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Kommunismus im Kurort

Echo des Siebengebirges vom 16. Dezember 1926 (ULB Bonn)

Bei der Reichstagswahl im November 1932 erzielte die Kommunistische Partei Deutschlands im beschaulichen Kurort Honnef (seit 1960: Bad Honnef) 18,4 Prozent der Stimmen, im Ortsteil Selhof waren es sogar rund ein Drittel. Damit lagen die Kommunisten über dem Reichsdurchschnitt und waren hinter dem Zentrum die zweitstärkste Partei. Schon Jahre vorher bemerkte der Bürgermeister, dass „Honnef, ein Luftkur- und Badeort […] als Kommunistennest verschrien“[1] sei.

Nun waren die soziökonomischen Bedingungen in Honnef mit seinen knapp 9.000 Einwohnern keineswegs dazu angetan, eine starke kommunistische Bewegung hervorzubringen – genau das Gegenteil war der Fall. Tief katholisch und kaum industrialisiert hatte es hier eine organisierte sozialistische Arbeiterbewegung vor 1918/19 praktisch nicht gegeben, bei der Reichstagswahl 1912 kam der sozialdemokratische Kandidat lediglich auf 49 von 1247 abgegebenen Stimmen.

Die KPD war in Honnef ein Produkt der hiesigen Verhältnisse, sie wurde von einheimischen und fest im lokalen Milieu verwurzelten Arbeitern gegründet. Einflüsse von außen, etwa aus Köln oder Troisdorf, gab es hier nicht. Den Ausgangspunkt einer Radikalisierung bildete zweifellos der Erste Weltkrieg, von einer Trauerveranstaltung eines Turnvereins wusste die Honnefer Volkszeitung (HVZ) zu berichten: „Nach erfolgter Aufstellung der Turner sprach namens der Aktiven Herr W. Pinnecke. Mit markanten Worten verurteilte er den männermordenden Krieg, der auch seinen Verein der besten Mitglieder beraubt habe.“[2] Wilhelm Pinnecke sollte später der wichtigste kommunistische Funktionär vor Ort werden. Sein Weg führte ihn später in den Reichstag und auf die Schlachtfelder des spanischen Bürgerkriegs, wo er 1938 starb.

Für Aufsehen sorgten die Honnefer Kommunisten im Honnefer Kommunistenprozess 1926. Bei den Separatistenunruhen im Jahr 1923 hatte sich auch die Proletarische Hundertschaft aus Honnef, Königswinter und Unkel an den Abwehrkämpfen beteiligt. Der bewaffnete Kampf wurde vom Staatsgerichtshof in Leipzig im Zusammenhang mit dem „Deutschen Oktober“ als Vorbereitung zum Hochverrat gedeutet, die führenden Funktionäre zu (geringfügigen) Gefängnisstrafen verurteilt.

Warum war nun ein so unwahrscheinlicher Ort wie Honnef eine kommunistische Hochburg, ein „Klein Moskau“[3] im Siebengebirge? An dieser Stelle nur einige Hypothesen, die künftig noch geprüft werden müssen.

Erstens zeigt sich hier der sozialgeschichtlich wenig erfreuliche Umstand, dass einzelnen Personen eine erhebliche Bedeutung bei der Entstehung und Verstetigung sozialer Bewegungen zukommt. Ohne einen begabten Agitator wie Wilhelm Pinnecke oder seinen militanten Schwager Felix Kirchhoff wäre die KPD in Honnef vermutlich eine Randerscheinung gewesen. Aber durch die unermüdliche Arbeit einiger weniger Aktivisten dominierten die Kommunisten schließlich die örtliche Arbeiterbewegung, das lokale Ortskartell des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbunds (ADGB) befand sich bis zu seiner Auflösung Ende der 1920er Jahre fest in kommunistischer Hand, gleiches galt für Erwerbslosen- und Mietervereinigungen.

Honnefer Volkszeitung vom 7. August 1922 (ULB Bonn)

Darüber hinaus ist zweitens nicht zu übersehen, dass in Honnef die politische und soziale Polarisierung schon lange vor der Gründung der KPD außerordentlich groß war. Das Nebeneinander eines respektablen aber verarmten Arbeitermilieus in Selhof und dem mondänen Kurbetrieb am Rhein schuf ein gesellschaftliches Konfliktpotential, die Interessen des örtlichen Bürgertums wurden von der Stadtverwaltung gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten recht rücksichtslos durchgesetzt. Man musste hier kein Kommunist sein, um die einseitige Ausrichtung auf die “Rentnerpolitik” zu kritisieren. Und neben dem katholischen Sozialmilieu gab es hier noch ein reichlich schrill auftretendes nationalistisches Milieu, in dem antidemokratisches Gedankengut ganz offen kommuniziert wurde. Im Sommer 1922 kam es denn auch zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Kommunisten und bewaffneten Schützenbrüdern, als die Stadt unmittelbar nach dem Mord an Walter Rathenau demonstrativ schwarz-weiß-rot beflaggt wurde.

