochen hätte. Diese vier Anhänger Gebhards waren: Hermann Adolf von Solms, Johann von Winnenberg, Thomas von Kriechingen und der Administrator von Bremen, Heinrich von Sachsen-Lauenburg.[10]
Die übrigen Domkapitulare präsentierten von der Uneinigkeit innerhalb ihres Kapitels unbenommen am 28. Januar den anwesenden weltlichen Ständen die Proposition, die in acht Punkten nochmal die Verfehlungen und Brüche der Landesvereinigung durch den Kurfürst nachzeichnen sollte.[11] Das Domkapitel nutzte also dezidiert den argumentativen Hebel über die Erblandesvereinigung, um die Stände von einem gemeinsamen Vorgehen zu überzeugen. Im Anschluss an die Proposition traten Vertreter der verschiedenen Parteiungen vor den Ständen auf. Dabei sprachen neben Heinrich von Sachsen-Lauenburg auch die anderen drei „truchsessischen“ Domkapitulare vor den versammelten Landständen, um ihre Sicht der Dinge zu schildern. Unterstützung bekam die truchsessische Partei zudem von Pfalzgraf Johann Casimir, der ebenfalls den Landtag besuchte. Auf katholischer Seite argumentierten zwei kaiserliche Gesandte sowie Räte Wilhelms V. von Jülich-Kleve-Berg für den Verbleib bei der katholischen Konfession und gegen die angestrebten Neuerungen.[12]
Aus den Beratungen der Stände ergab sich zunächst ein unklares Bild. Die Städte votierten allesamt für die Argumentation des Domkapitels und wollten somit bei der (aktualisierten) Erblandesvereinigung von 1550 bleiben. Innerhalb der Adelskurien hingegen herrschte Uneinigkeit. Einigen Rittern genügten die (Gegen-)Argumente der kurfürstlichen Partei, sie waren auf Ausgleich bedacht und versuchten zunächst den Konflikt als eine Differenz zwischen dem Domkapitel und dem Kurfürsten darzustellen. Dem widersprach das Domkapitel heftig. Die katholischen Kapitulare erwiderten den Ständen, dass, wenn überhaupt, eine Trennung zwischen sämtlichen Landständen und dem Kurfürsten vorliege. Das Domkapitel habe nur in seiner ihm durch die Erblandesvereinigung zugewiesenen Funktion die Stände aufgerufen, Position zu beziehen.[13]
Im Verlauf des Landtages erreichten noch einige neue Informationen die versammelten Ständevertreter. Einerseits traf das genannte Schreiben der westfälischen Landstände ein, in dem diese versicherten, bei der Erblandesvereinigung bleiben zu wollen.[14] Die Aussagekraft dieses Schreibens wurde vom Auftreten eines westfälischen Unterstützers der truchsessischen Sache, Otto von Wolmeringhausen, konterkariert, der als entschlossener Parteigänger Gebhards vor dem Landtag die Glaubwürdigkeit des Schreibens aus Westfalen in Zweifel zu ziehen suchte.[15] Zudem erschien mit Karl von Arenberg ein kurkölnischer Landsasse auf dem Landtag, der als Obrist in spanischen Diensten von Truppen in der Nähe von Aachen zu berichten wusste und damit die katholische Argumentation stützte.[16]
Unter dem Eindruck dieser neuen Entwicklungen – und sicherlich auch der zu befürchtenden Ausweitung des spanisch-niederländischen Krieges, die durch die vor Aachen drohenden Truppen greifbar wurde – kam der Landtag am 1. Februar 1583 zu dem Entschluss, dass das Domkapitel zur Einberufung des Landtages berechtigt gewesen sei und dass die Stände nicht von der Erblandesvereinigung, und somit der katholischen Religion, abweichen wollten. Das kam einer Niederlage der kurfürstlichen Partei gleich, denn die Stände stimmten der Einschätzung des Domkapitels zu, dass Truchsess gegen die Erblandesvereinigung verstoßen habe und er nicht dazu berechtigt gewesen sei, Neuerungen der Religion vorzunehmen. Auch wenn sich der Landtag nicht zu einer militärischen Exekution gegen den Kurfürsten entschloss, stellt der Landtagsabschied doch ein bemerkenswertes Ergebnis dar. Denn die Stände positionierten sich in einer bottom-up-Initiative gegen den Kurfürsten und konnten dabei die normative Textgrundlage der erneuerten Erblandesvereinigung argumentativ einsetzen und in der Praxis in einen Landtagsabschied überführen. Damit hatten die Stände ein bislang nur potentielles Instrument gegen die Politik des Kurfürsten ein erstes Mal in der Praxis angewandt. Die Stände, unter der Führung des Domkapitels, konnten also „von unten“ wirksam gegen Entscheidungen und Politik des Kurfürsten agieren.
