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Justice for the Enemy? Die Verteidigung deutscher Kriegsverbrecher durch britische Offiziere in Militärgerichtsprozessen nach dem Zweiten Weltkrieg (1945-1949)

„Ich betrat den Gerichtssaal in der Erwartung, an einem Schauprozess als unglückseliges Opfer teilzunehmen“, schrieb der frühere SS-Hauptsturmführer und KZ-Arzt Alfred Trzebinski kurz vor seiner Hinrichtung in seinen Abschiedsbrief (S. 289). Trzebinski war im Mai 1946 von einem britischen Militärgericht zum Tode verurteilt worden. Dem Mediziner, der unter anderem in Auschwitz, Majdanek und Neuengamme Menschenversuche durchgeführt hatte, hatte das Gericht vor allem seine Beteiligung an der Ermordung von zwanzig jüdischen Kindern in den letzten Kriegstagen vorgeworfen. Gerichtet waren Trzebinskis letzte Worte an niemand anderen als an den Menschen, der jenes harte Urteil gegen ihn gefordert hatte: an den Ankläger Major Stephen M. Stewart. Reue bekundete Trzebinski in seinem Schreiben keine, im Gegenteil rechtfertigte er sich noch ein letztes Mal für seine Taten. Zugleich jedoch zeigte er sich anerkennend gegenüber dem britischen Gericht, insbesondere aber gegenüber Major Stewart. „Dieser Mann (…) hat mir die Augen geöffnet über die Gerechtigkeit der britischen Justiz. Dieser Prosecutor ist für mich der Prototyp des fairen englischen Gentleman“ (S. 289). Das sind unerwartet versöhnliche und anerkennungsvolle Worte für einen NS-Verbrecher, der von seinem früheren Kriegsgegner zum Tode verurteilt wurde. Margaretha Vordermayer zufolge ist Trzebinskis Sicht auf die britische Justiz im besetzten Nachkriegsdeutschland jedoch weniger ungewöhnlich, als man zunächst annehmen möchte.

In ihrer mit 338 Seiten sehr handlichen Studie nimmt die Historikerin die englischen Militärverteidiger in den Kriegsverbrecherverfahren der britischen Besatzungszone zwischen 1945 und 1949 in den Blick. Warum übernahm man als britischer Offizier ein Mandat für einen mutmaßlichen NS-Verbrecher? Wie gestaltete sich das Verhältnis zwischen Verteidigern und Angeklagten? Welche Strategien wandten die Anwälte an? Und wie wurde ihre Arbeit wahrgenommen – in Deutschland und in der englischen Heimat? Dies sind nur einige der Fragen, denen Vordermayer in ihrem Buch auf den Grund geht.

Insgesamt 329 Militärgerichtsverfahren hatten zwischen 1945 und 1949 in der britischen Zone im Westen und Nordwesten Deutschlands stattgefunden, 964 Personen waren angeklagt worden, 46 britische Offiziere waren als Strafverteidiger in den Prozessen aktiv (S. 18). Der Großteil der britischen Verfahren fand in Hamburg statt, Prozesse wurden allerdings auch im Rheinland geführt, so in Borken, Elten (Kreis Kleve), Essen oder Wuppertal. 34 dieser Prozesse greift die Verfasserin für ihre Untersuchung heraus, wobei auffällig ist, wie unterforscht dieses Feld noch ist: Nur zwei der 34 Verfahren waren bislang historisch aufgearbeitet, der erste Prozess um die Verbrechen im KZ Bergen-Belsen und der Prozess gegen Generalfeldmarschall Erich von Manstein. Vordermayer leistet somit wichtige Grundlagenarbeit. Mit ihrem Fokus auf den Anwälten als historischen Akteuren reiht sich ihre Dissertation zudem in einen generellen Trend ein, der eine Perspektivverschiebung von den bisher stärker im Zentrum des Interesses stehenden Tätern verfolgt.[1] Leider sind nur wenige Selbstzeugnisse der britischen Verteidiger überliefert, sodass eine Annäherung an diese fast nur über den „Umweg“ der in den britischen National Archives in Kew (London) überlieferten Gerichts- und Verwaltungsakten möglich ist. Diese spiegeln das innere Erleben der Juristen jedoch nur bedingt wider. Das gestaltet die Arbeit an vielen Punkten abstrakter, als man sich beim Lesen wünschen würde.