Und drittens konnten sich die Kommunisten in Honnef etablieren, weil sie in der Stadt über reale Einflussmöglichkeiten verfügten. Gelegentlich mochten sie in der Stadtverordnetenversammlung Theater aufführen, wie etwa bei der Einführung ihrer Abgeordneten in die Stadtverordnetenversammlung 1924. Aber insgesamt gesehen arbeiteten sie in den jeweiligen Gremien konstruktiv mit und konnten dabei auch Erfolge erzielen, insbesondere wenn es Überschneidungen mit den christlichen Gewerkschaften gab. Das Erfolgsgeheimnis lag in der Doppelstrategie aus konstruktiver parlamentarischer Opposition und Druck von der Straße. Dabei ging es in Honnef friedlicher zu als in anderen Ortschaften im Siegkreis: In Honnef wirkte die KPD auf die Arbeiterschaft nicht eskalierend, sondern disziplinierend. Die Schwelle zur Gewalt wurde selbst bei lautstarkem Protest fast nie überschritten. Die Kommunisten erfreuten sich bei anderen politischen Milieus zwar keiner großen Beliebtheit, eine marginalisierte Randgruppe waren sie aber nicht. Man müsse, so wurde 1928 ein Kaplan bei einer Veranstaltung des Zentrums zitiert, „auch in dem Kommunisten […] den Mitmenschen, den Bruder sehen.“ Ein weiterer Redner wies darauf hin, dass der Kreistagsabgeordnete Pinnecke gegenüber dem Landrat eine bessere Interessenpolitik für Honnef betrieb als die Stadtverwaltung selbst.[4]

Die Stärke der KPD in Honnef sollte sich 1933 aber als verhängnisvoll erweisen. Da alle Funktionäre vor Ort namentlich bekannt waren und es in einer Kleinstadt keine Anonymität geben konnte, wurde praktische der gesamte Funktionärskörper in Schutzhaft genommen, einige Prominente wie Pinnecke oder Rudolf Wascher konnten untertauchen und später ins Ausland fliehen. In der großen Widerstandsgruppe im Großraum Bonn, die 1935 aufgerollt wurde und auch viele Kommunisten aus dem Siegkreis umfasste, gab es dann schon kein Mitglied mehr aus Honnef. Schon 1933 konnte die KPD in Honnef als zerschlagen gelten und auch nach 1945 konnte an die Erfolge während der Weimarer Republik nicht mehr angeknüpft werden.

Das an dieser Stelle kurz skizzierte Thema, welches sich in die bis heute andauernde (wenn auch mit anderen Protagonisten) Weber-Mallmann-Kontroverse[5] einfügt, soll mittelfristig als Buch oder längerer Aufsatz publiziert werden. Derzeit besteht die Quellengrundlage vor allem aus den Beständen Landratsamt Siegkreis beim Archiv Rhein-Sieg-Kreis sowie der Personalakte Felix Kirchhoff beim Bundesarchiv unter der Signatur R 1507/2608 (Reichskommissar für Überwachung der öffentlichen Ordnung). Hinzu kommen die lokalen Zeitungen Honnefer Volkszeitung und das Echo des Siebengebirges. An weiteren Quellenbeständen ist insbesondere an die Polizeiakten des Landratsamts Siegkreis beim Landesarchiv NRW Abteilung Rheinland zu denken.

 


[1] Der Bürgermeister an den Herrn Präsidenten des Staatsgerichtshofs zum Schutz der Republik, Honnef, den 2. Februar 1926, Archiv Rhein-Sieg-Kreis (ARSK), Landratsamt Siegkreis (LSK), Nr. 1374.

[2] Lokales, in: HVZ vom 27. August 1920.

[3] Vgl. Knotter, Ad: „Little Moscows“ in Western Europe: The Ecology of Small-Place Communism, in: International Review of Social History 56, 2011, S. 475-510. Zur Diskussion um die Rahmenbedingungen einer Radikalisierung der Arbeiterbewegung vgl. Mallmann, Klaus-Michael: Milieu, Radikalismus und lokale Gesellschaft, in: Geschichte und Gesellschaft 21, 1995, S. 5-31; Dapp, Teresa: Kommunistische Milieus in der Weimarer Republik. Ein Forschungsbericht, in: Archiv für Sozialgeschichte 50, 2021, S. 503-544.

[4] HVZ vom 22. November 1928.

[5] Vgl. Bois, Marcel/Wilde, Florian: Ein kleiner Boom. Entwicklungen und Tendenzen der KPD-Rorschung seit 1989/90, in: Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung 2010, S. 309-322, zur jüngeren Diskussion vgl. die Beiträge in ebd. 2018.

 

Zitierweise:
Kühne, Tobias: Kommunismus im Kurort. Wilhelm Pinnecke (1897-1938) und die Honnefer KPD 1920-1933, in: Histrhen. Rheinische Geschichte wissenschaftlich bloggen, 06.03.2023, http://histrhen.landesgeschichte.eu/2023/03/kommunismus-im-kurort-kuehne