Die truchsessische Partei reagierte prompt. Gebhard heiratete am 2. Februar 1583 Agnes von Mansfeld im Bonner Gasthaus „Zur Blomen“, ließ das Religionsedikt an den Stadttoren anschlagen und machte sich selbst auf den Weg ins Herzogtum Westfalen, das er als „Operationsbasis“[17] für seinen Reformationsversuch ausgemacht hatte. Denn dort, wo den Ständen ohne die Aktualisierung der Erblandesvereinigung kein so scharfes argumentatives Schwert zur Verfügung stand, versuchte er sein Vorhaben doch noch erfolgreich in die Tat umzusetzen. Diese Entscheidung für Westfalen war sicherlich eine Entscheidung in dezidierter Abgrenzung zum Erzstift und der dortigen Erblandesvereinigung, nachdem die Stände desselben Kurfürst Gebhard mit dem Landtagsabschied de facto bis zur Abstellung seiner Neurungen die Gefolgschaft aufgekündigt hatten.
Weitere Erkenntnisse könnte eine Untersuchung zur Rolle und Positionierung des Domkapitels ergeben. Gegenüber dem Kurfürsten agierten sicherlich alle Stände „von unten“, für die (meisten) weltlichen Stände jedoch könnte das Domkapitel selbst schon als eine „große Welt“ oder ein übergeordneter Akteur charakterisiert werden. Eine genauere Untersuchung bietet also noch weiteres Erkenntnispotential. Den rheinischen Ständen jedoch war damit zunächst ein Erfolg im aufziehenden Krieg gegen Gebhard Truchsess gelungen. Die ‚Kleine Welt‘ der rheinischen Landstände hatte sich als ‚großes Hindernis‘ für die kurfürstlichen Vorhaben erwiesen.
[1] Zur Person Gebhards vgl. Becker, Thomas P.: Gebhard Truchseß von Waldburg, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/gebhard-truchsess-von-waldburg/DE-2086/lido/57c6c6b3b93163.78841413 [zuletzt abgerufen am 21.11.2023].
[2] Einen konzisen Überblick über den Kriegsverlauf bietet Becker, Thomas P.: Der Alltag des Krieges. Das Rheinland im Kölner Krieg, in: Andreas Rutz (Hrsg.), Krieg und Kriegserfahrung im Westen des Reiches 1568–1714 (Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit 20), Göttingen 2016, S. 121–139. Eine ebenfalls kurze Zusammenfassung findet sich bei Schnurr, Eva-Maria: Religionskonflikt und Öffentlichkeit. Eine Mediengeschichte des Kölner Krieges (1582 bis 1590) (Rheinisches Archiv 154), Köln/Weimar/Wien 2009, hier S. 53–87.
[3] Vgl. Schnurr, Religionskonflikt, S. 69–70.
[4] Vgl. Ruppert, Karsten: Die Landstände des Erzstifts Köln als Organe politischer Mitbestimmung, in: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 41 (2015), S. 51–97, hier S. 60–65.
[5] Erblandesvereinigung von 1550, in: Walter, Ferdinand: Das alte Erzstift und die Reichsstadt Cöln. Entwicklung ihrer Verfassung vom fünfzehnten Jahrhundert bis zu ihrem Untergang, Bonn 1866, S. 395–405, hier S. 402.
[6] Erblandesvereinigung von 1550, in Walter, Erzstift, S. 403.
[7] Einen detaillierten Einblick in den Landtag liefert noch immer Lossen, Max: Der Kölnische Krieg. Zweiter Band. Geschichte des Kölnischen Krieges 1582 bis 1586, München/Leipzig 1897, hier S. 104–150.
[8] Vgl. Lossen, Geschichte des Kölnischen Krieges, S. 139.
[9] Vgl. Schulte, David: Das Herzogtum Westfalen und der Kölner Krieg. Die Rolle des Herzogtums in der Politik des Kölner Kurfürsten Gebhard Truchsess in den frühen 1580 er Jahren, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 86 (2022), S. 140–177, hier S. 151–153.
[10] Vgl. Schnurr, Religionskonflikt, S. 70, Anm. 97.
[11] Die Punkte sind auch aufgeführt bei: Lojewski, Günther von: Bayerns Weg nach Köln. Geschichte der bayerischen Bistumspolitik in der zweiten Hälfte des 16.Jahrhunderts (Bonner historische Forschungen 21), Bonn 1962, hier S. 367.
[12] Vgl. Lossen, Geschichte des Kölnischen Krieges, S. 140–143; ebenfalls knapp bei Lojewski, Bayerns Weg, S. 368.
[13] Vgl. Lossen, Geschichte des Kölnischen Krieges, S. 145–146.
[14] Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass die Westfalen offenbar bewusst offen ließen, auf welche Version der Erblandesvereinbarung sie sich bezogen. Sie versuchten also bewusst zu taktieren, denn eine Erneuerung der westfälischen Erblandesvereinigung wurde erst 1590 vor dem Hintergrund der Ereignisse des Kölner Krieges vorgenommen.
[15] Vgl. Lojewski, Bayerns Weg, S. 368.
[16] Vgl. Becker, Alltag, S. 128–129.
[17] Klueting, Harm: Das Konfessionelle Zeitalter. Europa zwischen Mittelalter und Moderne, Darmstadt 2007, hier S. 307.
Zitierweise:
Schulte, David: Die ‚Kleine Welt‘ als großes Hindernis? Landständische Initiativen gegen den Kölner Kurfürsten, in: Histrhen. Rheinische Geschichte wissenschaftlich bloggen, 18.12.2023, http://histrhen.landesgeschichte.eu/2023/12/landstaende-kleine-welt-hindernis-schulte/