Dennoch arbeitet die Autorin die Ambivalenzen der britischen Strafverfolgung nuanciert heraus: Einerseits sahen die Briten die Kriegsverbrecher-Verfahren als unabdingbare Grundlage für den Wiederaufbau einer stabilen demokratischen Gesellschaft in Deutschland an, andererseits aber wollten sie darin nicht so weit gehen wie die ambitionierteren Amerikaner. So entschied London gleich zu Beginn der Prozesse, dass diese schnellstmöglich durchgeführt werden sollten. Man wollte sich keine dauerhaften politischen Belastungen gegenüber Deutschland einhandeln. Zudem gab es von Beginn an eine starke Lobby gegen die Verfahren in Großbritannien selbst, welche die Prozesse gegen einen ehemaligen Kriegsgegner für „unbritisch“ und dem Völkerrecht widersprechend hielt. Vordermayer macht daher eine deutliche Priorisierung der Verfahren bei den Briten aus. Die Ahndung von Verbrechen an alliierten Staatsbürgern, insbesondere an britischen, war vorrangig.

Es folgt ein detaillierter quantitativer Querschnitt durch die Verfahren: Die Verfasserin beschreibt deren rechtliche Grundlagen, die Zusammensetzung der Gerichte, die erhobenen Tatvorwürfe und führt die Namen der Verteidiger und Angeklagten sowie die im Strafmaß teils beträchtlich variierenden Urteile auf. Dabei kommt zum Vorschein, dass in der Regel Angeklagte mit britischen Verteidigern (deutsche wären auch möglich gewesen), bessere Karten hatten. Und das, obgleich die britischen Offiziere ihre anwaltliche Tätigkeit für den früheren Feind keinesfalls freiwillig übernahmen, sondern dies auf Befehl innerhalb ihrer Dienstpflichten tun mussten. Das Verhältnis zu den deutschen Mandanten war angesichts der ihnen vorgeworfenen brutalen Verbrechen nicht immer unbelastet. Dennoch attestiert Vordermayer den britischen Juristen ein sehr hohes Berufs-Ethos. Die Anwälte, Richter und Ankläger ordneten ihre persönlichen Befindlichkeiten demnach stets der Sache des „fair trial“ unter. Dies brachte der britischen Militärjustiz – wie Trzebinskis Brief unterstreicht – bei den Deutschen große Anerkennung ein. Dieser Befund ist interessant, da in der deutschen Rezeption bislang die Kritiker der alliierten Justiz, wie der Celler Oberlandesgerichts-Präsident Hodo von Hodenberg, dominieren. Ihnen räumt Vordermayer aber insgesamt wenig Raum ein.

Die Autorin leuchtet zudem die zahlreichen Widersprüchlichkeiten aus, denen der Anwaltsberuf ausgesetzt ist und die bei den britischen Militäranwälten um ein Vielfaches potenziert waren. So hatten vor allem die Zeugen in den Verfahren, die zumeist Opfer der verhandelten Verbrechen waren, einen schweren Stand. Sie wurden von den britischen Verteidigern nach allen Mitteln der Kunst hart angegangen, um deren Glaubwürdigkeit zugunsten ihrer Mandanten zu erschüttern. Es müssen für die Überlebenden traumatische Szenen gewesen sein, sollten die Prozesse doch der Unrechtsaufarbeitung und der Anerkennung geschehenen Leids dienen, mussten die zwangsverpflichteten britischen Anwälte andererseits alle für ihre Mandanten verfügbaren Mittel ausschöpfen. Welche inneren Konflikte dies bei den Anwälten womöglich ausgelöst haben könnte, erfährt man indes leider kaum.

Auch wenn die Verfasserin an manchen Stellen den von ihr aufgeworfenen Fragen tiefer auf den Grund hätte gehen können, lässt sich festhalten, dass ihre Studie einen breit gefächerten und fundierten Gesamtüberblick gibt über wenig bearbeitete Aspekte der britischen Kriegsverbrecher-Politik. Sie leistet wichtige Grundlagenarbeit zum Verständnis, zur Funktionsweise und Wahrnehmung der britischen Justiz im besetzten Deutschland.

 

Margaretha Franziska Vordermayer, Justice for the Enemy? Die Verteidigung deutscher Kriegsverbrecher durch britische Offiziere in Militärgerichtsprozessen nach dem Zweiten Weltkrieg (1945-1949), Baden-Baden 2019; ISBN: 978-3-7489-0141-9


[1] So die Arbeiten Hubert Seligers, Politische Anwälte? Die Verteidiger der Nürnberger Prozesse, Baden-Baden 2016; Jens Brüggemann, Männer von Ehre? Die Wehrmachtgeneralität im Nürnberger Prozess1945/46. Zur Entstehung einer Legende, Paderborn 2018; Guillaume Mouralis, Le moment Nuremberg. Le procès international, les lawyers et la question raciale, Paris 2019.

 

Zitierweise:
Glahé, Philipp: Rezension zu “Justice for the Enemy? Die Verteidigung deutscher Kriegsverbrecher durch britische Offiziere in Militärgerichtsprozessen nach dem Zweiten Weltkrieg (1945-1949)”, in: Histrhen. Rheinische Geschichte wissenschaftlich bloggen, 02.03.2022, http://histrhen.landesgeschichte.eu/2022/03/rezension-justice-for-the-enemy-kriegsverbrecher-britische-zone-glahe/